Kontrast in zivilisierter Form

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Nein sagen reicht nicht. Eine linke Oppositionspartei muss ein offensives Programm anbieten und die Frage beantworten: Wo stehe ich? Auf der Seite des brutalen Marktes oder auf der Seite der Menschen?

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Nein sagen reicht nicht. Eine linke Oppositionspartei muss ein offensives Programm anbieten und die Frage beantworten: Wo stehe ich? Auf der Seite des brutalen Marktes oder auf der Seite der Menschen?

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Alfred Gusenbauer ist knapp mehr als ein Jahr im Amt, die SPÖ nur wenig länger in Opposition. Zeit für eine Zwischenbilanz und die Frage: Trauert die SPÖ noch, sucht sie noch immer ihre Oppositionsrolle, oder hat sie diese bereits gefunden? Es war Bruno Kreisky, der bei seinem Amtsantritt im April 1970 die Entwicklung der SPÖ in den letzten Jahren vorweggenommen hat, in dem er gemeint hat, dass er "der festen Überzeugung (ist), dass es uns, wenn wir mit der Macht nicht mehr anfangen können, als sie zu praktizieren, Recht geschieht, wenn wir sie wieder verlieren. Unsere Machtposition muss moralisch determiniert sein. Ich behaupte, dass es nichts Beängstigenderes gibt, als die lange Herrschaft einer Partei, die in Routine und Administration erstarrt." Nimmt man das als Maßstab, dann ist die SPÖ über die Regierungsjahre in Routine erstarrt, hatte keine Kraft mehr zu Reformen und hat nur mehr administriert. Sie hat nicht geführt, sondern wurde geführt; sie hat die geistige Hegemonie als Voraussetzung für politische Führung verloren. Das Tempo bestimmte der Mann aus dem Bärental, während die in der SPÖ, die noch Visionen hatten, bekanntlich zum Arzt geschickt wurden.

Heiße Blicke ÖVP/FPÖ Seit dem 4. Februar 2000 gibt es eine ÖVP/FPÖ-Regierung. Eine Regierung, die das Land nicht zusammenführt, sondern spaltet, und die in Europa und international noch immer scheel angeschaut wird. Eine Regierung, die zwar legitim zustande gekommen ist, wo sich aber der Dritte (Schüssel) vom Zweiten (Haider) zum Ersten hat machen lassen und große Zweifel bestehen, ob die Wählerinnen und Wähler diese Regierung auch gewollt haben.

Die tektonische Verschiebung in der politischen Landschaft Österreichs in Richtung ÖVP/FPÖ war seit langem spürbar. Die SPÖ-Führung war aber zu abgestumpft, sie zu erkennen. Wer die heißen Blicke im Parlament verfolgt hat, die sich ÖVP und FPÖ über die Jahre zugeworfen haben, und die inhaltlichen Übereinstimmungen, der konnte vom Scheitern der Regierungsverhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP und von der neuen Ehe zwischen ÖVP und FPÖ nicht überrascht sein.

Aus einer Klassenpartei der Zwischenkriegszeit, einer linken Volkspartei unter Bruno Kreisky, wurde aus der SPÖ seit Mitte der achtziger Jahre immer mehr ein Wahlverein für den jeweiligen Bundeskanzler und Parteivorsitzenden, eine Partei der Beliebigkeit. Das SPÖ-Hauptquartier in der Löwelstraße gab keine Inhalte mehr vor, sondern wurde zur Dependance des Büros des Bundeskanzlers. Die SPÖ hat sich in den letzten Jahren ihrer Regierungstätigkeit quasi selbst entmannt, entpolitisiert und damit entscheidend zur Entpolitisierung in unserem Land beigetragen. Schließlich war die SPÖ auch nicht mehr immun gegen die aggressive Ausländerpolitik Jörg Haiders, der nicht ohne Grund einen SPÖ-lnnenminister als seinen "besten Mann in der Regierung" bezeichnen konnte.

Ergebnis dieser Entwicklung war: Die SPÖ konnte WählerInnen, die durch die Vernachlässigung des Sozialen durch die SPÖ enttäuscht wurden und für die Ressentiments Haiders gegenüber Ausländern besonders anfällig waren, nicht mehr davon abhalten Haider zu wählen. Gewählt wurde das Original und nicht die Kopie. Auf der anderen Seite hat die SPÖ WählerInnen, die für Menschenrechtsfragen sensibel sind, an die Grünen, verloren. Sie hat sich in dieser wichtigen Frage zwischen zwei Sessel gesetzt.

Der größte Sündenfall der SPÖ in den drei Jahrzehnten ihrer ununterbrochenen Regierungstätigkeit war aber, dass sie zugelassen und daran mitgewirkt hat, dass auch in Österreich die Reichen reicher und die Armen ärmer wurden. Da ist Urvertrauen in die soziale Kompetenz der Sozialdemokraten verloren gegangen. Die SPÖ, deren Herzstück das Soziale war und ist, war (so wie andere Sozialdemokratien in Europa auch) hin- und hergerissen zwischen Markt und Mensch. Sie konnte der neuen sozialen Kälte, ausgelöst durch die neoliberale Politik eines Ronald Reagan und einer Margret Thatcher und der Ökonomisierung aller Lebensbereiche (Stichwort: "Menschen sind Kosten auf zwei Beinen") keine Solidarität mehr entgegensetzen. Die SPÖ ist zu einer Supermarkt-Partei geworden, die nicht erkannt hat, dass es keinen sicheren Weg zum Erfolg und nur einen zum sicheren zum Misserfolg gibt: Es jedem recht machen zu wollen. Intellektuelle Auseinandersetzung musste den "Seitenblicken" weichen und zuletzt übernahmen die "Spin-doctors" das Kommando. Mit der von Tony Blair abgekupferten Feststellung "Weder links noch rechts. Vorwärts!" brachte Andreas Rudas als Bundesgeschäftsführer der SPÖ die Orientierungslosigkeit seiner Partei auf den Punkt und erinnerte damit an einen Sager Helmut Qualtingers als "Wilder auf seiner Maschin": Ich weiß zwar nicht, wo ich hin will, aber dafür bin ich schneller dort.

Nach einem Jahr Gusenbauer stellt sich die Frage, ob die SPÖ unter seiner Führung ihre Chance genützt hat? Noch nicht ausreichend, obwohl die Regierung nach dem Honeymoon der ersten Monate und dem Nebelvorhang der EU-Maßnahmen deutliche Schwächen zeigt. "Speed kills" (Geschwindigkeit tötet) macht Probleme, geht auf Kosten von Genauigkeit und Gerechtigkeit. Widersprüche und eine dünne Personaldecke der FPÖ, prägen den Regierungsalltag. Die schweigende Gelassenheit von Bundeskanzler Schüssel kann darüber nicht hinwegtäuschen. Auf der einen Seite sind Schüssel, Bartenstein, Prinzhorn, Grasser & Co. mit Besessenheit und in mini-thatcheristischer Manier unterwegs für Privatisierung, Auslagerung und Null-Defizit; auf der anderen Seite fürchtet das einfache Mitglied aus Kärnten um sein Lebenswerk und steigt unter anderem bei Ambulanzgebühr und Besteuerung der Unfallrenten auf die Bremse. Alles Sprengsatz für die Koalition, der zur Explosion führen kann, aber nicht muss.

Die SPÖ profitiert aus der zunehmenden Unzufriedenheit mit der Regierung, wie die Wahlergebnisse des letzten Jahres und insbesondere der 25. März in Wien zeigen. Gusenbauer & FreundInnen dürfen aber nicht überheblich werden: Noch wird vor allem gegen die Regierung und nicht für die SPÖ gestimmt. Die SPÖ ist zwar im Aufwind, der kann aber schnell schwächer werden, sollte die Regierung dazulernen und Tempo aus ihrer Reformwut herausnehmen. Manche in der SPÖ-Führung trauern auch noch immer der Regierungsbeteiligung nach und denken in den Kategorien Konsens und Kompromiss, wie es in der Regierungszeit üblich war. Das ist zwar ehrenwert, aber nicht das tägliche Brot einer Opposition. Das ist Kontrast und Konflikt in zivilisierter Form. Eine linke Oppositionspartei muss sich am Gegner reiben und ein eigenes offensives Programm anbieten. Nein sagen reicht nicht. Vor allem aber muss sie die Frage beantworten: Was ist heute Gerechtigkeit, und wo stehe ich? Auf der Seite des brutalen Marktes oder auf der Seite der Menschen?

Die Antwort muss lauten: Auf der Seite der Menschen. Denn der bloße Markt gerät immer mehr in eine Legitimationskrise. Das hat sogar US-Notenbankchef Alan Greenspan bereits erkannt, der kürzlich gemeint hat, dass bei aller Wertschätzung der freien Märkte "eine beträchtliche Besorgnis über die Auswirkungen des brutalen Wettbewerbs bleibt." Mit anderen Worten: In der grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen dem US-Modell des "brutalen Wettbewerbs" und dem Europa-Modell der sozialen Verantwortung muss die SPÖ eindeutig Partei ergreifen für diese soziale Verantwortung und vor allem auch dafür, dass der Staat wieder eine starke - aber nicht die alte - Rolle spielen soll. Dem täglichen Gebet von Schüssel, Bartenstein, Prinzhorn und Grasser von der Privatisierung, Filetisierung, Auslagerung und sozialen Treffsicherheit (gemeint ist Sozialabbau) muss die SPÖ die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit, verbunden mit einer notwendigen Durchlüftung und Modernisierung der verkrusteten Strukturen unseres Landes gegenüberstellen.

SPÖ-Kern stabilisiert Das Resümee ist: Der SPÖ mit Alfred Gusenbauer ist es im letzten Jahr gelungen, Stammwähler zurück zu gewinnen, die zu Haider abgewandert sind, ihren Kern zu stabilisieren. Das ist ein erster Schritt. Ein nächster Schritt muss sein, Wegbegleiter zu gewinnen, intellektuelle Ressourcen in- und außerhalb der SPÖ zu aktivieren, um die Themenführerschaft zurück zu erobern. Da gibt es Ansätze im "Netzwerk Innovation" (bei Bruno Kreisky waren das die berühmten 1.400 Experten), das bereits inhaltliche Ergebnisse (Grundsicherung) geliefert hat. Ein hoffnungsvoller Beginn, der fortgesetzt werden muss in Richtung stärkerer Besteuerung von brachliegendem Kapital, Wertschöpfungsabgabe, Entbürokratisierung, ...

Die Botschaft muss lauten: Für uns sind Menschen keine Nummern, sondern individuelle Biographien und Schicksale; der Rechenstift ist wichtig, aber es gibt Wichtigeres: Sinn zu geben in einer globalisierten Welt, in der viele Menschen Halt und Orientierung suchen.

Der Autor ist Sekretär von Nationalratspräsident Heinz Fischer und ein Vertreter der "Initiative für eine sozialistische Politik der SPÖ".

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