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Die Brücke

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Es herrscht in gewissen österreichischen und deutschen Kreisen die eigenartige Ansicht, daß man zwar oft bei Engländern und Amerikanern, nie aber von Franzosen ein vernünftiges Wort über die Länder Mitteleuropas zu hören bekommt. Ist nicht der Franzose eine Art „Erbfeind , bei dem die Abneigung gegen alles Deutsche, gegen das Haus Habsburg nicht weniger als gegen das Preußentum, die klare geschichtliche Schau verdunkelt? Engländer oder Amerikaner brächten es fertig, fair und vorurteilslos zu sein, der „Franzmann aber nie. So geht die Sage. Aber die Wirklichkeit ist sehr anders.

Professor Carr & von der Sorbonne hat in seinem Werk „Die französischen Schriftsteller und die deutsche Fata Morgana 1840 bis 1940 darauf hingewiesen, daß die französische Literatur mit der Ausnahme Barris, Hugos und Quinets überwiegend deutschfreundlich war. Die französischen Stimmen, die eine warme Sympathie für Deutschland ausdrückten, verstummten selbst nach dem ersten und zweiten Weltkrieg nicht. Der Professor Edouard Dujardin von der Sorbonne schrieb in der Sommemummer der „Cahiers Idėalistes des Jahres 1919 zwei Artikel über den Frieden von Versailles. Der eine war betitelt: „Frieden der Bosheit. Frieden der Dummheit, Frieden der Eitelkeit. Der zweite Artikel war ein Aufruf an das deutsche Volk, der mit den Worten begann:

„Ein schweres Unrecht ist Euch angetan worden.

Dieser Friede bedrückt nicht einmal so sehr euren Körper i er greift Euch in die

Seele i und das ist es, was das Gewissen mancher Franzosen nicht ertragen kann. ‘ Bis zum 28. Juni, dem Tag der Unter sdirift des Friedensvertrages, gab es ein Reihe von Franzosen, die sich nur eine zum Lebensziel gesetzt hatten: die Ver söhnung.

Seit dem 28. Juni ist dieses Lebensziel ein Doppeltes geworden.

Die Versöhnung, das versteht sich von selbst, die bleibt.

Dazu kommt aber noch cBe Wiedergutmachung der großen Ungerechtigkeit, die begangen wurde.

Dies ist aber eine Arbeit, die auch dem unglücklichen Frankreich zugute kommt.

Ea erstanden in Frankreich in den Jahren zwischen den Kriegen auch zahlreiche Verteidiger Österreichs und Ankläger gegen das System der Kleinen Entente. Unter ihnen verdient Henri P o z z i besondere Erwähnung. Und nach dem zweiten Weltkrieg (1945) schrieb Bemanos, der große Romancier, in tiefer christlicher Erkenntnis:

„Wolle Gott, daß Deutschland nun in seiner Seele und an seinem Körper leide gemäß seiner ungeheuren, seiner übernatürlichen Fähigkeit zum Leidenl Wolle Gott, daß Deutschland völlig, reichlich, übermenschlich Sühne leiste, damit es nach Abtragung seiner Schuld durch den letzten Schmerzensschrei den der göttliche Peiniger ihm entlockt, auch die schwere Schuld seiner Sieger sühnt, die nicht würdig sind, seine Richter zu sein!

Ähnlich schrieb der Jesuitenpater Henri Perrin, der als Priester und Fronarbeiter in Deutschland gewirkt hatte und lange im Gefängnis war, in einem „Tagebuch eines Priesterarbeitere ln Deutschland (Pari 1945). Ergreifendirkt in diesem Buch sein Gebet für Deutschland. Und französische Denker, die kühl und klar das Phänomen des Nationalsozialismus durchschauten, erkannten darin ein Übel, das auch außerhalb Deutschlands Gestalt annehmen könnte. David R o u s s e t, der durch die entsetzliche Mühle der Konzentrationslager gepreßt worden war, schrieb am Ende seines .Konzentrationsuniversums“ (1946):

Es wäre ein Selbstbetrug, und noch dazu ein verbrecherischer, wenn man sich ein- reden würde, daß auch nicht andere Völker, wiewohl aus anderen Ursachen, eine ganz ähnliche Entwicklung erleben könnten.“ Trotz bitterster Erfahrungen, die Frankreich mit Deutschland gemacht hatte, nahm nicht nur schon de Gaulle sehr früh den Gedanken einer Verständigung mit Deutschland auf, sondern auch Paul M a ll i a v i n, der unter dem Namen Michel Dacier schreibt und Herausgeber der antigaullistischen „Ėcrits de Paris ist. In seinem ausgezeichneten Artikel „Die Rheinüberquerung“ (Februar 1949) beschäftigte er sich offen und frei mit allem Unsinn der französischen Deutschlandpolitik in der Vergangenheit. Er übersieht die Fehler und Mißgriffe der Deutschen keineswegs, hat aber für gewisse populäre Geschichtsfälschungen, die man in Frankreich zu hören bekommt, nichts übrig. Die künstliche Zerstückelung Deutschlands verwirft er genau so wie de Gaulle, und ganz besonders wendet er sich gegen einen französischen Minderwertigkeitskomplex, der in den Deutschen bösartige Übermenschen sieht. „Nichts“, schreibt er, „ist getan worden, um den Deutschen vor 1914 das, wenn auch unrichtige, Gefühl des Eingekesseltseins zu nehmen. Die Legende, daß Preußen im Jahre 1870 ein friedliebendes Frankreich überfiel, existiert für ihn ebensowenig. Die Packeleien der Westmächte mit Hitler vor 1939 kennt er nur zu gut. In den Schlußworten wendet er sich an seine Landsleute, Mommsen zitierend: „Der unwiderstehliche Orkan der Geschichte zerbricht und vernichtet unweigerlich jene Nationen, die vom Stahl weder die Härte noch die Biegsamkeit haben.“ Jules Romains, der große Romanschriftsteller, hat auch keine Scheuklappen vor den Augen. Im 15. Band seines Monumentalwerkes „Die Menschen guten Willens“ denkt er darüber nach, was wohl geschehen wäre, hätte man den Weltkrieg im Winter 1916/17 mit einem Kompromißfrieden abgeschlossen. „Wäre denn nicht jetzt (das heißt 1933) Europa viel friedlicher, weniger verzweifelt über die Zukunft, wenn man in Berlin einen alten, vom Kriege angewiderten Wilhelm II., in Petersburg einen Nikolaus II. als verfassungsmäßig regierenden Monarchen und in Wien einen jungen, friedliebenden und freiheitlichen Kaiser hätte?“ Unwillkürlich erinnert dies an die herben Worte des greisen Anatole France, der auch im Krieg mannhaft für seine Ansichten einstand:

„Niemand wird mir weismachen, daß der Krieg nicht längst hätte beendet werden können. Kaiser Karl hat ein Friedensangebot gemacht. Er ist der einzige anständige Mensch in führender Stellung während dieses Krieges, aber man will ihn nicht hören. Da er den Frieden ehrlich will, hassen ihn alle. Ribot ist ein alter Verbrecher, diese Gelegenheit Vorbeigehen zu lassen. Ein König von Frankreich ja ein König würde sich unseres armen, weißgebluteten Volkes erbarmt haben Aber die Demokratie ist ohne Herz. Als Sklave der Geldmächte ist sie mitleidlos und unmenschlich. (Charles Petrie, „20 Years Armistice , London 1940, p. 12.)

Anatole France, der in den Franzosen und Deutschen die „beiden klügsten Völker der Erde“ sah, sagte prophetisch: „Nun ja, wir werden die Deutschen besiegen. Aber dazu werden wir die ganze Welt gebraucht haben Selbst geschlagen wird Deutschland stolz sein, der Welt widerstanden zu haben, und nie wird ein Volk derart von seiner Niederlage berauscht 6ein. Wenn der Friede nicht die Vereinigten Staaten Europas verwirklicht, wird nur ein Waffenstillstand sein, und alles fängt von vorn an.“ (R. Schickele, „Die Grenze , Berlin 1932, p. 146.)

Es sind gerade diese endlosen Kriege, deren Analyse den Anlaß zur Niederschrift eines Buches gab, dessen Verfasser ein französischer Jude, Raymond Aron, ist. Unser österreichischer und deutscher Spießer ist wahrscheinlich felsenfest davon überzeugt, daß ein französischer Jude der Letzte ist, dem man Objektivität zugestehen kann und doch ist es nicht so. In Arons brillantem Buch „Die Kettenkriege (Paris 1951) wird eine ganze Reihe von Mythen widerlegt. So auch über die alte Donaumonarchie:

„Der föderalistische Gedanke nach der Konzeption Franz Ferdinand swäredie beste Methode gewesen, das alte Gebäude der Habsburgermonarchie zu stärken, dessen solide Grundlage der Weltkrieg wohl bewies. Zwei Jahre hindurch waren die Desertierungen sehr selten und die große Mehrheit der Südslawen und Tschechen schlug sich tapfer bis zum Ende. Ein Masaryk hatte ebenso viel Mühe, seine Landsleute zu überzeugen, als die Alliierten Minister zu überreden.“

Hätten sich die Alliierten im zweiten Weltkrieg auf die „demokratische Emigration“ stützen sollen? Keineswegs, sagt Aron: „In Wirklichkeit, seit 1939, war nur mehr eine Karte zu spielen: jene der nationalen Opposition im Dritten Reich. Die Tatsache bleibt bestehen, daß nach 1936 nur ein nationales, traditionelles und autoritäres Deutschland den Frieden hätte sichern können, ein Hitlerdeutschland allerdings niemals.“ Für die Entsetzlichkeit des Luftkrieges hat auch Aron wenig Entschuldigung, und er kommt der Liddell-Hart-These sehr nahe. Die Statistiken, die er uns gibt, sind schwindelerregend, doch besteht er darauf, daß die Luftmassaker „weniger zum Sieg als zur Größe der Nachkriegs schwierigkeiten beitrugen“. (Die Summe der auf Deutschland abgeworfenen Bomben werden 650 Atombomben im Aggregat gleichgesetzt.) Volles Verständnis hat Aron für die Rolle und Tragik der deutschen Armeespitzen, die mit Ausnahme von Hitlers Kreaturen immer auf den Frieden hinarbeiteten. Von den demokratischen Staatsmännern des Westens sagt er hingegen:

„Sie hätten wohl an ihre Verantwortung gegenüber unserer gemeinsamen Kultur denken sollen, zu deren Verteidigern sie sich selbst ernannt hatten.“

Ihre einzige Entschuldigung konnte die sein, daß ihre Kriegsführung typisch für jene der Demokratien ist, die nie an den Frieden denkt und mit den naivsten Schlagworten operiert. Von der Zeit nach dem ersten Weltkrieg schreibt er:

„Nachdem man eine nebulöse demokratische Ideologie sich zurechtgemacht hatte, beschimpfte die alliierte Propaganda wahllos die Throne, den Adel, die preußischen Junker, die Ruhrindustriellen, die Geheimdiplomatie. … doch die Parteipolitiker zeigten sich nicht immer geeignet, die alten Führerschichten zu ersetzen. Die Entfernung der konservativen Hierarchien hat nicht ein republikanisches Bürgertum zur Herrschaft gebracht, sondern leidenschaftliches politisches Ringen und die totalitären Parteien.“

Die Idee eines „ewig bösen Deutschlands“ verlacht Aron, und wie Jules Romains, spekuliert auch er über die verlorene Möglichkeit eines wirklich dauernden Friedens. An eine geschichtliche Fatalität glaubt auch Aron nicht. Das Unglück wollte es, daß England nach dem ersten Weltkrieg Frankreich im Stich ließ, aber auch Frankreich war ungeschickt:

„Die französische Diplomatie war der Weimarer Republik gegenüber zugleich ungewiß, schwankend und brutal, zu einer Zeit also, da sich die Generosität und der gemeinsame Aufbau eines zerrissenen Europas wohl gelohnt hätten. Diese Diplomatie war schwach und mutlos einem Deutschland gegenüber, das nur die Macht respektiert hatte.“

öfter beklagt es Aron, daß man die „christlichen, nationalen Generäle“ im Stiche gelassen hatte, und der Umstand, daß eine neue deutsche Armee mit dem alten Offiziersmaterial aufgebaut werden müsse, verursacht ihm deswegen keine Kopfschmerzen. Brücken nach Frankreich sind in der Tat oft leichter zu schlagen, als mancher bei uns glaubt.

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