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Hoffnungslose Feldwebel“

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In den frühen /lorgemianden des 8. September 1944 endete in dem düsteren Gefängnis zu Ber'in-Plötzensee das Leben •Christian August Ullrich von Hassels. Unter den vielen Gerichteten, die im Zusammenhang mit dem Komplott vom 20. Juli 1944 das Schafott oder den Galgen besteigen mußten, fiel sein Name kaum auf. Begreiflich, denn weder war er unter den Mitgliedern der „Beckerstraße“, des Sitzes , der Verschwörung, gewesen, noch war er ein Militär von Rang. Die Öffentlichkeit wußte von ihm gerade nur, daß er einstmals deutscher Botschafter in Rom gewesen war, aus einer uralten preußischen Soldatenfamilie stammte und infolgedessen in irgendeiner Form zum Kreis der Verschwörer vom 20. Juli gehörte und deshalb der rasenden Hitlerjustiz zum Opfer fiel;

Die Gestapo war anderer Ansicht, sie ahnte, daß Hassel eine bedeutende Stellung in dem Komplott innegehabt hatte. Irgendwo flattere das Geruch auf, daß er Außenminister in der neuen .Regierung hätte werden sollen. Hassel selbst verriet nichts bei den Verhören. Um so fieberhafter suchten die Agenten nach schriftlichen Aufzeichnungen, vor allem nach seinen Tagebüchern. Es war bekannt, daß er solche geführt hatte. Aber diese waren verschwunden. Kein Mensch wuike wer sie entwendet hatte und wo sie sich befanden.

Die Tagebücher sind nun ans Licht gekommen, sind jetzt pach dem Krieg sogar in der Schweiz im Druck erschienen. Die Gestapo hatte richtig geahnt. Die Tagebücher geben Zeugnis dafür, daß Hassel, einer der Exponenten des „anderen, Deutschland“, von Anfang an einer der erbittertsten Gegner Hitlers war. — Ein halbes Jahr vor Hitler Botschafter in Rom geworden, wurde sein Posten bald der wichtigste des Dritten Reiches, da Italien die einzige Großmacht war, die Hitler nicht feindlich gegenüberstand. Die außenpolitische Lage Deutschlands hatte sich unter Brüning erstmalig nach langen Jahren wieder gebessert. Mit Hitlers Machtantritt wurde sie über Nacht wieder schlecht. Die Welt zweifelte an dem Friedenswillen Hitlerdeutschlands. Hassel erkannte die Situation: Ein neuer Krieg würde das Ende Deutschlands bedeuten. Und Hassel begann gegen Hitlerzu arbeiten. Seine Fäden liefen überall hin, ins Berliner Auswärtige Amt und in den Generalstab. Er versuchte klarzumachen, daß Hitler das Verderben Deutschlands sei, aber seine Bemühungen, eine Front 'gegen Hitler herzustellen, schlugen fehl. Das konservative Lager Deutschlands war gespalten, der größte Teil hielt an der Koalition mit Hitler fest. 1937 berief Hitler Hassel, dessen Gegnerschaft er nicht nachweisen konnte, aber irgendwo spürte, von Rom ab und ließ ihn auf einem unbedeutenden Posten im Außenamt verschwinden. Zu Beginn des Krieges tauchte der Name Hassel noch einmal auf: als S'ondergesand-ter hatte Hassel die nordischen Staaten zu bereisen. Dann wurde es wieder still um ihn. Desto eifriger war er im Geheimen tätig. Der Krieg brach los. Die Katastrophe Deutschlands könnte im letzten Moment noch vermieden werden, wenn Hitler gestürzt würde. Seine Abdankung herbeizuführen, vermochte nur das' Militär.

Hassels Bestrebungen waren nur mehr darauf gerichtet, die deutschen Generäle zum Widerstand gegen Hitler aufzurufen. Er, der aus einer alten Soldatenfamilic stammte, glaubte, daß den Generälen das Schicksal Deutschlands noch immer wichtiger sein müsse als ihr eigenes, glaubte, daß unter ihnen noch der alte Geist herrschen müsse. Seine Enttäuschung war grenzenlos, als er entdeckte, daß die Generäle zumeist recht kleine Geister, „Menschen mit Zivilcourage, aber ohne Weitblick“ waren, die' „keine Selbständigkeit und keine innere Widerstandskraft“ hatten. „Der Mehrzahl yon ihnen“, so schreibt er, „war die Karriere im niedrigen Sinn,“ die Dotationen, die Feldmarschallstäbe wichtiger als die großen, auf dem Spiel stehenden Gesichtspunkte und sittlichen Werte. Alle, auf die man gehofft hatte, versagten.“

Und der Sohn eines preußischen Oberstleutnants, der Enkel eines Marineministers und Admirals • von Stosch, der Schwiegersohn eines Großadmirals von Tirpitz, der ehemalige Freiwillige des 2. Garderegiments zu Fuß bezeichnete die deutsche Generalität verachtungsvoll als „hoffnungslose Feldwebel“.

Hassels Pessimismus war nicht ganz gerechtfertigt. Nach der Invasion in Frankreich fand sich doch eine Schar von Männern des andern Deutschlands, die bereit waren, die Herrschaft des Nationalsozialismus zu stürzen. Hassel schloß sich ihnen sofort an; wieder spielten die vielen Verbindungen, die er im In- und Ausland besaß, eine große Rolle. Das Resultat dieses letzten Aufflackerns des konservativen Deutschlands 'gegen den Nationalsozialismus ist bekannt. Es schlug fehl, weil wieder nur ein Teil der deutschen Generäle mitmachte, während der andere beiserte-stand. Ullrich von Hassel erlitt seine letzte und wahrscheinlich grölte Enttäuschung. Es war sein Ende, aber auch das Ende der Großmacht Deutschland.

Der Sieg der Republikanischen Partei bei den amerikanischen Wahlen rückte ihre führenden Persönlichkeiten in das Rampenlicht des Weltinteresses. Es ist ja noch nicht berechenbar, was die geschehene Veränderung bedeutet, und ungelöst sind noch die Rätsel, die uns die Gestalten der neuen Männer aufgeben. Da ist eine ganze Reihe noch junger Männer, deren Begabung schon Aufmerksamkeit erregte und unter denen sich voraussichtlich die Präsidentschaftskandidaten befinden werden. Der hervorragendste unter ihnen ist neben dem Gouverneur von New York, Dewey, der jetzt 39jährige Gouverneur des Staates Minnesota, Harold E Stassen. Vielleicht ist er dank seiner Volkstümlichkeit der aussichtsvollste Kandidat für 1948.

Stassen gehört einer ganz neuen Schichte amerikanischer Politiker an. Man könnte unter vorsichtiger Verwendung europäischer Terminologie vielleicht den Begriff des Parteinachwuchses anwenden, denn Stassen, der aus einer streng den republik anischen Ideen ergebenen Familie stammt, nahm schon als Zwölfjähriger, soweit man es in diesem Alter tun kann, aktiven Anteil am öffentlichen Leben. Als Einundzwanzigjähriger bekam er sdion das erste öffentliche Amt. Der junge Jurist wurde bald zu einer bekannten Figur. Man erzählt, wit welchem hinreißenden Schwung er bis in die kleinsten Dörfer seine politische Werbung verkündete. Seine Volkstümlichkeit als Gouverneur von Minnesota brachte ihn mehr als einmal in scharfe Gegensätze zu der alten Garde seiner eigenen Partei. Sein soziales Programm gewann ihm jedoch das Vertrauen der Arbeiterschaft. Im Kriege gegen Japan diente Stassen als Marineoffizier. Man rühmt ihm nach, er sei einer von denen, die ganz im Volke verwurzelt und aus dem Verstehen des Volkes und seinem Mitempfinden mit dem Volke ihre Kraft beziehen. Er gilt als der neue Typ des amerikanischen Politikers, der, von unten her kommend und eng verbunden mit der Generation, die den Krieg am eigenen Leib verspürte, das Zeug in sich hat, den harten Belastungsproben der kommenden Jahre die Stirne zu bieten.

Man wird den Namen Harold Stassen sich merken müssen. Vielleicht dauert es nicht lange und der Name ist Parole und Kriegsgeschrei jener politischen Kämpfer des nordamerikanischen Kontinents, die für Europa künftig von einer völlig neuen Bedeutung sein werden.

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