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Ein Schwabe, der den Preußen die Kastanien aus dem Feuer holte...

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Am 3. Mai 1939 itarb der Generalleutnant a. D. Wilhelm Groener im Krankenhaus zu Potsdam. Wohl brachte kurz der Rundfunk die Meldung, aber am Abend vor der Beisetzung erging ein Befehl an alle Offiziere der Wehrmacht, der die Teilnahme am Begräbnis verbot. Der gesamte schriftliche Nachlaß konnte vom Chef der Heeresarchive rasch gebotgen werden, ehe die Beauftragten der Staatspolizei ihn beschlagnahmten. In voller Uniform nahm als einziger Offizier der Generaloberst von Hammerstein-Equord, damals bereits im Ruhestand, die Gelegenheit wahr, seine Verbundenheit mit Groener zu manifestieren. In einem Rundbrief an die Freunde Groeners hat seine Tochter damals ahnungsvoll niedergeschrieben;

„Nun ist mein lieber Vater nach einem reichen und gesegneten Leben zurückgerufen in die ewige Heimat. Sein Leben gehört der Geschichte an und ist in der Barmherzigkeit Gottes geborgen. Eine spätere Zeit wird einmal zu deuten versuchen, wie er als Offizier und Politiker seinem Vaterlande gedient hat. Er selbst hat das wehmütige Wort über sein Leben gesprochen, daß er immer wieder die .bete noire' sein müsse. Dieses Schicksal ist ihm bis ins Grab hinein nicht erspart geblieben. Aber vielleicht hat er, indem er in Detnut und Würde dieses Schicksal als eine Aufgabe auf sich nahm, seinem Verlande ejnen größeren Dienst geleistet, als wenn er eigene Ehre und eigenen Ruhm gesucht hätte.“

Nach Jahren des Schweigens übergab sie nunmehr der Oeffentlichkeit Dokumente und Aufzeichnungen (Dorothea Groener-Geyer: „General Groener..“ Soldat und Staatsmann. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 1955. 406 Seiten).

Als Groener 1886 die Offiziersprüfung als württembergischer Leutnant mit „Belobigung des deutschen Kaisers und des Königs von Württemberg wegen vorzüglicher Leistungen bestand“, mag er nicht geahnt haben, in welch tragisches Verhältnis er einstmals zum letzten Träger des in Versailles geschaffenen Kaisertums treten sollte. Der kluge und lebensaufgeschlossene süddeutsche Offizier kam sehr rasch in den Generalstab und in eine Abteilung, die für die Zukunft von besonderer Bedeutung sein sollte, in die Eisenbahnabteilung. Diese Arbeit brachte selbstverständlich die Beschäftigung mit wirtschaftlichen und vor allem sozialpolitischen Fragen mit sich, und bei den Kommandierungen in den Betriebsdienst hat Groener zum erstenmal auch Eingang in die Kreise der deutschen Arbeiterschaft gefunden, deren Schicksal er später in so wesentlichen Fragen entscheiden sollte. Zwischen ihm und Ludendorff gab es frühzeitig, schon im Frieden, Differenzen. Als aber Groener als Chef der Eisenbahnabteilung immer mehr zu den führenden Technikern der modernen Kriegsführung emporwuchs, mußten selbst seine stillen und offenen Gegner vor der ruhigen Sachkenntnis dieses Mannes kapitulieren. Hindenburg berief ihn 1916 zum Chef des Kriegsamtes, eine Stellung, welche die totale wirtschaftliche Mobilmachung im Rahmen des sogenannten „Hinden-burgprogrammes“ einschloß. Groener sah damals schon tiefer als die siegestrunkenen alldeutschen Politiker und Offiziere, deren Träume nach neuen Erzgebieten und Bastionen strebten. Er erkannte die schweren Gefahren, die sich aus den Kriegsgewinnen ergaben, und war bereit, mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, eine Ansicht, die ihn in dem Kreise seiner Standesgenossen von vornherein suspekt machen mußte. Der bittere Ernst der Lage fand seinen Niederschlag in Denkschriften, in denen schonungslos die Folgen der Ausbeutungspolitik Ludendorffs gezeichnet wurden. Groener mußte zunächst an ein Frontkommando, weil alle ihm mißtrauten, Ludendorff ebenso wie der Kreis der Großindustriellen. Als Ludendorff am 29. September 1918 aus heiterem Himmel den sofortigen Waffenstillstand von den verachteten „Politikern“ verlangte, gestand er die Niederlage ein, ohne selbst die Verantwortung tragen zu wollen. Einen Monat später war der Mantel des „Unbesiegbaren“ gefallen, Groener übernahm die Rolle des historischen Sündenbocks, und der König von Württemberg äußerte als Souverän bitter: „Nun muß ein Schwabe den Preußen die Kastanien aus dem Feuer holen.“

Als letzter Generalquartiermeister und somit erster Mitarbeiter Hindenburgs ist Groener im wesentlichen mitbeteiligt an den Vorgängen des 9. November 1918. Eine Geschichtslegende, deren Wucherungen nur schwer den Zugang zu den wirklichen Vorgängen erlaubten, hat Groener zum Hauptschuldigen der ruhmlosen Flucht des letzten Hohenzollernkaisers werden lassen. Darüber hinaus entstand die Legende über Groeners angebliche Aeußerung, daß der Fahneneid und der Begriff des Obersten Kriegsherrn in revolutionären Zeiten nur eine Fiktion sei. Aus den Aufzeichnungen, die nunmehr veröffentlicht werden, geht eindeutig hervor, daß in dem hintergründigen Spiel der Hofschranzen und Salongeneräle keiner die Verantwortung übernehmen wollte, Wilhelm II. die Wahrheit zu sagen. Wohl hat Hindenburg versucht, den Württemberger vorzuschieben, weil er als preußischer General nicht imstande war, die Forderung nach der Abdankung auszusprechen. In der Legende wurde Groener festgenagelt; in der Wirklichkeit überzeugte sich der Exkaiser in Doorn an Hand der Tatsachen immer mehr und mehr, daß Hindenburg der Verantwortliche für die Reise nach Holland war. Auf den Feldmarschall aber übertrug Wilhelm II. den Oberbefehl über das Heer, dessen Leitung bis in die Junitage 1919 noch an einen Widerstand glaubte. In der dramatischen Kabinettssitzung vom 23. Juni 1919, da Ebert wegen der endgültigen Entscheidung der Unterzeichnung des Versailler Vertrages Hindenburg anrief, verließ dieser das Zimmer und ließ Groener die schicksalsschwere Mitteilung machen, daß die Wiederaufnahme eines Kampfes sinnlos sei. „Sie haben eine schwere Last auf sich genommen und wieder einmal das schwarze Schaf sein müssen“, war die trockene Bemerkung Hindenburgs an seinen ersten Mitarbeiter.

Zum „Verrat von Spaa“ kam nun der „Verrat von Weimar“. Nicht lange sollte es dauern und die Parteigänger der alldeutschen Kreise, vor allem die Grafen Westarp und Schulenburg, versuchten im Februar 1919 die Geschichtsklitterung der Dolchstoßlegende auf Kosten Groeners. In einem Ehrengerichtsverfahren, an dessen Ausgang auch Hindenburg sehr interessiert war, wurde Groeners Verhalten gekennzeichnet: er habe sich in der Frage der Abdankung und Abreise Wilhelms II. persönlich vollkommen zurückgehalten und seine Pflichten unter den denkbar schwierigsten Verhältnissen nach bestem Wissen und Gewissen erfüllt. Trotzdem konnte Groener nicht mehr zur Ruhe kommen. Als er als Reichsverkehrsminister und später als Reichswehrminister in das Rampenlicht der Politik trat, sind die Vorgänge des 9. November 1918 schon durch die Legende verzeichnet. Scheinbar hielt ihm Hindenburg vor allem als Wehrminister, noch die Treue, aber die Clique um den Marschall-Präsidenten, vornehmlich Groeners eigener Schüler Schleicher, hatten längst gelernt, mit dem ehrgeizigen Paar Hindenburg — Vater und Sohn — Politik zu machen. Als Brüning buchstäblich hundert Meter vor dem Ziel gestürzt worden war und Groener das öffentliche Leben verlassen hatte, richtete er einen persönlichen Brief an Schleicher, in dem es heißt:

„Werden Sie doch Kanzler; zeigen Sie, was Sie können, aber dabei ein großer und ganzer Mann sein, dem vollstes Vertrauen geschenkt werden kann. Wer hat denn jetzt Vertrauen zu Ihnen, fast niemand, man hält Sie für ungewöhnlich klug, gewandt, gerissen und erwartet von Ihnen, daß Sie Kanzler werden wegen Ihrer Klugheit und Gerissenheit. Meinen vollen Segen haben Sie.“

Die Tragödie des 30. Mai 1932 war vorausgegangen, da Hindenburg, dessen geistige Fähigkeiten in jenen Tagen durch eine geheimgehaltene Krankheit nicht intakt waren, von Brüning einen eindeutigen Rechtskurs verlangt hatte. Hitler und Hugenberg hatten sich durch Schleichers Vermittlung bereits dem Hinden-burg-Kreis genähert. Als am 31. Mai Brüning noch einmal für sich und sein Kabinett den Präsidenten um eine Diskussion bat und ihm die letzten Besprechungen melden wollte, hatte Hindenburg nur dreieinhalb Minuten Zeit, weil er das Aufziehen der Wache zum Gedenktag der Schlacht am Skagerrak inspizieren mußte! Am Nachmittag des 30. Mai war der amerikanische Botschafter Sackett bei Reichskanzler Brüning mit einem Handschreiben des Präsidenten der USA über ein weiteres Entgegenkommen in der Reparationsfrage. Auf die Mitteilung Brünings, daß die Demission des Kabinetts bevorstehe, behielt der Botschafter das Schreiben zurück. Es war nur persönlich für Brüning bestimmt, und die Weisungen Sacketts lauteten dahin, daß auch die Abrüstungsfrage gelöst würde, ebenso wie daß zum Problem des polnischen Korridors aussichtsreiche Verhandlungen bevorstünden, woran jahrzehntelang die Regierungen der Weimarer Republik gearbeitet hatten. Die außenpolitischen und wirtschaftlichen Fesseln des Versailler Vertrages sollten fallen, als es gelang, Brüning und seinen stärksten innenpolitischen Verbündeten, den Reichswehr- und Reichsinnenminister Groener, zu stürzen. Das Kabinett Papen war das Vorspiel zu dem Weg in die Katastrophe. Wilhelm Groener hat zu seinen Lebzeiten seine Stimme nicht mehr erheben können. Friedrich Meinecke aber schrieb, schon von der Todeskrankheit befallen, zum Geleit der Aufzeichnungen: „Hohe Geistesklarheit und männliche Entschlossenheit vereinten sich in ihm zu bedeutender staatsmännischer Wirksamkeit. An wichtigen Wendepunkten der deutschen Geschichte hat er seinen Mann gestanden. Er verdient einen Ehrenplatz in ihr.“

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