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Auch sie kämpften um ihre Ehre...

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Man kann die kommunistischen und kommunistenfreundlichen Linksfunktio- näre nicht nur damit charakterisieren, daß man sie allein als postenverteidigende Bonzen bezeichnet. Ohne Zweifel war es vielen von ihnen in ihrer festgefügten, wenn auch natürlich rein inner- weltlichen Moral ein verpflichtendes inneres Existenzanliegen, vor dem großen Lehrmeister der Weltrevolution, nun die kommunistische Tradition der deutschen Arbeiterbewegung durch einen imponierenden Sieg ins Treffen führen zu können. Vielleicht dachte der eine oder andere sogar insgeheim daran, dem durch die SED vertretenen deutschen Proletariat eine ernst zu nehmende Posi- tion, für die Partei Bebels, Liebknechts und der Rosa Luxemburg sogar das einstige Mitspracherecht im Areopag des Weltkommunismus zu gewinnen. Wenn natürlich die „Eingeweihten" nicht an die Phrasen der bürgerlichen Demokratie, auf die angeblich die Volkskongreßbewegung hinsteuerte, glaubten, so waren sie doch so fest überzeugt von der mathematischen Folgerichtigkeit ihrer dialektischen Entwicklungsthesen, daß sie, zusammen mit der geradezu adventistisch erwarteten amerikanischen Wirtschaftskrise, auch die schließliche Bekehrung der deutschen Volksmassen auf ökonomischer Grundlage herannahen sahen.

Der Ansatzpunkte boten sich ja viele. Die sogenannten überparteilichen Massenorganisationen wurden nun systematisch mit linientreuen Kommunisten durchsetzt, die zunächst in den obersten Leitungen ihre Dirigentenarbeit begannen: Kulturbund, Frauenbund, Gewerkschaft, Gegenseitige Bauernhilfe, vor allem aber die Freie Deutsche Jugend, bekamen imhier merkbarer ein anderes Gesicht, allerdings zunächst nur in den oberen Rängen. Die breite Masse wurde von Monat zu Monat mehr in einen klug dosierten narkoitschen Rausch versetzt, der, nach den geradezu katastrophalen vergangenen Hunger jahren, zunächst vom Magen her gesteuert werden konnte. Die geringfügigsten, in der übrigen Welt, vor allem in Westdeutschland nach der Währungsreform, bereits zu Selbstverständlichkeiten gewordenen Verbesserungen der Ernährungslage wurden laut verkündet und in ritueller Umständlichkeit durch alle möglichen Dankadressen begrüßt.

Zur gleichen Zeit begann aber auch der Versuch, einen emotionalen Rausch zu entfesseln, der zweckmäßig zunächst bei der Jugend in Angriff genommen wurde. Die ferngesteuerten Massenorganisationen der östlichen Welt erhielten Weisung, unter dem zunächst etwas süßsauren Lächeln der Tschechen und Polen, die Deutschen gleichberechtigt in ihre Komitees aufzunehmen. Ein polnisches Stück, das den bezeichnenden Originaltitel „Die Deutschen sind į1 Vgl. „Die österreichische Furche", Nr. 31 und 32.

auch Menschen" trug, machte unter der Bezeichnung „Die Sonnenbrucks" die Runde durch die Staatstheater. Gekrönt wurde dieses Spectaculum des Brotes und der Spiele schließlich durch die feierliche Proklamierung der sogenannten „Deutschen Demokratischen Republik" im Oktober des zu diesem Zweck gerade hereingebrochenen Goethe-Jahres. Mit Faust-Humanismus („Auf freiem Grund mit freiem Volke stehn"), Beethoven- Klängen und den bereits vorklingenden Akkorden des fortschrittlichen „Bach“- Jahres 1950 rief der, wohlgemerkt, noch immer verfassungsmäßig illegale und willkürlich zusammengetrommelte Volkskongreß 1947, inzwischen ergänzt und in seinen durch permanente Westflucht auch in diesen Kreisen eingetretenen

Lücken durch linientreue Trabanten aufgefüllt, aus eigener Machtvollkommenheit sich selbst als „Volkskammer" des gesamten Deutschlands aus. Gewählt worden aber war immer noch nicht...

Was auch immer an den großen „cir- censes" dieser beiden hektischen Jahre des Kampfes um die deutsche Seele veranstaltet wurde, es hatte nur einen innersten Grund: die Abrechnung einer freien Wahl hinauszuzögem, oder, wie die immer zahlreicher werdenden Pessimisten in den kommunistischen Führungsrängen schließlich vor sich selbst zugeben mußten, ad calendas Graecas zu vertagen.

Die verantwortungsbewußten und in ihrer Mehrheit damals nicht bolschewistisch korrumpierten Führer der bürgerlichen Parteien hatten in dieser Tatsache die unangreifbare Operationsbasis für ihren mit zäher Energie geführten Endkampf. Sie waren nachgerade in eine Situation gedrängt, in der es wie bei einem erbitterten stummen Ringen nicht klar war, wer das Gesetz des Handelns eigentlich innehatte: die besonnenen Verhandlungstaktiker vom Schlage des sächsischen CDU-Vorsitzenden Professor Hickmann, eines der untadeligsten Menschen der deutschen Nachkriegspolitik, und vieler anderer bürgerlicher Funktionäre in mittleren Rängen oder aber die geschickten kommunistischen Rattenfänger von der Art des allzeit jovialen, geschickt den „Gemäßigten" spielenden Herrn Grotewohl, der sie mit dem Köder der immer wieder versprochenen freien Wahlen immer tiefer in den Dschungel hereinlockte.

In diesen Monaten begann jede unheilvolle Kettenreaktion der permanenten Gewissensopfer,

von denen rückschauend jeder, der diesem Teufelskreis durch einen lebensgefährlichen Absprung aus dem fahrenden Zug (durch Flucht bei Nacht und Nebel) entgehen konnte, heute schaudernd sagen muß, daß sie schließlich und endlich doch in den Abgrund führten, in jenen Abgrund äußerster Entmachtung und innerster Korruption des Gewissens, der heute den noch immer vor den roten Streitwagen gespannten bürgerlichen Heloten verblieben ist.

Die bürgerlichen Politiker hatten damals nicht die (unter solchen Umständen auch nur von überdurchschnittlichen Persönlichkeiten zu verlangende) Größe, dem fortwährenden Gaukelspiel ihrer sich langsam an die Totalmacht vorschiebenden kommunistischen Koalitionspartner mit dem allein möglichen klaren und ultimativen Nein zu antworten, selbst unter Einschluß der letzten, furchtbarsten Konsequenz, der heroischen Selbstauflösung der bürgerlichen Parteien. Sie haben einen anderen Weg gewählt, zum Großteil in dem ihnen zuzubilligenden guten Glauben, durch fortgesetzte Zugeständnisse von den Kommunisten eins zu erreichen: die Festlegung eines konkreten Wahltermins, die Eröffnung eines sachlichen Wahlkampfes und damit die schon einmal erwähnte Chance einer legalen Zurückführung der Kommunisten auf eine Minderheitsopposition, die ihnen der Bevölkerungsstimmung nach als mit rund 20 Prozent (alles in allem) vielleicht noch sicher gewesen wäre. Es wurde immer und immer wieder von den Wahlen gesprochen, und noch viel mehr daran gedacht, als „angesichts des rasanten Aufbaus zweitrangiger Themas" die fortwährende Erwähnung dieser „Formalität“ langsam unerwünscht wurde.

Die Kommunisten versuchten nun noch einen letzten Gegenzug, in der verzweifelten Hoffnung, bei freien Wahlen wenigstens eine Koalition unter hrer Führung zusammenzubringen und den bürgerlich - freiheitlichen Gegner niederringen zu können. Sie arrangierten mit Hilfe einiger Phantasten und Wirrköpfe sowie einiger Agenten die Gründung zweier Auffangparteien, von denen die eine, der österreichischen „Nationalen Liga" geistesverwandt, sich National-demokratische, die andere schlechtweg Bauernpartei nannte. Das Experiment mißlang aber bei der damaligen Lage völlig. Die oberen Ränge waren mit linientreuen Kommunisten besetzt, mochten sie das Parteibuch tragen oder nicht, und als kommunistische Filialen deutlich erkennbar, die unteren Ränge aber wurden Unterschlupfplätze verschiedener Mißvergnügter, die die Stellung des Zaunkönigs unter den Adlerschwingen, sozusagen im toten Winkel der staatlich-kommunistischen Scheinwerferstrahlen, als willkommenes Refugium ansahen, Daß unter ihnen besonders viele, behutsam Morgenluft wittertnde ehemalige Nationalsozialisten, aber auch sonst allerlei krauses Volk war, machte sie für die Kommunisten zunächst nicht vertrauenswürdiger. überraschend entschloß sich da der kommunistische Partner zu einer Generalprobe des unvermeidlich gewordenen Machtkampfes.

Er proklamierte eine mit verfassungsmäßigen Formalitäten gestartete Volksbefragung durch Hauslisten, der ein Volksentscheid über eine Suggestivfrage: „Willst du die Einheit Deutschlands, einen gerech ten Friedensvertrag und den Abzug aller Besatzungstruppen?" als ein Vertrauensvotum für die kommunistisch bestimmte Zonenverwaltung folgte. Die Kommunisten hatten durch ein propagandistisches Trommelfeuer orientalischen Umfangs den Wahltag vorbereitet. Sie setzten in diesem Vorgelände alles auf eine Karte. Einmal mußten sie ja Klarheit haben. Sie ließen geheime Stimmabgabe zu.

Der Erfolg war für sie niederschmetternd.

Wiewohl die Frage an sich für jeden Deutschen zu bejahen gewesen wäre, alle Parteien sich befehlsgemäß an der Vorbereitung beteiligt hatten und eine Gegenpropaganda völlig ausgeschlossen war, antwortete das Volk überraschend in geheimer Wahl mit einer fast mehrheitlichen Stimmenzahl ablehnend. Es war ein unter diesen erschwerenden Umständen besonders hoch zu wertender Akt des politischen Instinkts. Ein „Wunder an der Marne", nannten es die Freiheitsliebenden, die erste Niederlage des Totalitarismus in offener Feldschlacht, wenn auch nur in einem Probescharmützel. In letzter Minute wurde die offene Blamage noch in eine Zweidrittelmehrheit für die Suggestivfrage umgefälscht. Unter massivem Drude wurden die bürgerlichen Beisitzer der Wahlkommissionen gezwungen, die ungültig gemachten Stimmen als „Ja“-Erklärung zu werten. Dieses Gewissensopfer sollte nun aber, wie man einander zähneknirschend versicherte, das letzte sein. Die ultimative Forderung nach den längst fälligen Wahlen wurde nun in so bestimmten Ton erhoben, daß die kommunistische Gegenseite sich zu einem letzten Coup entschloß. Am 8. Oktober 1949 wurde die Deutsche Demokratische Republik ausgerufen. In derselben Proklamation verkündete Grotewohl feierlich, daß wohl nicht, wie die Verfassung vorschrieb, noch in diesem Jahre, sondern, genau ein Jahr danach, im Oktober 1950 freie Wahlen abgehalten werden sollten. Die Zweckoptimistein unter den Bürgerlichen atmeten auf. Also doch! Die klugen Pessimisten aber schüttelten besorgt den Kopf...

(Die Veröffentlichung wird fortgesetzt)

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