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Der Gang nach Innsbruck

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Zu den Aufgaben, die der Oesterreichischen Volkspartei heute gestellt sind, gehört vordringlich die Lösung der Persönlichkeitsfrage. Die Partei hat derzeit offensichtlich einen Mangel an solchen Persönlichkeiten, die für die Massen attraktiv sind. Ganz besonders auf den unteren Ebenen, in den Dörfern und den kleinen Städten. Eine Massenpartei braucht aber nicht nur auf „höchster Ebene“ Persönlichkeiten, sondern auch in der kleinen Welt des Lokalen. Die „kleinen Leute“ sehen nun zuerst auf jene Menschen, die ihnen in das Blickfeld kommen, auf den Bürgermeister, den sie kontrollieren können. Auf Dorfebene ist nun ein Versagen des Zuwachses an Persönlichkeiten bemerkbar, das bedenklich ist. Nun sind aber Persönlichkeit und Person nicht das gleiche.

Für junge Menschen ist es in der Volkspartei ungemein schwierig, nach oben zu kommen, weil es eine Art Pragmatisierung bei einzelnen Gruppen von Mandataren gibt. Auf diese Weise ist so etwas wie der Typ des Mandatars auf Lebenszeit entstanden. Hätten wir ein Haus der Lords, gäbe es vielleicht eine Möglichkeit, „Ehemalige“ in allen Ehren und indirekt an der Gesetzgebung teilnehmen zu lassen.

Da man nun die A-Posten sicher haben will, sind manche Parteiführer keineswegs über das Streichen auf den Stimmzetteln erfreut und zeigen sich erbost, weil viele Wähler die demokratischen Spielregeln zu ernst nehmen und, da sie nicht nur eine Partei, sondern auch Personen wählen wollen, Unbekannte oder nach ihrer Ansicht Ungeeignete von der Liste entfernen.

Viele in der Partei sind nun der Meinung, daß es hoch an der Zeit sei, die Zufalls-• besetzung bei der Vergebung der Führungsposten, wie sie 1945 notwendig war, zu berichtigen. Damals, vor allem in den Tagen des Aprils, kamen viele zu politischen Stellen, einfach weil sie d a waren oder weil sie in Konzentrationslagern gesessen waren. Die Tatsache allein, daß jemand in einem KZ gesessen hat, kann wohl seine Ge-sjnnunga,besch,einigen, nicht aber seine Eignung für eine- Stelle in der Führung. Nun wäre es aber hoch an der Zeit, fast eineinhalb Jahrzehnte nach der Hofübernahme, den Hof an die drängenden Jungen zu übergeben und diese nicht zu „weichenden“ Erben zu erklären, das heißt, sie aus der Politik zu entfernen. Dabei könnte auch der böswilligste Gegner, wenn er nicht dumm ist, kaum den alten Politikern die Sicherung eines „Ausgedinges“ neiden, auf das sie meist Anspruch haben.

Vielfach wurde in den letzten Jahren die Sache mit der „Korruption in der OeVP“ gerade von jenen mit „liebevoller“ Kritik aufgebauscht, die allen Grund hätten, im eigenen Einflußbereich auf Ordnung zu sehen, und vor allem nicht begreifen, daß es auch so etwas geben kann wie charakterliche Korruption, die nicht über den Kodex faßbar ist.

Gewisse und allseits bekannte Ereignisse um die Finanzierung der VP stellen nun das Problem der Parteifinanzierung überhaupt zur Diskussion.

Außer vor Wahlen hat sich die VP herzlich wenig um die Gewinnung eines fundierten Einkommens gesorgt. Daher ist die VP, was die Laien und Naiven sehr in Staunen setzt, wenn

Vgl. hierzu den ersten Teil, „Der Gang nach Innsbruck“, „Die Furche“, Nr. 45, vom 8. November 1958. sie es erfahren, an ihrer Größe gemessen, eine arme Partei. So arm, daß sie nach Wahlkämpfen Sorge mit der Zahlung ihrer Wahlschulden hat. So arm, daß einmal eine Landesparteileitung nicht in der Lage war, die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung und die Lichtrechnung zu zahlen. Wenn auch, wie so leichthin erklärt, die VP eine „Unternehmerpartei“ ist — im eigenen Bereich hat sie keineswegs gut gewirtschaftet und ist oft und oft auf Bettel angewiesen.

Im Interesse der Sauberkeit unseres öffentlichen Lebens dürfte es jetzt der VP nicht allein darum gehen, sich die Mittel für die Finanzierung des nächsten Wahlkampfes zu verschaffen. Worum es geht, ist eine konstruktive, also dauernde Lösung des Problems der Gewinnung von Mittel für die Finanzierung der Tätigkeit der VP. Gerade jene, die keinen Handgriff aus Liebe machen, neiden als erste den Angestellten des Parteiapparates ihre ohnedies nicht übermäßig hohen Gehälter. Jetzt will die VP offensichtlich aus der „ungeordneten und würdelosen Bettelei“ (Raab) herauskommen, indem sie sich ständig fließende Einnahmequellen erschließt, die mehr Erträgnisse bringen als die Mitgliedsbeiträge, von denen allein keine Partei leben kann. So soll die Gründung des „Julius-Raab-Fonds“ verstanden werden.

In die Frage der Erörterung der Parteifinanzierung gehört auch die Erwägung hinein, ob die Art, wie Wahlkämpfe geführt werden, nicht berichtigt werden könnte. In der Stadt Salzburg hat man es vor einiger Zeit im Ralv men eines Abkommens zwischen den Parteien vermocht, die Wahlpropaganda und damit die Wahlkampfausgaben zu kontingentieren. Warum sollte so ein Gentlemen's Agreement nicht auch bei anderen Wahlkämpfen möglich sein und die aufdringliche Propaganda reduzieren helfen, um so mehr, als die überwiegende Mehrheit der Wähler, so weit sie Gesinnung haben, srjsUgBegHvn! cWsWabJkampfss innerlich' schswkjge-j .wählt b.at?uu,sp

Schließlich wird auch diesmal an die VP neuerlich die Frage gestellt werden müssen, ob sie sich nicht, wie das da und dort und zuweilen der Fall zu sein scheint, vergilbten sozialen Leitbildern verpflichtet fühlt. Das heißt: Will die VP sich in einer Art „Witwenverbrennung“ auf die Repräsentanz von Schichten verpflichten, die durch die Art, wie sie leben, selbst dem Untergang geweiht sind und sich selbst kaum ernst nehmen können? Sicher will das die VP nicht. Es bedürfte aber zu Zeiten der eindeutigen Absage an jene, welche die VP als einen Kommissionär ihrer Interessen ansehen.

Der „Ausbruch nach links“ ist nur zum Teil gelungen. Ebensowenig wie die Sozialisten „das Dorf“ erobern konnten. Die Verschiebungen in den Wahlergebnissen in Dorf und Stadt sind nur der Ausweis gewandelter sozialökonomischer Strukturen: Bauern wurden Arbeiter, Arbeiter wurden Meister und Angestellte. Wohl hat die VP gewisse Arbeitergruppen gewonnen, die sie sich durch eine stärkere Betonung ihrer sozialen Leitsätze erhalten müßte. Anderseits verliert sie vielfach die kleinen Bauern und die Kleingewerbetreibenden — sie leben heute in wirtschaftlichen Verhältnissen, die erheblich unter jenen der Arbeiter liegen. Wer von den Selbständigen durch eine Sozialisierung in der Weise, wie sie der demokratische Sozialismus anstrebt, nichts zu verlieren hat oder dies annimmt, wird, falls er keine weltanschaulichen Bedenken hat, für sozialistische Argumente anfällig, um so mehr, als er sich von der VP schlecht vertreten glaubt.

Wenn schon vom Dorf die Rede war, so soll auch angemerkt werden, daß die VP deswegen in den Dörfern an Boden verliert, weil es so etwas wie eine systematische Parteiarbeit im Dorf kaum gibt. Dazu kommt, daß die VP, ihre jeweilige lokale Organisation, oft kaum zur Kenntnis nimmt, daß im Dorf neben den Gewerbetreibenden und den Bauern auch die Angehörigen anderer Gesellschaftsgruppen siedeln.

Während nun die Stellung gegen die SP weiterhin besetzt bleibt, hat man den Eindruck, daß die F P O e — mit Unrecht — unterschätzt wird. Die FPOe oder das, was beim nächsten Wahlkampf die sogenannten „freiheitlichen“ Kräfte in Oesterreich vertreten wird, hat sicher den Charakter einer Wahlpartei. Da das „Nationale“ kein Glaube ist, kann es nur für einzelne Situationen aufgerufen werden, hat aber auf Dauer keinen Bestand. Nun soll aber aus der1' '$cii&fc6%} sicÄenMIA'ppar,ptes der “FPOe nicht darauf geschlossen' werden, daß die Gruppen, die sie vertritt, keine politisch interessante Macht darstellen. Im Gegenteil: die Vorfeldorganisationen der FPOe haben heute in Oesterreich — dank der Aufpäppelung durch die Koalitionsparteien — wieder eine Bedeutung, die wahlwirksam sein kann, etwa der Turnerbund, die nationalen Korporationen, die freien Unternehmerverbände (mit der „Reichsorga“ an der Spitze) und jene mittelständischen Schichten, die allem mißtrauen, was den Charakter des „Klerikalen“ hat. Dazu kommen noch die Kameradschaftsverbände, die heute kaum noch unter einem merkbaren Einfluß der VP stehen. Auch die Sache „Südtirol“ wird von der VP — sicher um des sogenannten Staatsinteresses willen — nicht ausreichend wirksam vertreten, Bei der Südtirolkundgebung in der Wiener Stadthalle gab es neben dem nur als Regierungsvertreter erschienenen Staatssekretär Gschnitzer keinen Sprecher der VP, der für die Partei als solche das Wort ergriff. Nun ist aber das Recht de i SiwltiBoJer etwas.'i'Jas.den ansonstw8Ön Chauvinist!sehen 11Gedankengängen 0 abholden Oesterreicher permanent zur eindeutigen Stellungnahme herausfordert. Die — wie schon betont — allzu starke Verquickung von Partei und Staat immobilisiert jedenfalls bisweilen die Kräfte der VP.

Das der Selbstberuhigung dienende Totsagen der FPOe oder der Gruppen, die hinter ihr stehen, führt die Partei in ein Gefühl der Selbstsicherheit gegenüber der Bedrohung von rechts hinein, das durch nichts begründet scheint. Es handelt sich doch bei den Gruppen, die der FPOe nahestehen, nicht um Schichten, die mit den Wandlungen der Gesellschaft absterben, sondern um echte Traditionsgruppen mit Bleibe, um unverlierbare Bestände, die man wohl reduzieren, aber nicht dezimieren, geschweige denn zum Verschwinden bringen kann.

Man sagt sich vielfach bei der VP: Der Zug zum Zweiparteiensystem sichert uns die Stimmen jener Gruppen, die nicht sozialistisch wählen können oder wollen. Dagegen meine ich, daß gerade das Zweiparteiensystem „dritten“ Kräften mehr Auftrieb gibt, als sie hätten, wenn es ein Vielparteiensystem gäbe, einfach deswegen, weil viele gerne von der geringen Auswahl, die ihnen zwei anbietende Parteien geben, zu einer Exklusivware flüchten, die dadurch, daß sie nicht allgemein konsumiert wird, gerade schmackhaft und attraktiv ist.

Kaum eine Partei ringt mehr um ein neues Selbstverstehen wie heute die VP. Weil in einer Zeit geschaffen, in der es um den Bestand des Landes und nur um diesen ging, und nicht sosehr um weltanschaulich belangreiche

Fragen und Grundsätze, ist die VP erst heute gezwungen, aus ihrer durchaus verständlichen und dem Land nützlich gewesenen Praxisbefangenheit herauszufinden. Das kann nur geschehen, wenn man nicht nur den Mut zu neuen Proklamationen hat, sondern zu einem Erneuern des personalen Apparates, der wieder eine menschenmögliche Einheit von Grundsätzen und Parteipraxis sichert.

Gefährlich aber wäre es, die Probleme zu verniedlichen und jeden, der- das Wort „Erneuerung“ spricht, als uninteressanten Romantiker abzutun.

Ganz besonders aber wäre es eine Gefahr für den Bestand der VP, wollte man in der bisherigen unheilvollen Angst vor der Kritik verharren. Bei jeder Kritik sollte, will man sie beurteilen, zuerst bedacht werden, welchem Zweck sie dienen will. Die Angst vor der Kritik, die Angst vor echter Diskussion, wäre einer großen Partei, die sich noch zudem christlich und liberal (und dies im besten Sinn des Wortes) nennt, unwürdig und der Anlaß zu einem Absterben von innen her.

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