"Was bleibet aber, stiften die Dichter"

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Kaum ein anderer Schriftsteller hat sich so intensiv mit dem Wesen und der Aufgabe der lyrischen Dichtung befasst wie Friedrich Hölderlin.

Als 'Dichter in dürftiger Zeit' sah Friedrich Hölderlin seine Aufgabe darin, die Utopie einer künftigen Epoche zu entwerfen.

Auch in 'Der Tod des Empedokles' steht eine tragische Gestalt im Mittelpunkt, die sich in schroffem Gegensatz zur zeitgenössischen Gesellschaft befindet.

Für den Philosophen Martin Heidegger war Friedrich Hölderlin derjenige Schriftsteller, dessen Werk "von einer dichterischen Bestimmung getragen ist, das Wesen der Dichtung eigens zu dichten". Was er in seiner Poesie, dem Briefroman "Hyperion" und dem Dramenprojekt "Empedokles" gestiftet hat, zählt zu den Höhepunkten der deutschen Literatur und hat die moderne Poesie entscheidend beeinflusst. Als "Dichter in dürftiger Zeit" sah Hölderlin seine Aufgabe darin, die Utopie einer künftigen Epoche zu entwerfen -"ein neues Reich, wo die Schönheit Königin ist".

Gemeinsames Philosophieren

Geboren wurde Friedrich Hölderlin am 20. März 1770 in der schwäbischen Kleinstadt Lauffen am Neckar als Sohn eines wohlhabenden Klosterhofmeisters, der bald nach Hölderlins Geburt verstarb. Auf Wunsch der frommen Mutter besuchte er die evangelischen Klosterschulen in Denkendorf und Maulbronn. 1788 begann er die universitäre Ausbildung im Stift von Tübingen, wo er mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Friedrich Wilhelm Joseph Schelling Freundschaft schloss.

Die zentralen Gestalten des deutschen Idealismus entfalteten ein gemeinsames Philosophieren - eine "Sym-philosophie" - auf höchstem Niveau. Das Ergebnis war ein kurzer Text von wenigen Seiten, der als "Das älteste Systemprogramm des Deutschen Idealismus" Furore machte. Die "Vereinigungsphilosophen" träumten von einer Welt, in der der "Geist ins Leben übergeht", einer Zukunft ohne politische Gewalt und ohne Abstraktionen des Rechts. Die "Maschine" des Staates, der "freie Menschen als ein mechanisches Räderwerk behandelt", solle aufhören, heißt es in dem Manifest.

Nach seiner Abschlussprüfung im Tübinger Stift erhielt Hölderlin eine Hofmeisterstelle bei der Familie von Kalb in Waltershausen. Er fühlte sich jedoch zu Höherem berufen und zog nach Jena, um Vorlesungen des Philosophen Johann Gottlieb Fichte zu hören. Aus finanziellen Gründen nahm Hölderlin eine Hofmeisterstelle bei der Frankfurter Bankiersfamilie Gontard an, wo er sich in Susette Gontard - die Frau des Bankiers -leidenschaftlich verliebte. Diese Zuneigung, die erwidert wurde, führte zu einer Auseinandersetzung mit dem Ehemann. Hölderlin musste die Familie verlassen und ging nach Bordeaux, wo er wieder als Hofmeister tätig war. 1802 kehrte er nach Deutschland zurück, wo sich erste Anzeichen seiner psychischen Krankheit bemerkbar machten. 1806 verschlechterte sich sein Zustand; er musste sich zur Behandlung in die Klinik Autenrieth nach Tübingen begeben. 1807 wurde Hölderlin als unheilbar aus der Klinik entlassen und verbrachte seine zweite Lebenshälfte im Haushalt der verständnisvollen Tischlerfamilie Zimmer in Tübingen, wo er am 7. Juni 1843 verstarb.

Besucher empfing er mit ausgesuchter Höflichkeit; er redete sie mit "Herr Baron" oder "Eure Heiligkeit" an. Diese Phasen wechselten mit heftigen Wutausbrüchen, die sich in unaufhörlichem Gehen, Gestikulieren, Schrei-Gesängen und Echolalien äußerten. Manchmal schrieb Hölderlin noch kurze Gedichte, die er mit Scardanelli signierte: "Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen /Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! Verflossen /April und Mai und Julius sind ferne /Ich bin nichts mehr; ich lebe nicht mehr gerne!"

Heilige Poesie

Kaum ein anderer Schriftsteller hat sich so intensiv mit dem Wesen und der Aufgabe der lyrischen Dichtung befasst wie Hölderlin. Er mied die belanglose, unverbindliche Rede der Alltagskommunikation. Diese Mumifizierung des lebendigen Wortes war für ihn das "tödlich Faktische", dem er die "magischen Farbenspiele der Sprache" entgegensetzte. In Elegien, Oden und Hymnen wie "Heidelberg", "Neckar","Der Gang aufs Land","Friedensfeier","Patmos","Hälfte des Lebens","Mnemosyne" oder "Der Ister" stimmte Hölderlin einen Lobgesang auf unterschiedliche Phänomene der Lebenswelt an. Es sind die Feier der Natur, die Verherrlichung der Liebe, die Hingabe an die Antike, in der das Leben noch keine Entfremdung kennt, die Freiheit, die Freundschaft und speziell die Außenseiterposition des Dichters, der sich durch den Kontakt mit dem Absoluten immer mehr vom Common sense der zeitgenössischen Gesellschaft entfernt. Der Dichter erscheint als der Verkünder des Göttlichen, wie es in der Elegie "Brod und Wein" anschaulich beschrieben wird: "Göttliches Feuer auch treibet, bei Tag und bei Nacht, / Aufzubrechen. So komm! daß wir das Offene schauen, / Daß ein Eigenes wir suchen, so weit es auch ist. / Fest bleibt Eins; es sei um Mittag oder es gehe /Bis in die Mitternacht, immer bestehet ein Maß, / Allen gemein, doch jeglichem auch ist eignes beschieden, / Dahin gehet und kommt jeder, wohin er es kann. / Drum! und spotten des Spotts mag gern frohlockender Wahnsinn, / Wenn er in heiliger Nacht plötzlich die Sänger ergreift."

"Eines zu sein mit Allem"

Hölderlin nahm eine Sakralisierung der Poesie vor, die von einer hymnischen Begeisterung für die Schönheit begleitet wird. "Es wird nur eine Schönheit sein", schrieb Hölderlin, "und Menschheit und Natur werden sich vereinen in eine allumfassende Gottheit". Auch in seinen philosophischen Schriften und in dem Briefroman "Hyperion oder der Eremit in Griechenland" bezog sich Hölderlin auf diese "allumfassende Gottheit": "Eines zu sein mit Allem, was lebt, in seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins All der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken und Freuden." Diese Einheit ist in der Neuzeit verlorengegangen; der Verantwortliche für den Sündenfall ist René Descartes, der eine Teilung der Welt in Subjekt und Objekt, in eine res cogitans und in eine res extensa vornahm. Dadurch wurde die ursprüngliche Einheit zwischen Mensch und Natur zerstört. Die Reflexion vertrieb den Menschen aus dem paradiesischen "Ur-Zustand" und setzte ihn dem Dressurakt der Rationalisierung aus, der für die Unterdrückung der Triebe, der Emotionen, der Phantasie und der Träume verantwortlich ist.

In einem Brief an seinen deutschen Freund Bellarmin beklagt Hyperion den Verlust des harmonischen Seins, der durch die Fixierung auf die Rationalität erfolgte, die vornehmlich von den Philosophen der Aufklärung propagiert wurde: "Ach! wär ich nie in eure Schulen gegangen. Ich bin bei euch so recht vernünftig geworden, habe gründlich mich unterscheiden gelernt von dem, was mich umgibt, bin nun vereinzelt in der schönen Welt, bin so ausgeworfen aus dem Garten der Natur, wo ich wuchs und blühte, und vertrockne an der Mittagssonne." Diese Klage Hyperions steht am Beginn des Briefromans, in dem Hyperion eine Bilanz seines bisherigen Lebens zieht. Er berichtet von seiner Jugend in Südgriechenland und von seinem weisen Lehrer Adamas, der ihm die Gedankenwelt der antiken Philosophen und Dichter der Antike näher brachte, von seinem wesens-und geistesverwandten Freund Alabanda und von seiner Geliebten Diotima, die in Übereinstimmung mit sich und der Natur lebte. Von einer Bildungsreise nach Deutschland kehrte er maßlos enttäuscht nach Griechenland zurück. Was er dort vorfand, berichtete er dem Freund: "Barbaren von alters her, durch Fleiß und Wissenschaft und selbst durch Religion barbarischer geworden, tiefunfähig jedes göttlichen Gefühls, verdorben bis ins Mark; Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Denker, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen." Mittlerweile waren sämtliche Bezugspersonen verstorben. Hyperion war nunmehr völlig allein -ein Eremit, der über sein gescheitertes Leben nachdachte, das darin bestand, seine Ideale zu verwirklichen: "Ich habe nichts, wovon ich sagen möchte, es sei mein eigen. Fern und tot sind meine Geliebten, und ich vernehme durch keine Stimme von ihnen nichts mehr. Mein Geschäft auf Erden ist aus."

Gegen normierte Verhältnisse

Ein Pendant zur Romangestalt Hyperion findet sich in Hölderlins Trauerspiel "Der Tod des Empedokles", das in drei Fassungen vorliegt und unvollendet blieb. Auch hier steht eine tragische Gestalt im Mittelpunkt, die sich in schroffem Gegensatz zur zeitgenössischen Gesellschaft befindet. Der vorsokratische Philosoph Empedokles lebt im Einklang mit dem absoluten Sein, den auch Hyperion anstrebte. Dieses Leben im Optimum verleidet ihm den Umgang mit der banalen Lebenswelt der zeitgenössischen Gesellschaft in Agrigent, die -wie die barbarische Gesinnung der Deutschen -von Geschäftigkeit und zweckrationalem Denken geprägt ist. "Empedokles ist ein Todfeind aller einseitigen Existenz", notierte Hölderlin, und deswegen auch "in wirklich schönen Verhältnissen unbefriedigt, unstet, leidend".

Empedokles zieht sich gemeinsam mit seinem Schüler Pausanias in eine Gegend nahe des Vulkans Ätna zurück, taucht immer tiefer in einen radikalen Naturmystizismus ein und entwickelt einen tiefgehenden Kulturhass gegen die normierten Verhältnisse der Gesellschaft. Schließlich wählt er den Selbstmord und stürzt sich in den Vulkan, um sich durch den freiwilligen Tod mit der Natur zu vereinigen.

Hyperion und Empedokles entziehen sich der tristen Existenz des Herdenmenschen, der laut Friedrich Nietzsche niemals die Grenzzustände der Ekstase oder die existenzielle Verzweiflung des Melancholikers kennengelernt hat. Beide Gestalten sind -wie auch Hölderlin -fremd in ihrer jeweiligen Gesellschaft. Was bleibt, ist das Dasein des Eremiten, das Hyperion wählt, der Selbstmord, den Empedokles begeht oder die endgültige Grenzüberschreitung in einen rund dreißig Jahre andauernden Wahnsinn, dem Hölderlin in der zweiten Hälfte seines Lebens ausgesetzt war.

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