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Die „verkabelte Gesellschaft“

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Der Informationsnotstand hat in Osterreich Tradition., Sogar das historische Phänomen der Aufklärung wurde hierzulande von Kaiser Joseph II. stellvertretend für alle praktiziert; von der nicht eben informationsfreudigen Monarchie führte der Weg über das Bürgerkriegsklima der Ersten Republik direkt in die Diktaturen heimischer und importierter Machart. Die darauffolgende große Koalition hielt es wie der schon zitierte Kaiser: sie wußte selbst am besten, was den Untertanen guttat. Die große Zäsur erfolgte 1966 mit der erstmaligen Installierung einer Alleinregierung. In der seither zur Tagesordnung gewordenen Konfrontation gewannen die öffentliche Meinung und ihre Träger ein vordem nicht verzeichnetes Gewicht. Die durch die Rundfunkreform verstärkte Information der Massenmedien zeitigte im Relief des Landes zwei vorher unbekannte Situationen: die unverhältnismäßige Steigerung der innenpolitischen Mobilität und die auffallenden Streßbelastungen der Alleinregierungen Klaus und Kreisky.

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Der Informationsnotstand hat in Osterreich Tradition., Sogar das historische Phänomen der Aufklärung wurde hierzulande von Kaiser Joseph II. stellvertretend für alle praktiziert; von der nicht eben informationsfreudigen Monarchie führte der Weg über das Bürgerkriegsklima der Ersten Republik direkt in die Diktaturen heimischer und importierter Machart. Die darauffolgende große Koalition hielt es wie der schon zitierte Kaiser: sie wußte selbst am besten, was den Untertanen guttat. Die große Zäsur erfolgte 1966 mit der erstmaligen Installierung einer Alleinregierung. In der seither zur Tagesordnung gewordenen Konfrontation gewannen die öffentliche Meinung und ihre Träger ein vordem nicht verzeichnetes Gewicht. Die durch die Rundfunkreform verstärkte Information der Massenmedien zeitigte im Relief des Landes zwei vorher unbekannte Situationen: die unverhältnismäßige Steigerung der innenpolitischen Mobilität und die auffallenden Streßbelastungen der Alleinregierungen Klaus und Kreisky.

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Keine Frage, daß Österreich noch Entwicklungsland der Information ist. Dies trifft selbstverständlich nicht nur. auf die Politiker zu, sondern genauso auf die Journalisten, egal, ob sie in Zeitungs- oder Rundfunkredaktionen sitzen. Sie alle sind im Umgang mit der Information und miteinander zuwenig ausbalanciert, hin- und hergerissen zwischen Wehleidigkeit und Aggression.

Die österreichische Situation ist zwar eine besondere, doch sollten wir sie vor dem größeren Hintergrund sehen, der uns das Fernsehen als Sündenbock und Prügelknaben der modernen Gesellschaft schlechthin zeigt. Das Unbehagen in der Demokratie — worüber Fritz Klenner lange vor dem Eintritt des Fernsehens in die politische Landschaft Österreichs ein Standardwerk gleichen Titels geschrieben hat — ist das Reizklima der Fernsehanstalten. Und diese Sündenbockrolle ist historisch keineswegs originell: Zu allen Zeiten standen die politischen Machthaber dem jeweils neuen Medium mißtrauisch gegenüber.

Fernsehen ist nicht nur eine quantitative, sondern eine qualitative Erweiterung unserer Kommunikationsmöglichkeiten.

Etwas so Beschaffenes taugt nicht zu free enterprise, sondern muß in öffentlichem Eigentum und unter strikter gesellschaftlicher Kontrolle stehen. Diese Trägerrakete der Mas-

sengesellschaft ist so geeignet zum freien Spiel der Kräfte wie A-Bom-ben oder Heroin. Fernsehen ist kein Erwerbszweig, sondern öffentliche Dienstleistung. Wer die Rundfunkfreiheit wie die Pressefreiheit nur in einer Vielzahl von Unternehmungen gewähreistet sieht, geht an der technischen und finanziellen Realität vorbei. Außerdem: Im Rundfunk sollen ja sämtliche Meinungen vertreten sein und nicht nur so viele, wie es Rundfunkanstalten gibt. Der demokratische Rechtsstaat braucht die kontrollierte Plattform, die allen offen steht, und nicht die Telekratien der pressure groups, egal, ob diese „nur“ Geld oder „nur“ Macht wollen.

Die Information der Rundfunkanstalten hat das Rohmaterial für die

Meinungsbildung zu liefern, nicht aber letztere bereits vorverdaut abzugeben. Wie ich zu beweisen versuchen werde, stehen Information und Meinungsbildung nicht in jener Zwangsidentität, die ihnen die Tagespolitik andichtet. Drei Thesen dazu:

• Die Massenmedien und besonders das Fernsehen befördern die Tendenz mehr, als sie solche begründen helfen. In diesem Sinne sind sie stets als Vehikel der Veränderung unterwegs.

• Die Wirkung der Information wird mehr durch die Eigenschaften des Publikums als durch den Inhalt der Medien bestimmt. Gemeint ist, daß ein und dieselbe Nachricht verschiedene Wirkung erzielt je nach dem Alter, dem Geschlecht, der Intelligenz des Empfängers, der politischen Einstellung, der sozialen Situation, den Kenntnissen, Vorstellungen, Erwartungen, Wertsystemen und der augenblicklichen Verfassung. Die Kommunikationswissenschaft spricht von mediating factors und versteht darunter Faktoren, die die Wirkung der Massenkommunikation weitgehend bestimmen, ohne Bestandteile dieser zu sein.

• Das Angebot der Massenmedien wird selektiv wahrgenommen, wobei dem Wort „selektiv“ in diesem Zusammenhang nicht der gewohnt elitäre Beigeschmack zuzubilligen ist. Es ist hier nur als „Filter“ zu verstehen: Die Menschen sehen, hören und lesen vornehmlich diejenigen Mitteilungen, die ihre schon bestehende Meinung unterstützen. In der Sprache der Fachwissenschaft heißt dies: Das Individuum sucht nach Stabilität seiner Einstellungen.

Der bestimmende Einfluß des Empfängerverhaltens ist auch die Erklärung des für den Journalisten kränkenden Mirakels, daß die von ihm gegebene mit der empfangenen Information nur in selteneren Fällen identisch ist. Dieser Effekt wird für den Rundfunkmenschen um so verhängnisvoller, je mehr das ihn umgebende politische Klima vom Mißtrauen der Gesellschaft gekennzeichnet ist. Was etwa in England der BBC als ein Fehler, eine Panne, ein persönlicher Ausrutscher abgenommen werden würde, wird in unserer kleingläubigen Demokratie zur Manipulation von Dunkelmännern, zum mafiosen Konzept umgemünzt, bestenfalls zum machiavellistischen „bellissimo ingagno“. Angesichts dieser Betonung des Empfängerverhaltens wird man mich fragen, ob ich da etwas verharmlosen und den Rundfunk als eine elektronische Konfirmierungsanstalt verniedlichen will. Der Rundfunk sei doch nach den mit ihm gemachten Erfahrungen gewiß auch ein Beweger, Veränderer, und nicht nur ein Verstärker. Dafür spräche doch vor allem die bekannte Wirkung der Fernsehwerbung.

Räumen wir gleich den Werbeein-wand aus. Für die kommerzielle Werbung trifft ja in den seltensten Fällen das „Filter“-Verhalten zu; hier geht es um die Beeinflussung viel oberflächlicherer Bewußtseinsschichten. Zurück also zur Hauptfrage, ob Rundfunk nur Tendenzen bestärken oder auch verändern kann. Ich glaube schon, daß er dies kann, aber in viel komplizierteren und

längerfristigen Prozessen, als dies gemeinhin angenommen wird. Dazu drei Ansatzpunkte:

• Die gesellschaftliche Bewegung wird zwar von Randschichten nicht notwendigerweise verursacht, wohl aber sehr oft entschieden. Dies gilt besonders für Österreich. Derartige Randschichten sind ihrer Natur nach, als ambulante Wähler, weniger in ihrem geistigen und emotionellen Verhalten vorbestimmt, als etwa die Stammkader der großen politischen Lager. Ihre Vorurteile sind labiler, sie legen beim Informationskonsum ein geringeres „Filter“-Verhalten an den Tag.

• Jede Gesellschaft befindet sich heutzutage in immer kürzeren Abständen in Übergangssituationen, die sich durch unstabiles Meinungsverhalten auch breiter Bevölkerungsschichten kennzeichnen. Während normalerweise mehr Informiertheit nicht unbedingt zum Umdenken

führt, tritt unter solchen Umständen eher echte Meinungsbildung ein. • Könner des politischen Handwerks wissen natürlich sehr gut, daß sich der Zeitgenosse, der Wähler, in seinen Vorstellungen . angesprochen und bestärkt fühlen will. Sie werden also einen Trend, ein Klima zu bereiten suchen, das die Vorstellungswelt der Mehrheiten als Transportmittel nutzt. Was der Staatsbürger „schon immer wollte“, wird ihm nun endlich von einer politischen Gruppe offeriert.

Noch ein Zusatz, der jedenfalls gilt: Wirkungsforscher weisen nach, daß Information über Personen mehr Chancen hat, geglaubt zu werden und meinungsbildende Konsequenzen nach sich zu ziehen, als Information über Sachen. Die Personalisierung des politischen Stils ist eine Entsprechung dieser Erkenntnis; um einen Meister dieses Fachs zu nennen, braucht man gar nicht de Gaulle in Erinnerung rufen, sondern kann getrost beim heimischen Kreisky bleiben.

Objektivität und Unabhängigkeit

Der Aspekt: objektiv, unabhängig, politisch neutral ist für den österreichischen Rundfunk lebenswichtig. Glaubwürdigkeit und Nützlichkeit des ORF hängen zwingend davon ab. Das Urteil darüber spricht das Publikum, wenngleich sich Akteure gern auch zur beurteilenden Instanz ernennen. Es gibt wenige Vokabel, mit denen soviel Schindluder getrieben wird; ich zitiere daher folgende Deutung aus einem semantischen Wörterbuch: „Objektivität ist die nie ganz erfüllbare Forderung, etwas objektiv, sachlich, sachgemäß, unter völliger Ausschaltung der Subjektiven zu beobachten, zu erforschen, darzustellen.“

Halten wir gleich fest, daß es sich um eine nie ganz erfüllbare Forderung handelt, daß also das Bemühen kennzeichnend sein muß, welches nicht in jedem Einzelfall, sondern nur im Rahmen eines ausgewogenen Gesamtprogramms das angestrebte Ziel erreichen kann. Unser Hauptproblem in bezug auf Objektivität

sind nicht die manipulierenden Finsterlinge, sondern ist der Mangel an einer ausreichenden Zahl von Fachleuten, die es in der österreichischen Informationslandschaft einfach noch nicht gibt.

Abgesehen vom gesetzlichen Auftrag, leitet sich die ORF-Informationspolitik von folgenden Haupterwägungen ab: Dem absoluten Informationsangebot im Rahmen der modernen Industriegesellschaft, der besonderen Abhängigkeit eines neutralen Kleinstaates von der erstklassigen Information über die Umwelt, und von der geographischen Lage Österreichs als Ost-West-Umschlagplatz auch für Informationen.

Grundmaßstäbe für Nachrichten-gebung und Berichterstattung sind Sachlichkeit, Unparteilichkeit und Nachrichtenwert. Nachrichten, die ihre einzige Berechtigung im Wunsch haben, Interessengruppen oder Personen eine Gefälligkeit zu erweisen oder für sie Propaganda zu machen, sind aus den Informationssendungen des ORF auszuschließen. Soweit Parteien und Interessengruppen echte Ereignisse und damit auch Nachrichten in die Welt setzen, sind diese nach reinem Nachrichtenwert zu bringen, ohne den Versuch, durch eine zweite unbedeutende Nachricht eine Art Proporzausgleich zu finden.

Der wirkliche Ausgleich findet über längere Zeiträume schon von der Sache her statt, soweit Parteien und Interessengruppen entsprechende Aktivität entfalten. Tun sie das nicht, kann das nicht durch die Nachrichtenpolitik des ORF ausgeglichen werden.

Rundfunkjournalistik bedingt schon aus handwerklichen Gründen ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit: Zwischen dem Live-Repor-ter und seinem Publikum läßt sich keine Instanz einschalten, und dem Nachrichtenredakteur nimmt etwa in den Nachtstunden kein Mensch seine „einsamen Entschlüsse“ ab.

Der nächste Aspekt gilt der vielzitierten „Macht und Verantwortung“ der ORF-Information. Macht im politischen Sinne des Wortes hat der ORF überhaupt nicht. Dazu fehlt ihm die Hauptvoraussetzung jeglicher Machtausübung, nämlich die Einheitlichkeit des Wollens. Der ORF ist keine Gesinnungsgemeinschaft, er kann und will daher die Definition „Macht heißt, die Wirklichkeit gegen Widerstände zu gestalten“ nicht erfüllen. Was uns immer wieder von Freund und Feind als unsere sogenannte Macht atta-chiert wird, ist äußerstenfalls jener Einfluß, der der Information im weitesten Sinn zukommt und der selbstverständlich nicht zu bagatellisieren ist. Wiewohl wir keine Macht haben, sind wir mit Verantwortung gar nicht schwer genug zu belasten.

Unreflektierter Demokratisierungsfetischismus sieht das Allheilmittel in Kontrolle und Mitbestimmung. Ich bin für beide, wenn sie nach dem Gesichtspunkt des Könnens und nicht nur des Wollens ausgerichtet sind. Demokratie heißt nämlich nicht, daß jeder alles verstehen und bei allem mitbestimmen muß. So wie die Verantwortung im Straßenverkehr die Verkehrsteilnehmer und nicht die Polizisten tragen, so sind Macht, Einfluß, Verantwortung vornehmlich von der persönlichen Qualifikation der Ausübenden abhängig. Kontrolle setzt Leistung voraus. Die Hoffnung auf möglichst viele Dreinredner ist vergeblich.

Wir müssen trachten, daß jene etwas zu reden haben, die etwas zu sagen haben.

Totale Information

Das Medium Fernsehen wird noch in diesem Jahrzehnt eine gewaltige Potenzierung erfahren, und zwar durch einen dreiphasigen Erweiterungsprozeß, der sich seit Jahren anbahnt. Die Tröika heißt Kabelfernsehen, Kassettenprogramme, Satellitenfernsehen. Sie wird eine Vervielfachung des Angebots bringen, für die der Ausdruck „Verdichtung“' ein schüchternes Unterspielen darstellt. Die Informations- und Programmlawine,' die spätestens mit Ende dieses Jahrzehnts über die Menschheit niedergehen wird, wird alles in den Schatten stellen, was bisher an programmiertem Alltag auszudenken war. Was bislang nur über Kurzwelle im Hörfunk möglich war, wird sich jahraus, jahrein rund um die Uhr via Fernsehen abspielen: Dem permanenten Hausbesuch, egal, in welcher Weltecke — steht dann prinzipiell nichts mehr im Weg. Freilich wird diese apokalyptische Idylle nicht so ganz einfach funktionieren, weil die geteilten Welten gewiß erfindungsreich im Stören des Satellitenfernsehens sein werden. Solcher Bosheit ist aber erfahrungs-

gemäß kein ewiges Leben beschieden.

Die eben skizzierte Programmlawine wird auch die Diskussion um das Rundfunkmonopol müßig machen, das sich dann de facto im wahrsten Sinne des Wortes im Weltall auflösen wird. Wem es also um das öffentliche Wohl und um die Pluralisierung unserer Gesellschaft geht, der ist in Sachen Monopol bloß noch einige Jahre um Geduld zu bitten.

Wir alle werden es aber noch totaler erleben: von der totalen Information zur totalen Kommunikation nämlich. Darunter ist eine verkabelte Industriegesellschaft zu verstehen, die nicht nur von irgendeinem Sender zum Empfänger, sondern auch in der Gegenrichtung funktioniert. Das ist alles längst keine technische Frage mehr, sondern nur noch eine der Kosten und der Rechte.

Information ereignet sich ja keinesfalls nur in jenen Ghettos, die sich als Nachrichtensendung, Journale und politische Magazine für jedermann erkenntlich ausweisen. Sie geschieht in zahlreichen anderen Programmformen.

Aber im Gesetz steht: Wir sind zu objektiver Information der Allgemeinheit verpflichtet. Tagtäglich zum Bruch dieses Gebotes angestiftet, dürfen wir dennoch nicht müde werden, Information statt Agitation zu machen. Das mag dem Außenstehenden einfacher erscheinen als es ist. Die ORF-Redakteure sind aber höchst persönlich die Prügelknaben eines innenpolitischen Stils, der den beneflt of the doubt durch die jeweils schäbigste Unterstellung ersetzt. Es vergeht fast kein Tag ohne die obligate Ehrenbeleidigung eines ORF-Redakteurs. Hexenjagd — freilich im Pawlatschenformat.

Auch ein österreichisches Wunder, daß unter solchen Umständen sich die Redakteure — noch — die Grundvoraussetzung freier Journalistik zu bewahren vermochten: ihre innere Sicherheit und Unabhängigkeit.

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