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Zwischen Rom und Warschau

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„Man muß ein .gelernter Pole' sein“, sagte vor einiger Zeit ein in Warschau beglaubigter fremder Diplomat zu einem ihn besuchenden hervorragenden Landsmann, „um die Dinge hierzulande und vor allem die Lage der Kirche zu verstehen. Sonst steht man ratlos vor einem Nebeneinander von Tatsachen, die einander völlig widersprechen.“ Zum Glück für die polnischen Katholiken bringt man ihrer eigenartigen Situation gerade an der für sie wichtigsten auswärtigen Stelle das größte, liebevolle Verständnis entgegen, nämlich im Vatikan: bei Johannes XXIII. selbst und in d e n Kreisen des Heiligen Kollegiums, als deren repräsentative Gestalt der Mailänder Erzbischof Montini gilt. In der diesem nahestehenden Zeitung „Italia“ schrieb der führende katholische Publizist Fabbri aus Anlaß der jüngsten Romfahrt Kardinal Wyszynskis, man müsse das „polnische Experiment“ mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgen, sei es doch die Probe auf das schwierige Exempel, ob die katholische Kirche in einem kommunistisch gelenkten Staat leben, wirken und nicht nur vegetieren könne.

Nun ist diese Frage vielleicht nicht ganz richtig formuliert. Denn Polen ist, im Gegensatz zu anderen volksdemokratischen Ländern, zwar ein von Kommunisten regiertes, doch beileibe kein kommunistisches Land. Im Gegenteil, es ist bis heute in einem Grade christlich katholisch geblieben, wie nur wenige andere große Staaten. Und dem tragen die Warschauer Machthaber soweit Rechnung, als sie nicht zwei stärkeren Gegenströmungen gehorchen müssen: antireligiösen und vordringlich antikatholischen. Befehlen aus Moskau und dem Grollen kirchenfeindlicher Intellektueller in Polen selbst, die durchaus nicht alle in den Reihen der Parteikommunisten zu suchen sind. Sieht man von diesen beiden Hemmnissen ab, dann trachten die polnischen Staatslenker mit der Kirche auszukommen und die eine gewaltige Mehrheit bildenden Massen der Gläubigen nicht aufzureizen: und zwar die einen aus rein taktischen Gründen, die anderen beseelt von der überlieferten polnischen Toleranz. Hält man sich das alles vor Augen, dann werden die Begleiterscheinungen und der Nachhall der Reise des Primas ad 1 i m i n a weniger paradox wirken.

Kardinal Wyszynski hat am 14. Februar Warschau in Begleitung eines kleinen Gefolges verlassen. In einem sowjetischen Sonderschlafwagen, dessen Personal sich vor Artigkeit gar nicht auskannte. In Wien machte der Erzbischof, wie üblich, halt und verbrachte einige Stunden in Gesellschaft des Oberhirten und des Nuntius. Bei der Ankunft in der Ewigen Stadt gab es „großen Bahnhof“. Erzbischof dell'Acqua, nach Staatssekretär Cico-gnani der wichtigste Mann der päpstlichen Diplomatie, der Privatsekretär des Papstes, aber auch der Botschafter Volkspolens Willmann und zugleich der oberste Seelsorger der durchweg antikommunistischen Auslandpolen, Erzbischof Gawlina, erwarteten den Primas. Während dessen gesamten Aufenthalts in Rom wurde er mit Ehrungen überschüttet. Der Papst empfing ihn dreimal, zusammen drei Stunden lang. Bei der zweiten dieser Audienzen lud der Heilige Vater Kardinal Wyszytii<ski an seine Seite, als Johannes XXIII. der auf dem Petersplatz versammelten Menge den Segen erteilte, eine Auszeichnung, für die es kein zweites Beispiel gibt und deren Wert man an den Maßstäben des aufs Protokoll so sehr bedachten vatikanischen Zeremoniells ermessen mag. Der Kardinal führte Dutzende von Gesprächen mit vatikanischen Würdenträgern, nahm an Sitzungen der Konzilskommissionen teil und bekam für seine weise Leitung der polnischen Kirche das größte Lob zu hören. Er ist auch nicht mit leeren Händen abgereist. Dem Breslauer Oberhirten Boleslaw K o m i n e k wurde die erzbischöfliche Würde zuerkannt, ihm selbst wurden drei neue Weihbischöfe beigegeben. Das Verhalten gegenüber der weltlichen Gewalt Polens fand die Billigung am höchsten Orte. Liegen diese Angelegenheiten auf rein religiösem Gebiet, so darf auch die politische Bedeutung des Besuchs Wyszynskis nicht unterschätzt werden. Er hat seine Fahrt selbstverständlich in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der polnischen Kirche unternommen, aber zweifellos nicht ohne Billigung der polnischen Regierung, die das durch die demonstrative Anwesenheit des polnischen Botschafters in Italien, Willmann, sowohl bei der Ankunft als auch bei der Abreise des Kardinals, bekundete. Dieser hat dem polnischen Botschafter am 23. Februar seinerseits einen Besuch abgestattet und es dürfte auch sonst kaum an Kontakten mit ihm gefehlt haben.

Vielleicht noch interessanter sind Unterredungen Kardinal Wyszynskis in Rom mit anderen, weitab vom Kommunismus und vom Ostblock einzuordnenden Persönlichkeiten gewesen. Wir nennen in erster Linie Mitglieder des Kardinalskollegiums, darunter den vorerwähnten Mailänder Erzbischof Montini, dann aus der polnischen Emigration Erzbischof Gawlina und endlich eine Delegation der dem Warschauer Regime heftig feindlichen Amerikapolen, mit denen trotzdem eine Massenteilnahme an der Milleniumsfeier der polnischen Kirche (und des polnischen Staats), in den kommenden Gedenkjahren 1963 bis 1966 verabredet wurde. Endlich hat der Primas auch mit deutschen kirchlichen Persönlichkeiten ersten Ranges sich unterhalten. Mit allen diesen Bemühungen, denen wir noch weitere anfügen könnten, hat der Kardinal seinem Lande gewiß sehr wertvolle Dienste erwiesen und man begegnet ihm dafür mit betonter Höflichkeit. Und dennoch ... Nun zur anderen Seite der Medaille.

Wenige Tage nach seiner Rückkehr versammelte der Primas die polnischen Bischöfe zur Beratung über die Ergebnisse seines römischen Aufenthaltes und über die Fragen, die nicht zuletzt den Gegenstand seines Berichts im Vatikan gebildet hatten. Während der Kardinal und der Episkopat die Außenpolitik der polnischen Regierung durchaus unterstützen und obzwar sie jeden Konflikt mit den weltlichen Machthabern zu vermeiden trachten, können und wollen sie nicht in den Punkten zurückweichen, wo dies durch unveränderliche Grundsätze der Kirche verwehrt wird. Folgende Beschwerdepunkte hat die Hierarchie anzumelden:

• Schikanöse Kontrolle des (außerhalb der Schulgebäude erteilten) Religionsunterrichts.

• Dem abgeschlossenen Modus vivendi widersprechende Verdrängung der Geistlichen aus den Spitälern, wodurch eine regelmäßige Seelsorge für die Kranken unmöglich wird.

• Verhinderung oder Erschwerung des Abhaltens von Prozessionen und Wallfahrten.

• Verbot religiöser Organisationen außerhalb der dem Kultus gewidmeten Gebäude.

• Unterbinden jeder Tätigkeit von Priestern an den Schulen.

• Unmäßige Besteuerung der ohnedies ihres Vermögens beraubten Kirche, der Klöster und Pfarreien durch den Fiskus.

Diese Beschwerden sind in einem Memorandum zusammengefaßt, das der Primas dem Vorsitzenden („Marschall“) des Reichstages (Sejm) übermittelte und darin auch die Einsetzung einer Kommission zur Prüfung dieser Klagen verlangt wurde. Schon im vorigen Dezember hatte Wyszynski den Sejmmarschall Wycech vergebens um eine derartige Untersuchung gebeten. Statt eines befriedigenden Bescheids wurde im Parlament ein Gesetzentwurf angenommen, der die bisher von derlei Formalitäten freien öffentlichen Prozessionen und Wallfahrten bei Strafe verbot, wenn sie nicht mindestens eine Woche zuvor bei der zuständigen Verwaltungsbehörde angemeldet und von ihr genehmigt worden waren. Im Sejm waren nur die vier dem Primas nahestehenden Abgeordneten der katholischen Gruppe „Znak“ gegen dieses Gesetz aufgetreten; deren Sprecher, Universitätsprofessor Graf Lubienski, hatte mit flammender Beredsamkeit dagegen protestiert. Die sonst mit den Kommunisten kollaborierenden „Pax“-Leute enthielten sich der Stimme.

Die Kommunisten spielten die Beleidigten: sei denn die Kirche nicht in ihrer Kultausübung frei, nämlich innerhalb der Gotteshäuser? Die neueste

Taktik des polnischen Regimes besteht darin, daß man den Katholiken den Schwarzen Peter zuschiebt und behauptet, s i e wollten die ausgestreckte Hand nicht ergreifen. Sehr lehrreich dafür war eine Artikelserie, die der Sonderkorrespondent der besten polnischen Tageszeitung, „Zycie Warsza-wy“, über das kommende Konzil veröffentlichte. Die Person dieses Publizisten ist wiederum ein polnisches „Spezifikum“: Namensvetter des berühmten polnischen Rokokodichters und Erzbischof-Primas Ignacy Kra-sicki, entstammt er, gleich diesem, dem bekannten gräflichen Geschlecht. Kra-sicki also bedauert, daß im Vatikan, im Kardinalskollegium und wohl auch im künftigen Konzil nicht genug Einsicht in die Notwendigkeit vorhanden sei, sich mit dem Kommunismus zu verständigen. Wäre die Sache nicht so ernst, so möchte man an die abstruse Kurzgeschichte Guillaume Apollinaires denken, in der ein geisteskrank gewordener Priester den Papst beschwört, ex cathedra, den Atheismus als Dogma zu verkünden ...

Doch hinter diesen Klagen und Anklagen verbirgt sich wieder etwas ganz anderes: man getraut sich nicht, offen für eine wirkliche Verständigung mit der Kirche einzutreten, die von vielen polnischen kommunistischen Führern und von der Mehrheit des Parteivolks gewünscht wird — Moskau hört mit, und was werden die Parteidoktrinäre dazu sagen? — und bemüht sich, vorsichtig das Terrain für eine erträgliche Symbiose vorzubereiten. Unserer Ansicht nach mit ungeeigneten Mitteln. Denn bei allem Friedenswillen und bei allem polnischen Patriotismus des Kardinals und der Bischöfe ist es schwer, zu einem gedeihlichen Nebeneinander oder gar Miteinander zu kommen, wenn nicht die Kommunisten ihre kämpferische Glaubensfeindschaft aufgeben. Und dazu sind sie nicht imstande. Denn von ihnen darf man wie von ihren Antipoden, den Jesuiten, erklären: „Sint ut sunt aut non sint!“ Was zwar, soweit das den Kommunismus als Lehre und Gesellschaftsgrundlage betrifft, bei der Mehrheit der Polen ohne Tränen hingenommen würde, doch den Anhängern dieser Doktrin kaum zugemutet werden kann.

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