6844247-1976_10_01.jpg
Digital In Arbeit

Von der Zweiten zur „Dritten Republik“?

Werbung
Werbung
Werbung

6. März 1966.

Zehn Jahre ist es in dieser Woche her, daß Österreichs Regierungssystem einen entscheidenden Wandel durchmachte. Nach dem Wahltag von 1966 wurde eine Alleinregierung gebildet, die die Große Koalition von ÖVP und SPÖ ablöste.

Was damals, vor genau zehn Jahren, wie eine vorübergehende Periode aussah, hat sich mittlerweile als Selbstverständlichkeit etabliert. Man erinnere sich: Zwanzig Jahre Große Koalition hatten so etwas wie einen österreichischen Weg proklamiert.

Die Bildung einer Alleinregierung durch die ÖVP war 1966 eine echte Mutprobe — wußte man doch nicht, welche Konsequenzen ein solcher Schritt für innere Ruhe und sozialen Frieden bringen würde.

Nun, die erbittertsten Gegner der Alleinregierumgsidee von 1966, wie Bruno Kreisky, sind heute geradezu deren fanatische Anhänger. Und in der ÖVP ist es heute genau umgekehrt. Im letzten Wahlkampf stellt man eine neue Große Koalition, ja sogar eine Dreiparteien-Regierung als Heilsphilosophie den Wählern vor.

Dennoch: die Zweite Republik, die in den ersten zwei Dritteln ihrer Geschichte von einer Koalitionsregierung, das letzte Drittel von Einparteienregierungen verwaltet wurde, hätte Grund zum Feiern — wenn es

Die „Beficor“-Affäre, die den Bau-ring-geschädigten Steuerzahler weitere 60 Millionen kostet und nun zur Verhaftung des Architekten Ursprunger führte, ist nur eine Randerscheinung des Bauring-Skandals, dessen harten Kern das Versickern eines zehnmal so großen Betrages im arabischen Wüstensand bildet.

Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft ließ Vrsprunger just in einem Moment verhaften, in dem in der großen Bauring-Affäre neues Belastungsmaterial gegen sehr viel wichtigere Männer publik wurde. Die Hauptfragen bleiben nach icie vor: Hat Felix Slavik schon 1970 vom geplanten saudiarabischen Abenteuer gewußt oder nicht? Wer ist für die Falschinformation der Öffentlichkeit verantwortlich? Wurde nach Slaviks Abgang nicht mehr gelogen? Wer bezahlt den Schaden?

Das Interesse, von solchen Fragen abzulenken, ist deutlich sichtbar. Der Verdacht, daß die Verhaftung Vrsprungers eine derartige Funktion haben könnte, ist jedenfalls nicht von der Hand zu weisen (um es sehr schonend auszudrücken). In der eigentlichen, in der saudiarabischen Affäre geschah bisher nichts. Nur wurden Hunderte Millionen verpulvert. Der gemeinwirtschaftliche Gedanke, der bei der Gründung des Bauringes Pate stand, ist mittlerweile zutiefst diskreditiert. Immer deutlichere Zeichen, daß das Ganze keineswegs ein Alleingang der Bauring-Manager war, Vierden sichtbar. Es ist der nicht nur dem Beirage nach übelste Skandal seit 1945.

Und keine Konsequenzen; bisher Schweigen im Walde. Die weisungsgebundene Staatsanwaltschaft bedauert ... angesichts solcher Fakten und Summen ist der verhaftete Ursprunger wahrlich nur ein kleiner Fisch.

wirklich schon ein System gäbe, das die auf uns zukommenden Schwierigkeiten bewältigen hilft. Vielmehr: sowohl 1971 wie 1975 ist es nur dem Zufall einiger tausend Stimmen und der Arithmetik zu danken gewesen, daß wir nicht ein System haben, in dem eine große Partei (die SPÖ) auf Gedeih und Verderb einer kleinen Partei (mit Herrn Friedrich Peter als Vizekanzler) ausgeliefert ist.

Genau das könnte aber 1979 wieder eintreten. Unser Wahlsystem läßt absolute Mehrheiten ja nur ausnahmsweise zu. Alle Wahlen seit dem 6. März 1966 standen unter dem besonderen Stern von Zufällen, Glück und dem Charisma starker Führungspersönlichkeiten. Was aber kommt nach Kreisky?

Und genau diese Fragen verfassungsrechtlicher und wahlrechtlicher Art müßte man sich heute stellen — weil die nächsten Wahlen weit vor uns liegen. Reden wir doch über unser Wahlsystem!

Heute!

Die Wahlrechtsnovelle 1971 kann doch wohl nicht der Verfassungsweisen letzte Idee gewesen sein! Was wir brauchen, ist nämlich endlich eine Gesamtrevision unserer Verfassung, über die seit Jahrzehnten geredet wird, die aber niemand wirklich in Angriff nimmt.

Die Verfassungswirklichkeit läuft ja der Norm längst davon, die Sozialpartner weiten ihren Einfluß immer mehr aus; das Parlament ist vielfach nur noch eine leere Schablone, vor der sich ein Polittheater zur Vernebelunig tatsächlicher Zusammenhänge abspielt; und das seiner Kontrollfunktion mittlerweile längst entkleidet ist. Die zweite Kammer, der Bundesrat, ist seinem ursprünglichen Gedanken völlig untreu geworden. Man stimmt dort nicht nach Bundesländerinteressen ab — sondern nach dem Auftrag der Bundeszentralen der Parteien.

Neben dieser offensichtlichen Fehlentwicklung tendiert das heutige System der Alleinregierung mit Gewerkschaftshilfe dazu, eine Großpartei so völlig von der Machtausübung auszuschließen, daß dies auf Dauer zur Radikalisierung führen könnte; weil auch die ursprüngliche Idee Bruno Kreiskys nicht aufgegangen ist, die ÖVP zu spalten und ein Mehrparteiensystem einzurichten — nach schwedischem Vorbild.

Man könnte heute rückblickend den 6. März 1966 als Beginn einer „Dritten Republik“ bezeichnen. Österreichs politisches System konnte sich damals aus seiner Erstarrung lösen. Aber sind wir nicht gerade in diesen Tagen Zeugen einer ständigen Klimaverschlechterung, die die Lager wieder weiter auseinanderführt — weil nun auch wieder rein ideologische Elemente in die innerpolitische Auseinandersetzung getragen werden? Welche Konsequenzen muß es haben, wenn die SPÖ durch eine rücksichtslose Behandlung des Volksbegehrens in den nächsten Wochen den Katholiken dieses Landes zeigt, daß man Herr in Österreich ist — und Argumente mit der berüchtigten Diktatur der 51 Prozent vom Tisch wischt?

Vierzehn Tage vor einer Wahl von Zusammenarbeitsmodellen zu reden, ist zu spät. Jetzt sollte man das tun. Möglichst emotionslos und im Zuge einer öffentlichen Reformdiskussion über die Zukunft von Verfassung und Parlamentarismus in Österreich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung