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Der Sommer vor der braunen Nacht

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Berlin, Sommer 1932. Die Weimarer Republik taumelt in den Untergang. Erich R. Schmidt, damals Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiter-Jugend SAJ, beschreibt anschaulich diese Wochen („Meine Jugend in Groll-Berlin"). Im April 1933, Hitler war drei Monate an der Macht, wurde er aus der SPD ausgeschlossen, weil er und seine Freunde „die Organisation auf die Bedingungen der Illegalität umstellten und damit das Bemühen der Partei konterkarierten, auch unter den Bedingungen der NS-Herrschaft halbwegs erträglich weiterzuarbeiten."

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Berlin, Sommer 1932. Die Weimarer Republik taumelt in den Untergang. Erich R. Schmidt, damals Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiter-Jugend SAJ, beschreibt anschaulich diese Wochen („Meine Jugend in Groll-Berlin"). Im April 1933, Hitler war drei Monate an der Macht, wurde er aus der SPD ausgeschlossen, weil er und seine Freunde „die Organisation auf die Bedingungen der Illegalität umstellten und damit das Bemühen der Partei konterkarierten, auch unter den Bedingungen der NS-Herrschaft halbwegs erträglich weiterzuarbeiten."

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Von schwarzem Humor beseelt, sangen wir unsere eigene Version jenes neuen Liedchens, das die „Internationale" bei Kundgebungen verdrängte: „Drei Pfeilchen zerspalten wie Blitzchen die Nacht, wo bist du, Lump, der den Text ausgedacht?" -Wir hatten das Manöver durchschaut, den Massen Sand in die Augen zu streuen, eiserne Disziplin zu wahren bis zum großen Tag der Abrechnung, an dem „der Befehl zum Losschlagen" gegeben würde.

Niemand dachte je daran, diesen Befehl zu geben, auch die Kommunisten nicht. Das Einzige, was gegen den ständig zunehmenden Terror der SA geschah, war die Kastrierung des Reichstags. F. Stampfer urteilte später: „Mit der Reichspräsidentenwahl 1932 beginnt die Republik sich zu Tode zu wählen". In den beiden Frühjahrswahlgängen halfen wir „Hitler zu schlagen" durch die Wiederwahl Hindenburgs: der alte Feldmarschall, Frontmann der Ostjunker, der Reaktion und Militärcliquen, der Hitler den Segen der Legitimität erteilte.

Waren wir nur naiv, in Hindenburg einen, wenn auch noch so fragwürdigen Schutz gegen den drohenden Dammbruch zu sehen, oder waren wir für unsere Handlungen nicht mehr verantwortlich zu machen, Ertrinkende, die nur nach einem Strohhalm griffen? Unsere Hoffnung, das Unabänderliche würde letzten Endes aufzuhalten sein oder einfach nicht stattfinden, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf", nährte sich aus der Verzweiflung, die ohne Hoffnung nicht leben kann. Der Kanzler des großen Versagens, Brüning, lebte in seiner eigenen Welt der Irrationalität und feierte Hindenburg als einen von Gott gesandten Mann. Als ob es nicht jedem ehrlichen Gläubigen hätte klar sein müssen, daß der Allmächtige in seiner unendlichen Weisheit sich aus den politischen Affären der Menschen ebenso wie aus ihren privaten heraus halten würde.

Unglücklicher Kanzler

Ich hörte eine Rede dieses Unglückskanzlers vor dem Reichstag. Der ernste, bleiche Asket, Sinnbild unantastbarer Integrität, faszinierte mich. Doch seine Haltung, das deutsche Volk müsse sich durch die Krise mit seinen Notverordnungen durchhungern, um den Alliierten zu beweisen, daß es die Lasten der Reparation unmöglich länger tragen könne, war unheilvoll, half ausschließlich den Gegnern einer menschlichen und gerechten Politik.

In dem schwer durchschaubaren Intrigenspiel um die Macht blieb er bald auf der Strecke. Hindenburg gab ihm Ende Mai 1932 den Laufpaß und ersetzte ihn durch den aus dem Zentrum ausgeschiedenen Herrenreiter Freiherrn von Papen, lange ein Freund und Vertrauter des Präsidenten, der nun mit einem ganzen Kabinett von Freunden und Vertrauten des Präsidenten Deutschlands Reise in die Nacht der faschistischen Diktatur steuerte.

Die SA, von Brüning wenige Wochen zuvor verboten, wurde wieder zugelassen. Mit erstaunlichem Geschick boten sich die Nazis dem zitternden Bürgertum als Retter aus dem Chaos an, in das sie das Land selber gestürzt hatten. Und das Kabinett der Hitlerbarone tat seinen Nazi-Tolerierern einen weiteren Gefallen mit der Beseitigung der geschäftsführenden Koalitionsregierung in Preußen unter der Führung des Sozialdemokraten Braun-Severing und der Einsetzung eines Reichskommissars. Die letzte Festung gegen den Ansturm der Reaktion und Faschisten fiel ruhmlos. Zwei Polizei-Offiziere genügten zur Übergabe.

Tragische Selbsttäuschung

Für die aktiven Anhänger der Eisernen Front (SPD, Gewerkschaften, Reichsbanner und Arbeitersportler, Anm.d.Red.), die zumindest psychologisch auf den Kampf zur Rettung der Demokratie vorbereitet waren, stürzte eine Welt ein! Die loyalen Polizeiformationen und ihre Waffenlager erwiesen sich als Wunschbild tragischer Selbsttäuschung. Die paar Tausend Kleinkaliberschützen des Reichsbanners und des Arbeiterschützenbundes waren nicht in der Lage, der überlegenen Staatsmacht Paroli zu bieten. Niemand konnte ihnen dazu den Befehl geben. Von einem unserer SAJ-Aktivisten jener Tage, Herbert Borsky, stammt folgende Schilderung, wie sich die Mitglieder einer aufgelösten Jungordnergruppe im Wedding um ihre paramilitärische Ausbildung bemühten:

„Wir traten dem Arbeiterschützenbund bei. Es wurden Übungsabende für Grundbegriffe des Boxens und Jiu-Jitsu abgehalten. In einem Nebenraum unterwies uns ein junger Polizeibeamter, den ich nach 1945 in höherer Polizeifunktion wiedertraf, in der Handhabung und Zerlegung verschiedener Handfeuerwaffen. Im Hinterzimmer einer Kneipe fanden unsere Schießübungen mit Luftdruckgewehren statt, die wir manchmal auch auf Fahrt mitnahmen. Später erschien es uns ratsam, unser Depot von drei Waffen mit einigen hundert Schuß Munition aufzulösen. Meine ruht auf dem Grund eines Altölauffangbeckens in Lichtenberg. Das war das absolute Ende unserer revolutionären Illusion."

Den Vorständen fiel es nach der kläglichen Kapitulation vor dem „Preußenschlag" schwer, der Resignation, die Millionen erfaßt hatte, entgegenzuwirken. Man beschwor den Kampfwillen - und reduzierte ihn auf das Einwerfen des nächsten Stimmzettels in die Wahlurne. Den Gefallen, erneut den Reichstag aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben, hatte sich Hitler von Papen abgefordert; um so weniger war einzusehen, zu welchen Hoffnungen uns ein solcher neuer Wahlgang nach den vorangegangenen Niederlagen bei den Landtags wahlen und den besonders katastrophalen Verlusten bei den Wahlen in Preußen, die kaum zwei Monate hinter uns lagen, berechtigen konnte. Aber in seinem Aufruf am Tage des Staatsstreiches befand der Partei vorstand: „Es liegt beim deutschen Volke, durch seinen Machtspruch am 31. Juli dem gegenwärtigen Zustand ein Ende zu bereiten, der durch das Zusammenwirken der Reichsregierung mit der nationalsozialistischen Partei entstanden ist. Die Organisation ist in höchste Kampfbereitschaft zu bringen. Strengste Disziplin ist mehr denn je geboten. Wilden Parolen von unbefugter Seite ist Widerstand zu leisten. Jetzt vor allem mit konzentrierter Kraft für den Sieg der Sozialdemokratie am 31. Juli!"

Erich Ollenhauer schrieb: „Sie ließen sich nicht provozieren, sie ließen sich nicht in Teilaktionen hetzen, zu denen ausgerechnet von jenen Kommunisten aufgefordert wurde, die noch vor wenigen Wochen mit den Nazis zusammen die Abberufung sozialdemokratischer Minister und Polizeipräsidenten im Preußischen Landtag gefordert hatten. Die Massen begriffen den Sinn der Entscheidung: Sichert die Abrechnung am Wahltag!"

Keine Mehrheit für etwas

Eine Abrechnung wurde es - zugunsten der Nazis, die die Wahlen verlangt hatten. Im Vergleich zu 1930 gelang es ihnen, ihre Stimmen mehr als zu verdoppeln, auf 13,7 Millionen, fast 37 Prozent, die Zahl ihrer Mandate von 107 auf 230 zu erhöhen und die weitaus stärkste Partei des Reichstags zu werden. „Trotzdem haben sie ihr Wahlziel nicht erreicht", lauteten unsere parteioffiziellen Kommentare.

Der Arbeiterblock hatte standgehalten; das nicht-katholische Bürgertum war bis auf winzige Reste zum Faschismus abgeschwenkt. „Damit sind aber die nationalsozialistischen Reserven erschöpft; die proletarische Linke und katholische Mitte zeigten sich als vollständig immun gegen den Hitlerbazillus, die braune Springflut ist zwischen den Wahlen im April und Juli nicht nur zum Stillstand, sondern in manchen Bezirken schon zum Rücklauf gekommen", hieß es in einem unserer Leitartikel.

In Wirklichkeit hatte die völlige Paralysierung demokratisch-parlamentarischer Überreste begonnen. Es gab eine Mehrheit gegen Parlament und Demokratie, bestehend aus Nazis, Deutschnationalen und Kommunisten; es gab eine Mehrheit von Sozialdemokraten, Kommunisten und Zentrum gegen eine faschistische Diktatur, und alle Parteien außer den Deutschnationalen waren gegen die Papen-Regierung. Es gab keine Mehrheit mehr für etwas. Die Frage war nun nicht mehr ob, sondern wann Hitler an die Macht kommen würde.

Gekürzt aus: MEINE JUGEND IN GROSSBERLIN. Triumph und Elend der Arbeiterbewegung 1918 - 1933. Von Erich R. Schmidt. Donat Verlag, Bremen. 182 Seiten.

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