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Pater Lombardi im Kreuzfeuer

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Es hat in Rom erhebliches Aufsehen srerursacht, daß der vatikanische „Osservatctre Romano“ in einem langen, auf seiner ersten Seite veröffentlichten Artikel gegen ein kürzlich veröffentlichtes Buch des hier wenn schon nicht populären, so doch sehr bekannten Jesuitenpredigers P. Ricardo Lombardi Stellung genommen hat. Der ungewöhnliche typographische Aufwand erklärt sich aus der großen Publizität, die Lombardis Buch: „Konzil. Für eine Reform in der Caritas“, besonders in der illustrierten Wochenpresse gefunden hatte, wahrscheinlich weil es auf vielen Seiten in offener Polemik gegen die römische Kurie zu Felde zieht. Der Artikel des „Osservatore“ ist nicht gezeichnet, was bedeutet, daß er von sehr maßgeblicher Seite stammt. Thema und verschiedene zutage tretende Auffassungen lassen vermuten, daß es der Generalsekretär der Zentralkommission für die Vorbereitung des ökumenischen Konzils ist, der Titularerzbischof Pericle Felici, der hier die Feder wider Lombardi geführt hat.

Konzil: weder Akademie noch Parlament

Aber nicht gegen diesen allein. Die angekündigte allgemeine Kirchenversammlung hat überall in der Welt ungeheures, auch aktives Interesse erweckt, mit der natürlichen Folge, daß bereits umfangreiche Literatur von theologischer wie nichtkirchlicher Seite mit Gedanken über das Konzil vorliegt. Manches davon trägt deutlich polemische Züge, anderes muß in der kirchlichen Zentrale als Einmischung in die Zuständigkeitssphäre der obersten Hierarchie empfunden werden. „Das ökumenische Konzil Vaticanum II kündigt sich als ein Werk der Gesamtkirche an“, heißt es in dem Artikel, „an ihm arbeiten zahlreiche Mitglieder der Kirche mit, die Laien nicht ausgeschlossen, aber in verschiedenem Ausmaß, während an der Versammlung selbst einzig und allein die Glieder der heiligen Hierarchie teilnehmenwerden.“ Die über die Bischöfe eingeholten Ratschläge und Wünsche des Klerus und des christlichen Volkes in der Welt seien mit großer Aufmerksamkeit entgegengenommen worden, heißt es weiter, und die Vorbereitungsarbeit der Kommissionen stützten sich weitgehend auf diese. Aber die Zusammenarbeit vollziehe sich doch hauptsächlich durch das Gebet und in zweiter Linie erst durch Meinungskundgebungen, und sie habe „niemandem das Recht gegeben, auf die ausschließlich der Hierarchie vorbehaltenen Beschlüsse einzuwirken“. In diesem Zusammenhang erinnert der Verfasser an einen Ausspruch des Papstes vor der ausländischen Presse:

„Ei ökumenisches Konzil ist keine Akademie und auch kein Parlament, sondern die feierliche Begegnung der gesamten kirchlichen Hierarchie für die Fragen des ordentlichen Lebens der Kirche und des Seelenheils. Es ist klar, daß das alles das Interesse der Journalisten auf sich zieht, aber es verlangt auch besonderen Respekt nd Zurückhaltung.“

Im Lichte dieses Respekts, dieser vorsichtigen Zurückhaltung, will der zitierte Artikel alle über das Konzil veröffentlichten Schriften beurteilt und gewertet sehen. Das Buch des P. Lombardi SJ. verstößt seiner Ansicht nach in grober Weise gegen die kluge Vorsicht, nach den Ausdrücken zu urteilen, die er ihm widmet. Denn er bezeichnet die darin enthaltenen Bemerkungen, Kritiken, Meinungen — denen im übrigen kein anderer Wert als ein rein privater, persönlicher zukäme — als unbesonnen, leichtfertig und ungerecht, mit der einzigen Einräumung, daß sie in guter Absicht vorgebracht wurden. Das bezieht sich besonders auf die Kapitel über die Papstwahl, die römische Kurie und den Klerus, die alle nach Ansicht des Jesuitenpredigers einer dringenden Reform bedürfen.

Prinzipien, Maximen — und die Wirklichkeit

Bei aller Anerkennung für die Verdienste Lombardis als einer der Schöp-w\del Bewe8unS Für eine bessere Welt“ hat man tatsächlich beim Lesen jener Kapitel den Eindruck, daß er, vom Feuer seiner Rede und vom Glaubenseifer fortgerissen, sich auf ein Gebiet vorgewagt hat, wo es ihm an den Kenntnissen der tatsächlichen Gegebenheiten mangelt. Natürlich kann Padre Lombardi des Beifalls aller sicher sein, wenn er fordert, daß die römische Kurie durch geeignete Auslese ihrer Beamten auf die Stufe höchster Wirksamkeit und Vollkommenheit erhoben werden müsse. Wer würde keine solch kirchliche Zentralverwaltung wünschen? Aber die Vorschläge, die er dafür macht, zeigen keine völlige Vertrautheit mit dem Problem.

Lombardi verlangt nach einer allgemeinen Reform der katholischen Kirche, die Ausschaltung der Karrieremacher aus den hohen kirchlichen Sphären: „Die Kurie muß allen von einer einzigen, ungebändigten, wua derbar leuchtenden Besorgnis erfüllt erscheinen: das Gemeinwohl der Kirche und der Menschheit, ohne anderes Interesse als dieses; kein verwaltungsmäßiges, doch ein integrierendes und orientierendes, brennendes und apostolisches. Die Posten an der Kurie seien nur jenen Personen vorbehalten, die als die besten, zuständigsten, wahrhaft kompetenten erscheinen, indem sie unter diesem zentralen Kriterium frei aus der gesamten Kirche ausgewählt werden, wo immer sie sich finden mögen. Angesichts eines solchen Beamtenstabes gibt es kein Italien mehr, noch morgen ein anderes Vaterland, es gibt keinen Westen und keinen Latinismus, keinen Landsmann und keinen Mitbruder des gleichen religiösen Ordens, keine Freundschaft, keine Futterkrippe erworbenen Rechtes.“ Der Prediger stellt sogar ein Fünfpunkteprogramm auf und unterbreitet es der Aufmerksamkeit des ökumenischen Konzils: 1. Verbannung jedes Karrieregeistes aus der Kurie und aus der kirchlichen Hierarchie im allgemeinen. 2. Absolut unabhängige Ernennungen und Beförderungen ohne durch die verschiedenen Grade der Laufbahn erworbene Rechte. 3. Jedem soll in jedem Augenblick gesagt werden können, daß man seiner Dienste nicht mehr bedürfe und er in die Reihe zurückzutreten habe. 4. Versetzungen und Rückversetzungen in niedrigere Grade, denen die Eignung entspricht. 5. Weltweite Auswahl der Mitarbeiter und Helfer des Papstes.

Altersgrenze — mit Ausnahme des Papstes?

In dem ihm eigenen Stil zieht Pater Lombardi ein äußerst negatives Bifd der kirchlichen und Glaubensverhältnisse, kritisiert hochgestellte Personen der römischen Kurie hinsichtlich ihrer Kompetenz und ihres Verständnisses für die Lage anderer, schlägt vor, daß auch, nur der Papst ausgenommen, die höchsten Würdenträger der Kirche bei Erreichung einer gewissen Altersgrenze in den Ruhestand geschickt werden. Manche seiner Bemerkungen sind zweifellos richtig, andere Beobac'itungen übertrieben, andere wieder gehen fehl. Niemand behauptet, daß der Optimismus des Leibniz auch für die Kurie anwendbar sei, indem sie als die beste aller möglichen Kurien betrachtet werden müsse. Vieles an ihr ist reformbedürftig, und tatsächlich vollzieht sich eine zwar langsame und unauffällige Reform, die aber in ihrer Stetigkeit wirksam wird. Kein Ponti-fikat hinterläßt die Kurie ohne irgendwelche Neuerungen und Verbesserungen, die Kurie Pius' XII. ist nicht die gleiche wie die unter dem elften Pius oder Benedikt XV. Karriere ... Karriere ...

Es muß berücksichtigt werden, daß die gesamte Kurie mit allen ihren Kongregationen, die gesamte Zentralverwaltung einer weltweiten Organisation also, von wenig mehr als tausend Menschen besorgt wird. In dem größten vatikanischen Amt, im Staatssekretariat, sind außer den nur fünf leitenden Chefs in der ersten Sektion 28 Beamte, in der zweiten 70 und in der dritten fünf Beamte beschäftigt,

Magere „Futterkrippe

Was die verantwortlichen Spitzen der Kurie ununterbrochen beschäftigt — darüber finden sich in dem Buch keine Gedanken —. ist das Problem der Auslese und des Nachwuchses. Praktisch ist es so, daß die Kurienverwaltung größte Schwierigkeiten hat, geeigneten Nachwuchs zu finden. An die Bischöfe in der Welt, auch an die deutschen und österreichischen, werden immer wieder Aufforderungen gerichtet, begabte junge Priester der Kurie zur Verfügung zu stellen. Sehr selten wird diesen Aufforderungen entsprochen. Die Klage, daß die Kurie zu stark „italianisiert“ sei und „internationalisiert“ werden müßte, ist inso-ferne ungerecht, als die Kurie selbst außerhalb Italiens wenig Unterstützung dabei findet. Denn die Bischöfe haben oft das im übrigen verständliche Bestreben, tüchtige, intelligente junge Kräfte der eigenen Diözesan-arbeit zu bewahren.

Wie sollte nun nach Meinung Pater Lombardis die Auslese und Auswahl erfolgen? Durch Prüfung? Aber das geschieht bereits. Durch demokratische Wahl? Durch .;Experirhenräl-psyChologie? Oder einfach „par rc-noirtttW“?. Hierzu schweigt et. Es wäre“' auch sehr schwierig, über die Grundsätze hinaus praktische und mögliche Wege zu finden, die nicht schon versucht und beschritten worden sind. Die päpstliche Diplomatie bedarf jährlich etwa zwanzig junger Beamter, aber sie ist nicht imstande, sie zu finden. Warum? Weil diese Laufbahn einen großen Verzicht mit sich bringt, nämlich die direkte Befassung mit?der Seelsorge, um derentwillen doch die übergroße Mehrheit ihrer Berufung gefolgt sind, weil sich diese „Karriere“ ein ganzes Leben lang im Verborgenen abspielen kann. Jeder einfache Pfarrer findet ein ungleich vielfältigeres, selbständigeres Arbeitsfeld.

Die Anspielung auf die „Futterkrippe“ kann nur unter Unwissenden Eindruck machen. In den ersten Jahren seiner Anstellung, als Praktikant, erhält der vatikanische Beamte nur Stundenlohn, was ihm monatlich etwa 40.000 bis 45.000 Lire einbringen mag, das heißt, er ist außerstande, sich außerhalb der Familie oder eines Ordens selbständig zu erhalten; der erste fixe Gehalt beträgt 65.000 Lire und nach zwanzigjähriger Tätiget kann er 120.000 Lire erreichen. Die vollen Pensionsbezüge erhält er nach 35 Dienstjahren und einem Mindestalter von 70 Jahren. Der Kurialbeamte findet also sehr wenig in seiner „Futterkrippe“, jedenfalls weniger als der Privatbeamte oder staatliche Funktionär. Dies gilt auch für die Spitzen der Karriere: kein Nuntius in der Welt bezieht ein Gehalt, das dem eines Botschafters oder Gesandten gleichkäme, kein Kardinal eines, das mit dem eines Ministers vergleichbar wäre.

Pater Lombardi übersieht völlig die menschliche Seite der Personalfrage und die technischen Aspekte. Sollte man die „liquidierten“ Beamten ohne Pension und Abfertigung einfach wegschicken? Und wohin? Wer sorgt für die fernere Verwendung und den weiteren Unterhalt? Entgegen vielen Meinungen ist es doch so, daß die Kirche keinen Kasernengehorsam verlangt. Sie pflegt mit den Menschen nicht umzuspringen, wie es dem Prediger wünschenswert erscheint. Was seltsam ist, denn der unbedingte Gehorsam wird in der Praxis nicht einmal in seinem eigeinsgesamt also 108. Die Propaganda Fide, das „Missionsministerium“ der Kirche, mit ihren Verbindungen und Aufgaben über alle Kontinente, hat mit dem Verwaltungspersonal zusammen nur 30 Beamte; die Ritenkongregation 24; das Heilige Offizium 30 Beamte. Kein staatliches Büro, so untergeordnet es sein möge, würde mit einem so geringen Personalstand auskommen und funktionieren.

Die Vorstellung des Paters Lombardi, daß ein freies Auswechseln der Beamten, ihr willkürliches Heranziehen und Wegschicken der Erreichung größerer Leistung förderlich sein würde, zeigt von nicht großer Menschenkenntnis. Würde sich eine derartige Methode bewähren, sie wäre schon irgendwo im Schwange. Sie würde jeden persönlichen Einsatz unterbinden, das Berufsethos zerstören, vor allem aber würde sie gerade das mindern, was P. Lombardi vermehrt sehen möchte, die „Kompetenz“ nämlich, die Fachkenntnis. besser hätten sein können. Das ist theoretich zweifellos möglich, auch wenn man die Mitwirkung des Heiligen Geistes an der Papstwahl außer acht läßt, doch stellt sich wieder die Frage, wie sich der Verfasser des Buches die Wahl über das Heilige Kollegium hinaus vorstellt. Es ist hinlänglich bekannt, daß nach dem Kirchenrecht kein Hindernis bestehen würde, den Nachfolger Petri außerhalb der Kardinäle und sogar im Laienstande zu finden. Letzteres ist seit vielen Jahrhunderten nicht mehr geschehen; denn als es geschah, war es eine Folge heilloser Zustände.

Trotzdem: das Recht auf freie Diskussion

Der Verfasser des Artikels schießt aber, meines Erachtens nach, über das Ziel hinaus, wenn er schreibt: „Es ist auch müßig, sich auf das Recht der öffentlichen Meinung in der Kirche zu berufen, das zwar von Pius XII. anerkannt wurde, aber nur für die Materie freier Diskussion.“ Nun will es mir aber scheinen, daß die von P. Lombardi aufgeworfenen Fragen durchaus zu diesen Materien gehören, handelt es sich doch um keine religiösen Probleme. Traditionsgemäß freilich ist die Reform des Papsttums und der Kurie niemals vom Konzil ausgegangen, sondern vom Papst selbst. Kein Konzil hat Änderungen an der Kurie beschlossen, sondern immer nur den Papst gebeten, Änderungen vorzunehmen. Es liegen keine Anzeichen dafür vor, daß Johannes XXIII. die Absicht hat, grundlegende Veränderungen an der Kurie vorzunehmen, aber er hat einige alte, in Recht begründete Regeln wieder eingeführt. In die Bischofsernennungen, die unter die Zuständigkeit des StaatS-sekretariats fallen,'greift er viel weniger ein als sein Vorgänger, sondern

überläßt sie ganz der betreffenden Kongregation. Die Kurienreform, die auch in Zukunft niemals die revolutionären Formen haben wird, die dem Pater Lombardi vorschweben, wird sich im wesentlichen nach vier Richtungen vollziehen, nämlich durch Rationalisierung, durch Koordinierung, durch die Anwerbung neuen Nachwuchses und schließlich durch Dezentralisierung.

Es ist nicht anzunehmen, daß die Konzilväter an allen diesen Aufgaben vorbeigehen wollen, besonders was den letzten Punkt anbelangt, der den Wünschen zahlreicher Bischöfe entspricht. Die Ämter der Kurie sind geschichtlichen Ursprungs und zu verschiedenen Zeiten entstanden, überschneiden und kreuzen sich also vielfach in den Kompetenzen. Der Versuch einer rationelleren Lösung ist bereits unter Pius X. unternommen, aber nicht voll durchgeführt worden. Die Widersprüche sind nicht alle ausgemerzt. So obliegt die Ernennung der Pfarrer der Apostolischen Datarie, mit dem Pfarrwesen selbst beschäftigt sich aber die Konzilkongregation; die die Unterschrift des Papstes tragenden Dokumente werden “vom Staatssekretariat vorbereitet, die Bullen aber von der Apostolischen Kanzlei; die Dispenserteilung bei nichtkonsumierter Ehe ist Sache der Sakramentenkongregation, die Nichtgültigkeit einer Ehe wird vom päpstlichen Gericht der Sacra Rota ausgesprochen, das Privilegium Pauli-num endlich vom Heiligen Offizium erteilt. Mit der Wohltätigkeit hat das Apostolische Almosenamt nur mehr den geringsten Teil zu tun, während die Zuwendungen des Papstes heute zumeist über das Staatssekretariat erfolgen und die Hilfen des Heiligen Stuhles imposante Organisationen wie die POA ins Leben gerufen haben.

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