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Angelo DelPAcqua

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Die Spuren der schweren Erkrankung im vergangenen Winter finden sich zwar noch auf dem Antlitz Pius XII., aber in erstaunlicher körperlicher Frische meisterte er die anstrengenden Aufgaben der Karwoche und der Ostertage.

Es hat vielfach überrascht, daß Pius XII. bisher keine Maßnahmen getroffen hat, die ihn von der Bürde der umfangreichen Geschäfte des Staatssekretariats befreit hätten oder sie ihm doch leichter gemacht haben würden. Die „Indiskretionen“ aus nicht näher präzisierten vatikanischen Kreisen und Spekulationen um die Ernennung eines neuen Kardinal-Staatssekretärs, die nach der Weihe des Pro-Sekretärs Giambattista M o n t i n i zum Erzbischof von Mailand aktuell schien, haben sich nicht bestätigt. Der Papst regiert weiterhin ohne Staatssekretär und stützt sich lediglich auf die Mitarbeit des zweiten Pro-Sekretärs Domenico T a r d i n i und neuerdings in vermehrtem Maße des Substituten Angelo D e 1 TA c q u a.

Monsignore DellAcqua ist nach dem Fortgang Montinis unversehens in den Vordergrund gerückt; noch bis vor kurzem war sein Name nur jenem Personenkreis geläufig, der in ständiger Berührung mit dem Staatssekretariat ist. Während Msgr. Tardini den Papst nur jeden zweiten Tag besucht — wie er es gewohnt war, als er abwechselnd mit Montini empfangen wurde —, wird Angelo DellAcqua jetzt zweimal täglich gerufen, gegen Mittag und gegen Abend. Pius XII. hat in dem Prälaten einen unerwartet fähigen Helfer gefunden, unerwartet, weil eine derart enge Zusammenarbeit mehr als Sachkenntnis und Routine erfordert. DellAcqua begann seine Karriere in der 1. Sektion des Staatssekretariats, kommt also von der diplomatischen Laufbahn her. Der gebürtige Mailänder war Beamter der Kongregation für die Ostkirche, Sekretär der Apostolischen Delegation für Griechenland und die Türkei, Rektor des rumänischen Seminars in Rom, schließlich Italienreferent im Staatssekretariat. In der Kurie wird er als hervorragend arbeitsam geschätzt, man sagt ihm Liebenswürdigkeit im persönlichen Verkehr, besondere Freimütigkeit und klares Denken nach. In gewissem Sinne hat er das Erbe Montinis angetreten, kein leichtes, denn der Einfluß der Persönlichkeit des ehemaligen Pro-Sekretärs wirkt noch bei jenen Angehörigen der Kurie fort, die seine Rückkehr nicht für ausgeschlossen halten. DellAcqua hat sich, taktvoll und zurückhaltend, nicht als Neuerer zu erkennen gegeben und versteht es,die eigenen Ideen behutsam und beinahe unbemerkt durchzusetzen. Im Vatikan hat man den Eindruck, daß seine Gegenwart immer stärker spürbar wird und stellt ihm eine glänzende Karriere in Aussicht: ad maiora natus.

Die breite Oeffentlichkeit, auch in Rom, hat im allgemeinen nur vage Vorstellungen und Kenntnisse von der Organisation und der Funktion des Staatssekretariats, zu dem sich in der Welt keine auch nur einigermaßen ähnliche Einrichtung findet. Erst in der Renaissancezeit aus dem Amt des Kardinal-Neffen (der ein leiblicher Neffe oder Großneffe des Papstes war) hervorgegangen, hatte es zunächst die weltlichen Geschäfte, die Innen- und Außenpolitik des Kirchenstaates zu erledigen. Aber erst unter den letzten Päpsten ist seine Bedeutung zum heutigen Umfang angewachsen. Noch vor dem ersten Weltkrieg, zur Zeit Pius X., genügte für alle drei Sektionen ein Beamtenstab von 15 Personen. Heute ist er auf rund 150 gestiegen. Die Zuständigkeit verschiedener Kongregationen ist verkürzt und dem Staatssekretariat übertragen worden, besonders was Personalangelegenheiten und die Zweckbestimmung der finanziellen Mittel anlangt. Seit einigen Jahrzehnten funktioniert es auch nicht mehr als Kongregation, wo die Entscheidungen gemeinsam von einem Kardinalskollegium getroffen werden, sondern nach dem Prinzip der persönlichen Verantwortung. Ohne kirchenrechtliche Grundlage übt das Staatssekretariat seine Funktionen auf Grund der von den Päpsten getroffenen Reformmaßnahmen aus. Als einziges Amt der Kurie ist hier das Italienisch, und nicht Latein, die Amtssprache, was sich aus dem weltlichen Ursprung erklären läßt.

Das Staatssekretariat ist in drei Stockwerken des Apostolischen Palastes, also in unmittelbarer Nähe des Papstes, untergebracht. Seine Einrichtungen sind unter dem Pontifikat Pius XII., der bekanntlich selbst Kardinal-Staatssekretär war, völlig modernisiert worden. Jeder Funktionär verfügt über zwei Telephone, eines für den internen und ein anderes für den Verkehr mit der Außenwelt, und Schreibmaschinen. Mit den wichtigsten Nuntiaturen bestehen Fernschreibverbindungen. Strengste Geheimhaltung ist einer der wichtigsten Grundsätze. Geheim ist alles, was der Beamte nur aus seinem Amte wissen kann. Eine Verletzung der Schweigepflicht wird mit Exkommunizierung bestraft, von der nur der Papst befreien kann. Di Amtsräume sind nur den Beamten zugänglich Auch höchstgestellte Besucher, wie kürzlich Mendes-France, können nur in einem eigenen Empfangsraum zugelassen werden. Bestimmte Zimmer, wie zum Beispiel das Chiffrebüro und die Räume, wo die Akten über die Verleihung von Orden und Adelstiteln behandelt werden, sind nicht einmal allen Beamten zugänglich. Die notwendigen Säuberungsarbeiten vollziehen sich in Anwesenheit eines Funktionärs. Das Personal ist ausschließlich männlich.

Von den drei Sektionen des Staatssekretariats heißt die erste „für außerordentliche Angelegenheiten“, die zweite „für die ordentlichen Angelegenheiten“ und die dritte „Cancelleria dei Brevi Apostolici“. Aber diese Bezeichnungen lassen keine Rückschlüsse auf ihre Funktionen zu. Die kirchenpolitisch wichtigste Sektion ist unzweifelhaft die erste, denn sie hält die Verbindungen zwischen dem Heiligen Stuhl und den Staatsregierungen aufrecht, führt die Verhandlungen, fast immer nur über ihre Nuntiaturen und Delegationen im Ausland. Wo immer es möglich ist, bedient sich das Staatssekretariat im Verkehr mit den Regierungen der eigenen Nuntien und Delegaten und vermeidet den Weg über die beim Heiligen Stuhl akkreditierten Botschafter und Gesandten. In personeller Hinsicht ist die erste Sektion sehr klein: nicht mehr als 25 Beamte arbeiten in ihr. An ihrer Spitze steht der Pro-Sekretär Domenico Tardini. Den Diplomaten ist sein Witz und die stets zum Spott bereite Zunge wohlbekannt. Bei einem Empfang begann er einst seine Rede mit dem ernstesten Gesicht in solcher Weise: „Exzellenzen, der diplomatische Beruf ist der älteste von allen; denn schon in der Bibel heißt es: in prineipio erat chaos magnum ...“

Die zweite Sektion funktioniert als Personalamt der Kurie und ist als solches teils umworben, teils gefürchtet. Nur die Ernennung der Bischöfe in Staaten, wo die Regierungen ein Mitbestimmungsrecht besitzen, bleibt der ersten Sektion vorbehalten. Sie bestimmt auch über die Verwendung der Gelder (nicht jedoch über die finanziellen Manipulationen), ausgenommen jene für die Missionen und die Ostkirche. Sie hat die Aufsicht über das gesamte Vereinswesen der Katholischen Kirche, soweit es sich um organisatorische und juristische Fragen handelt (für die religiösen ist die Konzilkongregation zuständig), und vor allem kontrolliert sie die Katholische Aktion in Italien. Dieser Umstand sichert dem Substituten Monsignore D e ITA c q u a, der an Stelle Montinis die Leitung der Sektion übernommen hat, auch beträchtlichen politischen Einfluß. Ihr obliegt die Verleihung der Orden und Adelstitel und die Verwaltung des Wohlfahrtsfonds der Kirche. Der Aufgabenkreis ist demnach gewaltig, täglich sind hunderte neue Akteneingänge zu bewältigen, eine Arbeit, in der sich derzeit rund 120 Beamte teilen.

An der Spitze der dritten Sektion, der „Cancelleria dei Brevi Apostolici“, steht der Kanzler Monsignore Gildo Brugnola. Mit nur sechs Beamten ist sie die kleinste der Abteilungen des Staatssekretariats, eine Art Korrespondenzbüro, das sich hauptsächlich mit der Ausfertigung der Ernennungsurkunden und der Ausschreibung der lateinischen Briefe, nach Konzept, beschäftigt. In ihrem Attache, dem Advokaten Oreste Milani-Valerio, besitzt sie einen der besten Kalligraphen Italiens, einen wahren Künstler der Schönschreibung. Die Geschäftskorrespondenz wird jedoch von den beiden anderen Sektionen selbst erledigt, und zwar in allen Weltsprachen. Es würde auch nicht leicht gelingen, das Staatssekretariat durch eine Zuschrift in einer seltenen Sprache in Verlegenheit zu setzen. In den zahlreichen kirchlichen Instituten Roms finden sich Uebersetzer wohl für jedes Idiom, das auf der Erde gesprochen wird. Am wenigsten liebt man, heißt es, Zuschriften in lateinischer Sprache, denn das verpflichtet zu einer Antwort in stilreinstem klassischem. Latein nach vorheriger sorgfältigster Ausarbeitung.

Wenn es auch nicht die Regel verlangt, so kommen doch die meisten vatikanischen Diplomaten aus der „Pontificia Accademia Eccle-siastica“, die von einem Präsidenten geleitet wird und in Rom auf der Piazza della Minerva ihren Sitz hat. Es handelt sich um eine richtige Diplomaten-Hochschule, ähnlich wie sie die Konsularakademie in Wien war. Der Studienkurs dauert zwei Jahre, unterrichtet werden neben Sprachen vor allem Klugheit und diplomatischer Stil. Die Methode unterscheidet sich jedoch nicht viel von der auf den weltlichen Universitäten üblichen: es werden diplomatische Dokumente kommentiert und als praktische Uebungen Berichte, Noten usw. abgefaßt. Die Laufbahn — es kann die administrative oder diplomatische eingeschlagen werden — beginnt mit dem Nuntiaturattache und führt über den Sekretär und Auditor erster und zweiter Klasse bis zum Nuntiaturrat in automatischer Beförderung. Die Nuntien werden jedoch in Auswahl ernannt. Finanziell gesehen, ist die diplomatische Laufbahn keineswegs so erstrebenswert wie man meinen möchte. Das Gehalt beginnt mit einem Minimum von etwa 1600 S monatlich und erreicht auch in der höchsten Gehaltsklasse keine 9000 S. Nur die höchsten Funktionäre verfügen über eine eigene freie Dienstwohnung innerhalb des Vatikans. Der Pro-Sekretär Montini bewohnte im Apostolischen Palast eine Zimmerflucht von 18 Räumen, nicht etwa, weil er ihrer aller bedurft hätte, sondern weil eine Teilung des Appartements umfangreiche Umbauten erfordert hätte.

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