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Der doppelte Präsident

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Ein modernes Gegenstück zum marxistischen Horror vor der ..Akkumulation des Kapitals“ ist ohne Zweifel die Akkumulation von Ämtern. Doch davor zeigen viele Alt-, Neu- und Nur-ein-bisserl-Marxisten keine Angst. Längst „siegt man in diesem Zeichen“. Was so oft — und oft mit Recht! — an der „alten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“ kritisiert wurde, daß in ihr alle Macht irgendwo weit hinter der Kulisse in einige wenige Hände zusammenlaufe, wird jetzt mitunter geradezu demonstrativ zur Schau gestellt. Darüber will man zwar nicht gern reden, eben deshalb aber sollte man's!

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Ein modernes Gegenstück zum marxistischen Horror vor der ..Akkumulation des Kapitals“ ist ohne Zweifel die Akkumulation von Ämtern. Doch davor zeigen viele Alt-, Neu- und Nur-ein-bisserl-Marxisten keine Angst. Längst „siegt man in diesem Zeichen“. Was so oft — und oft mit Recht! — an der „alten bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft“ kritisiert wurde, daß in ihr alle Macht irgendwo weit hinter der Kulisse in einige wenige Hände zusammenlaufe, wird jetzt mitunter geradezu demonstrativ zur Schau gestellt. Darüber will man zwar nicht gern reden, eben deshalb aber sollte man's!

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Eine der über Jahrhunderte hinweg wirkenden Zauberformeln der Demokratie war die messerscharfe Trennung von Legislative (Parlament), Exekutive (Regierung) und unabhängiger Richterschaft. Diese „Frucht der Aufklärung“ besiegelte das Ende des Absolutismus, das Aufsteigen der „Wahlgesell-schaft“ und schuf den Überbau des demokratischen Rechtsstaates.

Je mehr „wirtschaftlache Macht“ — verstärkt und nahezu personifiziert durch die „Akkumulation des Kapitals“ — anschwoll und die „politische Macht“ einen bloßen „Verdeckungscharakter“ annahm, desto stärker wurde auch die Kritik daran, die übrigens nicht nur, wie man es heute Glauben machen möchte, aus den marxistischen Feldlagern erscholl, sondern auch aus christlichsozialen und liberalen.

Die „bürgerlichen Parteien“, mit ihren Wurzeln in den Achtundvierziger-Ereignissen des vorigen Jahrhunderts, drängten den offenen oder verdeckten Absolutismus selbst zur Seite und schufen den neuen, demokratischen Stil in Leben und Politik. Er war auf Individualität, Persönlichkeitsrecht, Uber- und Durch-schaubarkeit und vor allem auf stete Kontrolle des Staates und der diesen tragenden oder repräsentierenden Kräfte angelegt. Freilich mit all den Naivitäten und Illusionen des „Frühzeitidealismus“ und ohne unsere heutige, recht resignatori-sche „Langzeiterfahrung“.

Die Akkumulation von Kapital in einigen wenigen Händen ist heute in unseren Breiten längst nicht mehr möglich: es sei denn im Wege der staatlichen Intervention in ökonomische Belange in den Händen des Staates, in der „öffentlichen Hand“.

Nun gilt es, diese zu kontrollieren, obschon sie, folgt man dem von ihr entworfenen Idealbild, sozusagen unser aller Hand ist — oder sein sollte!

Eine glaubwürdige Kontrolle erfordert Unmißverständlichkeit und Eindeutigkeit der Kontrolleure, vor allem, was ihre jeweilige Funktion betrifft. Gerade in diesem Punkt aber wird arg gesündigt — und nicht etwa nur von Sozialisten!

Es gibt eine bemerkenswerte Anzahl von Persönlichkeiten, wirtschaftliche, politische, rechte, linke und soiche aus der „geographischen Mitte“, die eine so große Anzahl von Ämtern, Vorstands- und Aufsichtsratssitzen bei sich versammelt haben, daß sich der „Normalbürger“ vor eine unfeine „Denkalternative“ gestellt sieht: entweder all diese Ämter bedeuten, von „Amtsentschädigungen“ einmal abgesehen, im Grunde nichts, sind also nur Camouflage, oder sie produzieren eine neue,

in Verfassungsordnung und Gesellschaftssystem (Demokratie) gar nicht vorgesehene „Wirklichkeit“ an Machtfülle.

Überhastete und überlastete Manager, aber 'auch die in dieser Hinsicht keineswegs „zu kurz“ gekommenen „mittleren Angestellten“ und „Vor-Arbeiter“, können sich nicht genug darüber wundern, wie es möglich sei, daß sie mit Müh und Not ein oder zwei verantwortliche

Aufgaben zu erfüllen vermögen, andere aber gleich mehrere Dutzend, von denen es heißt, die Verantwortung jedes einzelnen Amtes, jeder einzelnen Funktion drücke deren Träger nahezu zu Boden und lasse ihn kaum zu Atem kommen.

Da der immerhin erreichte Zustand der Bildungsgesellschaft ausschließt, solche Ämter- und Machtakkumulation gehe darauf zurück, daß an dafür Vorgebildeten ein akuter Mangel herrsche, muß es an einem anderen „Leitbild“ liegen. Es findet sich in der Politik.

Ein symbolisches Beispiel dafür ist der Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes Anton Benya — aber eben nur ein symbolisches, das heißt, eines, das für viele spricht! Anton Benya ist — man muß vorsichtig und ahnungsvoll hinzufügen: unter anderem —:,Präsident des Gewerkschaftsbundes, womit sich, wie man weiß, eine ganze Menge spezieller Folgefunktionen verbindet; er ist auch Präsident des Nationalrates; Mitglied des engsten Führungsgremiums der SPÖ, einer der „Haupt-Sozialpartner“ in der „Paritätischen Kommission“, Abgeordneter zum Nationalrat der SPÖ, um nur das wichtigste zu nennen. In der Anzahl der Ämter-und Funktionsakkumulationen steht er anderen „Sozialisten“ oder „Bürgerlichen“ nicht nach, in der sowohl protokollarischen als auch effektiven Bedeutung aber wird er wohl kaum so leicht zu übertreffen sein. Allenfalls nur von Kanzler Kreisky, der als Regierungschef, Parteivorsitzender und damit auch wirklicher Klubobmann der SPÖ im Nationalrat (der „eigentliche“ ist bekanntlich Gratz) ebenfalls über ein überlegenes Instrumentarium an Ämtern und Funktionen verfügt.

Ob die Positionen von Parteichef und Regierungschef „zusammenpassen“, darüber ist schon viel meditiert worden. Ich meine, ja. Denn es streicht die „Total-Verantwortlich-keit“ der regierungsführenden Partei deutlich heraus. In der SPÖ wurde das auch nie ernsthaft in Zweifel

gezogen. Anders in der ÖVP — da gab es öfter einmal einen „Wechsel“, einen „Zwei-Personen-Status“, doch war das zumeist bloß der „elegantere Umweg“ zur Abhalfterung des Vorgängers, dessen Nachfolger sogleich wieder „aufgehalftert“ wurde. Auch die FPÖ hält es da ähnlich: Klubobmann und Parteichef sind derzeit identisch, waren es aber nicht immer.

Mit Sicherheit muß man ausschließen, daß die Funktion des ÖGB-Prä-sidenten und des Präsidenten des Nationalstes so ohne weiteres von einer einzigen Person wahrgenommen werden können oder sollen. Der Nationalratspräsident ist, streng nach Protokoll, der „Zweite Mann im Staate“, nach dem aus der Volkswahl hervorgehenden Bundespräsidenten. Er repräsentiert eigentlich nicht eine Partei oder einen Sozialpartner, sondern das Parlament, also bis zu einem gewissen Grade alle Fraktionen — und das ja nicht nur „nach außen“. Seine starke Stellung „nach innen“ — der 2. und der 3.. Präsident des Hauses haben eigentlich keine besonderen, in der Geschäftsordnung herausgestrichenen Funktionen außer der Vertretung des 1. Präsidenten, wenn dieser er wünscht oder aus Irgendeinem Grunde ausfällt.

Da es sich in Österreich um eine „parlamentarische Demokratie“ handelt, also um eine, in der die Deputierten die Repräsentanten des Volkes, beziehungsweise auf Grund des Listenwahlrechtes eigentlich des in Proportion ausgedrückten „Volkswillens“ sind, waltet der Präsident des Hauses über den proportionalfraktionierten Volkswillen. Er kommt zwar aus einer bestimmten Fraktion, aber mit der Wahl zum

„Präsidenten über alles“ verändert sich seine funktionale Qualität.

Ganz anders verhält es sich mit dem Präsidenten des ÖGB. Dort ist er dem Sinne nach „primus inter pares“ und repräsentiert die Wünsche, Forderungen und Absichten der Mitglieder, der Arbeiter und Angestellten, oder wie man jetzt sagt, der „Lohnabhängigen“. Diese Absichten, Forderungen und Wünsche, auf deren Formulierung er großen Einfluß hat, richten sich wesentlich an den Staat (= die Gesellschaft), an die Regierung, und, wie man aus alltäglichen Aktualitäten weiß, auch an das Parlament. Schon in diesem Stadium ergeben sich für eine Personalunion schwierig zu bewältigende Überschneidungen. Es müssen ja nicht immer und nicht für alle Zeiten gewerkschaftliche Interessen sich mit jenen einer Partei, der Regierung oder der Parlamentarier decken. Benya selbst betont das immer wieder...

Dem Präsidenten des Nationalrates steht ein besonderer Einfluß nicht nur auf den „Sitzungsstil“ im Hause zu, sondern auch auf die Rang- und Tagesordnung der im Parlament anstehenden Fragen. Dadurch entsteht neuer „Druck“ auf eine Person, der noch steigt, bedenkt man deren sonstige parteipolitische und ökonomische Funktionen.

Der Präsident des ÖGB muß das Vertrauen der Gewerkschafter, die

differenzierterer politischer Herkunft sind als die Abgeodneten zum Nationalrat, besitzen und er muß als Präsident des Nationalrates auch das Vertrauen der dort gebildeten Fraktionen haben. Da kann es sehr leicht bei (oder in) ihm zu Kollisionen kommen und auch zu solchen zwischen ihm und Abgeordneten oder Gewerkschaftern. Keine günstige Voraussetzung für jemanden, der sowohl da als auch dort, und wo auch immer, der „ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht“ sein sollte.

Ein solcher Mann — und alle solcherart „akkumulierten'“ Männer

— unterliegt einem Zwang, welcher der Demokratie, die ohnedies aus einer Reihe anderer, mächtiger Gründe „undurchschaubar“ wurde, abträglich ist. Er muß sehr oft Allzu vieles auf jenen vergröbernden „gemeinsamen Nenner“ bringen, der dann doch nie ganz stimmt. Man nennt das einen Versuch, eine richtige Rechnung mit „falschen Ansätzen“ zustande zu bringen. Nach allen Gesetzen politischer Logik schlägt dieser Versuch meist fehl. Was übrig bleibt ist der berüchtigte „Rest an Unbehagen“.

Wie „unbehaglich“ es auch mitunter den Parteien wird, ließ sich aus den zähen „protokollarischen Ringkämpfen'' ablesen, die einst ÖVP-Parteiführer, die auch zugleich Bundeskanzler waren, mit dem der ÖVP zugehörigen „ersten Präsidenten des Nationalrates“ ablesen. Raab zum Beispiel und Klaus verweigerten diesem stets den „protokollarischen Vortritt“ und beanspruchten diesen

— nach dem Bundespräsidenten — für sich. Eine Äußerlichkeit, gewiß; aber eine von eindrucksvoller Symbolkraft dafür, daß dadurch — das ist stets der geheime Zweck von „Bilderstürmen“ — auch „das Parlament“ schlechthin „ins H“ geriet. Der Widerspruch von „Verfassungsmäßigkeit“ und „Ver-fassungswirklichikeit“ wird überdeutlich ...

Die Schattenparlamente

Wir kennen heute nicht bloß neben, sondern längst schon auch über dem Parlament weit mächtigere „Schattenparlamente“, wo dann die „eigentlichen Entscheidungen“ fallen. So wie wir solche „Schattenregierungen“ auch schon neben und sogar über der Regierung kennen. Liegt es da nicht auf der Hand, daß der „symbolische Wert“ von Ämterakkumulationen auch von ganz realer Bedeutung ist?

Wie ja das Parlament auch durch ein ihm zwar „innewohnendes“, ihm aber dennoch schädliches Gesetz „umfunktioniert“ wird. Dadurch, daß Regierung und Regierungspartei — anders als in den Zeiten des „aufgeklärten Absolutismus“ oder der „konstitutionellen Monarchie“ — sich zumeist vollkommen decken, wird, insbesondere in Zelten absoluter Ein-Parteien-Mehrheit, die ursprüngliche Funktion des Parlamentes, der Regierung „die Gesetze des Handelns“ vorzuschreiben und die Regierung darin zu kontrollieren, immer fragwürdiger. Gewiß ein ernstes demokratisches Problem, um dessen Lösung sich schon, sehr viele unserer besten politischen Geister, leider ..aber vergeblich,.-., bemüht haben.

Anton Benya beruft sich gerne auf eine „alte Tradition“, nach der „dem ÖGB die Präsidentschaft im Nationalrat“ gewissermaßen überantwortet sei. Das mag für die Zweite Republik zwar stimmen, spricht aber nicht dafür, daß Traditionen unbesehen und unverändert ewig weiterwirken müssen. Einem solchen Konservativismus trauen nicht einmal mehr Stockkonservative!

Mit diesen Ausführungen soll nichts gegen Benya, seine erstaunliche Arbeitskraft und seine speziellen, hervorragenden Eigenschaften gesagt sein, alles aber gegen ein „eingerissenes System“ von Ämter-und Funktionsakkurnulation, das einem notwendigerweise sich erneuernden Verständnis von Demokratie beharrlich entgegenwirkt. Die „Akkumulation von Kapital“ steht in so schlechtem Ruf, daß sogar außerhalb der politischen und gesetzlichen „Entflechtungszwänge“ solche freiwilliger Art immer häufiger werden. Im Grunde kann man sagen, die Gefahr besteht kaum noch, schon der Steuerprogressionen wegen nicht. Alles spricht dafür, auch der „Akkumulation von Ämtern und Funktionen“ zu einem gleich schlechten Ruf zu verhelfen, denn sie sind regelmäßig „Akkumulationen persönlicher Macht“, gegen welche es ein gleich starkes Mittel geben müßte. Weiche Partei auch immer „am Zuge“ ist: die durchgängige Besetzung von Parlaments-, Regierungs-, Wirtschafts-, Standes- und Parteifunktionen in „einer Hand“ machen zwar deutlich, bei wem sich die „reale Macht“ befindet, verschleiern aher den Einblick in den „Entscheidungsmechanismus“, den sie camou-flieren und kaschieren, indem sie ihn „personifizieren“. So kommt denn auch neben allen „funktionalen Undeutlichkeiten“ auch noch eine unheimliche „Intransparenz“ heraus, selbst dort, wo die Person oder die Gruppe das gar nicht wollen oder wünschen sollten.

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