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Analyse einer Niederlage

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Das Vaterland und die in Österreich noch junge Demokratie brauchen eine konsolidierte SPÖ, eine angemessen und politisch einflußreiche Repräsentanz der in ihrer Mehrheit vorläufig noch sozialistischen Fabrikarbeiterschaft.

Durch den Wahlausgang von 1966 ist die SPÖ in eine Krise gestürzt worden. In einer geradezu depressiven Stimmung werden nun von einzelnen Sozialisten die Besrtim- mungsgründe des Wahlausgangs vielfach nur emotionell interpretiert. Gleichzeitig wird aber vorläufig alles getan, um der Partei jenes wenig anziehende Image zu erhalten, das für den Wahlausgang mitentscheidend gewesen ist.

Der für die SPÖ negative Wahlausgang 1966 ist wie jedes Wahlresultat in Demokratien auf drei Ursachenkamplexe zurückzuführen:

• aiuf Wandlungen der sozial-ökonomischen Bedingungen und des allgemeinen Denkens, die vom Sozialismus in Österreich nicht angemessen manipuliert und in Wählerzustimmung umgesetzt werden konnten;

• auf die Propaganda des Gegners, vor allem der ÖVP, die sich immer mehr an die sogenannten Massen adaptiert, vor allem an die Jugend;

• schließlich auf jahrelange und in den letzten Monaten ostentativ intensivierte, geradezu systematische Fehlleistungen der Sozialisten.

Nachträglich kann man vermuten, es wäre auch dann eine ÖVP-Mehr- heit zustande gekommen, wenn die Volkspartei lediglich auf die Nummer ihrer Liste hingewiesen hätte. Der menschlich begreifliche heilige Zorn einzelner Sozialisten ist daher eher eine Oberflächenäußerung für im Unterbewußtsein bereits erkannte Fehler. Man hatte jedenfalls in den letzten Jahren den Eindruck, die SPÖ habe eine fünfte Kolonne von Propagandisten der ÖVP ins Engagement genommen, die bemüht waren, ein negatives Firmenbild der Partei zu produzieren. Die Überraschung der Wahl ist daher nicht die Niederlage der SPÖ gewesen, sondern lediglich das Ausmaß derselben. Es ist daher ein Irrtum, anzunehmen, die Art des Wahlkampfes allein sei bestimmend für den Wahlausgang gewesen. Die Niederlage der SPÖ hat scheinbar vorweg festgestanden. Lediglich das Gewicht der KP-Stimmen war noch eine Unbekannte.

Katalog der Ursachen

Vielleicht kann es einer heilsamen Klärung der Gewinnung eines neuen Selbstverständnisses für den österreichischen Sozialismus dienen, wenn auch die Presse einen Katalog der Ursachen einer weitgehend iselbstproduzierten Niederlage vorlegt, jener Ursache also, die im Verhalten dier SPÖ gelegen und nicht dem Gegner anzulasten sind:

1. Wenn man versucht, eine Interpretation in der Schauweise des Marxismus vorwegzunehmen, ist man fast geneigt, zu sagen: Die SPÖ hat in ihrem Verhalten seit 1955 und ganz besonders im Wahlkampf 1966 übersehen, daß sich der Unterbau (das heißt die Summe der ökonomischen Bedingungen) in einem Jahrzehnt radikal verändert hat. Die Ideen, mit denen sich der österreichische Sozialismus in den letzten Jahren dargestellt hat, waren aber dä gleichen wie in der Ersten Republik, welche für die Mehrheit in der Führungsspitze der Partei ein versteinerter Bezugsrahmen, weniger im Denken als im Verhalten, zu sein scheint. Im Gegenteil: Es schien sich in den letzten Jahren sogar eine Rückentwicklung zu einer neuen Orthodoxie anzubahnen. Man kann aber in einer Konsumgesellschaft, die weitgehend auch von Sozialisten mitgeaohaffen wurde, nicht so tun, als ob noch die Ausbeutungssituation des 19. Jahrhunderts bestünde. Die Integration der Partei durch die Ausbeutung fehlt heute. J mehr Wohlfahrt, desto eher sind die Massen geneigt, jenen zu folgen, die ihnen nicht Altsozialismus, Kgalitė, sondern individuelle Steigerung der Konsumchancen versprechen. Auch die Betriebserlebnisse allein bestimmen nicht mehr das Denken der Arbeiter; die Freizeitwelt ist für die Arbeiter, ganz besonders für die Jungen unter ihnen, mitbestimmend geworden. Die Einpeitscher der SPÖ operierten dagegen mit Phantomen und richteten sich oft an historuche Schichten,

während sie die gegenwärtige Lebenssituation von vielen potentiellen Sozialisten völlig übersahen.

2. Die Verbindung der SPÖ-Spitze mit den Massen ist in den letzten Jahren sehr gelockert worden. Auf die Kritik ln den Sektionen, auf die Stimmen der Frontkämpfer des Sozialismus wurde nicht geachtet, obwohl es seit Jahren genug warnende Stimmen gegeben hatte.

3. Auf neue Wählerschichten wurde kaum Bedacht genommen, vor allem nicht auf die Jugend, die heute dn anderen Kategorien und angesichts der permanent scheinenden Vollbeschäftigung aus einer anderen Erfahrung denkt. Was ist etwa der Masse der Jugend von heute der „Februar 1934”? Was sind ihr die ergreifenden Schilderungen aus den Fabrikland’schaften des vorigen Jahrhunderts, wenn sie sich dessen bewußt ist, daß ihre Lebenschancen permanent steigen, falls sich nicht die gegebenen Bedingungen ändern?

Ebensowenig hat man sich bemüht, der Verbeamtung Rechnung zu tragen, der Tatsache, daß zwar Jungbauern und Meistersöhne in die Fabriken gehen, aber immer mehr Arbeiter zu Angestellten oder zu Facharbeitern werden und sich dann weithin mit den sozial vorgelagerten Schichten identifizieren, weshalb sie im Wortradikalismus der Sozialisten eine Bedrohung ihrer Stellung, die Gefahr einer erzwungenen Egalisierung nach unten, sehen.

4. Wie wurde das Phänomen Olah mißdeutet! Der ehemalige Innenminister war und ist die Personifikation eines „zweiten” Sozialismus, den man vorläufig nicht zu binden vermochte, sondern radikal ln die Vereinsamung nach rechts trieb.

5. Geradezu grotesk war der Hiereinfall auf den genial-diiabolischen Trick der KP. Das Kalkül mit den Stimmen der Kommunisten erwies sich als eine durch Schweigen erkaufte Aneignung „toter Seelen”.

Wenn der ÖVP die KP-Stimmen offeriert würden, könnte auch sie diese Stimmen nicht abweisen. Was von der SPÖ verlangt wurde, war: Die „Wahlhilfe” der KP auf die gleiche ostentativ plakatierte Weise abzulehnen, wie sie ihr langetragen wurde. Als Folge eines „hörbaren” Schweigens erhielt die SPÖ daher das Image einer alitmarxistischen Partei, deren Ideen zudem von Nur- Pragmatikem, von Nur-Taktikern, proklamiert wurden, Grund zur Verstärkung der Unglaubwürdigkeit. Gerade die Jugend wurde durch die nicht eindeutig abgeleugnete Verbindung mit der KP abgestoßen, eine Jugend, die zwar nicht antikommunistisch, aber in ihrer großen Mehrheit nachdrücklich nichtkommunistisch ist.

6. Dagegen erklärt man sich an den Stimmen gläubiger Katholiken ebenso ostentativ desinteressiert. Die Katholiken mußten angesichts der Kandidatenliste vermuten, daß bei einer absoluten Mehrheit der SPÖ unser Land von einer nur aus Nichtkatholiken bestehenden Bundesregierung geführt würde. Jedenfalls gab ee auf den Kandidatenlisten nicht einen bekannten Katholiken, obwohl dn den Ländern genug geeignete Bewerber vorhanden gewesen wären. Nach dem Ausscheiden de® von den Katholiken sehr geschätzten Präsidenten des Wiener Stadtschulrates, Dr. Max Neugebauer, verfügt die SPÖ nunmehr im Hohen Haus über keinen in Fragen von Kirche und Staat informierten Sprecher.

7. Völlig ohne Anteilnahme sind die drohenden Hinweise auf den bevorstehenden „Einmarsch” von Otto von Habsburg aufgenommen worden. Auch im Fall Habsburg hat sich erwiesen, daß die SPÖ eine alte und in einem besonderen Sinn immer älter werdende Partei ist und sich bemüht, die Zukunft mit der permanenten Liquidation der Vergangenheit zu bewältigen.

8. Die Liaison der SPÖ mit der FPÖ war für diese selbst von wenig Nutzen, wenn man von der „Spende” absieht, hat aber in der Geschichte de demokratischen Sozialismus der ganzen Welt kein Vorbild. Tausende von Sozialisten und Freiheitlichen haben nach Bekanntwerden der erstaunlichen „Verlobung” im Geist bereits die ÖVP gewählt gehabt. Als man zuerst die FPÖ als demokratisch bezeichnet und, da sie das erhaltene Geld nur unzureichend in Gesinnungsänderung umsetzte, wieder als „rechtsextremistisch” abtat, konnte dies die vollzogene Gesinnungsände- rung vieler Sozialisten nur rechtfertigen. Gleichzeitig wurde die Drohung mit dem „Bürgerblock” auf Jahre unglaubwürdig, da man selbst einen „Block” mit dem bestochenen „Klassengegner” bilden wollte.

9. Fußach war ebenfalls kein Ruhmesblatt. Was die ÖVP für die Ereignisse in Fußach konnte, ist daher nicht recht ersichtlich.

10. Die Werbung der SPÖ war kaum besonders anziehend und geeignet, Gesinnung zu erzeugen. Werbeformeln, die bei Coca-Cola- und Puschkin-Käufern anziehen, müssen, im Wahlkampf verwendet, noch nicht eine politische Gesinnungsentscheidung herbeiführen. Auch der Hinweis auf die preissteigemde ÖVP zieht nicht ausreichend, wenn man selbst in der Regierung sitzt und ebenfalls Preise macht oder sie durch Forderungen an den Finanzminsiter beeinflußt. Und warum neuerlich den Rentenklau präsentieren? Fällt den Werbemanagern in der Löwelstraße tatsächlich nichts mehr ein, das neu und glaubhaft wirkt?

11. Die Idee, die DFP über eine notdürftig legitimierte (juristisch geradezu stümperhaft begründete) kommissarische Leitung der „Kronenzeitung” zu schwächen, war in einer Situation, in der man sich für die Bevölkerung in bedenklicher Nähe zur KP befand, ein Widersinn. Praktisch stieß man Tausende von „kleinen Leuten”, potentielle SPÖ- Wähler, vor den Kopf.

12. Auch der Ton der Propaganda war, gelinde gesagt, oft unpassend. Ein Beispiel: Den Gegner als „Gesetzesverbrecher” anklagen und ihn gleichzeitig zur weiteren Zusammenarbeit aufzufordern, ist entweder zwiespältig oder es macht die Partei ebenso unernst wie ihre permanente Opposition in der Regierung. Mit radikaler Werbung kann man nur Radikale anziehen. Das sollte man gerade in einer Zeit bedenken, in der die allgemeine Sattheit den Radikalismus dämpft; freilich auch den Bekenntniswillen..

12. Die Frage Volksbegehren wurde nicht so behandelt, wie es aus Gründen der Meinungspflege erforderlich gewesen wäre. Der Sprecher der SPÖ im Hohen Haus ließ jedenfalls bei der Behandlung des Volksbegehrens nicht vermuten, daß seine Partei gewillt sei, Opponenten in Sachen Rundfunk und Fernsehen zumindest anzuhören und sich mit ihnen in Richtung auf eine Lösung auseinanderzusetzen.

Die kritische Phongrenze

Wenn man geneigt ist, in diesen Tagen einzelne SPÖ-Stimmen ernst zu nehmen, könnte man vermuten, der Wahlkampf 1970 habe schon begonnen. Durch das Überschreiten einer kritischen Toleranzigrenze in der Turbulenz der Angriffe, durch Übernahme von Stilformen der Extremen kann aber auch das Gegenteil an erhoffter Wirkung erzeugt werden. Ab einer bestimmten Phonstärke werden Töne nicht mehr aufgenommen.

Fortsetzung des „Heiligen Krieges”?

Die SPÖ hat eine Niederlage erlitten, deren Ausmaß qualitativ schwerer wiegt, als es die Stimmenproportionen andeuten. Sie hat als Folge eines innersozialistischen Normenkonfliktes zumindest auf Zeit einen Teil der Arbeiterschaft verloren und ist in Wien auf die Hälfte der abgegebenen Stimmen gesunken.

Im Interesse der SPÖ (aber auch Österreichs) ist daher eine Einsicht in begangene Fehler eher erforderlich als der fortgesetzte Versuch, die Schuld für eine Niederlage im Rahmen der Weiterführung eines „Heiligen Krieges” gegen die „Ungläubigen” lediglich dem Gegner anzulasten, einem Gegner, der diesmal kaum mehr zu tun hatte, als die von der SPÖ in jahrelanger „Arbeit” vertriebenen Wähler — ganze Wählerschichten — aufzunehmen.

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