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Ein weltgeschichtlicher Akt

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Die Zeit um die Jahreswende war so sehr von den Begebenheiten, die an die Konferenz der Drei in Moskau und die erreichte Verständigung anknüpften, überschattet, daß die große Öffentlichkeit kaum Zeit fand, die Bedeutung eines welthistorischen Geschehens zu ermessen, das außerhalb der gesäuberten Minenfelder der internationalen Politik in dem feierlichen Frieden der Weltkirche sich vollzog.

Unter den 32 Kirchenfürsten, die in dem zu Weihnachten abgehaltenen Geheimen Konsistorium durch Papst Pius XII. in das Kardinalskollegium berufen wurden, befinden sich 28 Nichtitaliener und unter diesen 24 Repräsentanten außereuropäischer Länder. Mit der neuen Zusammensetzung des Heiligen Kollegiums, das jetzt zum ersten Male die ihm gesetzte Vollzahl von Siebzig erreicht, gibt Papst Pius XII. diesem ältesten Ministerium der Erde eine Universalität von epochalem Ausmaße. In einer Zeit, da der Rassenwahn die Menschheit zu schänden und verkleidet als Wissenschaft, die Barbarei zur Staatseinrichtung zu erheben vermochte, geschieht es zum ersten Male, daß in den großen Areopag der Kirche, neben die vornehmsten Vertreter der abend- und morgenländischen Christenheit, ein Sohn aus dem Fünfhun-dertmillionenvolVe Chinas tritt, eine neue Personifikation der völkerverbindenden,meerweite Räume und Rassengesetze überbrückenden Macht der Kirche, die im Zeichen des Kreuzes, als Verkünderin der Versöhnung und friedlicher brüderlicher Völkergemeinschaft über den Erdkreis schreitet. Mit der Erhebung des apostolischen Vikars von Tsingtau, Thomas Tien, zum Kardinal der Kirche, führt Pius XII. geradlinig die großzügige vatikanische Weltpolitik fort, die sein Vorgänger durch die Weihe eingeborener Bischöfe für China eröffnet hatte. Es verdient vermerkt zu werden, daß den ersten chinesischen Kardinal der Kirche, der als Zwölfjähriger den Weg aus dem Heidentum zur Kirche gefunden hatte, mit Österreich die Zugehörigkeit zu der großen Ordensgemeinschaft verbindet, die in St. Gabriel bei Wien eine ihrer vornehmsten Pflanzstätten weltumfassenden missionarischen Geistes besitzt. — Zugleich mit dem Apostolischen Vikar von Tsingtau erhielt als erster Vertreter des armenischen Volkes der Patriarch von Cilicien Mgr. Agagianian Sitz und Stimme im obersten Rat der Kirche. Ebenso unzweideutig wie durch diese beiden Ernennungen sind durch Verteilung neuer Kardinalswürden an die westlichen Kontinente der obersten Kirchenverwaltung bedeutsame Merkmale aufgeprägt. Die Zahl der Karlin äle aus der Alten Welt ist von 6 auf 15 erhöht: In Kanada hat neben Quebec auch Toronto einen Träger des Kardinalpurpurs erhalten. In den Vereinigten Staaten sind fortan neben den Kirchenfürsten von Boston, New York, Philadelphia und Chicago auch jene von Detroit und St. Louis Mitglieder des hl. Kollegiums. In Brasilien tritt neben Rio de Janeiro auch San Paolo, neben Buenos Aires in Argentinien Rosario. Für Chile, Peru, Havanna, Cuba, Australien wurden zum ersten Male Kardinäle kreiert. In dem Stimmengewicht, das nunmehr den westlichen Kontinenten in dem obersten Rat der Kirche zukommt, spricht sich die große Veränderung aus, die sich in der Bedeutung der Neuen Welt innerhalb des Gesamtbildes der Erde vollzogen hat, für den weitschauenden Blick von vatikanischer Warte nicht aus der Schau weltlicher Interessen, sondern in der Wertung aktiver geistiger, dem Christentum entsprossener Kräfte.

Mit der nunmehrigen Zusammensetzung des Kardinalkollegiums tritt eine alte, wenn auch nicht ununterbrochene Tradition zurück, nach der die Mehrheit der italienischen Nation angehörte. Nunmehr sitzen in dem hohen Rat der Kirche neben 28 Italienern 42 Kardinäle anderer Nationalität. Man wird nie vergessen, welche glanzvolle Reihe großer Päpste das italienische Volk gerade nach der Beendigung der weltlichen Macht les Parntnms, in und nach einer kritischen Periode, da ein kultuikämpferischer Liberalismus sclion die Abdankung des Papsttum* vor der Staatsomnipotenz prophezeien zii können glaubt, der Kirche geschenkt hat, Doch diese italienische Mehrheit, die hohem Verdienste entspring, wir keift Privilegium! E ist etwas Imponierendes, daß dies eiri Papst, der selbst Italiener ist, mit einem großzügigen Akte bekundet, der minde* stens theoretisch für eine künftige Papstwahl alle Möglichkeiten freigibt. — Noch ist nicht alles angedeutet, was mit dieser Kardinalliste der oberste Hirt der Christenheit der Welt sagen wollte. Der Papst brachte mit diesem Ernennungsakte vor Europa und der ganzen Menschheit Dank und Ehrung den beiden heldenhaften Bischöfen von Münster und Berlin, die in den Jahren schwerster Heimsuchung de Katholiken Deutschlands und den Menschen weit über konfessionelle' und stsVatlich Grenzen hinaus, durch ihren unbeugsamen Bekennermut immer aufs neue Trost und Erhebung aus tiefster Gebeugtheit geschenkt. Und ebenso bezeugte der Papst Dank und Ehre den zu Kardinälen berufenen heroischen Führern des holländischen und spanischen Volkes.

Ober den Tumult der Welt erhebt sich in majestätischer Größe die Kirche. Sie, die in den Brandungen der Leidenschaften und in dem Lärm der Geschütze nie aufgehört hat, die Menschenrechte und die höchsten Ideale der Menschheit zu verteidigen und die Geister zu den sittlichen Fundamenten eines dauerhaften Friedens hinzulenken. Neben den „Verband der Vereinten Nationen“ tritt sie als die Patronin und unentbehrliche Helferin des Völkerfriedens, frei von den Schwächen und der Vergänglichkeit weltlicher Macht.

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