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Der zweite „Fall Otto“?

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Der „Fall Otto“ war der Deckname, unter dem einmal Adolf Hitler den Griff nach Österreich vorbereitete. Das Unternehmen sollte ausgelöst werden, sobald der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich an die Spitze der Regierung des damaligen Bundesstaates Österreich berufen wird. Der „Fall Otto“ wurde — wie wir wissen — am 11. März 1938 durchgegeben, obwohl damals weniger als je zuvor eine Restauration des Hauses Habsburg zur Debatte stand. Fünfundzwanzig Jahre und wenige Monate später müssen wir uns fragen, ob der Vorsitzende der Sozialistischen Partei Österreichs seinen „Fall Otto“ vorbereitet. Wieder geht es um den Griff nach der Macht im Staate Österreich. Abermals ist der Name des Kaisersohnes mit einer Krise, die leicht zur Krise der Zweiten Republik werden kann, verbunden. „Innig bleibt mit Habsburgs Throne Österreichs Geschick vereint.“ Wenn man statt „Habsburgs Throne“ „Habsburgs Name“ einsetzt, so scheint der Sänger der alten Volkshymne recht behalten zu wollen ...

Der Spruch des Verwaltungsgerichtshofes in der Sache Otto Habsburg-Lothringen scheint nun den nicht unwillkommenen Anlaß zu schaffen, eine Art „Fall Otto“ II auszulösen. Nach der Devise: Jetzt oder nie. Doch davon später.

Hier soll nicht in das Streitgespräch der Juristen eingegriffen werden. Sie hatten und haben an anderer Stelle das Wort. Eine Erhellung der politischen Bühne, eine Ausleuchtung ihres Hintergrundes wurde bisher noch kaum versucht. Sie sei hier gewagt.

Wenn man es genau nimmt, begann alles am Abend des 18. November im vergangenen Jahr. Damals zeigten in unbestechlicher Klarheit die großen Leuchtbuchstaben der Hauptwahlbehörde, daß die SPÖ auch diesmal auf dem zweiten Platz geblieben war. Vizekanzler Doktor Pittermann verließ eindeutig als Verlierer der Nationalratswahlen 1962 die Walstatt. Er mußte damit rechnen, daß die Opposition gegen seinen Kurs der unverbindlichen Verbeugungen nach vielen Seiten sich formieren, ja, daß der nächste Parteitag womöglich seine Position nicht unangetastet lassen könnte.

Doch in der Politik ändert sich die Szene schnell. Es kam die Abnützungsschlacht der ÖVP bei den Regierungsverhandlungen. Es ist heute weder Zeit noch Ort, um noch einmal die Frage aufzurollen, ob eine vom Anfang an mehr elastischere Haltung der Volkspartei die Verhandlungen nicht

vielleicht kürzer und für die Partei selbst auch positiver gestaltet hätte. Auf jeden Fall bildete sich in diesen Wochen und Monaten bei den Sozialisten die Meinung, es gäbe in der Volkspartei nicht unbeträchtliche Gruppen, deren Ziel eine Ausbootung der Sozialisten aus der Regierung und eine Kooperation mit den Freiheitlichen sei. Damals, und nicht erst heute, wurden allem Anschein nach von der Löwelstraße die ersten Fäden zu Leuten der FPÖ gesponnen, um notfalls wenigstens einige ihrer Abgeordneten aus dem drohenden „Bürgerblock“ herauszubrechen. Auch setzte sich in sozialistischen Köpfen die Meinung fest, das Gaullistische Beispiel sei in Österreich nicht ohne Eindruck geblieben. Und die Schlüsselfigur für einen „Austro-Gaullismus“ sei niemand anderer als der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich. Unnötig zu bemerken, daß weder der Bürgerblock noch ein „Austro-Gaullismus“ unter jenen, denen das Wort christliche Demokratie nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, Fürsprecher haben.

Das große Trauma der zweiten Regierungspartei löste sich erst allmählich, als die Volkspartei — unnötigerweise! — den Fehdehandschuh zur Bundespräsidentenwahl aufnahm, deren Ausgang unschwer vorauszusehen war. Es kam auch, wie es kommen mußte. Es kam aber noch mehr. Dr. Schärf wurde nicht nur wiedergewählt, er erhielt die absolute Mehrheit in sieben von neun Bundesländern. Während, wie zu befürchten war, durch den Ausgang der Bundespräsidentenwahlen der Erfolg der ÖVP bei den Nationalsrats-wahlen zumindest psychologisch „verdunkelt“ wurde, verfielen allem Anschein nach die Sozialisten immer mehr dem Trugschluß, jede für Dr. Schärf abgegebene Stimme auf das Konto ihrer Partei umzubuchen. So reifte bei einem Mann wie dem Vizekanzler, dem das Spiel zur zweiten Natur wurde, die Idee, gegebenenfalls den ganzen Einsatz zu wagen. Auf die „Ochsentour“ war es bisher nicht gelungen, die Sozialistische Partei an die erste Stelle zu bringen. Zweimal war es beinahe so weit, doch da machte die Wahlarithmetik einen Strich durch die Rechnung, dann wieder hatten die Wähler „schlapp“ gemacht. Konzepte für einen weiteren Ausbau der SPÖ zu einer Art „sozialistischer Volkspartei“, wie sie jüngere Theoretiker wie Günther Nenning entwickeln, schienen zu langfristig.

Ginge es eigentlich nicht auch anders, schneller? Die Kontakte in Richtung FPÖ wurden jedenfalls weiter kultiviert.

Da kam das Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Sachen Otto Habsburg-Lothringen. Dr. Pittermann hörte seine Stunde schlagen. Nebenbei bemerkt stand der SPÖ-Parteitag, von dem er in seiner Führungsrolle bestätigt werden sollte, vor der Tür. So wurde das Stichwort „Fall Otto“ II durchgegeben.

Was darauf folgte, ist bekannt. Die Anfeuerung des Kessels politischer Leidenschaften erreichte ihren bisherigen Höhepunkt am Sozialistischen Parteitag vergangener Woche. Dort wurde auch die neueste Linie der SPÖ von ihrem Chef bisher am klarsten skizziert. Um dem „Anschlag der Reaktion“ zu begegnen, sei die SPÖ bereit, das Steuer herumzureißen und mit jedem, der auf diesem Weg ihr zu fol-

gen bereit sei, zu kollaborieren. Die bis gestern noch als höchste Tugend geltende Zusammenarbeit der beiden großen Parteien als Garant einer friedlichen Entwicklung der Innen- und Außenpolitik ist plötzlich gar nicht mehr so wichtig. Die FPÖ wird über Nacht nicht nur vom rechtsradikalen, sondern auch vom deutschnationalen Makel freigewaschen, bekommt das Firmenschild „liberal“ und ist damit im Handumdrehen ein potentieller Koalitionspartner geworden. So einfach geht dies; bei Dr. Pittermann kann man wirklich Dialektik lernen.

„Die Zukunft“ darf man allerdings nicht lesen. Dort schreibt nämlich Josef Hindels in der Juninummer in einer Rezension einer Broschüre von Dr. Massiczek: „... was er (Dr. M.) über die FPÖ berichtet, sollte jenen zur Pflichtlektüre gemacht werden, die uns einzureden versuchen, diese Partei sei .liberal' und habe, mit dem Rechtsextremismus nichts zu tun ...“ Pflichtlektüre? Josef Hindels wird also gut tun, diese Broschüre seinem Parteivorsitzenden wie seinen Kollegen im sozialistischen Zentralorgan in die Tasche zu stecken.

Was wird wirklich gespielt? Revanchiert sich die Führungsgarnitur der SPÖ nur für das zeitweise eigene Zittern bei den Regierungsverhandlungen im Winter, will sie die Situation, ihren Gegner im „Clinch“ zu haben, nur reichlich ausgenießen, oder steckt dahinter doch ein größeres Konzept, das letzten Endes nur darin bestehen könnte, über den Umweg der „rotblauen“ Koalition den Griff nach der ganzen Macht im Staat zu tun?

Nach den Ereignissen der letzten Wochen ist letzteres nicht mehr ganz von der Hand zu weisen. Doch wir wären nicht in Österreich, hätte nicht selbst ein so wenig von ideologischem Ballast beschwerter Politiker wie der Vizekanzler doch ein wenig Angst vor der eigenen Courage. In diesem Sinn will auch die Vertagung des Koalitionsausschusses, pardon, des Arbeitsausschusses der beiden Regierungsparteien auf Montag verstanden werden.

Dem großen Sprung ins Dunkel, auch wenn er die Macht verheißen soll, steht doch noch einiges entgegen.

• Das ist vor allen Dingen der Bundespräsident. Er ist zwar bestimmt seiner Partei verbunden, er ist aber auch seinen Wählern verpflichtet. Und diesen hat er sich klar und eindeutig als Garant der Zusammenarbeit zwischen den beiden großen Parteien verpflichtet. Ein gar nicht so geringer Prozentsatz gab ihm wohl im Mai aus diesem und keinem anderen Grund die Stimme. Dr. Schärf wird eine solche Trübung des Vertrauens in das Wort des Bundespräsidenten nicht wollen können. Aus diesem Grund ist anzunehmen, daß er selbst im Falle eines Regierungsrücktrittes Neuwahlen den Vorzug vor allen anderen Kombinationen geben würde.

• Aber auch bei den wertvollsten Kräften des österreichischen Sozialismus dürfte eine Kombination SPÖ-FPÖ starke innere Widerstände auslösen. Gerade der Gewerkschaftsflügel, aber auch die jüngere Intelligenz haben sich in den letzten Jahren eine konsequente staatspolitische österreichische Linie erarbeitet, auf der man sich wohl mit der Mehrheit der österreichischen Katholiken, aber kaum mit den späten Erben Schönerers begegnen kann.

• Die Unterschiede im Neutralitätsund Integrationskonzept der SPÖ und der FPÖ sind zu bekannt, als daß sie besonders skizziert werden müßten.

Selbstverständlich kam dies alles beim Parteitag nicht zum Ausdruck. Dort wurde Geschlossenheit demonstriert. Und manches auch von der sozialistischen Parteipresse zensuriert, was die neuen Freunde kränken könnte. (Zum Beispiel die Resolution gegen den „Turnerbund“.) Aber der in das Studium seiner Akten versunkene Innenminister Olah, wie der äußerst zurückhaltende Dr. Kreisky blieben nicht unbemerkt.

In seinem Beitrag zur „Orientierung im zeitgenössischen Sozialismus“, „Begegnung und Auftrag“, unterscheidet Norbert Leser nicht unpolemisch zwischen einer „demokratischen-österrei-

chischen-sozialen“ und einer „autoritären - deutschnationalen - besitzbürgerlichen“ Komponente in dem, was er mit anderen Sozialisten heute etwas verallgemeinernd „konservatives Lager“ nennt (S. 236). Die Vorgänge der letzten Wochen stellen unter Beweis, daß Dr. Leser nur vergessen hat, das Spiegelbild im österreichischen Sozialismus zu zeigen. Auch hier kann man anscheinend anders. Da erinnert man sich an schwarz-rot-goldene Träume 1848, der Name Pernerstorfer, Welcher sich unter den Klängen des Liedes vom „Gott, der Eisen wachsen ließ“ beerdigen ließ, fällt einem ein, und niemand anderem als Otto Bauer galt doch die Wiedererrichtung Österreichs als „reaktionäre Parole“, der er lieber die „gesamtdeutsche Revolution“ entgegensetzen wollte. Gesprächsstoff also genug, wenn man mit Herrn Peter in die Laube geht.

In diesem Blatt wurden — das müssen auch unsere Gegner zugeben — nie Sympathien für „antimarxistische Einheitsfronten“-gezeigt und zu keiner Zeit Stimmung für ein Tete-ä-tcte Volkspartei-Freiheitliche gemacht. Wir haben uns damit nicht nur Freunde erworben. Wer in der Tradition der Funder und Schmitz, der Kunschak und Winter steht, wer eine konsequente österreichische Staatspolitik will, konnte und kann jedoch nicht anders handeln. Er wird aber auch selbstverständlich nun gegen jene von der Löwelstraße propagierte „Alternative“ Front machen. Und zwar mit allem Nachdruck.

„Kein Zünglein!“, rief Friedrich Funder („Furche“, 21. April 1951), kein Abhängigkeitsverhältnis einer großen Partei von einei' kleinen parlamentarischen Gruppe, die sich einmal hier und einmal dort gegen hohe Abschlagszahlung verkauft und dadurch einen Einfluß gewinnt, der ihre Bedeutung an Stimmen um ein weites übersteigt, wobei letzten Endes das geistige Grundkonzept dieses Staates in Fetzen gehen müßte.

„Kein Zünglein!“ Diese Mahnung gilt auch heute noch. Für rechts und links.

Seit jenem Appell ist freilich mehr als ein Jahrzehnt vergangen. Die alte Koalition ist müde geworden. Viel Sand ist in ihr Getriebe geraten. Die in diesen Tagen aufgebrochene, schon seit langem schwelende politische Krise ist aber vor allen Dingen eine Krise der menschlichen Beziehungen. An dit Stelle jener, die sich auf den Appellplätzen der Lager der Gewalt schworen, nie wieder in alte Fronten zurückzufallen, sind andere getreten. Vielfach nüchterne politische Manager und kühle Techniker der Macht. Ihnen mangelt jedes existentielle Erlebnis und vielfach auch oft das Wissen um die Idee dieses Staates. Der Generation aber, die einmal, damals noch sehr jung, mit Hand am Wiederaufbau dieses Staates legte und die, gleichgültig welchem Lager sie entstammte, staatspolitisch eine Sprache sprach und spricht, wurde vielfach der Zugang in die aktive Politik abgemauert. Das rächt sich nun.

Ohne neue Loyalitäten jedoch keine echte Sanierung, jondern nur eine Prolongierung des schleichenden Unbehagens, das nun zur offenen Krise geworden ist.

Was von einer Verbindung SPÖ-FPÖ zu halten ist, wurde hier klipp und klar ausgesprochen. Nicht besser verhält es sich, wenn man statt SPÖ ÖVP einsetzt. Und die zuletzt als Ausweg genannte „Konzentrationsregierung“ ÖVP-SPÖ-FPÖ? Sie müßte den Freiheitlichen erst recht die Rolle des „Züngleins an der Waage“ verschaffen.

Also bleibt doch nur die alt schwarz-rote Koalition? Ehrlich gesprochen, hätte auch sie in ihrer heutigen Form einer besseren Platz zu machen. Der rotweißroten Koalition, der Zusammenarbeit aller Menschen, die dieses Land wollen, wo immer sie stehen.

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