6890549-1979_44_06.jpg
Digital In Arbeit

Unsicheres Verhältnis

Werbung
Werbung
Werbung

Im Verhältnis von Kirche und ÖVP liege unzweifelhaft auch eine der Ursachen für das (Wahl-)Resultat des 6. Mai, schreibt Univ.-Ass. Ferdinand Dexinger in der letzten Nummer der „österreichischen Monatshefte“. Umso erstaunlicher ist es, daß in unserem Land zwar viel von Seiten der Kirche über dieses Verhältnis nachgedacht und geschrieben wird, wie auch die laufende FURCHE-Diskus- sion durch die Artikel von Prof. Klostermann in Nr. 35 und Gerhard Hartmann in Nr. 38 beweist, relativ wenig aber von selten jener Partei, die „ihren politischen Gestaltungswillen aus einem christlich begründeten Verständnis von Mensch und Gesellschaft“ ableitet (Salzburger Programm der ÖVP).

Ein beachtenswertes Experiment unternahm die Christlichsoziale Union (CSU), die anläßlich der Diskussion über ein neues Grundsatzprogramm auch eine Spezialkommission für staatsphilosophische und insbesondere theologische Fragen einsetzte. In dieser Kommission wirkten u. a. einige katholische und protestantische Theologen mit.

Nach Beendigung der Arbeit am Grundsatzprogramm entschloß sich der CSU-Landesvorstand abermals, eine Kommission einzurichten, die paritätisch mit Katholiken und Protestanten besetzt, aus Politikern und Theologen bestand. Dieses Gremium trat regelmäßig zwei Jahre hindurch zusammen, um sich so wichtiger Themen wie Politische Theologie, Theologie der Befreiung, Transfer religiöser Werte in eine säkularisierte Welt, und anderer anzunehmen.

Bei diesen Erörterungen wurde deutlich, wie unsicher gegenwärtig das Verhältnis der Kirchen und vieler ihrer Vertreter zur Politik, zu politischen Parteien und politischen Entscheidungen ist. Gerade die mitarbeitenden Theologen waren der Meinung, daß eine klare Aufgabenbestimmung dessen, was kirchlicher Auftrag und was politische Entscheidung bedeutet, vonnöten sei.

Aus dieser Ausgangslage entstand in einer Gemeinschaftsarbeit ein •„Kirchenpapier“, das dann in einer langen Diskussion im Landesvorstand der Christlichsozialen Union besprochen, verändert und erst nach einer erneuten Überarbeitung durch die Kommission einstimmig verabschiedet wurde.

Dieses „Kirchenpapier“ geht davon aus, daß gegenwärtig- unter der Kennzeichnung „gesellschaftliche Reformen“ Vorhaben in Angriff genommen werden, die eine innere Veränderung auch des Staates anstreben. Wörtlich heißt es:

„Die geistige Krise unserer Zeit hat in zunehmendem Maße zu einer Infragestellung der im Grundgesetz verankerten absoluten Geltung der Würde des Menschen für das Handeln von Staat und Gesellschaft geführt. Auch viele Christen sind in unkritischer Anpassung an die moderne Welt unsicher geworden, ob das im christlichen Glauben begründete Menschenbild noch gültig und für christliches Handeln verbindlich ist. Die Diskussion um das Recht auf Leben, um die Institutionen Ehe und Familie, um Erziehungsinhalte und -ziele zeigt, daß die Gültigkeit dieses Menschenbildes keine gesicherte Verständigungsbasis mehr darstellt. Die Kommission möchte auf diese Gefahr hinweisen…“

Daraus wird weiter gefolgert: „Das politisch wirksame christliche Verständnis des Menschen und der Gemeinschaft ist die unverrückbare Grundlage einer christlichen Partei. Dieses Verständnis ist eine Gabe der Kirche an die Politik und verliert ohne deren Botschaft und soziale Arbeit seine Grundlage… Die CSU ist weder Kirche noch Staatspartei, sondern der Zusammenschluß von Menschen mit übereinstimmenden poli tischen Zielvorstellungen. Gerade wegen ihrer Bindung an christliche Grundwerte lehnt sie jede Form von Totalitarismus ab und bejaht den weltanschaulich neutralen, aber wertgebundenen Staat unseres Grundgesetzes.“

Nach diesen mehr grundsätzlichtheoretischen Proklamationen wird durchaus auch auf praktische Schwierigkeiten eingegangen:

„Es werden heute Bedenken laut, ob die Kirchen noch in der Lage sind, die christlichen Werte und das christliche Menschenbild so zu vermitteln, daß diese im politischen Bereich wirksam werden können. Für die CSU ist dies eine abwegige Meinung. Gerade als christliche Partei steht sie für den unabhängigen und eigenständigen Auftrag der Kirchen in unserer Gesellschaft ein. Gewiß gibt es auch in den Kirchen unterschiedliche politische Meinungen. Daraus folgt aber nicht, daß die Kirchen zum Ort der Austragung solcher politischer Gegensätze werden dürfen. Eine politische Partei darf sich nicht zur Auslegerin christlichen Glaubens und Lebens machen; umgekehrt dürfen auch die Kirchen kein politisches Mandat für sich in Anspruch nehmen …“

Und weiter wörtlich: „In der Gegenwart finden sich Richtungen, die eine gefährliche Politisierung der Kirche vertreten. In Überschreitung des kirchlichen Auftrages und in Mißachtung des christlichen Menschenbildes werden hier zum Schaden der, Kirche und unseres Gemeinwesens christliche Verkündigung und sozialistische Politik miteinander vermengt. Hier darf die CSU nicht schweigen..

Die CSU müsse sich ferner kritisch mit dem weit verbreiteten „apolitischen Christentum“ befassen, heißt es im Kirchenpapier. „Ein Glaube, der jeden Bezug zur Gesellschaft ablehnt und Christsein als reine Innerlichkeit versteht, isoliert nicht nur die Kirche von der Gesellschaft; er verkennt auch die religiösen Motive politischen Handelns und öffnet radikalen Tendenzen Tür und Tor.“

In einem letzten Teil schließlich werden praktische Hinweise geboten, wie etwa, daß sowohl die Partei- wie auch die Kirchenspitzen regelmäßige Gespräche führen sollten, darüberhinaus aber auch alle regionalen Parteigremien mit den Pfarrgemeinderäten, den Dekanats- und Landessynodalen usw. Die Parteipresse sollte sich regelmäßig der grundsätzlichen religiösen Fragen und ihrer Auswirkung auf das politische Leben annehmen!

Aus dem Blickwinkel der österreichischen Situation mag man zu der Feststellung neigen, daß dieses „Kirchenpapier“ keinerlei umwälzende Neuigkeiten enthält. Das ist sicher richtig, doch darf andererseits die Bedeutung des Umstandes nicht unterschätzt werden, daß hier eben erstmals ein Parteigremium zu ähnlichen Schlußfolgerungen gelangt, wie sie viele Gremien des österreichischen Katholizismus schon jahrelang vertreten.

Die Hauptbedeutung dieses so gründlich „parteiintern“ erarbeiteten Papiers wird man aber wohl in der integrativen Wirkung erblicken müssen, die eine derartige Grundsatzdiskussion auf jedwede politische Gruppierung und insbesondere eine sich dem christlichen Menschenbild verpflichtend fühlende Partei auszuüben vermag.

Noch weniger wird eine Reformdiskussion, die sich gegen die zentrifugalen Kräfte von egoistischen Bünde- und Länderorganisationen wendet, an dieser Integrationsbasis vorbeisehen können - es sei denn, der weltanschauliche Auslaugungsprozeß wäre in der österreichischen Politik schon zu weit fortgeschritten!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung