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Gewissen der Nation

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Christliche Politik als Politik der Christen findet ihre Ausdrucksformen in der politischen Tätigkeit der Christen und in einem gemeinsamen Katholizismus.

Die Kunst besteht nun darin, diesen politischen Katholizismus nicht parteipolitisch zu verengen, sondern auf diese gemeinsame Wertbasis in christlicher Verantwortung hinzuorientieren und diese Basis zu erhalten, wobei es denkbar und wünschbar ist, daß Katholiken zur Durchsetzung ihrer Wertüberzeugungen nicht auf eine Partei festgelegt sind.

Ihre Mitwirkung im konkreten politischen Leben bringt also den Standpunkt der Kirche nicht zur Identität mit realpolitischen Verhältnissen, zum Beispiel mit Parteiprogrammen und deren politischer Ausführung, sie liegt in der Regel in einem Feld verschiedener Interpretation.

Das ergibt im Normalfall aber das Bild verschiedener Distanz der Kirche zu den politischen Parteien und damit ein stetes Bemühen, irri System des demokratischen Pluralismus die christliche Überzeugung einzubringen, ohne auf Gemeinschaftsbildung und Koalition christlicher Kräfte unter sich oder mit anderen verzichten zu müssen.

Die Glaubwürdigkeit der Kirche und der Christen in der Politik hängt von ihrem konkreten politischen Engagement ab, das gelingen muß, ohne die Kirche mit einer politischen Partei zu identifizieren.

Johannes Messner hat dies schon 1963 formuliert: So selbstverständlich es ist, daß die Kirche einen Trennungsstrich zwischen sich und den Parteien zu ziehen hat, so gewiß ist es, daß sie sich nicht von der Verpflichtung dispensieren kann, für die Geltung der sittlichen und religiösen Grundwerte des staatlichen Gemeinwohls zu wirken …

Der Klubobmann der SPÖ im Parlament, Heinz Fischer, reklamierte 1976 die „Position der Äquidistanz“ für die Kirche: die Kirche sei „unparteipolitisch“ und die Sozialdemokratie bewege sich heute (trotz Fristenlösung, über ihre Richtigkeit möge die historische Erfahrung ein Urteil fällen) „in der Regel durchaus innerhalb eines Rahmens, die die post- konziliare Kirche nicht zu einer Festlegung auf die Gegenposition zwingt“.

Uber ein Jahr später stellt dann Hubert Friesenbichler eine Kampagne fest, die schon längere Zeit laufe, „die der Äquidistanz der Kirche zu den politischen Parteien ein Ende setzen“ wolle, wobei auf Kardinal König Druck durch „Hintertürchen“ ausgeübt worden wäre, zu erklären, „zur Zeit“ stünde die Kirche der ÖVP näher als der SPÖ.

In den „Monatsheften“ der ÖVP replizierte damals Hans Czuma, die ÖVP könne zur Lösung ihrer Legitimationskrise von der Kirche keine Hilfe erwarten, sei sie „im Stich gelassen worden“, und die Katholische Soziallehre sei dazu ungeeignet, sondern sie müsse selbst eine „interpretationsstarke Ethik“ entwickeln.

Zur SPÖ gewandt, meinte der Kardinal zunächst, daß sich das Verhältnis zwischen ihr und der Kirche „zum Vorteil für den inneren Frieden des Staates“ zusehends nach 1945 verbessert habe. „Es besteht aber kein Zweifel, daß das Gespräch zwischen Kirche und SPÖ … einer sehr schwerwiegenden Belastung ausgesetzt ist.“ Zur ÖVP angesprochen, sagte Kardinal König: „Je mehr sich eine politische Partei den christlichen Humanismus in Wort und Tat zu eigen macht, desto aufmerksamer wird die Kirche diese Entwicklung verfolgen“.

Auch in einem Interview sagte der Kardinal hinsichtlich der ÖVP, sie bekenne sich ausdrücklich zu einem christlichen Menschenbild. Sie stehe aus diesem Grunde der Kirche grundsätzlich näher als die SPÖ, deren Politik auf einem allgemeinen Humanismus basiere. Dennoch werde die Kirche keine Wahlempfehlungen abgeben.

Auch der wenige Tage vorher aus ÖVP-Kreisen erhobene Vorwurf an die Kirche und den Kardinal, eine Doppelstrategie zu verfolgen hinsichtlich ihres Verhältnisses zur SPÖ, könnte die

Kirche nicht von ihrer Linie abbringen, sich aus der Parteipolitik herauszuhalten.

Offenbar aber, so muß man konstatieren, zeigt sich heute ein gewisser Leerraum in der Durchsetzung der christlichen Grundsätze im österreichischen politischen Leben sowohl an christlichen Forderungen für dieses als auch an Adressaten, die sich dahinter stellen.

Die Abgrenzung der Kirche von der Parteipolitik hat zum Anschein einer „faktischen Aquidi- stanz“ zwischen Kirche und Parteien geführt, bzw. haben die Träger christlicher Politik in Österreich — nach den Jahren einer gewissen politischen Abstinenz katholischer Kreise, verschärft noch durch den Rückgang der Katholischen Aktion als Mitgliederbewegung — die neue Situation nicht genügend bewältigen können.

Eine Strömung in katholischen Kreisen hat eine gewisse Mitschuld, die unter dem Titel parteipolitischer Neutralität in Tagesfragen die konkrete Anwendung der Soziallehre der Kirche in Frage stellten und gegen das sogenannte „Naturrecht“ protestierten, aber in der von ihnen nach ihren Vorstellungen betriebenen

Öffnung der Kirche eine neue „Politisierung“ betrieben.

So hatte man zwar viele „Katholizismen“, aber, wenn es darum ging, keine einheitliche politische Stimme der Katholiken mehr, die zurecht nicht mehr auf eine politische Partei vergattert waren. Man hatte den politischen Katholizismus mit dem parteipolitischen und politisierenden Katholizismus verwechselt.

Nicht von ungefähr kommt es heute zu einer Wiederkehr des Interesses an der politischen Ethik im allgemeinen und an der Katholischen Soziallehre im besonderen. „Die Prinzipien der Katholischen Soziallehre wird sich“, nach Kardinal König, „grundsätzlich jede demokratische Partei zu eigen machen können.“

Ja, er konstatiert, ihr Gedan- kengebaudę werde „mit neuem Interesse betrachtet“, weil es seinen Ausgangspunkt vom Wesen und Ziel des Menschen bezöge. Mit der Katholischen Soziallehre könne es aber dann Widerspruch geben, wenn eine Partei sich auf ein „anderes ideologisch begrün

detes Ordnungssystem verpflichtet weiß“.

So erfüllt eigentlich die Katholische Soziallehre und im engeren Sinn die Soziallehre der Kirche nicht nur die Aufgabe, dort Trennungslinien zu ziehen, wo ein totalitäres System und eine geschlosserte Ideologie sich mit einer politischen Partei als „Gegenkirche“ verbünden, sondern auch dort, wo es neben Grundsätzlichem um „Orientierungshilfe“ geht.

So gilt es, mutig den festen Bestand christlicher Grundsätze in die Politik einzubringen und unter Umständen bis in sogenannte „Tagesfragen“ hineinzuwirken. Politische Neutralität der Kirche als Prinzip hätte eben in der Demokratie auch prinzipielle Äqudistanz zu den politischen Parteien zur Folge.

Es kann der Kirche nicht gleichgültig sein, woher eine politische Partei ihre Grundsätze bezieht und woran sie ihre Praxis orientiert. Das zu sagen, ist ihr Recht und gemäß ihrer Sendung, „Gewissen der Nation“ zu sein.

Der Autor ist Professor an der Universität Wien, Institut für Ethik und Sozialwissenschaften. Auszug aus einem Beitrag, der in der Schriftenreihe „Gesellschaft und Politik44 4/82 des Kummer-Institutes erschienen ist.

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