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Wie Adolf Hitler an die Macht kam

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Wie war Hitlers Machtübernahme am 30. Jänner 1933 - vor 50 Jahren - überhaupt möglich geworden? Der Soziologe Walter B. Simon versucht in der folgenden Analyse Antwort darauf zu geben.

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Wie war Hitlers Machtübernahme am 30. Jänner 1933 - vor 50 Jahren - überhaupt möglich geworden? Der Soziologe Walter B. Simon versucht in der folgenden Analyse Antwort darauf zu geben.

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Es sind 50 Jahre her, seit am 30. Jänner 1933 Adolf Hitler als Führer der stärksten Partei vom konservativen Reichspräsidenten von Hindenburg als Reichskanzler mit der Bildung einer Koalitionsregierung von Nationalsozialisten mit konservativen Deutschnationalen betraut wurde. Es gelang Hitler die überwältigende konservative Mehrheit in seinem Kabinett trotz ihres Rückhalts im Reichspräsidenten innerhalb weniger Wochen völlig zu entmachten.

Von einer in der Geschichte einzig dastehenden feierlichen öffentlichen Verbrennung von Büchern kam es dann über millionenfache Ermordung von Menschen zu dem rauchenden Trümmerhaufen, in dem Hitlers Regime in einem Meer von Blut und Schande untergegangen ist.

Wie war das möglich? Wie konnte es dazu kommen?

Die Entwicklung war jedenfalls nicht unabwendbar. Der rasante Aufstieg von Hitlers Partei von einer unscheinbaren Randpartei mit 0,8 Millionen oder 2,6 Prozent der Stimmen im Mai 1928 auf 13,7 Millionen oder 37 Prozent am 31. Juli 1932 wurde nämlich unmittelbar von einem ebenso rapiden Abstieg im Herbst und Winter 1932 gefolgt.

Dieser Abstieg wird oft übersehen, da er in kein einfaches Schema paßt. Trotzdem: Die Reichstagswahlen vom 6. November 1932 und lokale Wahlen am 4. Dezember 1932 zeigten einen steilen Abstieg von Hitlers Partei.

Der Niedergang der NSDAP knapp vor der Machtergreifung Hitlers widerspricht den deterministischen Geschichtsauffassungen, mit denen sich viele Historiker die Arbeit erleichtern. Da diese Geschichtsauffassungen alle Entwicklungen im nachhinein erklären könner^ dienen sie jedoch eher dem Bedürfnis nach subjektiver Gewißheit als dem kritischen Verständnis.

Erklärungen im Sinne von „Ge

setzen historischer Entwicklung“ in Berufung auf die Thesen des dialektischen Materialismus von Karl Marx haben zu Fehlinterpretationen geführt, die zum Versagen marxistischer Parteien in Italien, Österreich und Deutschland beigetragen haben. So sahen die deutschen Kommunisten den Faschismus als „notwendige letzte Phase des Kapitalismus“ und bekämpften die zusammenbrechende parlamentarische Demokratie

mit den Nationalsozialisten in zahlreichen gemeinsamen Aktionen.

Artikuliert wurde diese Einstellung vom deutschen Kommuni- stenführer Bernhard Könen in der übrigens letzten Kundgebung der Kommunistischen Partei Österreichs vor deren Verbot am Sonntag den 29. Jänner 1933 in Erwartung der Ernennung Hitlers zum Kanzler mit den Worten: „Lassen wir doch Hitler zur Macht kommen und die ehernen Reihen des deutschen Proletariats unter der Führung der kommunistischen Partei… “ Der Rest der Worte ging im enthusiastischen Beifall der begeisterten Hörer unter.

Zwei weitere Jahre vergingen, ehe der Staats- und Parteichef der Sowjet-Union seinem weltweiten Gefolge eine Volksfront mit allen Gegnern des „Hitlerfaschismus“ verordnete. Diese totale Umkehr sollte zumindest der damals vom Faschismus bedrohten Demokratie von Frankreich eine weitere fünfjährige Gnadenfrist verschaffen. Für Deutschland und damit letzten Endes für Europa kam Stalins Einsicht jedoch viel zu spät.

Dabei gelang es den beiden großen deutschen Arbeiterparteien, der SPD und der KPD, von 1928

bis 1933 ihren Wählerstand sogar ZU vergrößern; die Stimmengewinne der Kommunisten waren nämlich wesentlich größer, als die Stimmenverluste der Sozialdemokratie, obwohl sich die von Dr. Goebbels überaus geschickt geleitete Propaganda der NSDAP sich vornehmlich an die Arbeiterschaft richtete.

Es gelang Hitlers Partei nicht einmal die verhältnismäßig kleine Zahl von Arbeitern zu halten, die unter der Führung von Gregor Strasser in den N.S.B.Z. (nationalsozialistische Betriebszellenorganisation) organisiert war. Daher hatte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei zur Zeit ihrer Machtübernahme überhaupt keine Anhänger unter den Arbeitern.

Diese bemerkenswerte und oft übersehene totale Ablehnung „rechter“ Gegner der Demokratie von „nationalen“ Arbeitern in Deutschland wie übrigens auch von seiten der christlichen Arbeiterschaft in Österreich bestätigt das Vertrauen von Karl Marx in die moralische Integrität der Arbeiterschaft, aber widerlegt die Politik der marxistischen Arbeiterführer, welche die parlamentarische oder „bürgerliche“ Demokratie nur als „Ubergangsphase zum Sozialismus“ schätzten.

„Linke“ Historiker verniedlichen oder übersehen völlig die Fehler marxistischer Politiker und beschuldigen statt dessen arbeiterfeindliche Kapitalisten der Komplizenschaft mit den „Faschisten“. Dogmatische Vulgärmarxisten belegen dies mit Hinweisen auf Hitlers Besprechungen mit Industriellen und Bankdirektoren, wobei betont wird, daß Hitler dabei einen Frack getragen hat.

Tatsächlich ist Hitlers Aufstieg von einer unscheinbaren Randpartei zur stärksten Partei Deutschland von nur zwei Kapitalisten finanziert worden: Von dem Kohlenmagnaten Kirdorf und dem Stahlmagnaten Thyssen. Er-

sterer starb 80jährig im Jahr 1936; Fritz Thyssen brach mit Hitler bald darauf und erklärte in seinen Memoiren, was ihn zur Finanzierung Hitlers bewogen hatte und warum er dies bitter bereute. Damit wollte er andere konservative Industrie- und F inanzmagna- ten gegen Politiker vom Typ Hitlers warnen.

Woher kamen die Wählermassen Hitlers?

Die Wählermassen, welche Hitlers Partei von 12 Sitzen im Reichstag im Mai 1928 auf 231 Sitze in dem vom Juli 1932 brachten, rekrutierten sich zum großen Teil aus früheren Nichtwählern. Die anderen kamen von der rechtskonservativen Deutschnationalen Volkspartei und von etlichen kleineren Parteien, deren Anhang sich aus protestantischen Mitgliedern der städtischen Mittelklasse und Bauernschaft zusammensetzte.

Während der gleichen vier Jahre wuchs sowohl die absolute Stimmenzahl der Parteien der Arbeiterschaft, wie auch die der beiden katholischen Parteien, dem Zentrum und der Bayrischen Volkspartei.

Die Dynamik von Hitlers Partei, mit welcher im Schatten der Wirtschaftskrise die politisch eher Uninteressierten mobilisiert wurden, ging nachgewiesenermaßen von den akademisch gebildeten Opfern der Krise aus. Der ursprüngliche Kern von Hitlers Anhängern bestand aus verkrachten Existenzen, denen es erst Hitlers Machtübernahme ermöglichte, die tiefe Kluft zwischen armseligen Fähigkeiten und anmaßenden Machtansprüchen auszugleichen.

Die Weltwirtschaftskrise machte dann zahllose qualifizierte Akademiker zu verkrachten Existenzen. Während arbeitslose Arbeiter zu den Kommunisten gingen, strömten die arbeitslosen Akademiker zu den Nationalsozialisten. Der Durchbruch der

NSDAP zur Massenpartei ging nachweisbar über die Hochschulen.

Der kurzfristige Niedergang der NSDAP im Herbst und Winter 1932 zeigt, daß Hitlers Machtübernahme nicht unabwendbar war. Ausschlaggebend war natürlich die Stärke der Nazis bei den Wahlen. Das führt zu der Frage, wieso es möglich war, daß soviele Millionen deutscher Wähler in freien und geheimen Wahlen für Hitler und seine Partei gestimmt haben.

Auf diese Frage gibt es eine Antwort, in dem man sich die beiden Gegenkandidaten Hitlers bei den Präsidentschaftswahlen am 10. April 1932 anschaut. Neben Hitler hatten damals die deutschen Wähler die Wahl zwischen dem bereits senilen monarchistischen Feldmarschall von Hindenburg, der als Kandidat der Demokraten aufgestellt war und dem treuen Stalinisten Thälmann. Ein Blick auf die beiden Gegenkandidaten Hitlers genügt zur Erklärung, was damals fast vierzehn Millionen deutsche Wähler bewogen hat, für Adolf Hitler zu stimmen.

Bleibt die Frage, wieso sich kein glaubwürdiger Demokrat in dieser Wahl stellte. Die Auferstehung einer gut funktionierenden parlamentarischen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 zeigte klar und eindeutig, daß es in Deutschland bereits vor 1933 nicht an fähigen demokratischen Politikern mangelte — von Adenauer bis Schumacher und von Högner bis Heuß.

Diese Männer haben den freien Teil Deutschlands nach dem Jahr Null aus dem Trümmerhaufen geführt, welchen das Hitlerregime zurückgelassen hatte. Wieso war es diesen Männern und anderen mit ihnen, welche den Aderlaß des Schreckenregimes nicht überlebt hatten, nicht bereits vor 1933 gelungen, sich in der Republik von Weimar durchzusetzen? Das erscheint als die große Frage, die es zu beantworten gilt.

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