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Das Schattendasein der polnischen KP

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Die Reformbewegung des „polnischen Sommers" hatte auch die KP Polens erfaßt - was heute meist schon vergessen ist, weil die „Solidarität" untergegangen ist. Was ist davon eigentlich geblieben und welche Rolle spielt die Partei im Lande General Jaruzelskis heute?

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Die Reformbewegung des „polnischen Sommers" hatte auch die KP Polens erfaßt - was heute meist schon vergessen ist, weil die „Solidarität" untergegangen ist. Was ist davon eigentlich geblieben und welche Rolle spielt die Partei im Lande General Jaruzelskis heute?

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Die „Polnische Vereinigte Arbeiterpartei", wie sich die Kommunisten im Land an der Weichsel nennen, führt nach wie vor nur ein Schattendasein. Erst dreimal seit der Verhängung des Kriegsrechtes am 13. Dezember 1981 hat es eine Vollsitzung des Zentralkomitees gegeben, wobei die erste einen eher demonstrativen Charakter hatte, um nach innen und außen hin zu zeigen, daß angeblich die „führende Kraft im Staat und in der Gesellschaft" überhaupt noch existiert.

Die im April stattgefundene zweite Sitzung wurde zwar als „ein wichtiges Ereignis im Parteileben" qualifiziert, produzierte aber nur ein rein deklaratives ideologisches Programm.

Erst die dritte ZK-Sitzung Mitte Juli, die sich mit Jugendproblemen befaßte, brachte auch große

personelle Umschichtungen in den Führungsgremien: Zu liberale ZK-Sekretäre oder Politbüromitglieder wurden entlassen oder stiegen politisch ab, Gefolgsleute Jaruzelskis nahmen ihre Posten ein.

Abgesehen vom Faktum der ZK-Sitzung, das darauf hindeutet, daß die Partei langsam und schwerfällig wieder Tritt zu fassen versucht, stellt sich aber gerade angesichts der personellen Rochaden die Frage, was denn eigentlich von der „Demokratisierung" der KP geblieben ist, die sich formell auf dem außerordentlichen Parteitag im Juli 1981 vollzogen hat.

Die Art und Weise, wie Parteichef Jaruzelski sich zuvor in Dan-zig, Posen, Krakau, Kattowitz usw. sich der entweder zu liberalen oder zu dogmatischen örtlichen Parteifunktionäre entledigt und auch die jüngsten Umbeset-zungen in ZK-Sekretariat und Politbüro verraten ganz deutlich den autoritären Stil wie er in allen Kommunistischen Parteien im Warschauer Pakt vom Ersten Sekretär gehandhabt wird: Es ist die Praxis der „Vasallen" und ihrer Erhebung oder Demontage, wie sie der Sowjetexperte Vozlensky in seinem Standardwerk „Nomenklatura" beschrieben hat.

Nichts ist mehr von jener „Demokratisierung" in Polen zu spüren, die auch in der KP nach den Danziger Tagen zu grünen begann.

Zwar ist im „Reform-Parteiprogramm" von 1981 weiterhin

der „demokratische Zentralismus" als grundlegendes Organisationsprinzip der polnischen KP festgehalten. Doch wurde auch festgelegt im neuen Statut, „daß die Wahl aller leitenden Parteiorgane in geheimer Abstimmung erfolgen soll, wobei die Zahl der Kandidaten höher sein muß als die Zahl der zu wählenden Mandatsträger".

Bei all den Umbesetzungen und Revirements, die Jaruzelski bisher durchgeführt hat, ist ganz offensichtlich gegen diese Bestimmung verstoßen worden.

Es ist jedenfalls nicht bekannt, daß etwa der dogmatische Partei-

chef von Warschau, Kociolek, in demokratischer Weise abgewählt wurde, noch daß sein Nachfolger Marian Wozniak sich gegen mehrere Kandidaten durchsetzte. Bei Kociolek ließe sich immerhin noch einwenden, daß er „freiwillig" (wirklich?) seinen Rücktritt anbot. Aber Wozniak kam sicherlich entgegen den Statuten in sein neues Amt.

Dies ist nur ein Beispiel. Allgemein läßt sich wohl dem zustimmen, was die jugoslawische Nachrichtenagentur Tanjug in einem Korrespondentenbericht aus Warschau so formulierte: „Es gibt eine gewisse Diskrepanz zwischen den Beschlüssen des Sonderparteitages und der aktuellen Aktivität der Partei."

Rückblickend wird man sich überhaupt der Wertung des westdeutschen Politologen Siegfried Lammich anschließen müssen, der meint:

„Bei einer genauen Analyse des Inhalts des neuen Statuts wird man die ihm einst von offizieller Seite zugeschriebene Absicherung der innerparteilichen Demokratie als recht übertrieben bewerten müssen. Es gibt in diesem Statut eine Reihe unpräziser Formulierungen, die verschiedene Interpretationen zulassen, und zwar auch in Fragen, die zur effektiven Sicherung der innerparteilichen Demokratie eine Eindeutigkeit erforderten." •

Was in der polnischen KP vor sich geht, ist eine Demontage der bescheidenen demokratischen

Errungenschaften der Reformperiode und am Wort des Vize-Vorsitzenden der Zentralen Kontrollkommission der KP, Nowicki, darf gezweifelt werden: „Das Kriegsrecht hat das Parteistatut nicht außer Kraft gesetzt. Deshalb setzen wir unsere Arbeit fort, die darauf gerichtet ist, die ideologische und politische und organisatorische Einheit zu festigen."

In der Praxis bedeutet dies nach klassisch stalinistischem Muster eine grundlegende „Säuberung".

Seit dem August 1980 wurde die KP im Land an der Weichsel (drei Millionen Mitglieder) um das Zehnfache verringert. Vor allem Arbeiter gaben die Parteibücher zurück. Neben den Parteiaustritten (amtlich hieß es dazu Ende Juni, dies seien Leute, die entweder immer schon gleichgültig waren oder Panik und Hysterie zeigten) gab es aber auch von „oben" befohlene Säuberungen.

Legitimitätskrise

Allein im April und Mai dieses Jahres wurden 47.000 Mitglieder ausgeschlossen. 20.000 deswegen, weil sie sich für das Parteileben nicht interessierten, die Disziplin verletzten oder ihren grundlegenden Verpflichtungen nicht nachkamen. Der Rest ging aus anderen Gründen oder „wurde gegangen".

Der Zuwachs hingegen ist äußerst bescheiden: Seit dem 13. Dezember suchten nur 3000 Personen (40 Prozent davon Arbeiter) um Aufnahme in die Partei an und sind daher gegenwärtig nur „Kandidaten".

Leitmotto bleibt, was Politbüromitglied Albin Siwak im Februar in Köslin so formuliert hat: „Die Partei muß gesäubert werden von allen feindlichen Einflüssen, von Schmarotzern und unpassionierten Leuten. Dieser Prozeß muß durchgreifen von den Graswurzeln bis zur Spitze."

Es soll also umgepflügt werden - wie nach 1968 in der CSSR.

Zweimal' in der polnischen Nachkriegsgeschichte sind die Partei und das Land durch die Autorität von einzelnen Persönlichkeiten über schwere Krisen hinweggekommen: 1956 war es Gomulka, 1970 Gierek. Durch das ihnen zugesprochene Charisma haben sie sogar teilweise freiwillige Zustimmung und Anerkennung gefunden. Beide Male hatte davon auch die Partei profitiert.

Noch läßt sich kein endgültiges Urteil fällen — aber Jaruzelski konnte diesen Effekt bisher nicht erzielen. Die Partei ist derzeit noch immer ein machtloses Schattengewächs, das ohne die Macht, die aus den Mündungen der Gewehre kommt, verdorren müßte.

So viel scheint jedenfalls heute schon sicher: Die polnischen Kommunisten haben bisher nie langfristig und dauerhaft das Vertrauen ihres Volkes gewinnen können und stecken in einer Legitimitätskrise, die nur mühsam durch historische Ansprüche und geopolitische Bedingtheiten überspielt werden kann. Sie waren und sind immer auf fremde Hilfe angewiesen.

Das Verhältnis der polnischen Kommunisten zu ihrem Vaterland ist — soweit nicht von Zynismus und Opportunismus geprägt t- bestenfalls ein unglückliches gewesen. Den Undank des Vaterlandes verdienen sie zu Recht.

• Zitat aus: POLEN - DAS ENDE DER ERNEUERUNG. Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur im Wandel. Beck'sche Schwarze Reihe, C.H. Beck Verlag, München 1982. 240 Seiten, TB, öS 150,50

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