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Glanz und Elend des MeinungsJournalismus

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In Österreich kann keine politische Wochenzeitung nur von ihren Käufern und Inserenten leben. Auch die FURCHE nicht. Auch sie wurde schon das eine oder andere Mal totgesagt. Aber noch nie hing die Existenz dieser Zeitung an einem so dünnen Faden wie dieses Mal. Wir haben, dank dem Eingreifen der österreichischen Bischöfe, die Existenzkrise überstanden. Wie ein einzelner Mensch, der erst dann, wenn sein Leben auf dem Spiel steht, erkennt, auf wieviele andere er zählen kann, so wurde auch uns eine Fülle von Sympathiekundgebungen zuteil — darunter so manche, auf die wir nicht gerechnet hätten und die uns daher um so mehr freute. Aber es ist ein Augenblick, Bilanz zu ziehen. Es ist nur eine Zwischenbilanz geworden, aber doch eine, die nicht nur uns, sondern den Meinungsjournalismus dieses Landes generell angeht.

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In Österreich kann keine politische Wochenzeitung nur von ihren Käufern und Inserenten leben. Auch die FURCHE nicht. Auch sie wurde schon das eine oder andere Mal totgesagt. Aber noch nie hing die Existenz dieser Zeitung an einem so dünnen Faden wie dieses Mal. Wir haben, dank dem Eingreifen der österreichischen Bischöfe, die Existenzkrise überstanden. Wie ein einzelner Mensch, der erst dann, wenn sein Leben auf dem Spiel steht, erkennt, auf wieviele andere er zählen kann, so wurde auch uns eine Fülle von Sympathiekundgebungen zuteil — darunter so manche, auf die wir nicht gerechnet hätten und die uns daher um so mehr freute. Aber es ist ein Augenblick, Bilanz zu ziehen. Es ist nur eine Zwischenbilanz geworden, aber doch eine, die nicht nur uns, sondern den Meinungsjournalismus dieses Landes generell angeht.

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Denn die von der FURCHE ausgehenden Wirkungen waren mit dem Maßstab der Auflagenzahlen niemals zu erfassen. Das „notwendige, unbequeme, ja mitunter sogar lästige Regulativ“, als das Chefredakteur Kurt Skalnik sie anläßlich ihres zehnjährigen Bestehens bezeichnet hat, ist sie vom Anfang bis zum heutigen Tage geblieben.

Daß die FURCHE in ihren frühen Jahrgängen innenpolitischen Einfluß hatte und meinungsbildend wirkte, ist heute unbestritten. Daß es bis heute so geblieben ist, wollen wir am Beispiel der slowenischen Minderheit zeigen. Gerade in diesen

FURCHE-Chefredakteur Skalnik (1967): „Das notwendige, unbequeme Regulativ“

Tagen, in denen über das Schicksal der FURCHE entschieden wurde, beschäftigten sich beide großen Massenzeitungen Österreichs intensiv und positiv mit den Slowenen. In der einen setzte sich dieser Tage Jörg Mauthe, übrigens einer der vielen hervorragenden Publizisten Österreichs, die irgendwann über längere Zeit hinweg regelmäßig für die FURCHE geschrieben haben, in seiner Funktion als „Watschenmann“ für Großzügigkeit gegenüber den Slowenen ein. Die andere greift

Argumentationen von Theodor Veiter auf, der jahrelang für die FURCHE über die Probleme der slowenischen Minderheit schrieb.

Wir glauben, den bemerkenswerten Lernprozeß, den Österreich in den letzten Monaten in Sachen Minderheiten absolviert hat, zu einem hohen Anteil auf unsere eigene Tätigkeit zurückführen zu können. Denn die FURCHE war dabei die publizistische Vorhut. Wir erinnern nur an die zahlreichen Beiträge, in denen der heutige Hörfunk-Intendant Wolf in der Maur für die Rechte der Slowenen, für Großzügigkeit gegenüber der Minderheit, Stellung genommen hat, oder an unser nur wenige Wochen zurückliegendes Interview mit Bundespräsident Kirchschläger.

Die FURCHE ist eine der letzten meinungsbildenden Zeitungen in dem Sinne, wie wir dieses Wort verstehen. Wir glauben, daß echte publizistische Meinungsbildung im diametralen Gegensatz zum Personalisieren von Sachfragen steht. Aber auch die heute weithin üblichen abgepaßten 15 Zeilen Meinung mit Bild des Kolumnisten genügen nicht diesem Anspruch. Meinungsbildung, wie die FURCHE dieses Wort verstand, ist das langsame, mühsame V/eiterverfolgen von Themen ohne Rücksicht darauf, ob sie gerade aktuell und gefragt sind. Wer meinungsbildend arbeiten will, muß vor allem in Kauf nehmen, unbequem zu sein, anzuecken — es fragt sich, wie groß in der Zeit eines verschärften Überlebenskampfes auf dem Zeitungsmarkt die Nische für echten Meinungsjournalismus überhaupt noch ist. Denn Meinungsbildung kann ja per definitionem nur dort stattfinden, wo die zu bildende Meinung noch nicht besteht, und kann sich daher immer nur auf eine kleine Minderheit des Lesepublikums stützen.

Was hat eigentlich in den vergangenen 30 Jahren die Kontinuität der FURCHE ausgemacht? Sie ist ein katholisches Wochenblatt, das immer den Dialog mit Andersdenkenden gesucht hat. Vorausgesetzt, diese an-

deren bekennen sich zum Zusammenleben in einem demokratischen, wie man heute sagen würde: pluralistischen Staat. Die Verbindung zwischen Prinzipientreue und Offenheit, die bei der Gründung der FURCHE durch Friedrich Funder angestrebt wurde, hat sie bis heute durchgehalten. Auch die Grenzen, an denen für die FURCHE die Diskussion endete und die politische Gegnerschaft begann, sind immer dieselben geblieben. Sie ist ein Forum für Christen aller Konfessionen, und für Sozialisten ebenso wie für Konservative, aber ihre Toleranz endet dort, wo die Intoleranz der anderen beginnt. Die FURCHE rückte niemals einen Schritt von ihrer Abgrenzung gegenüber den Totalitarismen ab.

Daß die Abgrenzung nach rechts über lange Perioden deutlicher hervortrat, ist lediglich darauf zurückzuführen, daß in Österreich in Sachen Abgrenzung gegenüber linkem Totalitarismus ohnehin ein breiter, seit 1945 niemals in Frage gestellter Konsensus besteht, hingegen zeitweise eine gewisse Anfälligkeit für eine Verbreiterung der Basis nach rechts deutlich sichtbar wird.

Opposition gegenüber jeder kleinen Koalition mit der FPÖ war immer ein integrierender Bestandteil unserer politischen Linie. Egal, ob die ÖVP oder ob die SPÖ nach einer solchen kleinen Koalition schielt.

Zwei Minister wurden von der FURCHE veranlaßt, zu gehen — der allzu selbstherrliche Außenminister der ÖVP Gruber und der von der SPÖ nominierte Landwirtschaftsminister Oellinger mit der NS-Ver-gangenheit. Aber auch gegen gewisse Niveauverluste im politischen Leben hat die FURCHE stets vehement

Stellung genommen. Es sei nur an des gegenwärtigen Bundeskanzlers Medienpläne in Verbindung mit dem Literaturagenten Ferenczy erinnert, die wir — wie wir meinen — mit Erfolg durchkreuzten.

Unter allen ihren Chefredakteuren — Friedrich Funder, Kurt Skalnik, Willy Lorenz (der sich übrigens Ende März in Graz habilitierte) und Hans Magenschab — gehörte es zu den besonderen Kennzeichen der FURCHE, Forum der Begegnung zwischen kommenden jungen Männern und den Grand Old Men zu sein. Die Elite der österreichischen Politik schrieb in der FURCHE. Viele angehende Talente waren jahrelang Mitarbeiter — bevor sie „etwas wurden“.

Bundesparteiobmann Taus schrieb sechs Jahre über Wirtschaft, Generalsekretär Busek schrieb zahlreiche gesellschaftspolitische Beiträge, seine Frau, Helga Busek, redigierte jahrelang die Buchseite der FURCHE. Für die FURCHE schrieben Bruno Kreisky und Bruno Pittermann, Josef Klaus, Theodor Piffl-Percevic, Fritz Bock und Lujo Toncic, Otto Habsburg, Kurt Schuschnigg.

Für die FURCHE schrieben Intellektuelle so unterschiedlicher Ausgangspositionen wie Viktor Matejka, Alfons Dalma (vor dessen ORF-Zeit) oder Rupert Gmoser. Aus dem Bereich der Wissenschaften seien hier nur der Soziologe Bodzenta, der Psy-

chologe Frankl, die Historiker Jed-licka und Wandruszka, die Politologen Leser und Pelinka (der der FURCHE-Redaktion längere Zeit als Redakteur angehörte) erwähnt. Wir schreiben alle diese Namen spontan, aus dem Gedächtnis, nieder, ohne vorher 30 Jahrgänge FURCHE durchgeblättert zu haben — wir haben mit Sicherheit viele wichtige Persönlichkeiten vergessen.

Worauf es uns hier vor allem ankommt, das ist, zu zeigen, in welchem Ausmaß die FURCHE bis zum heutigen Tag dem Gesetz, unter dem sie angetreten, treu geblieben ist.

1951 gab sie in einer Situation, als die Entscheidung über die Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk oder durch die Bundesversammlung auf Messers Schneide stand, für die Volkswahl des Bundespräsidenten den Ausschlag. „Wie gefährlich“, schrieb damals Friedrich Funder, „Ausnahmen von den Grundsätzen der Verfassung sind, wenn auch nur für einen bestimmten Einzelfall vorgesehen, erweist sich jetzt, da keine der 1931 oder 1945 gegebenen Ursachen für das Unterbleiben der Volksabstimmung und ihren Ersatz durch einen Wahlakt der Nationalversammlung gegeben ist und dennoch mit dem Hinweis auf das durch diese zwei Präsidentschaftswahlen gegebene Präjudiz der Plan vertreten wird, auch die nunmehrige Berufung des Bundespräsidenten wieder ohne Bundesvolk, nur in dessen indirekter Vertretung durch die Nationalversammlung, vollziehen zu lassen.“

Wäre 1951 der Bundespräsident neuerlich durch die Volksvertreter gewählt worden — übrigens ging damals Theodor Körner siegreich aus der Volkswahl, für die sich Funder eingesetzt hatte, hervor —, wäre die-

ses Verfahren möglicherweise tradiert worden. Funder wußte genau, was er tat — er schrieb den Leitartikel, aus dem wir zitierten, obwohl er persönlich einen Bundespräsidenten der Volkspartei in der Hofburg sehen wollte und obwohl sich bei einer parlamentarischen Präsidentenwahl eine sichere Mehrheit für einen solchen ergeben hätte. Er ahnte, daß das Staatsvolk einen sozialistischen Kandidaten bevorzugen würde. Aber er konnte nicht anders.

Und auch Außenminister Gruber, den er knapp drei Jahre später zum Rücktritt veranlaßte, war weder ein politischer noch ein persönlicher Gegner Funders oder der FURCHE. Funder schrieb damals: „Der Herr Bundesminister für Auswärtige Angelegenheiten, Herr Karl Gruber, ist amtsmüde geworden. Er wird demnächst aus seinem Amte scheiden. Nicht ganz unerwartet und in gewissem Sinne verständlich. Wenn man durch acht Jahre dem gesetzten Ziel nicht näherkommt, kann man verdrießlich werden und sich eine Veränderung wünschen. Die auswärtigen Angelegenheiten unseres Landes sind ein steiniger Acker, auf dem Lorbeer schlecht gedeiht.“

Gruber, ein Mann von großem Ehrgeiz, der in seiner Ministerposition nicht genügend Befriedigung fand, hatte seinen Parteifreund Altkanzler Figl in seinen Memoiren

nicht sehr fair behandelt. Es war eine Stilfrage.

Ein Teil der FURCHE-Redaktion hat Funder noch gekannt, ein Teil nicht. Wie so viele Institutionen mit starker Ausstrahlung wird die FURCHE nicht nur von ihren Redakteuren und Mitarbeitern geprägt, sondern diese ihrerseits von ihr. Die Menschen, die in diese Redaktion eintraten, haben hier oft genug sich selbst stärker verändert als das Blatt.

Verändert die Chance, eine Meinung publizistisch zu vertreten, den Menschen, dem diese Gelegenheit zuteil wird? Die FURCHE ist eine der wenigen Zeitungen, in denen Meinungen nicht nach dem Maß des Lesers konfektioniert werden. In denen der Autor gezwungen ist, seine Meinung in Eigenverantwortung zu entwickeln. In sich selbst zu suchen, was längst weithin zum Markenartikel geworden ist. Meinung als Ergebnis von Grundsätzen — nicht, wie heute in so vielen Fällen, Meinungen als Ersatz für Grundsätze.

Vielleicht sind Grundsätze in der Zukunft .ein Luxus. Vielleicht resultiert die Bedeutung der FURCHE daraus, daß sie von diesem Luxus nicht abgelassen hat und daß sie ihre Grundsätze, notfalls auch gegen gute Freunde, vertritt. Vielleicht ist der Luxus, Grundsätze zu haben, heute teurer, als er es jemals war.

Wir sind glücklich, ihn uns weiterhin leisten zu können, und wir glauben, damit eine wichtige Funktion zu erfüllen — für unsere Überzeugungen und für dieses Land.

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