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Krempeln wir um!

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Es muß sich etwas ändern. Nie im letzten Jahrzehnt war diese Stimmung so ausgeprägt wie jetzt. Sie hat Sympathisanten aller Parteien und Gruppierungen erfaßt.

Keine Nationalratswahl seit 1970 wurde unter vergleichbaren Voraussetzungen entschieden. Erstmals in diesen 16 Jahren tritt eine Regierungspartei vor die Wähler, die selbst eine Fortschreibung der bisherigen Politik für nicht zielführend hält, eine SPÖ, deren Selbstverständnis und Selbstbewußtsein angeknackst ist.

Erstmals hat die ÖVP mehr als nur die theoretische Chance, die

Nummer eins zu werden. Und erstmals tritt sie gegen eine SPÖ ohne Bruno Kreisky an.

Erstmals hat die FPÖ ihre Unschuld verloren, die sie bis 1983 behaupten ließ, anders als andere Parteien (mit-)regieren zu wollen. Das Können hat dem nicht entsprochen.

Erstmals klopfen die Grün-Alternativen ungestüm an das Tor zum Parlament, nicht ohne Aussicht, auch eingelassen zu werden. Erstmals präsentieren sie sich aber ihrem überwiegend bürgerlichen Wählerpotential personell als „Dissidenten“-Liste der SPÖ bis weit nach links im Kandidatenspektrum.

Erstmals schließlich gibt es keinen wirklichen Kanzler-Bonus. Zu kurz ist Franz Vranitzky im Amt, um ihn in Anspruch nehmen zu können. Als unverdächtiger Zeuge dafür darf wohl Hellwig Valentin, Chefredakteur der SPÖ-„Kärntner Tageszeitung“ gelten, der zuletzt im Zusammenhang mit einer Vranitzky-Äußerung zur Slowenenfrage zum Schluß kommt: „Versierte Medienleute waren in ihrer Berichterstattung fair genug, nicht jedes Kanzlerwort... auf die berühmte Goldwaage zu legen. Und dem erst seit wenigen Monaten amtierenden früheren Finanzminister eine gewisse Informationsphase zuzubilligen.“

Das ist die Ausgangslage nach einem Wahlkampf, der nicht überzeugend war. Schlüssige Antworten auf die Existenzfragen unserer Republik gehen ab, Rückschlüsse sind trotzdem erlaubt. In wesentlichen Wirtschaftsfragen — und die haben dominiert - hat die SPÖ ein Andockmanöver auf ÖVP-Kurs eingeleitet, ohne die Hypothek der Hauptverantwortüng für die Probleme vergessen machen zu können: Sechzehn Regierungsjahre können einfach nicht wie ein alter Anzug abgelegt werden.

Und ihn wenden? Das macht ihn auch nicht neu, nur in der Facon anders. Gefüttert ist das Modell mit (Partei-)Programmstoff alten Zuschnitts.

Die Erfahrung spricht dagegen, daß die SPÖ eine andere geworden ist. Daher hat sie sich auch hinter dem Porträt von Franz Vranitzky den kritischen Wähleraugen entzogen.

So wie bisher - aber ein bißchen anders: Dafür steht, leidenschaftslos betrachtet, die SPÖ.

Mehr Änderung ist der ÖVP zuzumuten, schon allein deshalb, weil sie unbelastet an die Probleme der Gegenwart und Fehler der

Vergangenheit herangehen kann.

Das Ausmaß der Veränderung in der nächsten Legislaturperiode hängt davon ab, welche der beiden großen Parteien am 23. November mit dem Führungsauftrag ausgestattet wird. Mit diesem Zutrauen und Vertrauen in die Parteien korrespondiert die Antwort, ob der nächste Bundeskanzler Alois Mock oder Franz Vranitzky heißt.

Diese Antwort ist auch eine emotionale Entscheidung. Uber die Glaubwürdigkeit von Versicherungen und Verunsicherungen.

Leidenschaftlich ist jedenfalls der aufreizenden Hypothese zu widersprechen, daß bei einem Verlust der relativen SPÖ-Mehr-heit Österreichs geistiges Leben in finstere Zeiten zurücktaumelt, daß Liberalität und Toleranz auf dem Spiel stehen.

Die Geringschätzung des Bürgers, die aus solchen Drohungen spricht, entspringt der Uberschätzung einer Partei.

Liberalität und Toleranz garantiert diesem Staat zuvorderst der selbstbewußte und couragierte Bürger, seine geistige Aufgeschlossenheit ist an kein Parteiwohlwollen gebunden. Daß es notwendig ist, sie gegen alle Bevormundungsabsichten — auch gegen jene der SPO (FURCHE 46/ 1986) - zu verteidigen, ist eine Erfahrung der letzten Jahre.

Bevormundung ist es ja auch, wenn heute schon wieder Gleichgewichtsparolen belebt werden. So wie Österreich unter einem Bundespräsidenten Franz Jonas und einem Bundeskanzler Bruno Kreisky nicht aus dem Gleichgewicht geraten ist, würde es auch unter einem Bundespräsidenten Kurt Waldheim und einem Bundeskanzler Alois Mock nicht seine Balance verlieren. Unsere Demokratie steht auf festem Boden. Ein Machtwechsel ist keine Katastrophe, sondern demokratische Normalität. Und das liegt in der Hand des Wählers.

Es geht um die schlichte Selbstverständlichkeit des ersten Artikels unserer Bundesverfassung: „Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“

Dieses Volk wünscht sich — und es gibt keinen Grund zur Annahme, alle diesbezüglichen empirischen Befunde für erstunken und erlogen zu halten—j etzt mehrheitlich eine Zusammenarbeit der beiden Großparteien. Am 23. November werden dafür mit dem Stimmzettel die Rollen verteilt.

Unter diesen Voraussetzungen fällt die Entscheidung, der sich die Parteien staatspolitisch und moralisch — unter Verzicht auf parteistrategisch-windige Uber-legungen — verpflichtet wissen müssen (siehe auch „Klipp & klar“ auf Seite 2).

Eine wendige und bissige blaugrüne Opposition, die im Parlament produktive Unruhe stiftet, wäre — gemeinsam mit den Medien des Landes — eine gute Voraussetzung dafür, daß die Große Koalition nicht ins alte Fahrwasser treibt.

Und neue Voraussetzungen sind zudem gefordert: Also vom Einstimmigkeitsgrundsatz im Ministerrat Abschied nehmen. Zur freien parlamentarischen Mehrheitsbildung bereit sein, wo nicht Existenzfragen des Landes und des Regierungspaktes berührt werden. Die Minderheitsrechte großzügig erweitern. Abgeordnete des Nationalrates durch ein Persönlichkeitswahlrecht aus dem schützenden Parteiglassturz in die wählerbezogene Verantwortung entlassen. Eine Bürgerbeteiligung schaffen, die nicht vom Wohlwollen der Parteien abhängig ist, also Volksabstimmung über erfolgreiche Volksbegehren zum Beispiel.

Lehren aus der Zeit bis 1966? Die Lektion der letzten zwanzig Jahre, die allerletzten drei nicht zu vergessen, war nicht minder hart.

Es muß sich etwas ändern. So wie bisher darf es nicht weitergehen. Strich drunter! Krempeln wir um!

Wahlen sind in unserer Demokratie die unmittelbare Möglichkeit, darauf entscheidend Einfluß zu nehmen, bieten auch heute schon die bescheidene Chance, durch Vorzugsstimmen (siehe Seite 4) Signale der Persönlichkeitswahl zu setzen.

Als Staatsbürger erwächst dem Christen aus dem Recht zur Wahl auch eine Verantwortung: Er ist selbst dann mitverantwortlich, wenn er nicht mit (be) stimmt.

Als Christ wird der Staatsbürger andrerseits die Parteien, ihre Praxis und Persönlichkeiten nicht nur nach Sympathie, sondern gewissenhaft nach Konsens und Dissens zu seinen Wertüberzeugungen beurteilen.

Apropos Christen: Das Christsein der Kanzlerkandidaten — Alois Mock bekennt sich offen dazu, Franz Vranitzky ist nach seinem Kirchenaustritt als Finanzminister jetzt wieder „eingetreten“ — berührt jene private Sphäre, die der öffentlichen Erörterung besser entzogen sein sollte. Denn die Gnade des Glaubens ist keine Angelegenheit von Opportunität. Und Kirche manifestiert sich nicht in „Mitgliedschaft“, sondern in lebendiger Gemeinschaft. '

Gemeinschaft bildet sich, wo gleichartige Inhalte des Lebens und des Schicksals geteilt werden. Das ist auch diesem Land nach dem 23. November zu wünschen.

Keine Regierung - wie immer zusammengesetzt - kann Wunder wirken. Es werden harte Zeiten.

Keiner hat ein Patentrezept. Garantien für die Zukunft kann niemand übernehmen, wohl aber Verantwortung. Und die trägt am Sonntag der Wähler.

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