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Um Polens Seele

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Die Krise zwischen Kirche und Staat ist in den letzten Wochen an einem neuen gefährlichen Höhepunkt angelangt. Während noch im Jänner die wohl — oder übel — bekannten Steine des Anstoßes: Jugenderziehung, Religionsunterricht, „freiwillige Mutterschaft”, im Vordergrund beharrt hatten, was aus dem erst spät, im Ausland, veröffentlichten Rundschreiben der Hierarchie an die Geistlichkeit vom 12. Jänner hervorgeht, verschiebt sich jetzt der Konflikt an zwei andere neuralgische Punkte. Die Bischöfe wenden sich gegen die unheimliche Proportionen annehmende, von amtlicher Seite mit Hochdruck geförderte atheistische Propaganda. Gegen die nicht nur von Kommunisten, sondern auch von „Liberalen” betriebene „wissenschaftliche” Unterminierung aller Grundlagen des Glaubens, gegen die durch raffinierte, künstlerisch ungemein hochstehende Filme und Bücher verursachte Erschütterung des religiösen Empfindens. Der Episkopat schreitet ferner energisch gegen die etwa fünf Prozent der Gesamtheit umfassende Organisation von Priestern ein, die aus Ehrgeiz, aus Furcht, aus abirrendem Idealismus oder aus bloßer Dummheit den herrschenden Menschen eher gehorchen als den kirchlichen Oberen, auch dann, wenn es sich um entscheidende Fragen und Methoden handelt. Wir haben bereits erwähnt, daß die „Caritas” von Zawadzki demonstrativ ausgezeichnet und belobt wurde. Als einer der Lenker dieser Vereinigung, Professor Prälat Huet, vorzeitig — am 14. März —, nicht zuletzt an den Aufregungen der letzten Monate, starb, wurde das Anlaß, um ihn in der gleichgeschalteten Presse als beispielhaftes Muster eines patriotischen Klerikers zu rühmen. Beim Leichenbegängnis Huets war kein Mitglied der Hierarchie zugegen. Wenige Tage später mußten sich die Leiter der „Caritas” einem ultimativen Gebot des Kardinals fügen und ihre Organisationen auflösen, wollten sie sich nicht offen gegen den Primas auflehnen.

Mal schon am Folgetag in einer Predigt geantwortet und mit einer bisher nicht beobachteten Schärfe den Umfang des Kampfes wider die Kirche geschildert. Nichts fehlte dabei, weder die bösartigen Bücher, Filme und Zeitungsartikel noch die Umgarnung der Jugend in den Schulen noch der letzte Urgrund, der eigentliche dieses Feldzugs: Gotteshaß und. Gottesleugnung. Wenn man die Kirche der Auflehnung gegen den Volksstaat beschuldige, so erklärte der Primas stolz und tapfer: die Kirche ist ein ewiger Rebell, doch nur gegen die Unterdrückung der Freiheit, sie geschehe im Namen dieser oder jener Ideologie. Dieses Thema bildete ein zweites Mal den Mittelpunkt einer Predigt des Kardinals am Palmsonntag.

Großangriff der Presse

Inzwischen ist nach einer Schonfrist die gesamte gleichgeschaltete Presse .Polens zum Propagandakrieg gegen die Hierarchie losgelassen worden. Bei alldem darf man einen sehr irdischen innenpolitischen Nebenaspekt des polnischen Kulturkampfes nicht übersehen. Die Sejmwahlen sind vor der Tür. Vor vier Jahren hat sich der Episkopat, unter der Nachwirkung des Oktoberumschwungs von 1956 und unter dem frischen Eindruck einer Verständigung mit Gomulka und mit dessen Equipe, aktiv und warm für die Einheitskandidatenliste des Regimes ausgesprochen. Heuer ist davon keine Rede. Die Kommunistenführer meinten, auf die Kirche keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen, befürchten aber nun, da sich das Klima zwischen Staat und Kirche so sehr erhitzt hat, wenn nicht eine — unmögliche — Abstimmungsniederlage, so doch eine beträchtliche Wahlabstinenz, falls der Episkopat, darin vom Klerus gefolgt, unter der Hand das Fernbleiben von den Urnen anraten sollte. Deshalb bemüht man sich, die Hierarchie von der niederen Geistlichkeit zu trennen, diese von aktiver Gegenpropaganda abzuhalten und katholische Laien,:, in den ‘männigfächMen Abschaffungen, p6sitiV’ ter’?die Einheitsliste werben zu lassen. Daß diese Werbung in der „Pax”-Presse ausgiebig geschieht, ist kein Wunder. Man muß die ,,Kie- runki” (das Hochintelligenz-Wochen- blatt) oder gar den volkstümlichen „Wroclawski Tygodnik Katolikow” und darin etwa den Artikel von Zbigniew Czajkowski („Die Plattform der Entwicklung”) oder den Aufruf „Unsere Stimme für die Liste der Nationalen Einheitsfront” gelesen haben, um das dabei angewandte Maß von Sophismus, Liebedienerei und Demagogie zu erfassen.

Eine katholische Stimme

Da klingt die Darlegung Stommäs im „Tygodnik Powszechny” ganz anders: nüchtern, frei von Selbsttäuschung und vom Zerreden unüberbrückbarer Gegensätze. Warum er überhaupt in den Sejm kandidiere, beginnt er seinen „Brief an die Wähler”, da doch weder er noch die paar anderen katholischen Abgeordneten den leisesten Einfluß auf die Beschlüsse de Sejm hatten, haben oder haben werden, der seinerseits auch nicht viel zu sagen und höchstens viel zu reden hat? Antwort: Im Reichstag besitze die christliche Weltanschauung eine letzte, allgemein sichtbare und hörbare Tribüne, und der einzelne Abgeordnete könne durch Interventionen bei den obersten Behörden in einzelnen Fällen Ungerechtigkeiten beseitigen. Es sei sodann Pflicht der polnischen Katholiken, sogar im engsten ihnen gezogenen Rahmen, beim Aufbau Polens mitzuwirken. Die sozialistische Staatsund Gesellschaftsordnung in Polen sei eine Tatsache, die auf lange Zukunft hinaus nicht geändert werden kann. Die Marxisten trachten, ihrer Weltanschauung den völligen Sieg zu erringen. Dem die katholische Weltanschauung gegenüberzustellen, soweit und solange dies möglich ist, bewege die katholischen Volksvertreter, ihre schwierige Aufgabe zu leisten, dabei sowohl opportunistische Anpassung als auch starre Negation vermeidend. Wesentlich sei nicht die Bindung an eine zeigebundene Gesellschaftsordnung, sondern das Bewahren der zeitlosen, ewigen Werte und Wahrheiten. Diesen aber das Überdauern zu verbürgen oder auch nur zu erleichtern, sei bedingt durch Anwesenheit in einer vorhandenen Wirklichkeit, keineswegs durch Beiseitestehen und innere Emigration.

Über derlei Ar gumente, . läßt,ch reden. Es genügt freilich nicht, daß die Katholiken mit dabei sein wollen und ihre so schwache Stimme erheben; die anderen müßten derlei Mitarbeit, ohne falsche Anklagen und ohne geständige Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Hierarchie, akzeptieren.

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