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Medien, die nie Anstoß erregen, sind selber anstößig

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Wilhelm Müller

77 Prozent der österreichischen Haushalte besitzen ein Fernsehgerät. 240.000 Menschen hören regelmäßig am Abend „Einfach zum Nachdenken“. Um diese Zahlen in der normalen Pfarrseelsorge zu erreichen, müßte man - umgelegt auf eine Stadtpfarre mit einem Kirchenbesuch von 2000 Menschen in 7 Sonntagsmessen -zwei Jahre lang jeden Sonn- und Feiertag sieben Mal predigen. Und dann hätte man den Zuhörerkreis eines Abends und nicht von 365 Abenden, hätte man fast immer das gleiche Publikum und nicht Menschen verschiedener Religiosität, Gläubigkeit und Kirchlichkeit.

Am Samstag, unmittelbar vor dem Nachtkrimi, werden „Fragen des Christen“ gesendet. Obwbhl das Publikum kaum mit einer religiösen Erwartung vor dem Bildschirm sitzt, obwohl die Reaktion im Fernsehen ein Drittel der Reaktion im Hörfunk ist, erhalten die Sprecher im Durchschnitt 40 bis 120 Briefe pro Sendung. Das sind 40 bis 120 geistliche Gespräche in Briefform und sehr oft im direkten Kontakt pro Woche. Das sind bei einem zweimonatigen Einsatz zwei Monate Exerzitien, die der Sprecher neben seiner normalen Tätigkeit hält.

Das Zentrum für Massenkommunikation

Seit 1970 gibt es in Österreich ein Zentrum für Massenkommunikation. Mit der Errichtung dieses Zentrums, nach römischer Vorstellung eine Kommission der Bischofskonferenz, sollten die Monarchien, Republiken, Fürstentümer, Throne und Gewalten in der kirchlichen Medienlandschaft Österreichs zu einem Zentrum zusammengefaßt werden, um von dort aus die kirchliche Präsenz in den Medien zu planen, zu koordinieren und durchzuführen.

Die kirchliche Pressesituation ist von Herzmanovsky-Orlandoschem Zuschnitt: Da steht die Arbeitsgemeinschaft Katholischer Journalisten und der Verband Katholischer Publizisten. Hier sind die Pressevereine, die Kathpress, die Kirchenzeitungen und die Pressereferenten. Dort stehen die katholischen Publikationen, die von Zeitungen über Pfarrblätter bis zu Käseblättchen reichen. Man zählt allein in Wien über 180 Titel - ein in der Quantität beeindruckendes Sortiment kirchlichen Presseengagements.

Wir brauchen den katholischen Journalisten und den Journalisten, der katholisch ist. Wir brauchen den religiösen Film und Filme, die von Christen aus christlicher Sicht gemacht sind. Wir brauchen Kirchenfunksendungen und religiöse Themen im Gesamtprogramm. Es wäre nicht klug, das eine zu Gunsten oder zu Ungunsten des anderen zu fördern oder zu hemmen. Das eine bedingt das andere. Das eine gerät ohne das andere in S chwie rigkeiten.

Wir brauchen in den elektronischen Medien wie in den Privatmedien, in den Gruppen- und in den Massenmedien Menschen, die es Verstehen, eine Sache in Worte oder Bilder zu fassen. Wir brauchen Menschen, für die das Reich Gottes eine so bedrängende Aktualität ist, daß sie das Senfkorn seiner geheimnisvollen Anwesenheit in dieser Welt erkennen, daß sie davon reden, schreiben, es spielen können. Daß ihr Blick den Schatz im Acker des Lebens erkennt. .Wir brauchen solche Menschen als mediale Einzelkämpfer. Wir brauchen sie aber auch als Lobby, als Gruppe. Hier liegt eine der Parzellen des öffenen, aber auch weithin leeren Feldes kirchlicher Medienstrategie und -politik.

Die vorbereitende und begleitende Schulung derer, die in den Medien tätig sind, die Schulung - vorbereitend und begleitend - derer, die im Kraftfeld der Medien leben, ist eine der Hauptaufgaben'des Zentrums. Wir leisten sie durch Kurse für jene, die als Priester in Verkündigungssendungen eingesetzt sind, für jene, die in leitender Funktion für einen Bereich kirchlichen Lebens zuständig sind.

Eine der Hilfen, die wir bieten, ist die Zeitschrift „Multimedia“, die heute die anerkannte Medienfachzeitschrift Österreichs ist. „Multimedia“ war am Anfang ein finanzielles Sorgenkind. Es wurde wegen der Verpflichtung zur Information und wegen des Mangels an medienpädagogischer Hilfe, wegen der Notwendigkeit, den christlichen Standpunkt zu Fragen der Medienpolitik und Medienentwicklung zu artikulieren, und wegen des Bedarfs an Materialien für Pfarrblattgestaltüng und Kommunikation in den Gemeinden weitergeführt und ist heute ein unentbehrlicher Behelf aller, die mit Kommunikation und Massenmedien zu tun haben.

Die Schulungen gehören zu den Hauptaufgaben des Zentrums. Manchmal fühlen wir uns wie ein Hauptquartier ohne Armee. Wir träumen nicht von Divisionen. Aber einen kleinen Spähtrupp sollte es in jeder Diözese geben. Denn ohne diözesane Zentren wird nicht nur der Mediensonntag ein Fiasko, sondern auch die Verteilung der Hörfunkgottesdienste, die Besetzung der Sprecher der „Geistlichen Stunde“, der „ökumenischen Morgenfeier“ oder der „Morgenbetrachtung“ zu einem Ritt über den Bodensee.

Die Zusammenarbeit mit den Landesstudios, der Kontakt mit der regionalen Presse, die Vorbereitung der kirchlichen Amtsträger und Laienmitarbeiter auf allen Ebenen auf die Regionalisierung des ORF-Pro- gramms, die kritische Verfolgung des Gesamtprogramms, die Erziehung zum sinnvollen Gebrauch der Medien, die Beratung in Medienfragen, die inhaltliche und personelle Vorbereitung und Gestaltung von Sendungen, die Seelsorge an den Medienschaffenden, alles das wird immer wichtiger. Das gesamtösterreichische Zentrum kann hier Hilfe bieten. Nicht kann, darf und will es die diözesanen Zentren ersetzen. Jede Diözese braucht einen „Sprecher“, der kompetent ist, die Stellungnahme der diözesanen Kirche abzugeben, und der zur Verfügung steht, wenn und wann man ihn braucht.

1976 wurden in das Zentrum für Massenkommunikation 1,1 Millionen Schilling investiert. Dies ermöglichte Verkündigung und Seelsorge an jenen, die von den traditionellen Formen der Seelsorge nicht mehr oder nur mehr zum Teil erreicht werden, die aber den kirchlichen Apparat durch die Leistung ihres Kirchenbeitrages unterstützen.

In „Communio et progressio“ ist am Mediensonntag eine Kollekte für das Zentrum vorgesehen. Wir könnten uns bei Unterstützung durch die diözesanen Zentren eine Dreiteilung der Sammlung vorstellen: Ein Teil bleibt in der Pfarre und hilft, ihre Ausgaben für Pfarrblatt, Plakate, Öffentlichkeitsarbeit decken. Der andere Teil kommt dem diözesanen Zentrum zugute. Das letzte Drittel wird an das österreichische Zentrum weitergegeben.

Will man die Sammlungen, obwohl von Rom vorgesehen, obwohl fast eine Volksabstimmung, nicht vermehren, wäre es ein später Vorschlag, daß wir zum Mediensonntag ähnlich wie zum Katholikentag oder zum Volksbegehren eine Illustrierte unter dem Thema des Mediensonntags herausbringen können.

Keine „Sendung der Kirche“

Es gibt keine Sendung der Kirche im Hörfunk oder Fernsehen. „Unsere“ Sendungen im ORF sind Sendungen des ORF, wofür allein der ORF verantwortlich ist und wofür er für eine Gottesdienstübertragung im Hörfunk gegen 60.000,- Schilling und im Fernsehen gegen 250.000 Schilling oder mit Innenkosten gegen 950.000 Schilling aus gibt.

Der Rundfunk weiß sich durch seine Aufgabe, Drehscheibe der Information zu sein, auch der Information „Offenbarung“ verpflichtet. Das derzeit gültige Rundfunkgesetz legt fest: „Bei der Planung des Gesamtprogrammes ist die Bedeutung der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften angemessen zu berücksichtigen“. Die Begriffe „Bedeutung“ und „angemessen“ sind schwer in Sendeminuten umzusetzen, da man nicht nur über die Auslegung verschiedener Meinung sein kann, sondern auch der Inhalt dieser Begriffe in Bewegung ist In den Programmrichtlinien des Generalintendanten wurde präzisiert: „Es sind nicht nur die durch diese Institutionen gesetzten Ereignisse in ihrer gesellschaftspolitischen Relevanz, sondern auch die Glaubensinhalte dieser Kirche und Religionsgesellschaften zu berücksichtigen“.

Wir sind über diesen Passus froh. Er verpflichtet nicht nur die Programmmacher des ORF. Es ist mit ihm auch den Sekten und wildwuchernden Schwarmgeistern ein Riegel vorgeschoben. Es liegt nicht im Belieben eines Redakteurs oder einer Partei, über die gesellschaftspolitische Relevanz des kirchlichen Lebens zu entscheiden oder zu bestimmen, was christliche Verkündigung ist Da ausdrücklich die Glaubensinhalte zu berücksichtigen sind, steht es der Kirche zu, zu befinden, ob die Kirchlichkeit und Rechtgläubigkeit einer Sendung entsprechend der legitimen Bandbreite theologischer Meinungen gegeben ist.

Die Verkündigung durch die Medien wendet sich nicht an ein Zielpublikum wie in der Kirche, sondern an ein Breitenpublikum, dessen theologische Höhe sich mit der Formel umschreiben läßt: „Volksschulwissen - Vergessen - Medienwissen“. Diesen Menschen kann man nicht den ganzen

Wald der Offenbarung und Tradition hinstellen. Man kann ihnen aber, ja, man muß ihnen einen Zweig voll Früchten reichen. Gerade das aber bleiben angeblich die Kirchenfunksendungen schuldig: Der Ruf zur Umkehr sei Verbindlichkeit, die Menschwerdung Gottes zur Menschlichkeit des Menschen, die Verkündigung zum Trost und das persönliche Zeugnis zum Geplauder geworden - das Ganze: Rauchsignal ohne Antwort.

Entsprechend der Vielfalt der Nuancen an Gläubigkeit und Kirchlichkeit der Hörer und Seher muß es die verschiedenen Formen von „Verkündigung“ geben - das direkte geistliche Wort, die klare Information, die meditativ-assoziative Sendung, die Beten möglich macht, und die mehr indirekten Formen der Verkündigung, in denen das Leben der Menschen und ihre Umwelt aus einem christlichen Gewissen behandelt werden. Es ist naiv, die legitime, sachrichtige Vielheit der Verkündigungsformen zu leugnen, und eine als die einzig authentische und rechtgläubige Form zu postulieren.

Auch die Fernstehenden

Drei von vier Österreichern hören mindestens eine religiöse Sendung im Monat. Von denen, die nie zum Gottesdienst gehen, sind es 78 Prozent. Jeder Zweite, der sich als negativ zur Kirche eingestellt bezeichnet, hört im Hö rfunk oder Fernsehen die Botschaft dieser Kirche. Es ist die Botschaft, die im Durcheinander der Einflüsse, Sehnsüchte, Bedürfnisse, im Wirrwarr der Erlebnisse, Erfahrungen, Reaktionen, im Gewimmel von Haß und Leidenschaft, von Armut und Verschwendung, von Manipulation und Einsamkeit die Linien nachzieht, aus denen Gottes Wille sichtbar und seine Nähe erkennbar wird.

In einem Dokument des Weltkirchenrates in Uppsala steht der Satz: „Medien, die niemals Anstoß erregen, sind selber anstößig“.

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