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„Objektivität“ — was ist das?

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Ein fast alltäglicher Sachverhalt — und doch von ganz besonderer Bedeutung für das wichtigste Medium unserer Zeit in Österreich: der ORF will vor den Verfassungsgerichtshof gehen, um endlich klären zu lassen, was Objektivität sei und was sich denn der Gesetzgeber gedacht haben könne, als er Kraut und Rüben in das Phrasenfeld des Rundfunkgesetzes säte. Am 15. Juni gestaltete nämlich Kurt Tozzer einen „Horizonte“-Beitrag über „Abtreibung — Tat ohne Rat“. Den SPÖ-Frauen paßte der Beitrag nicht, und sie liefen zur ORF-Beschwerdekommission — einem gerichtsähnlichen Zwitter mit fragwürdigen Untersuchungsmethoden —, wo man den SPÖ-Frauen recht gab und feststellte, die Sendung sei nicht objektiv gewesen und habe daher das Rundfunkgesetz verletzt. Kann also in Zukunft eine Zensurinstänz jede journalistische Initiative töten — ohne präzise sagen zu können, was jeweils gerade „objektiv“ ist und was nicht?

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Ein fast alltäglicher Sachverhalt — und doch von ganz besonderer Bedeutung für das wichtigste Medium unserer Zeit in Österreich: der ORF will vor den Verfassungsgerichtshof gehen, um endlich klären zu lassen, was Objektivität sei und was sich denn der Gesetzgeber gedacht haben könne, als er Kraut und Rüben in das Phrasenfeld des Rundfunkgesetzes säte. Am 15. Juni gestaltete nämlich Kurt Tozzer einen „Horizonte“-Beitrag über „Abtreibung — Tat ohne Rat“. Den SPÖ-Frauen paßte der Beitrag nicht, und sie liefen zur ORF-Beschwerdekommission — einem gerichtsähnlichen Zwitter mit fragwürdigen Untersuchungsmethoden —, wo man den SPÖ-Frauen recht gab und feststellte, die Sendung sei nicht objektiv gewesen und habe daher das Rundfunkgesetz verletzt. Kann also in Zukunft eine Zensurinstänz jede journalistische Initiative töten — ohne präzise sagen zu können, was jeweils gerade „objektiv“ ist und was nicht?

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Man muß vor allem einmal die i Praxis kennen, nach der im Fern- : sehen gearbeitet wird — und das nicht etwa nur in Österreich, son- ', dem überall auf der Welt: i

Im Bereich der „Information“ las- < sen sich — grob gesehen — zwei 1 Typen von Sendungen unterschei- ! den: 1

• Da sind einmal die Nachrichten. Ihre Wiedergabe ist normalerweise eingeschränkt auf Beiträge von Presseagenturen, deren Hauptgeschäft je- ' weils die Beschaffung von Informa- I tionen ist; gelegentlich kann aber auch eine Nachricht durch einen ; Redakteur des Fernsehens selbst erarbeitet und in Nachrichtenform ! verpackt sein. Ganz abgesehen von ; der Unmöglichkeit, alle Agenturb?- ; richte auf „Objektivität“, ja auch nur auf „wahrscheinliche Richtigkeit“ zu überprüfen, ist schon die : Auswahl der Nachrichten von einer subjektiven Beurteilung abhängig. 1 Und wer vermöchte sich nicht vorzustellen, was allein in zugespielte Filmberichte als Tendenz und Manipulation eingeschmuggelt werden kann? '

Ein Beispiel? Der Nachrichtensprecher berichtet, bei einer Demonstration in der Wiener Innenstadt hätten Studenten gegen das iranische Schah-Regime protestiert. Die Demonstranten hätten Transparente getragen, auf denen der Schah als ,;Mörder“ bezeichnet wurde. — Der zugespielte Film zeigt schreiende Demonstranten, eine Postenkette der Polizei, Plakate. Wahrheit — oder Manipulation? Nun, es stellt sich — um bei unserem I Beispiel zu bleiben — etwa die Frage, warum gerade diese Aktivität verfilmt wurde. Man sagte in der Sendung nicht, wieviele Demonstranten es überhaupt waren — und man konnte das aus den Nahaufnahmen im Film auch keinesfalls erkennen; man teilte nicht mit, daß keineswegs alle Demonstranten Stundenten waren — und schon gar nicht inländische.

Das Beispiel ist deshalb so bezeichnend, weil durch das Fernsehen j als Vehikel des Ungewöhnlichen, Außerordentlichen, ja immer wieder lächerliche Protestgrüppchen erfolgreich versuchen, sich in einer Weise aufzuwerten, die keineswegs für einen bestimmten Sachverhalt repräsentativ ist. Ein von hundert Universitätsprofessoren unterzeichnetes Schreiben an den Bundeskanzler jedenfalls ist weniger berichtenswert als eine Demonstration von 50 schreienden und Palaver inszenierenden persischen Studenten...

• Außer der reinen Berichterstattung via Nachrichten und durch die Aktuellen Dienste kennt das Fernsehen die Reportage, sei es in Magazin- oder Dokumentationsform. Hier bedient Sich der jeweilige Gestalter normalerweise auch des breiten Instrumentariums von Schnitt und Musik, er wählt aus einem größeren Filmangebot ein bestimmtes Quantum aus, weil er besondere Aussagen bildgemäß unterstreichen will, und er setzt den Kommentar vielfach nur als Ergänzung des Gezeigten ein. Dazu kommt, daß in Reportagen zumeist Äußerungen als Interviews oder Statements eingeblendet sind, auf die der Gestalter zwar durch den Schnitt, nicht aber auf dem Weg über

den Inhalt des Gesagten einen Einfluß hat.

Das Ergebnis einer solchen TV-Reportage oder eines Magazins kann dann der sein, daß zwar jedes einzelne kommentierende Wort richtig, quasi „objektiv ist — der Film insgesamt aber dennoch eine schauerliche Verzerrung der möglichen Tatsachen darbietet.

Eine Sendereihe wie die „Horizonte“, aber auch das „Panorama“ oder das „teleobjektiv“, will in ihren Gestaltungsgrundsätzen über die reine Information hinaus einen gewissen pädagogischen Zweck erfüllen: sie will auf Mißstände aufmerksam machen, Zusammenhänge erklären, zum Nachdenken anregen. Sie will beim Zuseher eine ähnliche Wirkung hervorrufen wie der Journalist sie durch eine Glosse, einen Kommentar, einen Leitartikel erzielt. Und da soll die Meinung — die Meinung des Gestalters — keine Rolle spielen dürfen?

Die Forderung nach einer nicht formulierten Objektivität muß aber als Kernpunkt der österreichischen Rundfünkgesetzgebung aus dem Jahre 1966 angesehen werden. Es ist tendenziell zusammen mit der „Unabhängigkeit“ des Unternehmens der „harte Kern“ des Volksbegehrens von 1964 gewesen und hat im wesentlichen die Auseinandersetzung zwischen den Initiatoren des Volksbegehrens und der damaligen Koalitionsregierung bestimmt. Das Modell dieser „Objektivität“ ermittelt sich an Idealvorstellungen der österreichischen Nachkriegsgesellschaft, die vor allem von der These ausging, daß es in Österreich einen traditionellen Informationsnotstand ge-

geben habe, der in der Verschränkung von Presse und Interessens-gruppen seinen Ursprung hat. Von der Informationsfeindlichkeit der Monarchie führe ein Weg über das von den Lagern beherrschte Bürgerkriegsklima zur österreichischen und deutschen Diktatur. Die darauffolgende große Koalition habe zwar viel für das Wohl des Landes, aber wenig zur Aufklärung der Bürger getan.

Man muß die optimistische Forderung und Hoffnung nach einer möglichen objektiven Information vor allem aus diesem Nachholbedarf verstehen, den die Schöpfer des Gesetzes erkannt zu haben glaubten, und für den sie den probaten Ausweg eines Gesetzesauftrages erfanden. Seither muß der Rundfunk da-

mit leben und setzt sich angesichts der Unerfüllbarkeit Angriffen aus, die ihn wegen seiner schwachen institutionellen Garantie aber wiederum stark strapazieren.

Objektivität durch ein Medium in einer Demokratie kann es nur eingeschränkt geben:

Als Zielvorstellung, die in der Annäherung durch rechtliche, gesellschaftspolitische und — moralische Hilfen zum Ausdruck kommen kann.

Als unverdächtiger Zeuge darf der Intendant des Westdeutschen Rundfunks, Klaus von Bismarck, in besonderem Bezug auf das Fernsehen gelten: „Tatsächlich ist jede Art von

Nachrichtenweitergabe eine Kette subjektiver Entscheidungen. Objektivität als Zielvorstellung kann nur heißen: solide Sachkenntnis des Redakteurs, größere Fairneß seines Handelns und größtmögliche Distanz von der persönlichen politischen Einstellung... die Gefahren der Manipulation mittels bewegter Bilder sind schon wegen ihrer suggestiven Aussagekraft viel größer als bei puren Wortmeldungen“.

Solche Skepsis schloß Alfons Dal-ma seinerzeit für die ORF-Information aus: „Die Suche nach einfachen Tatsachen der Berichterstattung (ist) durchaus möglich und die Objektivität zumindest als optimaler Annäherungswert erreichbar.“

Aber er schränkt ein, daß man die Wahrung der Objektivität nur an der Summe &#171;Her Information und in einem längeren Zeitraum messen könne. Abweichungen von und Verlegungen der Objektivität würden deshalb auch im Einzelfall kaum zu vermeiden sein, sich aber in der Summe wieder ausgleichen; dafür sorge unter anderem vor allem die Tatsache, daß der „innere Ausgleich von politischen Neigungen und ideologischen Ausrichtungen ... durch die diesbezüglich ausgewogene Zusammensetzung des redaktionellen Personals“ gegeben sei.

Auch die Konstruktion des seinerzeitigen Informationsstatuts unterstellt also dem Informationsfluß im Rundfunk, im „Detail“ der Information, nur als Annäherungswert zu fungieren (also Objektivität nicht zu erreichen), in der Summe aber dann — analog etwa zum Gesetz der großen Zahl — doch richtig zu sein. So, als ob eine Summe von Fehlverhalten am Ende das Richtige erbringe...

Nur ist Information im Rundfunk nicht abstrakt, sondern tangiert die unmittelbaren Lebensbereiche von Einzelpersonen, Verbänden und Gruppen der Gesellschaft täglich, ja stündlich. Verletzungen der Objektivität können (notabene angesichts der mangelnden Berichtigungsmöglichkeit) subjektive Rechte verletzen, für äderen Sanierung der Umstand ausgewogener Information im Gesellschaftlichen unerheblich bleibt.

Deshalb verwirrt sich die Situation, wenn man die derzeitige Rechtslage heranzieht. Abgesehen von der Garantie der freien Meinungsäußerung im Staatsgrundgesetz spricht auch der (Verfassungsartikel) im Rundfunkgesetz von der „Unabhängigkeit der Personen“, die das Programm gestalten. Im &#167; 17 des Rundfunkgesetzes heißt es ausdrücklich, daß „Unabhängigkeit und Eigenverantwortlichkeit aller programmgestaltenden Mitarbeiter“ garantiert seien. Zum Zweck des

Schutzes dieser Freiheit muß das Redakteursstatut des ORF „den Schutz der journalistischen Mitarbeiter gegen jede Verletzung ihrer Rechte absichern“. Kurzum: der Gesetzgeber wollte ganz offensichtlich selbstverantwortliche und weisungsfreie Journalisten im ORF arbeiten lassen, die sich ihrem eigenen Gewissen verpflichtet fühlen und gerade deshalb schon „subjektiv“ gestalten müssen.

Anderseits statuiert das Gesetz parallel dazu die Verpflichtung des ORF, für „Kommentare und Sachanalysen unter Wahrung des Grundsatzes der Objektivität“ zu sorgen. Der ORF zwischen Skylla und Cha-rybdis!

Auf das „Objektivitätsgebot“ bezog und bezieht sich auch die „Kommission zur Wahrung des Rundfunkgesetzes“, die aus 17 Mitgliedern besteht, von denen neun Richter sein müssen. Nun gibt es keine Bestimmung über die Untersuchungsmetfio-den der Kommission. De facto müßte sie ja erkunden, ob ein in einer Sendung dargestellter Sachverhalt richtig oder falsch ist — eine Arbeit, an der gelegentlich der ganze Justizapparat mit allen Hilfen, jdie er von den Exekutivorganen erhält, scheitert. Zurück zum Fall „Horizonte“: Hat die Kommission festgestellt, wie in den Beratungsstellen für Schwangere „beraten“ wird? Ob es dort wirklich keine Weitergabe von Adressen abtreibungswilliger Ärzte gibt? Die Kommission möge — wenn sie schon einen Journalisten der „Unobjektivität“ beschuldigt — sagen, wie sie den zugrunde liegenden Sachverhalt — und mit welchen Mitteln geprüft hat. Wer wurde einvernommen, wer hat „recherchiert“, ob Tozzer richtig „recherchiert“ hat?

Verfahren und Spruch deuten darauf hin, daß eben subjektive Meinungen einiger Richter, die keine wesentliche Sachkenntnis in der Medienarbeit haben, als objektive Werturteile veröffentlicht werden. Und weil die Entscheidung der Kommission auch in keinem Fall im Verwaltungswege aufgehoben werden kann, stellt dieses — einen Journalisten unter Umständen diffamierende Urteil — auch ein gefährliches Beispiel für die allenthalben gefürchtete „Laienkommissionitis“ dar!

De facto könnte es nämlich nur zu leicht dazu kommen, daß schließlich die Kommission ein Instrument für Vereine, Verbände, Funktionäre und Parteien wird, um die Rundfunkangestellten permanent zu drangsalieren und unter Quasi-Ku-ratel zu stellen: Weil nämlich letztlich alles in diesem Medium subjektiv sein muß, weil das Programm von Menschen gemacht wird — die, bitte, Menschen und keine Computer sind!

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