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Klare Linie

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Dieser Artikel des Gründers unseres Blattes wurde am Vorabend der Wahl des zweiten österreichischen Nationalrates geschrieben und am 18. Juni 1949 veröffentlicht. Mag es auch heute kein „Nationalsozialistenproblem“ im Sinne von 1949 mehr geben, das Problem der Umwerbung der „Randschichten“ und ihren Einfluß auf die Linie der ersten Regierungspartei ist in dem Wahlkampf 1966 genau so aktuell wie damals: Somit ist der Ruf nach klarer Linie nicht eine Reminiszenz, sondern eine höchst aktuelle Erinnerung.

Der Punkt, an dem jetzt die Wahlvorbereitungen der beiden großen Parteien angelangt sind, ist feuergefährlich. Die gegenseitigen Bemühungen, einander zuvorzukommen, die Auseinandersetzungen, die sich daran knüpfen, und die Mittel, die zum Stoß wider den Gegner verwendet werden, sind von einer Art geworden, daß man von einer bedrohlichen Situation sprechen muß. Es wird so leicht vergessen, und immer wieder muß daran erinnert werden, daß, wie immer die nächsten Wahlen die Parteimandate verteilen, auch dann unser mit vielen Sorgen kämpfendes Land ein auf gemeinsamer Staatsgesinnung und Anständigkeit beruhendes Zusammenwirken der großen Parteien notwendig machen wird, soll nicht dieser kleine schwerbedrängte Staat auch noch in unabsehbare innere Kämpfe gestürzt werden. Wenn es so ist, dann müssen in der Wahlpolemik Grenzen gezogen und das Handeln der Verantwortlichen achtsam auf die Konsequenzen gerichtet bleiben. Auf ähnliche Weise, wie sich jetzt die beiden Parteien der Regierungsgemeinschaft anfallen, hat man anderwärts und nicht allzufern die Demokratie zu Tode manövriert.

Auch diesmal überdunkelt die bedenklichen Begebenheiten wie ein Verhängnis das Nationalsozialistenproblem, das sozusagen vom ersten Tag der Zweiten Republik an den Warnerstimmen zum Trotz durch eine Politik des Ressentiments und der verbitterten Leidenschaft und noch mehr durch die Einschaltung landes- und unserer Menschen un-1ndiger fremder Gewalten doppelt und dreifach verknotet wurde. Nun sind die Wahlen vor der Tür und die Frage ist offen, wie sich die Wähler, die irgendwie als Nah- oder Fernbeteiligte aus dem einstigen nationalsozialistischen Lager kommen, in das österreichische Parteienbild und seine künftige Gestaltung einordnen werden. Das ist eine politische Angelegenheit von durchaus nicht geringer oder eindeutiger Reichweite.

Einige grundsätzliche Erwägungen sind hier am Platze: Selbstverständlich hat jede Partei, die den österreichischen Staat, seine Demokratie und seine Unabhängigkeit bejaht, das Recht und sogar den Beruf, für die Zurück-führung dem Staate verlorengegangener, durch ihre Erfahrungen gesundeter, brauchbarer Kräfte in die österreichische Gemeinschaft zu wirken. Diejenigen, die sich um diese Aufgabe bemühen, tragen große Verantwortung. Der Nazismus ist nicht von heute auf morgen verschwunden. Er ist manchen Menschen zu Weltbild und Religion geworden. Bis heute sind sie mit ihm nicht fertig geworden und vielleicht werden sie niemals mit ihm zu Ende kommen. Die Zurückführung zum Staate ist deshalb keine Pauschalangelegenheit, und sie darf auch nicht in einer bloßen Neuetikettierung des Alten, nicht in einem Verwischen fortbestehender Irrtümer, im Verdecken weiterlebender Gegensätze bestehen, nicht in dem Konservieren der Reste des Nationalsozialismus, die dann etwa gesunde politische Organismen keimhaft zu durchsetzen vermögen.

Nun hat man nicht gerade im Wege regulärer Orientierung der zunächst interessierten Wählerschaft der Volkspartei von Konferenzen Kenntnis erhalten, die von Persönlichkeiten der Volkspartei mit Trägern parteipolitisch sehr akzentuierter Namen des gewesenen Hitler-Lagers geführt worden sind; die nunmehr von links und rechts der Öffentlichkeit dargebotenen Berichte über diese Verhandlungen, zum Teil mit vielen genauen Einzelheiten dotiert, sind so widersprechend, daß man nur die daraus unzweideutig sichtbar gewordenen Tatsachen herausschälen kann. Die Zusammenkunft, zu der sich aus mehreren Bundesländern namhafte Teilnehmer sehr verschiedenartiger und bisher gegensätzlicher politischer und sogar weltanschaulicher Richtung zusammengefunden hatten, war nicht bloß ein freundliches

Plauderstündchen, sondern entsprach eine: wohlvorbereiteten, durchaus nicht beiläufigen Fühlungnahme. Derlei mag unter Umständen notwendig sein. Man lebt nebeneinander und will vielleicht das gegenseitige Wohin und Wozu kennenlernen. Aber das Geheimnis, mit dem diese immerhin ungewöhnliche Begebenheit umhüllt wurde, ist peinlich, ein schädlicher Regiefehler, der — es ist notwendig, dies zu sagen — weite Volkskreise beunruhigt Die Gesinnungstreue und Standfestigkeit mehrerer Persönlichkeiten, die von selten der Volkspartei führende Gesprächspartner waren, steht außer Diskussion. Aber ebenso auch der Anspruch der Wählermassen, auf deren Übereinstimmung und Vertrauen die Volkspartei gestützt ist, volle Klarheit über den prinzipiellen Bereich der angestrebten Verständigung zu erhalten. Hier interessiert nicht Taktik und Regie, sondern die Bewahrung des Grundsätzlichen. Was war das letzte Ziel dieser Verhandlungen? Nur die Sammlung von „Antimarxisten“? Kann man damit das Auslangen finden, daß man Rechts und Links wie zwei Welten scheidet, zwischen denen es nichts gibt, zwischen denen es keine gemeinsamen Aufgaben und Interessen geben kann, obwohl jetzt durch vier Jahre der Zusammenarbeit das Gegenteil bewiesen und dadurch die Republik vor schwersten Gefahren bewahrt wurde? Sollen auf der einen Seite das Bürgertum und der Besitz, auf der andern die Besitzlosen, die Lohnempfänger, die Unselbständigen stehen? Was viele mit uns in der Volkspartei spüren wollen, ist die unbeirrbare, auf gesicherten Grundlagen stehende Programmatik, das unerschütterliche christliche Ethos, in der bewußten Bewahrung der sittlichen Kraft unseres Volkstums, die durch keine Klasseninteressen zu verdunkelnde soziale Gerechtigkeit, eine Partei, die alle Stände umfaßt und die am liebsten und sorgfältigsten die armen kleinen Leute betreut, ob sie nun in einem Keller-Loch der Großstadt wohnen oder als einsame Keuschler am Rand des Bergwaldes: eine Partei der Mitte, die zwischen den Extremen schreitet, immer bereit, dort zu kämpfen, wo es um die Gerechtigkeit, Menschlichkeit und die Gebote des christlichen Gewissens geht. Eine Volkspartei im höchsten Sinne des Wortes!

Es wäre ungerecht, andeuten zu wollen, daß die Volkspartei einen anderen Weg in der sich vollendenden Legislaturperiode der Zweiten Republik gegangen wäre. Aber es ist ein sehr ernstes Anliegen, daß die Volkspartei nicht lockender Wahlgeschäfte halber Kompromisse eingehe, die ihre innere Geschlossenheit gefährden und ihre staatspolitische Stellung verändern.

Dessen will man sicher sein. Deshalb das Verlangen nach Offenheit vor den Wählern und klare Linie!

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