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Kulissenwechsel in Warschau

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Die Lenker der polnischen Volksdemokratie haben es in diesem Winter nicht leicht. Arge und vielfältige Sorgen lasten auf ihnen. Daran trägt nicht nur die gespannte internationale Lage schuld, die dem Lande gesteigerte Gefahren und das schnelle Wiederanziehen ein wenig gelockerter Zügel verhängt, sondern auch eine innere Krise, die bald durch Vorgänge im Schöße der nach außen einheitlichen, doch von Machtkämpfen einzelner Gruppen zerrütteten PZPR, bald durch die Opposition starker Widerstandszentren, vornehmlich in der Bauernschaft, hervorgerufen worden sind.

Die Verschlechterung der europäischen Situation, die in Polen nicht nur von den Kommunisten mit panischem Schrecken verfolgten Vorbereitungen zu einer deutschen Wiederaufrüstung haben, geschürt durch kräftige Propaganda der amtlichen Stellen, eine Art von Fieberzustand erzeugt, in dem die mannigfachsten Faktoren, darunter auch der Klerus, die Hochschulprofessoren, die Schriftsteller und natürlich das Scheinparlament, bemüht sind, durch verzweifelte Appelle ans Ausland, nicht zuletzt an die Deutschen, und zwar keineswegs allein an die der Ostzone, die Ratifizierung oder wenigstens das praktische Inslebentreten der Pariser Verträge zu verhindern. Diese Aktionen vollziehen sich im Licht des politischen Tages, doch eine zweite Besorgnis vermag sich nur unterirdisch zu äußern, daß nämlich im Verlauf des sowjetischen Werbens um Deutschland Moskau plötzlich eine Revision der Oder-Neiße-Linie verfügen könnte.

Eine Folge der in diesen Wochen obwalten-tlen Spannungen ist es, daß die gesamte Wirtschaft immer mehr auf Rüstungsproduktion umgestellt wird, daß die schüchternen Ansätze zu einer besseren Befriedigung der Bedürfnisse der Einwohner wieder verschwinden;* daß die Schwerindustrie und die sonstigen wehrwichtigen Produktionszweige voranstehen. Konferenzen mit ostdeutschen und tschechoslowakischen Machthabern wurden abgehalten, um die Aufrüstung in diesen drei Ländern aufeinander abzustimmen. Das sogenannte Oderbaß entwickelt sich zu einer riesigen Waffenschmiede und Rohstoffzentrale. Das Vorhaben für das laufende letzte Jahr des polnischen Sechsjahrplans wird geändert und der heutigen Sachlage angepaßt\md, was hervorgehoben werden muß. die Allgemeinheit wird davon demonstrativ unterrichtet.

Diese Umstellung bildete einen der drei bekanntgegebenen Hauptpunkte der Beratungen auf der dritten Plenartagung des Zentralkomitees der PZPR (der regierenden Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei), die in der dritten Jännerdekade zu Warschau stattfand. Derlei Zusammenkünfte des Parteiparlaments sind selten und sie geschehen nur aus wichtigsten Anlässen. Bierut, der Erste Parteisekretär und noch immer, wie seit über einem Jahrzehnt, der führende Kommunist seiner Heimat, der „ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht“, hielt auf diesem Kongreß eines seiner langwierigen Referate, das im Druck 26 Spalten, rund 2000 Druckzeilen, der Warschauer Zeitungen füllte. An dieser Programmrede ist zunächst bemerkenswert, daß in ihr nicht ein einziges Mal der Name Stalins genannt wird, der sonst stets in Huldigungen zum Zeugen angerufen wurde. Dafür ist Lenin hoch in Ehren, dessen Grundprinzip, die kollektive Leitung der Partei und des Staates, als erster Hauptpunkt im Referat Bieruts erscheint. Das Moskauer Schlagwort wird hier in Polen um so nach-| drücklicher betont, je weniger es da bisher praktische Geltung gewonnen hat. Zum Zeichen seiner energischen Anwendung ist das Parteisekretariat, dem neben dem dreizehnköpfigen Politbüro die eigentliche Gewalt im Lande, eignet, von drei auf fünf Mitglieder erweitert.) Bemerkenswert ist, daß die beiden Neu-, berufenen, Matwin und Jerzy Morawski, die | außerhalb Polens völlig und dort beinahe un-i bekannt sind, nicht dem Politbüro angehören, | daß sie vielmehr aus dem Kreis der 77 Mit-i glieder des Zentralkomitees'auserkoren wurden. | Beide sind noch jung und haben in der Jugendbewegung, die nach dem Parteiparlament ihre Tagung zu Warschau abhält, eine große Rolle gespielt. Man hat das klare Gefühl, daß überhaupt dem Politbüro durch das Parteisekretariat ein Gegengewicht geboten werden soll. Es darf nicht vergessen werden,, daß sich unter den dreizehn des Politbüros mehrere Mitglieder befinden',, deren Stern,, wie; der Radkiewiczs,, er-1 blaßt ist.

Damit streifen wir schon das zweite Haupt-1 thema der Parteitagung, die Säuberung iml Staatssicherheitsdienst, der „Bezpieka“. Die mit] tönenden Worten verkündete Version dieses' Vorganges lautet bei Bierut: Da der Klassen-1 kämpf zwar noch immer, ja sogar verstärkt! fortdauere, sei weitere Wachsamkeit nötig. Die,

Macht des Regimes sei indessen schon so fest begründet, daß gegen die Ueberreste der früher herrschenden Klassen nicht mehr die strengen Repressivmethoden der ersten Jahre geboten seien; nun gelte es zu erziehen und zu überzeugen, statt Härte anzuwenden. Vom MBP — dem Sicherheitsministerium — seien aber nicht nur falsche und veraltete Maßnahmen verfügt worden, sondern auch, man denke, Verletzungen der volksdemokratischen Legalität. Dafür sei die. Leitung dieser Amtsstelle verantwortlich. Die entsprechenden Sanktionen seien erfolgt. Ursache des mangelhaften Funktionierens des Sicherheitsapparates seien dessen Loslösung von der Partei, das ehrgeizige Streben, eine Art Staat im Staat beziehungsweise Parteibehörde innerhalb der Partei zu bilden.

Wie erinnerlich, ist Anfang Dezember 1954 die Absetzung des Sicherheitsministers Rad-kiewiez bekanntgegeben' worden, der zunächst auf einen minder wichtigen Ministerposten, als Verwalter der Staatsgüter, abgeschoben wurde. Wie jedoch seither ruchbar wurde, ist es seinen engsten Mitarbeitern viel übler ergangen. Der Vizeminister Romkowski, Ministerialdirektor Fejgin und die grau-gräuliche Eminenz der politischen Partei, der zeitweilig allmächtige „General“ Rozanski, sind aus der PZPR ausgeschlossen, der Letztgenannte ist verhaftet worden und harrt eines Schicksals, das kaum anders als das seines ihm durch Abkunft und Art gleichen ungarischen Amtsgenossen Peter sein dürfte. Rozanski, der ursprünglich einen andern Namen trug, stammt aus wohlhabender jüdischer Intellektuellenfamifie Lembergs. Er ist der Bruder des vor einigen Jahren in Partei-, Ungnade verstorbenen genialischen Organisators und Diktators der Literatur und des Zeitungswesens, Jerzy Borejsza. Das Vorgehen gegen die bisherigen Chefs der Bezpieka ist selbstverständlich auf Moskauer Initiative zurückzuführen, ähnlich wie das parallele in Ungarn. Die einst mit Berija verknüpften lokalen Polizeigewaltigen müssen nun daran glauben. Daß ihr Los von der Allgemeinheit, doch auch vom kommunistischen Parteivolk mit Wonne begTüßt wird, ist angesichts der Uebergriffe der Sbirren begreiflich.

Die Opferung dieser höchst übel duftenden Sündenböcke gehört in das neue Programm des Ostblocks, das man keineswegs als bloße Rückkehr zum Stalinismus vereinfachen soll. Die volksdemokratische, kommunistische Legalität, das kollektive Leitungsprinzip und endlich ein gesteigertes Werben um die Parteilosen und speziell um die Intelligenz, den Klerus inbegriffen, unterscheiden den jetzigen Kurs von dem der letzten Stalinschen Aera. Verschärfung ist lediglich und allerdings auf dem gesamten Wirtschaftssektor eingetreten, wo die militärischen Bedürfnisse wieder in den Vordergrund geschoben werden. Bei genauerem Zusehen erweisen sich ja auch die Milderung der Polizeischikanen und das Trachten nach Schaffung einer wirklichen nationalen Einheitsfront, die nicht nur auf dem Papier steht, als Vorbereitung auf Krisenzeiten, um nicht zu sagen,auf Kriegszeiten. Und die nie erlahmende lärmende Friedenspropaganda gehört nicht minder in diese Kategorie. Wir wollen nicht die polnischen und die andern östlichen Machthaber beschuldigen, daß sie, um ein Sprichwort zu .variieren, den Frieden vorbereiten, weil sie den Krieg wollen. Feststeht dagegen, daß sie ununterbrochen vom Frieden reden und bei den eigenen Massen wie bei der Elite den Glauben an den Friedenswillen der eigenen Staatslenker verbreiten, weil man für den Kriegsfall und schon jetzt, für die Rüstungen und für den diplomatischen Kampf im kalten Krieg, die moralische Ausgangsposition des von bösen Nachbarn im friedlichen Dasein Bedrohten erringen möchte.

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