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Reform! Aber wie?

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ern der ersten Regierungspartei — ihre Aufmerksamkeit und ihr Vertrauen bei der Bewältigung des großen Werkes schenken, genau so, wie vielleicht von jenen, denen sie letzteres kaum zuteil werden lassen können.

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ern der ersten Regierungspartei — ihre Aufmerksamkeit und ihr Vertrauen bei der Bewältigung des großen Werkes schenken, genau so, wie vielleicht von jenen, denen sie letzteres kaum zuteil werden lassen können.

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Die sogenannte OeVP-Reform, Wunschziel wie Versuch beim nächsten Bundesparteitag, kann nicht als eine Reparatur verstanden werden, nicht als eine Wiederherstellung der „guten alten“ OeVP, sondern als Bemühen, etwas völlig Neues zu schaffen.

Als Ganzes war die OeVP vom Tag ihrer Gründung an ein Provisorium. Diese Tatsache wurde dadurch überdeckt, daß die Bünde der Partei je für sich mit wachsender Intensität ihre Interessen vertraten und dabei jeweils als OeVP firmierten. Dazu kam noch die außerordentliche Situation von 1945, die den Massen offenkundigen Bemühungen der Partei beim Wiederaufbau und ihr gemeinsam mit den Sozialisten geleisteter heroischer Widerstand gegenüber dem von der Besatzungsmacht gestützten KP-Einfluß im Osten des Landes. Obwohl weniger beachtet, sollte es doch einmal angemerkt werden, daß es vor allem die westlichen Führer der OeVP waren, die durch ihre mutige Ueberwindung eines Länderpartikularismus über die Einheit der Partei die des Landes sicherten. Aus der besonderen Bedrohung der ersten Jahre wurde nun etwas geboren, das in seinem organisatorischen Gefüge den jeweiligen besonderen Ereignissen angepaßt war.

Die Organisation .Vin' aber über die Errichtung eines funktionierenden Apparats in den Zentren der größeren Städte und in den Großgemeinden kaum hinaus. „Unten“, in djn kleinen Gemeinden, in den Sprengein der Städte, in den Betrieben und jenseits der Parteien, im politischen Vorfeld, war die Partei nicht da. Nur zu Wahlzeiten konnte man auf Grund von Plakatspuren auf die Existenz der Partei schließen. Auf der anderen Seite wuchs die SPOe an organisatorischer Kraft und konnte beispielsweise in einem einzigen Werbemonat 54.000 neue Mitglieder gewinnen Die Mandatare der OeVP auf Bundes- und Landesebene waren dagegen überwiegend nur auf diesen Ebenen tätig, und das meist nur als Interessenagenten.

Die OeVP betont jedoch immer wieder und mit Nachdruck, daß sie nicht, wie es auf Grund der interessenbündischen Struktur den Anschein hat, lediglich eine Wirtschaftspartei sei, sondern gewillt ist, nach bestimmten geistigen Leitbildern zu handeln und diesen ihre Wirtschafts- und Sozialpolitik unterzuordnen. Die Gesamtpartei vermochte es jedoch nicht, sich ein' Programm zu geben, und brachte es nur zu „Richtlinien“. Wohl aber gab sich der OeAAB ein modernes und politisch offenes Programm, das jedem Sozialromantizismus gegenüber Distanz hielt, ein handfestes und österreichisches Programm war und die Partei in die Mitte verwies, sie also von „rechts“ hereinholte.

Das war so in den ersten Jahren. Was aber ist aus der Bindung an die Leitsätze von 1945 geworden? Wirtschaftsbund und Bauernbund hielten, was sie versprachen; nicht ganz so der OeAAB. Nicht der kleine Mann, der am „linken“ Flügel der Partei seine Position hielt, versagte. Wohl aber waren es viele Spitzenmandatare des OeAAB, die ihren Standort dort in der Partei suchten, wo ohnedies schon die großbürgerlichen Kräfte standen. Dazu kam, daß es die Parteispitze dem OeAAB verwehrte, eine echte Reformbewegung zu werden. Auf diese Weise aber verlor der OeAAB sein Gesicht.

Als Monopolist für die Vertretung aller Bürger, die nicht sozialistisch sein wollten, wurde die OeVP unvermeidbar eine antisozialistische Partei und ließ sich ihr Handeln weithin vom Gegner vorschreiben, wozu noch kam, daß die OeVP. als nunmehr d i e „bürgerliche“ Partei, nicht sosehr christlich, sondern zuvorderst eben „bürgerlich“ zu sein schien.

Nach dem Prinzip „Jedem etwas“ wies sich schließlich die OeVP als christlich-liberal-national aus.

Das Eigengewicht der liberalen und der nationalliberalen Kräfte in der OeVP erwies sich im Verlauf des Prozesses der Neubildung einer österreichischen politischen Gesellschaft als so stark, daß die konstitutiven Leitbilder der OeVP von 1945 allmählich durch das parteipraktische Handeln umgefärbt wurden.

Nun glaubt aber keine politische Gruppe, auch wenn sie nur eine Interessentenpartei ist, ohne Ideen auszukommen. So übernahm man parteioffiziell u. a. die auf eine völlig andere soziale und ökonomische Wirklichkeit abgestellte Formel von der „sozialen Marktwirtschaft“. Wenn auch nur der eine der drei Bünde die neue Idee mit Ueberzeugung vertrat, schien es doch, als ob die OeVP als Ganzes lediglich der „sozialen Marktwirtschaft“, die bisher kaum noch definiert werden konnte, anhänge. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, daß die Führung der OeVP in einer bewunderungswürdigen Konsequenz zu den meisten der in Oesterreich erhobenen sozialen Forderungen anfänglich nein sagte und sich ihre Zustimmung erst abkaufen ließ. Die Folge war, daß die Dienstnehmer keineswegs mit Recht den Eindruck erhielten, die OeVP sei eine vorweg dienstnehmerfeindliche Partei. Was sich als „sozial“ deklarierte, war verdächtig, wenn auch nur eine kleine Schichte von Parteifunktionären diese Ansicht vertrat. Diese kleine Schichte aber war an der Macht Wie schnitt man beispielsweise die „Sozialen Wochen“, um nur ja nicht in den Verdacht zu kommen, man sei etwas anderes als „bürgerlich“!

Eine kümmerliche Organisation und die innerparteiliche Proporzidee ..Bürgerlich-Christliches Abendland“ aber reichen nicht aus. um den Bestand der OeVP voll zu sichern, geschweige denn, ihr neue Schichten zuzuführen. Schließlieh fühlte sich keine berufliche und seit 1956 auch keine weltanschauliche Gruppe mehr von der OeVP mit Gewißheit recht vertreten.

Symptomatisch ist auch die Absage an jene, die sich in der „Dollfuß-Zeit“ ihr Bekenntnis etwas hatten kosten lassen. Um diese Absage geradezu dokumentarisch festzuhalten, ließ man beispielsweise der Witwe von Engelbert Dollfuß anfänglich eine Behandlung zuteil werden, die man nur als skandalös bezeichnen kann.

Auf allen Seiten zeigte sich ein Abbau des Vertrauens, das 1945, und damals mit Recht, in einem großen Umfang da war. Die Folge eines Alterungsprozesses, des Unvermögens, selbstkritisch die Dinge und die Entwicklung zu sehen, war nun eine auffallende politische Abstinenz gerade jener Schichten, die bisher das Wählerreservoir der Partei gebildet hatten. Die Alterung der Partei wurde noch durch den Verfall des personellen Führungsapparats verstärkt. Allein die starke und nwnnhaft integre politische Persönlichkeit des Kanzlers und Parteiobmannes verdeckte vor allem in den Jahren seiner größten politischen Erfolge vor und nach dem Staatsvertrag diese inneren Krisenerscheinungen. Raab: das war die Volkspartei. Und deshalb wählte „man“ sie. Es ist eine echte politische Tragik, daß auch das größte Verdienst seine Zeit hat. und in späteren Jahren sich das Interesse der Oeffentlichkeit auf die inzwischtn allgemein sichtbar gewordenen Abnutzungserscheinungen der Partei konzentrierte.

Das „Leiden“ der OeVP zeigte sich zum ersten Male bei den letzten Präsidentenwahlen, in deren Verlauf die verwendeten Argumente völlig versagten. Dann kam 1959: Die National-ratswahlen schienen Gelegenheit zu bieten, vor allem im Osten Oesterreichs Honoratioren mit einem sagenhaften Anhang herauszustellen, Unbekannte, ohne politische Aussteuer. Die Partei wurde langsam uninteressant, vermochte sie doch offenbar nicht einmal ihre Krankheit zu erkennen, geschweige denn sie zu heilen. Jetzt erinnerte man sich wieder der vielen kleinen Skandale, die meist fälschlich der OeVP als Partei angelastet worden waren; man sah die Fehler der Partei überscharf und wurde in der Kritik maßlos und ungerecht.

Der „Kampf um Wien“, eher ein Kampf um die Reihung von Kandidaten, zeigte den Wiener Apparat in Auflösung. Der OeAAB Wiens war in der Partei bereits so schwach geworden, daß er beispielsweise keinen einzigen Arbeiter als Mandatar durchzubringen vermochte. Dafür aber bootete man den Altmeister der christlichen Soziallehre, Karl Lugmayer, aus.

Die Stimmung nach der Wahl in Wien verstärkte das Verlangen nach einer Reform der Partei, ohne daß man sich freilich eine feste Vorstellung von einer „reformierten“ Partei machen konnte. Während die einen unter Reform ine solche an Haupt und Gliedern verstehen, meinen andere, nun sei ihre Zeit gekommen, und wieder wandere, die von einer Rfc* form betroffen werden könnten, glauben listig, a daS W sich ntlr um ein kostspieliges Uft4~lSut-starkes Theater handeln werde, sie aber, da sie ja ihre Nachfolger selbst bestimmen dürfen, brav „oben“ bleiben können. Weil unentbehrlich und als „Führer“ pragmatisiert.

Wenn die Partei reformiert werden soll, muß sie eine neue Partei werden, neu in der personellen Führung und neu in der Ideendarbietung wie in der Organisation. Zuerst kommt es auf eine Erneuerung des Führungsapparates an. Schließlich sind es nur die Menschen, die Ideen proklamieren und — was wichtiger ist — realisieren können. Wenn man sich jetzt in akademischer Diskussion mit der Parteireform befaßt, fällt auf, daß es fast durchweg „rechte“ Kräfte sind, die beachtliche Vorarbeiten geleistet haben, freilich ohne Gewähr, daß nunmehr der Kontakt mit den Massen hergestellt ist. Der OeAAB — seine oberste Führung - hat jedenfalls zur Parteireform wenig oder nichts an Vorschlägen zu bieten gehabt. Wenn die Parteireform die Partei zu einer bürgerlichen Rechtspartei macht, ist aber das der Anfang vom Ende der Partei. Die für die Partei in Frage kommenden Wählermassen sind mehrheitlich weder bürgerlich noch stehen sie „rechts“.

Parteireform ist aber auch nicht gleichbedeutend mit der Ausbootung einiger Funktionäre, denen man auf diese Weise einen vor anstrengender Arbeit gesicherten Lebensabend garantieren will. Zuerst ist jedenfalls eine Erneuerung des Apparates ein Gebot der Stunde. Die oberste Führung besteht zu einem Teil aus ämterhäufenden Personen, die im allgemeinen nur gehorsam, aber nicht initiativ sein dürfen. Die Jugend fehlt weithin, von einzelnen Paradejugendlichen abgesehen. Man hat sogar die Absicht, die OeJB zu liquidieren, während die beiden Konkurrenzparteien ihre Parteijugend (nicht nur Partei-Kindergruppen) aufbauen, die FPOe dank der wertvollen Hilfe, die ihr manche OeVP-Führer leisten.

Nun darf man nicht allein Techniker des Apparates holen, sondern auch Menschen, die ' überzeugend Ideen proklamieren und ihnen die entsprechende sprachliche Form geben können. Der bisherige Numerus clausus für schöpferische Ideen müßte in diesem Zusammenhang aufgehoben werden.

Jedenfalls braucht man neue Menschen, die nicht Jahr für Jahr die gleichen Gemeinplätze wiederholen, und dies offensichtliche ohne innere Anteilnahme, sondern vor den skeptischen Wählern bestehen können, weil sie eben sachlich und persönlich in Ordnung sind. Nicht aber braucht die OeVP den Führer, wie kleine Geister meinen, die gerne andere für sich wagen lassen. Der Mann am Schreibtisch wird daher ebenso nötig sein wie jener, der die Massen durch echtes Pathos ergreift und wieder glauben macht. Wie bedenklich ist doch das merkbare Nachlassen des Besuches der Parteiversammlungen I Man vermag nur noch durch ganz große Namen ganz kleine Säle zu füllen.

Erst beim Vorhandensein neuer Menschen in der Führung kann die Reorganisation der Partei begonnen werden, eine Reorganisation, die von beiden Richtungen her beginnen müßte, von unten, da, wo der sagenhafte „kleine Mann“ seinen Standort hat (das heißt mit der Schaffung von Massenorganisationen), und von oben mit der Bildung einer elitären Führungsgruppe, die aus Männern besteht, die keine Apparatschiks sind und auch die Kraft haben, „nein“ zu sagen, wenn eine Entscheidung gegen ihr Gewissen gefällt werden müßte. Das setzt freilich voraus, daß sie Be-rufswissen* haben, um auch jenseits der Politik ihr Brot verdienen zu können.

In jeder Partei vermengen sich heute weltanschauliche und sachlich-ökonomische Interessen. Es wäre Utopie und wahrlich kein Dienst an der „Christlichen Demokratie“ in der OeVP, wollte man sie um eines weltanschaulich-monolithischen Charakters willen zu einer politischen Sekte reduzieren helfen. Das soll freilich nicht heißen, daß die Christen in der OeVP eine Ent-christlichung der Partei dulden dürften, auch wenn sie von einigen Mandataren verschleiert gefordert wird. Das Zeitalter der Nur-Weltan-schauungsparteien ist nun vorbei, sobald eine gewisse Komfortstufe in der gesellschaftlichen Versorgung erreicht ist. Die Kirche unseres Landes hat sich zudem von einer parteipolitischen Bindung eindeutig gelöst, um sich unmittelbar ihren gesellschaftlichen Verpflichtungen, die nun auch einmal politische sind, widmen zu können.

Keine unnütze christliche Etikette, aber auch keine faktische Distanzierung vom Sittengesetz, ebensowenig von der Verpflichtung auf das Vaterland. Sittengesetz und Vaterlandstreue setzen einer Liberalisierung der OeVP geradezu natürliche Grenzen. Werden sie überschritten,ist die OeVP eine neue Partei geworden, aber weder eine österreichische noch eine vom Christlichen her auch nur einigermaßen akzeptable.

Von der OeVP aber zu verlangen, mehr als in einem weiten Sinn christlich und insoweit verläßlich zu sein, heißt sie überfordern und die Wirklichkeiten übersehen. Trotzdem gilt, was Wilhelm Johnen vor kurzem für die in einer ähnlichen Situation stehende CDU feststellte: Das Christliche bleibt der Garant der Einheit der Partei; es darf nicht, wie bei der Mehrheit der Sozialisten, nur toleriert werden. Dabei soll „christlich“ nicht als leere Formel für einfallslose Festredner verstanden werden, wenn sie gerade ihr „bürgerliches“ Publikum vor sich haben, sondern als Einsatz auch um des Menschen in der Gesellschaft willen.

Alles aber, was so einfach „Reform“ genannt wird, liegt bei den neuen Menschen, die sie nun durchführen müssen, und hängt auch davon ab, ob morgen an der Spitze der OeVP freie Männer und Frauen stehen werden, die aus innerer Verpflichtung, und nicht, weil sie gegen Honorar dazu verpflichtet sind, handeln.

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