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Römische Synode

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Fast genau ein halbes Jahrtausend ist seit der letzten römischen Synode vergangen: 1461 versammelte der zweite Pius, Papst Aeneas Sylvius Piccolomini, die Synodalversammlung in der Kirche des heiligen Eustachius. Der Humanismus -hatte tiefgreifende geistige Umwandlungen und Polemiken hervorgerufen, mit denen sich auch, die Kirche auseinanderzusetzen hatte. Zwei weitere Synoden hatten in ebenso heiklen Augenblicken des Umbruchs nach der Rückkehr der Päpste aus Avignon stattgefunden. Aber nach Pius II. hatte es keine dieser obersten Ratsversammlungen einer Diözese mehr in Rom gegeben, obwohl das Trienter Konzil bestimmt hat, daß der Bischof wenigstens alle zehn Jahre die Versammlung von Vertretern des gesamten Klerus seiner Diözese einzuberufen und zu leiten hat. Hier in Rom, wo die ganze geistige und säkulare Gewalt ohnedies von einer einzigen Person, vom Papste, ausging, mochte weniger als anderswo das Bedürfnis nach den beratenden Stimmen des Klerus empfunden worden sein. Vor einem halben Jahrtausend zählte Rom wenige Zehntausend Einwohner; die Kirchen waren verhältnismäßig zahlreich, ebenso die Pfarren.

Inzwischen ist Rom zu einer Zweimillionenstadt herangewachsen, eine Stadt im Schnittpunkt des internationalen Verkehrs und gegensätzlicher Ideologien. Von den Pfarrhäusern aus ist die Gemeinde der Gläubigen nicht mehr überschaubar. Aber Rom ist auch eine Diözese sui generis. Als Sitz des Nachfolgers Petri, als Zentrale zahlloser katholischer Institutionen und der regulierten Orden, liegt es an den Ufern des Tiber ,als das universale Rom der Christenheit; daneben gibt es noch ein anderes, das Rom der Diözese, in der der Papst selbst Bischof ist. Die zweifache Stellung als Oberhaupt der gesamten katholischen Welt und seiner eigener Diözese hat in den Jahrhunderten und Jahrzehnten mit sich gebracht, daß der eine Papst mehr die universalen Aufgaben akzentuierte, dei andere sich auch persönlich um die Dinge im eigenen Haus kümmerte. Es entspricht dem Lauf der Entwicklung, daß die weltweiten Angelegenheiten immer mehr die tägliche Müh des Papstes wurden.

Johannes XXIII. hat sofort erklärt, daß ei sich seiner Verantwortung für die eigene Diözese ganz bewußt ist, und dieses tätige Interesse bei vielen Gelegenheiten gezeigt. Die feierliche Ankündigung der römischen Synode, zusammen mit der des ökumenischen Konzils und der zweiten Ausgabe des Kodex für das kanonische Recht, hat die Sorge für die römische Kirchengemeinde in einer geradezu bewegender Weise erkennen lassen. Mit solchem Nachdruck hat er seine Initiative betrieben, daß nach genau einem Jahr, am 24. Jänner, die Versammlung unter dem Vorsitz des Papstes ihre Arbeiten beginnen kann.

Einer der ersten Artikel der bereits im Druck vorliegenden Synodaldekrete stellt ausdrücklich fest, daß die getroffenen Bestimmungen nur für Rom Gültigkeit haben. Es kann aber nicht anders sein, als daß die neue Ordnung in der römischen Diözese, schon wegen ihres Bischofs, in der ganzen übrigen Welt aufmerksam studiert und in mancher Hinsicht nachgeahmt werden wird. Eine Besonderheit Roms allerdings ist un-nachahmbar; sein Vikariat unterliegt nicht den Bestimmungen der Synode, sondern der apostolischen Konstitution. Die einzigartige Stellung Roms kommt immer wieder in den Normen, Ermahnungen und Ratschlägen der Synodaldekrete zum Vorschein. Etwa, wenn gemäß strengen Bestimmungen die nicht zum Diözesan-klerus gehörende Priester sich nicht über die bewilligte Zeit hinaus in der Stadt aufhalten dürfen; der Zutritt zu den kirchlichen Ämtern ist überhaupt nur dem Ortsklerus gestattet und auch unter diesem nur den eigentlichen Seelsorgepriestern. Der diözesanfremde Klerus wird aufgefordert, sich den Gebräuchen Roms anzupassen, in der Kleidung (das sogenannte „Priesterzivil“ ist hier nicht gern gesehen), in der Vermeidung öffentlicher Gaststätten, des Besuches von Oper, Theater, Kino, von der Benützung privater Kraftwagen zu Zwecken, die nichts mit dem pastoralen Amt zu tun haben.

Auch Rom leidet an Priestermangel, der hier vielleicht noch empfindlicher ist als anderswo. Die Masse der in Rom studierenden Kleriker oder der in den Institutionen und Ordenssitzen Wirkenden hat nichts mit dem Diözesanklerus zu tun. Mangel an Priestern also und deren heterogene Ausbildung, die Zugehörigkeit zu verschiedenen Orden und die Exemptionen aller Art sind Hindernisse für eine geregelte Seelsorgetätigkeit. Der römische Klerus ist im allgemeinen eifriger, hingebungsvoller, opferfreudiger, als man ihm zugestehen will. Es gibt aber noch eine andere, ebenfalls evangelische Tugend, die bei ihm selten zu finden ist, die Tugend im Sinne des „sedens computat sumptus, qui necessarii sunt“ (Luc. 14, 28). Die Synode warnt vor einem falsch verstandenen Supernaturalis-mus und leitet die Seelsorger zur Methodik an. Der Pfarrer und seine Mitarbeiter müssen künftig ein Jahresprogramm vorbereiten, und es, -in wenigen Punkten zusammengefaßt (Hausbesuche,! Pfarrheim, Katechismusunterricht usw.), einreichen. Viele Mängel in der seelsorgerlichen Tätigkeit in Rom sind auf diesen Mangel an Methodik zurückzuführen: es gibt kaum Hausbesuche, der Pfarrer kennt seine Gemeinde nicht, nicht einmal das moralische und soziale Milieu, in dem sie lebt; erschreckend viele Bewohner Roms sterben, ohne die Sakramente empfangen zu haben; erstaunlich wenige erhalten das Sakrament der Firmung; der ständige Verfall der Predigt, die an Substanz verliert, weil der Priester zu aktuellen Themen (politische Wahlen) Stellung zu nehmen sucht. Die teligiöse Bildung unter der römischen Bevölkerung ist sehr gering, und bittere Witzworte sind diesbezüglich im Umlauf. Dies kommt von einem völligen Versagen des Religionsunterrichts sowohl in den Volks- wie in den Mittelschulen. „Religion“ ist zwar Pflichtgegenstand, doch erscheint er nicht auf dem Notenzeugnis, was zur Faulheit des Schülers führt. Aber auch der Fleiß der schlechtbezahlten Katecheten und Religionslehrer, deren Status ebensowenig dem der übrigen Professoren und Lehrer gleichwertig ist wie ihr Gegenstand den anderen, ist nicht viel größer. Da ihre Alleemeinbildung sehr zu wünschen übrigläßt, sind sie auch in ihrem Einfluß auf die Schülerschaft dem des Philosophieprofessors oder dem für Italienisch, Geschichte, Kunstgeschichte unterlegen, in denen sie oft ihren antikatholischen, antireligiösen Gegenspieler sehen müssen.

Die angeführten Mängel sind den kirchlichen Behörden nach einer Enquete auch zahlenmäßig bekannt und erfaßbar geworden. Die Synode befaßt sich selbstverständlich in der Hauptsache mit der pastoralen Erneuerung, wobei sie allerdings äußerst vorsichtig vorgeht, denn nichts als bereits Bewährtes, Gesichertes soll von Rom in die Welt hinausgehen. Die Erneuerung setzt bei der Jugenderziehung an, Methode und System in den katholischen Jugendorganisationen werden revidiert, im Diözesankonsult gibt es eine eigene Sektion für sie. Die charakterliche Heranbildung des jungen Priesters erfolgt im Sinne Pius' XII. zum Verantwortungsbewußtsein, zum Urteilsvermögen, zürn Geist der Initiative in einem gesunden und heiteren Milieu. Die Seminaristen werden nicht mehr bis zum Schluß von der Umwelt hermetisch abgeschlossen bleiben, sondern langsam an die Umwelt gewöhnt, damit sich endlich jene Distanz zwischen Priester und Volk verringert, die in Rom so charakteristisch ist. Der junge Priester lernt die Psychologie seiner Zuhörer kennen, er lernt predigen. Predigen lernen heißt aber vertiefte Vorbildung mehr noch als moderne Rhetorik, für die eigene Kurse für Theologiestudenten eingerichtet werden. In der Kirche wird die liturgische Erneuerung als „vexata quaestio“ vorsichtig angegangen, und nicht nur, weil sie eigentlich nicht in die Kompetenz der Synode fällt. Immerhin entschließt man sich zur Begünstigung der Volksliturgie und läßt Evangelium, Epistel und Homilie in modernem Text zu. Man befürwortet die Erklärung der Liturgik vor der versammelten Gemeinde und möchte kollektive Feiern, etwa gemeinsame Taufe an einem Sonntagnachmittag unter großer Teilnahme von Klerus und Volk, wie es in der ältesten römischen Tradition liegt, als die „communitas christiana“ mehr als ein Wort war. Mechanische Tonmittel, wie automatische Orgeln, Tonband, Schallplatten, bei denen keine persönliche Aktion vorliegt, werden in der römischen Liturgik nicht geduldet; die moderne Musik wird ermutigt, wenn sie der Würde und Heiligkeit der Liturgie entspricht; die religiöse Kunst in der Kirche soll allgemeinverständlich, spirituell, nicht übersteigert und von wirksamer Symbolik sein.

Manchem wird bei der Lektüre dieser Anmerkungen erscheinen, daß auch die römische Synode Amerika nicht entdeckt hat und viele ihrer Neuerungen schon in anderen fortschrittlichen Diözesen und nicht erst seit gestern erprobt sind. Die Feststellung ist sicher richtig, doch muß in Betracht gezogen werden, daß die Neuerungen eben für Rom gelten, eine Diözese, die bislang im Vergleich zu anderen des südlichen lateinischen Raumes nicht bevorzugt und nicht exzeptionell gut verwaltet worden ist. Das auch für die übrige katholische Welt Neue liegt auf einem anderen Gebiet: auf dem disziplinaren. Die Stellung des Bischofs gegenüber seinem Klerus wird außerordentlich gestärkt. Auf der anderen Seite haben Kritiker eingewendet, daß die vielen Kontrollen und Superkontrollen zum Bürokratismus führen' könnten — falls sie tatsächlich wirksam durchgeführt werden sollten. Nicht immer wurden die Vorschriften, die von Rom in die Welt hinausgingen, in der Zentrale selbst befolgt. Mit der römischen Synode ist jedenfalls nach sehr langer Zeit zum erstenmal wieder eine große aktive Anstrengung zur religiösen Erneuerung der Ewigen Stadt unternommen worden.

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