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TAGANROG

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(8. Fortsczung)

„Es ist ein Frieden“, antwortete Alexander langsam, „der schon von jenseits eines furchtbar schweren Entschlusses kommt; ich habe mir diesen Frieden nur geborgt, ’ noch nicht erworben. Aber die Dinge und Ereignisse haben mich von allen Seiten umstellt, und ich muß heute zur Wahrheit durchbrechen. Elisabeth, ich muß dir mein Leben erzählen, mein eigentliches Leben, das du nicht kennst. Es wird dich ein Entsetzen befallen, das ich dir gerne erspart hätte. Aber vielleicht kann ich dieses Zimmer nicht mehr als derselbe verlassen, der es betreten hat. Bis an diese Wand hat mich das Schicksal — ich möchte sagen: hat mich Gott getrieben, und nun muß ich sprechen. Aus meinen Worten wird dir das Kreuz entgegenkommen, das dir auferlegt ist. Ich bitte dich, nimm es an; wenn nicht mir, so wird es doch dir zum Heile werden." Sie hatte den Brief geschlossen. „Ich ahnte, daß du einmal sprechen werdest“, sagte sie ruhig; „ich will all meine Kraft sammeln, daß ich dich an jeder Stelle deines Weges verstehe." — „Vielleicht", begann er nach einigem Schweigen, „erinnerst du dich noch des Augenblickes, da wir am Totenbett meiner Großmutter Katharina standen. Sie war wie eine glücklich Schlafende; Anmut, Friede und Majestät spiegelten sich auf ihrem Antlitz, als hätte sie ein gesegnetes Leben unter besonderer Gnade beschlossen; selbst ein Schimmer der Jugend, deren Schwinden ihr einziger Kummer war, lag wieder auf ihren Zügen wie ein später Lichtstrahl, von dem man nicht weiß, woher er kommt. An mir hat sie leidenschaftlich gehangen — von Liebe wage ich nicht zu sprechen—, aber meinen armen Vater hat sie gehaßt.“ Seine Gedanken schienen plötzlich den Vorfällen auszüweichen, die er berichten wollte: „Ich war jetzt in den Wäldern an der Wolga; dort fand ich in einer Hütte ein Bildnis meines Großvaters, der den Frommen als heiliger Zar gilt; sie meinen, in ihm sei Christus wieder erschienen — so groß kann ein schwacher armer Mensch durch Leiden werden für unser Volk. Mein Vater muß meinem Großvater sehr ähnlich gewesen sein, und dies war der letzte Grund jenes Hasses; Katharina haßte ja nicht nur den Gatten und da entwürdigende Leben, zu dem er sie gezwungen, sie haßte — mit einem letzten verborgenen Schauder vor ihrer Tat oder der Tat der Verschwörer — auch ihre Schuld- Mein Vater wurde von derselben inneren Unruhe gejagt wie mein Großvater; er konnte nirgends verweilen, nicht zusammenhängend sprechen und hielt es vor Atemnot in keinem Raume aus, ohne die Fenster aufzureißen. Über sein armes, erhitztes Gesicht, das nur den Blicken der Liebe Ernst und Edelmut unter der Maske leidvoller Häßlichkeit verraten hätte, lief dasselbe Zucken, das Peter III. eigen war; Katharina jedoch wollte in klare, feste Gesichter sehen: das Zucken und Stammeln zerrte an ihren Jerven und muß eine immerwährende Erbitterung in ihr genährt haben. Kein Gedanke konnte ihr furchtbarer sein, als daß die rücksichtslos erworbene Macht dem Sohne zufallen sollte, der dem Vater in allen seinen verhaßten Eigenschaften ähnlich war. So drang der Haß in unser Leben ein. Die Zarin hielt meine Mutter und meinen Vater in unwürdiger Stellung vom Hofe fern, während sie mich und meine Brüder an den Hof zog; ich sollte im hellsten Glanze an der Stelle stehen, die meinem Vater gebührte, und er sollte vergessen werden. Der Haß blieb nicht stehen; wie er Mutter und Sohn getrennt hatte, so schied er wieder mich von meinen Eltern.. Damals wurde die Erbitterung im Herzen meiner Mutter geweckt, die sie nicht überwinden konnte. Denn auch sie verlangte mit der ganzen frischen Leidenschaft ihres Wesens nach der Krone an der Seite eines Mannes, den sie vielleicht nicht geliebt hat, der aber doch bestimmt schien, die Krone auf ihr Haupt zu drücken. Nun sollte ich vielleicht diese Krone erlangen, ehe sie an den Vater kam. Wenn Katharina mich stürmisch an sich zog, wenn sie meine Einfälle bewunderte, meine Kenntnisse überschwenglichlobte, meine Erscheinung vergötterte, so ließ sie es nicht an Andeutungen fehlen, daß ich unmittelbar ihr Erbe werden solle: ich sei sichtbar dazu ausersehen, die Krone Rußland zu tragen, der sie so viel Macht, so viel Ruhm gewonnen hatte.“ Alexander blickte zu dem Kreuz auf, das über seinem Bett hing: „Und wenn ich mich nun, mit dem Verlangen nach der letzten Wahrhaftigkeit, frage, ob diese Versuchungen Gewalt über mich erlangten, so muß ich sagen: Ja, diese Gedanken fraßen sich in mein Herz ein. Ich will Katharina nicht beschuldigen, um mich zu entlasten; sie riß mich in eine Atmosphäre des Hasses und der Versuchung, sie stellte im Grunde doch nur eine Aufgabe, und ich konnte diese Aufgabe nicht lösen; ich konnte die Prüfung nicht bestehen.“

Er sah die Gattin lange an: „Es ist mein großes Verhängnis gewesen, daß ich allen Menschen als Licht erschienen bin. Ich war es nicht; das Unheilige und das Dunkle wogten von früh an in mir; aber ich sah, daß die Menschen das Lichte liebten, und es gab eine Art von Helligkeit, die mir leicht erreichbar war. Einmal, als ich am Geburtstag der Zarin an der Seite meines Vaters den Thronsaal betrat, fühlte ich, wie alle Blicke mir zuflogen, während er kaum beachtet oder mit Mitleid und selbst mit Spott bedacht wurde; er trug eine schlechte, fast schmucklose Uniform,- nur das Kreuz der Malteser legte er gerne an; er verstand nicht zu danken, nicht die Menschen sich zu verbinden, geschweige denn zu beglücken, während ich, wie ich schon erfahren hatte, mit einem einzigen Blick unauslöschliche Ergebenheit in einem treuen Herzen erwecken konnte. Mitleid mit ihm und Triumph kämpften miteinander in meinem Innern, da wir dem Throne Zuschriften; Katharina dankte mir überschwenglich, ihn beachtete sie nicht. Sehr viel später geschah es, daß er, gegen seine Gewohnheit, viellleičht schon von einem Argwohn getrieben, mich in meinem Zimmer besuchte. Er fand auf meinem Tisch die Tragödie ,Cäsars Tod‘. Ohne ein Wort zu sagen, mit einem kurzen Lachen, verließ er das Zimmer, um mir durch seinen Adjutanten einen Band der Geschichte Rußlands zu schicken; darin war die Stelle bezeichnet, die Alexejs Tod behandelte. Eine Art entsetzlichen Wissens und Verdächtigens war in uns entstanden, ohne die Zustimmung unserer Herzen; in seinen weitaufgerissenen, starren Augen klaffte zuweilen eine abgründige Angst.

Indessen hatte mein Vater, gestützt auf das Heer, das ihm noch wohlwollte, den Thron bestiegen. An einem der ersten Tage seiner Herrschaft schritt er mit Konstantin und mir in das Kloster des heiligen Alexander Nevsky; dort ließ er sich von zwei alten Mönchen den Sarg seines Vaters zeigen, der in der Nähe der Kanzel ohne Aufschrift in die Erde eingesenkt worden war. Ein Schauder faßte uns an, als er den schmucklosen Schrein heben und öffnen ließ; aufschluchzend warf er sich auf die Knie und küßte die mit einem vermoderten Handschuh bedeckte Hand seines ermordeten Vaters. Dann wurde Peter III., eine unkenntliche, kindliche Gestalt, im Sarge geweiht und gekrönt, und wir gaben ihm durch den Schnee das Geleite in die Peter- Pauls-Kathedrale; unmittelbar hinter dem Sarge, hochaufgerichtet, mit wehendem weißem Haar und doch schattenhaft im Gestiebe der Flocken, schritt auf Geheiß meines Vaters der Admiral Orloff, der Mörder; es war die einzige Strafe, die er hier auf Erden erdulden sollte.

Im ersten Morgengrauen, in einer dem Russen tief verhaßten Frühe, brausten die Trommeln vor dem Schloß; dann stand mein Vater, kahlen Hauptes, den Hut unter dem Arme, auf dem Paradeplatz, mit dem Stock und den Füßen auf den hartgefrorenen Boden stampfend, während das Garderegiment in einer Wolke eisigen Dunstes exerzierte. Er mißtraute den Offizieren und selbst der Mannschaft: dieses Regiment hatte seinen Vater gestürzt und Katharina auf den Thron erhoben; es werde, so glaubte er, auch ihn stürzen —um meinetwillen. Erst die Erfahrung der Schuld erschließt uns die Seelen; ich glaube, daß all die Eigenmächigkeiten und Heftigkeiten meines Vaters ihren Ursprung hatten in Angst und Mißtrauen; er wäre gewiß tapfer gewesen vor seiner Truppe; er konnte im engsten Kreis die Menschen in Erstaunen versetzen durch seine Einfälle und Einsichten; dem Verdachte, immerwährend umlauert und bedroht zu sein, hielt er nicht stand. Er fühlte sich nicht mehr als Herr und gebärdete sich darum als solcher auf verhängnisvolle Weise. Meine Mutter wollte er ins Kloster schicken, da er ihren Ehrgeiz fürchtete; er hatte eine Freude daran, mich in der Öffentlichkeit seine Ungnade fühlen zu lassen und Konstantin an meiner Stelle vorzuziehen und schon als seinen Nachfolger zu bezeichnen. Konstantin war ihm viel ähnlicher als ich; er hatte Mühe, die Herzen der Menschen zu gewinnen, selten fand er ein verbindendes Wort; auch hatte er ein Verlangen, zu dienen und sein heftiges Temperament unter einen Befehl zu stellen, welches Verlangen meinem Vater behagte. Vielleicht hat nur Konstantin seine ganze, ungestüme Liebe empfangen.“

Der Zar hielt inne. „Warum sage ich das alles? Es führt mich doch nicht an der furchtbaren Nacht vorüber, die über mein Leben entschied, noch viel weniger entschuldigt es mein Verhalten in dieser Nacht. Die Macht meines Vaters, die ihn so unsicher dünkte, verwandelte sich in Gewalt; sie wurde dadurch auf um so schlimmere Weise bedroht. Die Züge Verbannter wanderten nach Sibirien, sie flehten mich um Hilfe an; gewährte ich sie, so gewann ich mir Freunde, schürte die Erwartung auf der einen Seite, den Verdacht auf der andern. Das Heer murrte; die sprunghaften Wendungen der äußern Politik erregten Sorge und Erbitterung; wir waren bei schwerem Seegang auf einem Schiff, zu dessen Kapitän niemand mehr Vertrauen hatte. Der erste, der offen zu mir von dem Plane sprach, meinen Vater zur Abdankung zü bewegen und mich auf den Thron zu erheben, war der Graf Nikita Petrowitsch Panin, der Katharinas Verschwörung ge leitet hatte. Er sprach behutsam, mit einer wunderbaren Schonung für meine Seele, die ich teuflisch nennen möchte, wenn dieses Wort nicht wie eine Entschuldigung erschiene. Er spiegelte mir all die schillernden Träume vor, die sein scharfer Blick in meiner Seele gefunden hatte: ein Regiment der Menschlichkeit, Befreiung von verhaßtem Zwang, Ruhm und den Glanz des Geistes für meine Krone. Als das noch nicht ganz reichte, sprach er von der Pflicht, Rußland zu retten; dabei schob er doch leise, mit einem wissenden Lächeln, das Zepter in meine Hand, indem er auf die große Aufgabe wies, die gerade jetzt Ruß lands im Kampf mit dem Westen harrte; — der Zar hatte sich damals plötzlich zum Bruch mit England und dem uns alle empörenden Bündnis mit Napoleon entschlossen; — meinem Vater werde nichts geschehen, er werde nach seiner Abdankung hochgeehrt unter uns leben. — Ich stieß Panin zurück; nach einem Jahr, als er wie- derkam, tat ich es nicht mehr: er hatte mir ein Gift eingeflößt, dem ich nicht widerstehen konnte.“

Die Zarin hatte in wachsender Erregung zugehört: „Es kann nicht sein!" rief sie entsetzt. „Es ist so“, erwiderte Alexander ruhig; „Panin besitzt sogar ein Dokument,

das meine Einwilligung beweist. Er lebt seit über zwanzig Jahren als Verbannter auf seinen Gütern im Gouvernement Smolensk. Freunde hatte er nie; dazu war er zu hochmütig. Vielleicht hält er die Welt nicht für wert, sein Geheimnis zu erfahren.“ — „Aber du hättest doch nie und nimmer zugestimmt, daß deinem Vater das gerihgste geschähe?“ — „Siehst du, so kommen wir der großen Lüge näher, auf der mein Dasein ruhte. Wer nähme wohl einem Fürsten seinen Königsmantel, ohne ihn tödlich zu verletzen? Und wenn die andern das nicht wußten, so hätte ich es wissen müssen; und ich wußte es. Damals fühlte ich schon, es war der heillose Anfang meiner Schuld, daß ich Panin anhörte —, daß er zu mir sprechen konnte. Bald darauf wurde Panin gestürzt, wurden seine Mitverschworenen zerstreut. Nun erschienen die Täter; sie waren gröberer Art, aber sie hatten die Witterung dafür, daß meine Seele ihnen verfallen war. Der Graf Pahlen fand den wunderbaren Kunstgriff, meinem Vater die Verschwörung zu entdecken, an deren Spitze ich stand, und einen Haftbefehl gegen mich und gegen Konstantin zu erwirken. Dieser Haftbefehl machte uns endgültig zu Feinden; er vermochte mich, das geschehen zu lassen, was ich erwarten mußte. Auch hatte Pahlen — vielleicht im Verein mit Bennigsen — meinen Vater unter dem Zwange der Angst und des Argwohns zu immer tolleren politischen Maßnahmen getrieben; die Kriegserklärungen, die er versandte, ließ Pahlen auffangen und im Heere bekanntmachen; das trieb ihm Offiziere und Politiker zu.

(Fortsetzung folgt)

BÜCHEREINLAUF

Schule und Beruf. Herausgegeben von Dr. Otto T i m p. Heft 1—3. — Durch die Schule zum Beruf. Von Welter Hiller. Österreichischer Bundesverlag. 48 Seiten, S 450.

Der arme Luka. Von Dobri Nemiroff. Wiener Verlag, Wien. 151 Seiten.

Durst. Von Anton Ingolic. Wiener Verlag, Wien. 439 Seiten.

Waldbauerngeschichten. Von Rudolf K u b i- tschek Wiener Verlag, Wien. 65 Seiten.

Judas sucht seinen Bruder. Von Heinrich Zeder. Wiener Dom-Verlag, Wien. 307 Seiten, S 14.50.

Erbe und Zukunft des Abendlandes. Zwölf Vorträge, veranstaltet vom Studio Radio Bern. A.-Franke-Verlag AG, Bern. 136 Seiten, sfr 6.40.

Die Technik des Außenhandels. Von Ludwig Trieg1er. Manzsche Verlags, und Universi- tätsbudihan-dlung. 362 Seiten.

Es ruft die Sahara. Von R. C. V. Bod1ey. Mirabell-Verlag, Wien. 329 Seiten.

Flucht in den Frühling. Von Michael Zorn, österreichische Buchgemeinschaft, Wien. 242 Seiten.

Madame Dubarry. Von Karl von Schumacher. Almaithea-Verlag, Wien. 220 Seiten,

5 24.—.

Drei Gespenster, Von Jean des Marche- nelies. Druck- und Verlagshaus Ploetz

6 Theiß, Wolfsberg in Kärnten,

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