6882533-1979_14_17.jpg
Digital In Arbeit

Ein seriöser Dialog fehlt

Werbung
Werbung
Werbung

Die katholische Kirche ist als sozialer Traditionsträger gewiß von anderer Ordnung als andere. Das erwies sich am Verhältnis zur Volkspartei, deren ideellen Rückhalt sie seit den Tagen Luegers gebildet hatte. Erst nach dem Staatsvertrag, unter Schärf und mit dem Ziel, der Volkspartei nicht das Monopol auf die Kirche zu lassen, waren die Beziehungen etwas in Fluß gekommen.

Teillösungen zur Konkordatsanpassung und erst recht des Ausgangs des Zweiten Vatikanischen Konzils machten den Weg frei, um auch eine Sanierung des Verhältnisses zwischen Kirche und SPÖ zu versuchen. Das war das Programm Kardinal Königs.

Die Kirche blieb noch auf Distanz zur Tagespolitik, als unter Kreisky trotz eines Volksbegehrens die Fristenlösung von der Regierungspartei verabschiedet wurde. Auch bei anderen Rechtsreformen, so vor allem des Scheidungsrechts, wurde ernstlich gar nicht mehr ein Einvernehmen mit der Kirche gesucht. Sieht denn der Episkopat nicht die Gefahr einer Neutralisierung der Kirche als irgendeines Bestandteils der pluralistischen Gesellschaft? klagten katholische Politiker der ÖVP. Betrieb etwa die „Amtskirche“ eine Doppel-

„Schon der Fall der Fristenlösung ließ erkennen, daß die Partei Widerstand aus

Grundwertüberzeugungen nicht respektiert und ihr da auch die kleinste Mehrheit recht ist.“

Strategie? Die Volkspartei für christlich-kirchliche Interessen, die SPÖ für die Zukunft und für alle Fälle?

Daß Kardinal König etwa versicherte, derzeit stehe die ÖVP, die sich ja zum christlichen Menschenbild bekenne, der Kirche grundsätzlich näher als die SPÖ, hatte für die Aufgabe der Volkspartei, sich ideell auf eigene Füße zu stellen, wenig zu besagen.

Die Masse der Kirchengänger zeigt sich freilich kaum von dem berührt, was etwa die Katholische Sozialakademie für Zweifel an der „sozialen Marktwirtschaft“ anmeldet; sie sucht nicht einen neuen Allianz-Partner oder eine Rezeption des Marxismus, sondern die Tröstung und Heilmittel der Religion. Die Kontroverse entzündete sich 1976/77 an der vorsichtig abgewogenen Haltung der katholischen Kirche zu der von der SPÖ durchgepeitschten Fristenlösung, auch an dem Ruf des neuen ÖVP-Obmannes Taus nach einem politischen Katholizismus als ideologischem Rückgrat.

Charakteristisch für die Auseinandersetzung, die aber meist unterschwellig vor sich geht, scheint ein

Ausspruch des oberösterreichischen Landeshauptmannes Josef Ratzen-böck: „Man kommt sich als christlicher Politiker vor wie ein Mann im Regen, der an die Tür der Kirche klopft und nicht eingelassen wird. Dabei wäre man schon froh, wenn einem wenigstens ein Schirm herausgereicht würde.“

„Kreisky - wer sonst?“, der sozialistische Wahlslogan umschreibt schon die Rolle, die ihm als eine Art „Ersatzkaiser“ und Vaterfigur in den siebziger Jahren als Personifikation einer Zeitstimmung zugefallen ist. Auch seine Partei blieb auf ihn fixiert, weil er ihre inneren Widersprüche überspielte. Wenn etwa die Katholiken aufgefordert wurden, mit der SPÖ „ein Stück Weges gemeinsam zu gehen“, blieb das so unverbindlich wie das Offert, Kreisky sei im Grunde ein Linksliberaler, dessen Politik der Problemsuspension letzten Endes einer Liberalisierung Österreichs diene ...

Als Österreicher jüdischer Herkunft genießt er es, dem Land und dem Sozialismus einen „Nachsommer“ zu erhalten und zugleich beide auf neue Bahnen zu lenken. In Gestalt der „Sozialdemokratie“ soll die Partei zum Gewinner der neuen Industrie- und Konsumgesellschaft werden, „Demokratisierung“ und „Chancengleichheit“ sind die Vehikel dazu, Vollbeschäftigung Voraussetzung, Krönung eine Neutralität als Transformator-Station für Ost-West-, Nord-Süd-Ströme. Ohne Beweglichkeit, Phantasie, Show geht das heute nicht, auch nicht ohne Ahnung für die großen Trends ...

Immer noch ist die SPÖ mehr eine Partei der Ost- als der Westösterreicher, mehr eine der Großstädter als der Leute vom Land, mehr eine der Arbeiter und kleinen Angestellten, der Lohnäbhängigen des breiten Mittelbandes, immer noch ist der Trennungsstrich zu Religion und Kirche virulent. Es gibt auch noch genug heilige Kühe in der politischen Landschaft, ein Mißerfolg da oder dort, und die alten Freund-Feind-Bilder leben auf, rumoren in der Basis.

Das warnt davor, zu meinen, die Modernisierung Österreichs könnte von selbst den inneren Friedensschluß herbeiführen. Auch wenn man den wechselnden Tenor in den 1 Reden des Parteivorsitzenden in Rechnung stellt, bleibt es doch bemerkenswert, wenn er etwa die Sozialpartnerschaft als „sublimierten Klassenkampf bezeichnet, fast wie in Ergänzung zu Waldbrunners „Klassenkampf in der Regierung“ -ein Versuch, mit Worten zu überdek-ken, was mit den Tatsachen nicht mehr übereinkommt.

Schon der Fall der Fristenlösung Heß erkennen, daß die Partei Widerstand aus Grundwertüberzeugungen nicht respektiert und ihr da auch die kleinste Mehrheit recht ist. Was die soziale Marktwirtschaft, Basis der Sozialpartnerschaft, betrifft, so heißt es nun, diese Marktwirtschaft sei nie

„sozial“ gewesen, und was das freie Spiel von Angebot und Nachfrage betrifft, so würde man gerne erfahren, was seine Verteidiger sagen würden, wenn die öffentliche Hand ihre nicht marktkonformen Eingriffe, etwa Investitionen, Preisabgeltungen, Stützungen und all das andere, einstellen würde.

Das weckt nicht nur bei der Opposition Verdacht. Denn bei einer Staatsquote am Sozialprodukt von mehr als vierzig Prozent, einer Dauerkrise im öffentlichen Haushalt, bei rapid wachsender Verschuldung und entsprechendem Druck auf die steuern Alltag sucht man die historischen Positionen der Kirche auszulaugen oder diese durch Vorteile zu neutralisieren.“ erzahler geht überall die Frage um, ob da nicht längst schon ein Szenario zur Systemveränderung' mit anderen Mitteln“äT5IaüTer~_

Nicht nur zwischen Partei- und Gewerkschaftsinteresse, auch zwischen ideologischer und pragmatischer Politik wachsen die Gegensätze. Und Irrationales gibt es genug, das sie auflädt, Disziplin, sie zu mildern, wenig, und Loyalitäten werden in jeder End- oder Übergangszeit schwächer. Seit 1978 ließ sich das beobachten.

Alte Polarisierungen sind nur überdeckt, nicht aufgehoben, der vielberufene Pluralismus hört weiterhin dort auf, wo effektive Sperren wirken. Das gilt auch für die Gegenseite, gerade etwa, was das Kapitel „Religion“ betrifft. Die Vereinbarkeit von Sozialismus und Christentum scheint vielen Österreichern, bemerkenswerterweise vor allem Jüngeren und höher Gebildeten, als bloße Parole zur Stimmenfängerei.

Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man den Zusammenhang von Kirchenbesuch und politischer Einstellung zu erfassen sucht: Religion und konservative Uberzeugungen stehen in Wechselwirkung zueinander. Dementsprechend ist wieder Antiklerikalismus im Funktionärskorps der SPÖ stark verbreitet, auch aufklärerisch-freimaurerisches Gedankengut - bekennende Christen dagegen sind dort rar.

Ressentiments müssen freilich zurücktreten, wenn es um Wahlen, das Machtmandat und ein sozialistisches Österreich der Zukunft geht. Im Alltag sucht man die historischen Positionen der Kirche auszulaugen oder diese durch Vorteile zu neutralisieren. Geistige Anstrengung, Dialog, der mehr als Veranstaltung wäre, fehlen. Ohne Glaubwürdigkeit rückt aber alles in jenes Zwielicht, das Parteien ideologischer Herkunft in der Industriegesellschaft beschieden ist: Politische Programme, Prinzipien werden flexibel wie Taktik, die Majorität wichtiger als ideelle Integrität. Die Macht der Tatsachen ersetzt die Macht der Ideen.

Ein seriöser, ständiger Dialog zwischen den Kirchen und der SPÖ ist bisher nicht zustande gekommen. Dagegen zeigen die offensichtlich taktisch bestimmten Tagungen und Begegnungen, so auch bei Annäherung an Wahltermine, eine gewisse Kontinuität, von Ohlas und Slaviks -Empfang bei Papst Johannes XXIII. bis zur Einladung anden Theologen Hans Küng, vor sozialistischen Akademikern in der Wiener Hofburg zu sprechen.

Die antiklefikal-agnostische bis atheistisch-militante Tradition der SPÖ repräsentieren auch ihr Führungskader und die praktische Politik, die gegen Zugestandnisse, etwa in finanzieller Hinsicht, bei der Ta-buisierung der Kirchensteuer, im ORF und, wie erwähnt, optisch, weiter auf Verdrängung kirchlichen Einflusses in Staat und Gesellschaft hinausläuft.

Anderseits ist nicht zu verkennen, daß sich aus der radikalen Säkularisierung der Gesellschaft mit Begleitphänomenen moralischer Dekadenz zwischen Teilen der sozialistischen Wählerschaft und dem Katholizismus neue Berührungspunkte ergeben, vor allem im Hinblick darauf, was dem Menschen förderlich und erlaubt ist und was nicht.

(Dies ist ein Auszug aus dem neuen Buch des „Presse“-Herausgebers, das eben unter dem Titel „Der zweite Anschluß“ im Verlag Molden erschienen ist und von der FURCHE noch eingehend rezensiert werden wird.)

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung