"Brauchen Debatte über Wert des JOURNALISMUS"

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Wie lässt sich Qualität im Journalismus refinanzieren? Diese Grundfrage ist ungelöst, sagt der deutsche Medienwissenschafter Bernhard Pörksen. Langfristig sieht er darin eine große Gefahr für die Demokratie.

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Wie lässt sich Qualität im Journalismus refinanzieren? Diese Grundfrage ist ungelöst, sagt der deutsche Medienwissenschafter Bernhard Pörksen. Langfristig sieht er darin eine große Gefahr für die Demokratie.

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Bernhard Pörksen wünscht sich den Übergang von der digitalen zur "redaktionellen" Gesellschaft, in der jeder sozusagen selbst Journalist ist. Die FURCHE sprach auch darüber mit dem Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

DIE FURCHE: Redet man über die Türkei oder Russland, dann ist klar, dass die Pressefreiheit massiv gefährdet ist. In unseren Breiten ist das nicht vergleichbar. Dennoch: Wie sieht es mit Pressefreiheit hierzulande aus?

Bernhard Pörksen: Im Sinn einer offenen Aggression gibt es keine Gefahr. Es nehmen natürlich Angriffe von Rechtsextremen zu, und es gibt ein steigendes Medienmisstrauen. Das eigentliche Dilemma von Journalistinnen und Journalisten ist aber, dass die kostenintensive Arbeit, die sie machen, noch keine ausreichende Refinanzierung gefunden hat. Die Grundfrage des Qualitätsjournalismus lautet nämlich: Wie lässt sich Qualität refinanzieren? Diese ist noch ungelöst. Und das scheint mir langfristig eine Bedrohung journalistischer Arbeit zu sein. Wenn man ausführlich, hartnäckig, quer zum Mainstream recherchiert: Womit kann man da sein Auskommen finden?

DIE FURCHE: Was müsste passieren, dass das geschieht?

Pörksen: Wir brauchen eine große gesellschaftliche Debatte über den Wert des Journalismus. Im Moment wird diese noch viel zu sehr in den engen Zirkeln der Medienbranche geführt. Es gibt kaum öffentliche Stellungnahmen von Intellektuellen oder Wissenschaftern, Lobbyarbeit für den Wert des Journalismus findet nicht ausreichend statt. Die Gesellschaft muss sich darüber klarwerden, was auf dem Spiel steht, wenn es einen qualifizierten, rechercheintensiven Journalismus nicht mehr gibt. Dieser ist systemrelevant für die Demokratie.

DIE FURCHE: Aber zunehmend wird das Gegenteil behauptet: Qualitätsjournalismus befördere nur das Interesse der Eliten einer bestimmten Weltsicht und gehe der Wirklichkeit nicht mehr nach.

Pörksen: Wir haben ein steigendes Medienmisstrauen. Und es gibt berechtigte Medienkritik: Grenzüberschreitungen, Übertreibungen, Banalisierung, falsch gewählte Filmausschnitte, deplatzierte Symbolfotos. Auch Fälschungen und Korruption kommen vor. Aber es herrscht auch eine gefährliche, pauschale Medienverdrossenheit, ein sich ideologisch radikalisierendes Medienmisstrauen, das der Realität nicht gerecht wird. In dieser Heftigkeit ist das neu. Daher gilt es aufzuklären: Wie arbeiten Journalisten wirklich? Das ist vielen, die Medien grundsätzlich verdammen, gar nicht wirklich bekannt. Man kann nur sehr schwer mit jemandem diskutieren, der sagt: Die sind alle korrupt und Teil eines sinistren Netzwerks. Da müssen sich nicht nur die Journalistenverbände, sondern auch die anderen Mitglieder einer Gesellschaft entschieden positionieren.

DIE FURCHE: Genau durch diese Entwicklungen wurde ein Trump an die Macht gebracht, war der Brexit möglich.

Pörksen: Aber was ist die Alternative? Als einzige Möglichkeit bleibt, die Bildungsanstrengung zu verstärken. Trump ist auch der Profiteur einer veränderten Medienwelt, er schaltet sich direkt mit seinen Followern auf Twitter kurz. Er ist natürlich auch ein Geschöpf des Fernsehens. Sein Aufstieg zeigt: Es gibt eine Komplizenschaft zwischen aggressivem Populismus und Spektakelfernsehen. Trump hat die Einschaltquoten der Fernsehanstalten bis zu 170 Prozent gesteigert. Ein wichtiger Fernsehmanager aus den USA hat gesagt: Trump mag schlecht sein für Amerika, aber er ist verdammt gut für CBS.

DIE FURCHE: Diese Phänomene generiert die Medienwelt somit aus sich heraus?

Pörksen: Zum Teil ja. Trump hat davon profitiert, dass der klassische Journalismus schwächer geworden ist und der Enthüllungsjournalismus ihn zu lange nicht ernst genommen hat. Dann hat er seine eigenen Bestätigungsmilieus aufgebaut. Er hat mit einer Stimmung des allgemeinen Medienmisstrauens gearbeitet und Medien wie die New York Times massiv abgewertet. Aber er ist erst durch das Fernsehen an die Macht gekommen und hat die öffentliche Aufmerksamkeit gleichsam kannibalisiert.

DIE FURCHE: Kürzlich forderte der US-Politologe Jason Brennan im Spiegel, das Wahlrecht nur den gebildeten 25 Prozent der Bevölkerung zu geben. Er zitierte Studien, dass der Großteil der Brexit-Befürworter wegen ihres Bildungsniveaus den Argumenten der Debatte nicht folgen konnte oder wollte.

Pörksen: Ich halte den Versuch, demokratische Grundrechte wie das Wahlrecht zu beschneiden, weil man womöglich irgendeinen bestimmten Kompetenz- oder Wissenstest nicht besteht, für vollkommen falsch. Das scheint mir so, als wollte man die Demokratie retten, indem man sie abschafft. Demokratie setzt die Mündigkeit des Gegenübers voraus. Man muss aufpassen, dass man durch derart absurde Vorschläge nicht neue Fronten, Polarisierungen und Spannungen erzeugt, indem man diejenigen, die aus der eigenen Sicht falsch gewählt haben, abwertet. Man muss einen Trump bekämpfen, weil er autokratische Züge und kein demokratisches Verständnis des eigenen Amtes hat. Aber man muss versuchen, seine Anhänger für die eigene Position zu gewinnen.

DIE FURCHE: Aber genau das ist doch auch eine Bildungsaufgabe...

Pörksen: die man aber nicht so verstehen sollte, dass man die sogenannten Ungebildeten diffamiert und attackiert. Sondern man muss lernen, für das eigene politische Programm in einer verständlicheren, vielleicht auch plakativeren Sprache zu streiten.

DIE FURCHE: Ihre These von der "redaktionellen Gesellschaft" geht ja in diese Richtung: Man muss zu einer Selbstermächtigung der Leute zum Diskurs kommen.

Pörksen: Das ist genau gemeint. Wir sind in der Phase einer mentalen Pubertät im Umgang mit den neuen Medien, die in vielem fantastisch sind, aber wir sind selbst noch nicht reif genug, sie sinnvoll zu nutzen. Das Grundanliegen eines idealen Journalismus, nämlich glaubwürdige, relevante, veröffentlichungsreife Information zu liefern, muss zum Element der Allgemeinbildung werden. Das heißt, dass wir Schritt für Schritt von einer digitalen zu einer redaktionellen Gesellschaft werden, in der sich jeder seiner eigenen publizistischen Verantwortung für den Diskurs bewusst ist.

DIE FURCHE: Die Auseinandersetzung mit Medien gehört heute zu den zentralen Fragen der gesellschaftlichen Existenz. Ist das in unserem Bildungssystem abgebildet?

Pörksen: Absolut nicht. Erstaunlich ist, dass wir glauben, eine laufende Medienrevolution mit ein paar mehr iPads an den Schulen zu bewältigen. Wir brauchen ein neues Schulfach basierend auf Einsichten der Informatik, der Philosophie bzw. Ethik und der Medienwissenschaft. Wir haben die Größe dieser Bildungsaufgabe noch gar nicht verstanden.

DIE FURCHE: In Österreich haben Bildungsdebatten Jahrhundertdimensionen. Wir reformieren seit 50 Jahren das Sekundarschulsystem. Wie soll da Ihre Idee Fuß fassen?

Pörksen: Ich habe einfach die Hoffnung, dass es gelingt. Man kann kaum etwas Positives über Trump sagen. Aber dass mit ihm eine Art Mischwesen aus Internet-Troll und Reality-TV-Star zum Präsidenten der mächtigsten Demokratie der Welt werden konnte, hat doch viele nachhaltig schockiert. Dieser Schock hat Bildungs-und Medienfragen auf die Agenda gesetzt.

DIE FURCHE: Was kann man in unseren Gesellschaften gegen offensichtliche Missachtung von Medienfreiheit tun?

Pörksen: Ein Autokrat wie Erdogan muss mit einer starken Reaktion der westlichen Wertegemeinschaft konfrontiert sein. Er muss wissen, dass sich Deutschland und Europa nicht in Geiselhaft nehmen lassen nach dem Motto: Er löst das Flüchtlingsproblem und deshalb kann er machen, was er will. Es ist daher unendlich wichtig, mit den inhaftierten Journalisten Solidarität zu zeigen -lagerübergreifend, auf allen politischen Ebenen.

DIE FURCHE: Geht das in diese Richtung?

Pörksen: Ja, wir erleben einen Repolitisierungsschub. Und wir erkennen, dass Demokratie kein Naturzustand ist, sondern eine Staats-und Regierungsform, die im eigenen Alltag verteidigt werden muss. Das ist das, so hoffe ich, heilsame Schockerlebnis der Erfahrung der letzten Monate.

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