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Stalins Landsmann im Vatikan

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Die Ernennung des Kardinals Gregor Petrus XV. Agagianian, Patriarch der unierten Armenier, zum zeichnungsberechtigten Pro'-Präfek-ten der Kongregation für die Glaubensverbreitung — der 86jährige und fast erblindete Kardinal Pietro Fumasoni Biondi behält den Präfekten-titel ehrenhalber — gehört zu den persönlichen Entscheidungen Pius' XII., die, weil sie ohne vorherige Konsultierung irgendwelcher Ratgeber erfolgen, auch in der nächsten Umgebung des Papstes Ueberraschung auslösen. Aus mancherlei Gründen ist das Erstaunen diesmal mehr als sonst berechtigt, auch wenn die Wahl allgemein als ausnehmend glücklich betrachtet wird. In der italienischen Oeffentlichkeit wird der armenische Patriarch von Kilikien schon seit einiger Zeit als ;,papäbile“, als potentieller Anwärter auf Petris' Stuhl, betrachtet und die Berufung auf einen so wichtigen Posten, wie es die Leitung der Propaganda Fide ist, die kurz darauf erfolgte Beiziehung zur Mitarbeit in anderen bedeutenden Kongregationen, hat den Eindruck hervorgerufen, als ob Papst Pacelli bewußt den neben Kardinal Tisserant nunmehr zweiten nichtitalienischen Kurienkardinal in die vorderste Reihe stellen wollte. Ein Umstand, der in der Presse unerwähnt geblieben ist, hat dieser Eindruck auch in vatikanischen Kreisen bekräftigt: Pius XII. hat Agagianian den Auftrag erteilt, außerhalb der armenischen Kirchen und in Rom im allgemeinen von nun ab den lateinischen Ritus auszuüben. Welchen Grund konnte dies haben? Offenbar lag die Absicht zugrunde, den Armenier der lateinischen Kirche, die bei der Papstwahl entscheidend ist, besonders nahe zu bringen, jedenfalls sollte die Zugehörigkeit zu einer unierten Kirche bei einer solchen Gelegenheit nicht als eventuelles Hindernis empfunden werden.

Nun, da der 1895 in Achalziche, im heute sowjetischen Georgien, geborene Kardinal seinen Amtssitz von Beirut nach Rom verlegt hat, untersteht ihm eine Kongregation, die ausschließlich über Gläubige des lateinischen Ritus zu bestimmen hat. Seiner Erziehung nach und wegen seines langjährigen“Aufenthaltes“ Iii' Rotft,“ 'sfeht er 'freilich tJefefts1 jetzt unter allen ifichlirMi'enischeh Kardinälen der römischen Kurie gefühlsmäßig am nächsten. Agagianian spricht fließend Russisch, Griechisch, Armenisch, Deutsch, Französisch, Englisch, aber das Italienische mit einem unverkennbaren römischen Akzent. Die armenisch-unierte Kirche ist die älteste unter den orientalischen, die sich Rom angeschlossen haben, und in ihren Einrichtungen zugleich die lateinischste. Die Union dauert ununterbrochen seit mehr als vierhundert Jahren. Agagianian entstammt einer der wenigen hundert katholischen Familien dieses Ritus, die nach Georgien ausgewandert waren.

Elfjährig schickte ihn sein Pfarrer nach Rom, wo er trotz seiner Jugend im Kolleg der Propaganda Fide Aufnahme fand. Anläßlich einer Audienz bei Pius X. fiel der aufgeweckte, dunkellockige und zierliche Junge dem Papste auf, er scherzte mit ihm und streicht ihm über das Haar. Beim Abschied rief er den begleitenden Rektor, den heutigen Nuntius von Lissabon, Cento, nochmals zurück und sagte ihm: „Sagt dem Kardinalpräfekten, er möge den Jungen behalten; dieser Knabe wird der Kirche noch einmal große Dienste leisten.“ Nach einer anderen Version soll diese Anekdote geradezu eine Prophezeiung gewesen sein. Pius X. habe zu dem kleinen Gregor Petrus gesagt: „Sei nur brav, dann wirst du noch armenischer Patriarch und vielleicht sogar Papst.“

Nach einem brillanten Studiengang kehrte Agagianian als junger Priester in die Heimat zurück und widmete sich der Seelsorge. Er erlebte die kurze Freiheit und dann die Sowjetisierung Georgiens, die grausame Verfolgung seines Volkes und besonders der unierten Armenier, erst durch die Türken, dann durch Stalin, seinen Landsmann. Aber schon 1921 wurde er wieder nach Rom gerufen, diesmal als Vizerektor des Armenischen Kollegs und Professor. Wie einst als Schüler, tat er sich nun als Lehrer hervor. Zwar kein selbständiger Forscher, ist er blendender Didaktiker und gründlicher Kenner sowohl des lateinischen wie des orientalischen Kirchenrechts. 193 5 zum Bischof von Comana in Armenien erhoben, wählte ihn sein Episkopat schon 1937 zum Patriarchen. Von diesem Augenblick an wuchs er über die verhältnismäßig kleine Gemeinde von Gläubigen hinaus, der er als Hirte vorsteht. Denn das Patriarchat von Kilikien umfaßt nur die wenigen zehntausend, in der Diaspora lebenden Armenier aus dem alten türkischen Reich. Die Diözesen in Kilikien selbst, in der Türkei also, sind seit dem Beginn des ersten Weltkrieges zerstört und existieren nur noch formell. Als Bischof betreut er 18.000 Katholiken. Aus diesem Grunde hat sich Agagianian, anders als die übrigen in Beirut residierenden Patriarchen, jeder Einflußnahme in den arabischen Wirren enthalten. Politisch ist er nur hervorgetreten, als vor etlichen Jahren sowjetische Emissäre die im Libanon seßhaften Armenier zur Rückkehr in die Sowjetunion zu bewegen suchten. Seine Warnungen machten ihn zur Zielscheibe heftiger Angriffe der Russen. Pius XII. verlieh ihm 1946 den Kardinalshut, mit der Titelkirche des hl. Bartholomäus auf der 'Tiberinsel in Rom. Die russische Staatsbürger-“schaft.hat er längst-Verloren; Verwandte!treten noch in Georgien, doch ist er ohne Nachricht von ihnen. Zur Zeit seiner Kardinalserhebung soll auch die Mutter noch am Leben gewesen sein.

Nun ist Rom seine zweite Heimat geworden. Er bewohnt immer noch die Räume im Armenischen Kolleg, die er als jüngster Purpurträger unter den hier residierenden Kardinälen während der langen Jahre seines römischen Aufenthalts bezogen hat. Der eher hochgewachsene, schlanke Mann mit dem nunmehr ergrauten Vollbart gehört zu den bekanntesten Erscheinungen der Stadt. Immer liebenswürdig, immer beherrscht, fest und energisch, wenn es sein muß, versteht er seine Energie in die einnehmendsten Formen zu kleiden. Agagianian hat keine Gegner und keine Feinde, heißt es, denn er hat die Gabe, auch die Widersacher zu seinen Meinungen zu bekehren. Darum hat auch jetzt seine Ernennung zum Pro-Präfekten des „Missionsministeriums“ der Kirche nur Zustimmung gefunden. Als Konsultor in einigen wichtigen Kongregationen ist seine profunde Sachkenntnis, das ausgeprägte juristische Denken und die Ausgeglichenheit seines Urteils geschätzt. Er gehört der Päpstlichen Kommission für die authentische Interpretation des kanonischen Rechts an. aber seine bisher größte Aufgabe war die. Kodifizierung des orientalischen Kirchenrechts, als dessen größter Experte er seit dem Tode des Kardinals Massimi gilt.

Vor dem Kardinal Agagianian liegt die große Aufgabe der radikalen Reform des Missionslebens der katholischen Kirche. Eine Angleichung und Anpassung an die moderne Zeit, die sich auf juridischem Boden vollziehen muß, wenn die Missionäre in der Lage sein sollen, ihre Aktion unter den vielfältigsten und manchmal auch dramatischen Verhältnissen auszuüben. Die Missionen sind junge Einrichtungen, gemessen an den tausendjährigen der Kirche, und ihre Kettung an das überlieferte Recht entspricht nicht immer den modernen Erfordernissen. Eine größere Autonomie ist notwendig, aber auch diese muß juristisch unterbaut und den Normen des religiösen Lebens angepaßt werden. Hier ist es also, wo Kardinal Agagianian „der Kirche noch große Dienste leisten“ soll. Er hat jetzt genau das Alter, in dem Eugenio Pacelli den Papstthron bestieg. Manche glauben, daß auch der armenische Patriarch einst zu noch höheren Diensten berufen werden wird.

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