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Die Handschrift der Gewalt (II)

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Als Dr. Gustav Husäk, den die Reformergruppe Dubcek im Frühjahr 1968 zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten gemacht hatte, am 17. April 1969 ZK-Sekretär der KFTsch und damit Mann Nr. 1 der Tschechoslowakei wurde, übernahm er, ähnlich wie rund 450 Tage vor ihm Dubcek, eine schwere und vielleicht unlösbare Aufgabe. Vom ersten Tag an — und eigentlich schon viel früher! — erschien ihm ein Arrangement mit den Sowjets wichtiger als ein solches mit dem eigenen Volk.

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Als Dr. Gustav Husäk, den die Reformergruppe Dubcek im Frühjahr 1968 zum Stellvertretenden Ministerpräsidenten gemacht hatte, am 17. April 1969 ZK-Sekretär der KFTsch und damit Mann Nr. 1 der Tschechoslowakei wurde, übernahm er, ähnlich wie rund 450 Tage vor ihm Dubcek, eine schwere und vielleicht unlösbare Aufgabe. Vom ersten Tag an — und eigentlich schon viel früher! — erschien ihm ein Arrangement mit den Sowjets wichtiger als ein solches mit dem eigenen Volk.

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In der Popatlaritätskurve rangierte Husäk, auch als er nach dem 21. August 1968 erster ZK-Sekretär der KPS, also der slowakischen KP, geworden war, nie allzuweit oben. Bei der letzten Befragung, die im März 1969 von der Akademie der Wissenschaften durchgeführt wurde, also sechs Wochen, bevor Husäk an die Spitze der Tschechoslowakei trat, rangierte er nach Svoboda, Dubcek, seinem großen Feind Smrkovsky und manchen anderen erst an neunter Stelle mit dem Votum von sage und schreibe 2 Prozent der Befragten; in der Slowakei, also in Husäks Heimat, dort, wo er der wichtigste und entscheidendste Mann war, stand er mit immerhin 24 Prozent erst an fünfter Stelle!

Wer Dr. Husäk kennt, weiß, daß ihn so etwas nicht berührt. Er, der bei seiner Verurteilung, in der Gefängnishaft, aber auch nach seiner Begnadigung erleben mußte, wie wandelbar angebliche Freunde sind, macht sich nichts aus Freund und Feind. Auch seine monotonen Beiteuerungen der immerwährenden Freundschaft der Tschechoslowakei gegenüber der Sowjetunion tragen keinen Schimmer von Herzlichkeit, sondern sind Ausfluß einer nüchternen Realpolitik. So erscheint ihm uch das Verhältnis Prag-Moskau •:iWtorge*'*als Freundsetiälts*Aiöentf';afe notwendige Trutzbündnis. Das weiß die Moskauer Troika natürlich auch. Aber sie kennen im Augenblick für Prag keinen besseren Mann für sich als Husäk.

Gibt es ein Husäk-Team?

So, wie sich Schritt für Schritt eine Dubcek-Gruppe mit Smrkovsk und Cisaf, Kriegl und Hübl, General PrehMk und äik gebildet hatte, könnte man meinen, auch ein Husäk-Team existiere oder sei im Entstehen. Das ist aber keineswegs der Fall. In den Führungsgremien der Partei vegetieren noch ein paar Reformer neben Realisten, Opportunisten und sehr vielen Konservativen, die den Ton angeben und in ihren Äußerungen weithin mit Husäk kon-iform gehen — das ist die heutige Situation. Ähnlich wie Husäk seinerzeit den Haß gegen das Novotny-Regime mit der Dubcek-Gruppe ge-

meinsam hatte, so stimmt er mit der Gruppe der Konservativen völlig mit der Antipathie gegenüber Demokratisierungsbestrebungen, vor allem gegenüber einer gewissen Pressefreiheit, überein. Und natürlich auch in der Meinung, daß das einzige Maxime in der Außenpolitik das Bündnis zur Sowjetunion zu sein hat, über das es keine Diskussionen geben kann.

Husäk und die Zerschlagung des Duböek-Teams

Besonders deutlich war Husäks Handschrift bei der Zerschlagung des Duböek-Teams sichtbar, und hier wieder in erster Linie bei der Entfernung von Nationalratspräsident Smrkovsky. Eingekleidet in eine slowakische Proporzforderung (Staatspräsident und Ministerpräsident Tscheche, erster KP-Sekretär und Parlamentspräsident Slowake!) trug er entscheidend zum Sturz Smrkov-skys bei, obwohl prominente Kreise der Slowakei mit ihrer Sympathie gegenüber Smrkovsky nacht zurückhielten. Das Paradoxe — und vielleicht nicht Bedeutungslose — bei dieser Auseinandersetzung war übrigens auch, daß Dr. Husäk bis zuletzt von Novotn abgehalftert war, daß dieser „homo politious“ vor allem das politische Parkett nicht mehr betreten durfte, während der weit vorher, schon bald nach 1948 entfernte Smrkovsk noch unter Novotn£ den gewiß nicht prominenten, aber auch keineswegs unwichtigen Posten eines Forstministers erhalten hatte, daß er also unter Novotn£ eine stärkere Position hatte als jetzt. Husäk, der die Föderalisierung sicher stärker betrieben hatte als Dubcek, ging aber auch mit seinen L an (Meuten nicht allzu sorgsam um. Gegenüber Dubcek zeigte er nie allzustarke Sympathien; sein Vorgänger auf dem Posten eines Parteisekretärs der Slowakei, Vasil Biläk, im August 1968 als Verräter apostrophiert und deshalb auch durch Dr. Husäk ersetzt, spielt in der Prager Partei-spitze wieder eine große Rolle, ohne daß man annehmen könnte, daß jemals eine innerslowakische Koalition Husäk-Biläk entstehen könnte. Ganz im Gegenteil gehören die Slowaken im Parteipräsidium, Husäk, Dubcek und Biläk, aber auch der neue KPS-

Sekretär Sadovsky, den man weder als Reformer noch als Konservativen einschachteln kann, unterschiedlichsten Nuancen innerhalb der KPS an, sind alles andere als persönliche Freunde — teilweise das Gegenteil. ortuSsfeiiuftV nis ifetuh ! In dieser :Abhal|terungfdeir Dubfiek-Gruppe gingen Husäks Ansichten zweifellos konform mit den Moskauern, ohne daß man hier Husäks Politik ohne weiteres als Schlepptaupolitik bezeichnen könnte. Man war eben zufällig und aus unterschiedlichen Gründen einer Meinung.

Husäk und die Novotny-Gruppe

Nun ist gewiß der langjährige Parteichef und Staatspräsident Novotny ein politisch toter Mann, und die Novotny-Generation, die zweite kommunistische Generation, die heute 60 Jahre und älter ist, wird nur noch vereinzelt in Aktion treten, ohne von Moskau allzusehr Schützenhilfe zu bekommen. Auch Moskau ist an politisch toten Männern nicht interessiert, und die sowjetische Botschaft in Prag dürfte Novotny vom ersten Tag an als „sehr tot“ charakterisiert haben. Nun hat Novotny eine Fülle von Fehlern gehabt; er war ein Schwächling, ein Zauderer, einer der nur halbe Schritte wagte, der sich kaum jemals zu einer ganzen Entscheidung aufraffen konnte. Novotn£ war aber keineswegs ein völliger Ignorant, wie man ihn später gern apostrophierte; seine vielleicht interessanteste Eigenschaft — neben seinem Rückhalt bei den kleinen Funktionären — bestand darin, junge und gute Leute in die Politik zu holen. So stellte auch die stark verjüngte Regierung des Slowaken Lenart ein keineswegs uninteressantes Gremium dar, ein Fundus übrigens, aus dem noch später, im „Prager Frühling“, Dubcek schöpfen konnte. Zumindest zwei prominente Leute entstammen diesem Kabinett: Cernik und Smrkovsky

Der gewiß verhängnisvolle Fehler Novotnys bestand lediglich darin, diesen Leuten fast nie eine notwendige Rückendeckung gegeben zu haben.

Nun haben die neuen Männer des „Prager Frühlings“ Von der alten Novotn-Garde ja niemanden aufgehängt oder ins Zuchthaus gesteckt; die meisten bekamen, wie Novotn selbst, eine Pension, andere wurden auf weniger wichtige Posten abge-

schoben, andere wieder wurden aus der Zentrale bugsiert und rasch auf Posten gesetzt, auf denen sie später gegen die Duböek-Gruppe verhängnisvoll aktiv wirken sollten, wie etwa die Botschafter in Moskau und in der DD9iMiiS3! -tifäß$Pf:

Im Parteipräsidium: Weder Feind noch Freund

Die Fülle der neuen Regierungs- und Parlamentsgremien, die nach der Föderalisierung der Tschechoslowakei entstanden, haben die personellen Umbesetzungen der letzten Monate weniger kraß erscheinen lassen. Zwar wird der damit verbundene Aufwand und die weiter getriebene Bürokratisierumg von der Bevölke-irung wenig sympathisch betrachtet. Die neuen Männer der Bundesregierung und der beiden Staatsregierungen, aber auch die der vier parlamentarischen Körperschaften sind überwiegend junge Leute, zum Teil gute Technokraten und überwiegend nicht konservativ, wichtige Schlüsselpositionen, vor allem das Innenministerium, und zwar weniger das von Pelnaf betreute Bundesministerium als die echten ausführenden Organe, das tschechische und slowakische Innenministerium, sind sofort ins Zwielicht gekommen. Das entscheidende personelle Tauziehen aber ging um das ZK und das Parteipräsidium, nachdem das achtköpflge Exekutivkomitee des Präsidiums aufgelöst wurde. Wenn auch Husäk persönlich in dem neuen Präsidium eine deutliche Machtfülle hat, wo er zu den allgemeinen politischen und organisatorischen Fragen noch die Sicherheitsagenden übernahm (diese ZK-Abteilung war seinerzeit, im Sommer 1968, noch vor dem Truppeneinmarsch im Zusammenhang mit der Entfernung von General Prchlik aufgelöst worden), und gleichzeitig mit der Wahl Husäks zum Parteisekretär elf Prä-sidumsmitglieder, unter ihnen Smrkovsky als prominentester, ausschieden, so kann man das neue Parteipräsidium nur so charakterisieren, daß Husäk in ihm keinen ausgesprochenen Gegner, aber auch keinen ausgesprochenen Freund sitzen hat. Neben Husäk sitzen jetzt hier noch Dubcek und Präsident Svoboda, dann als Mann der Mitte Ministerpräsident Cernik, auch wohl Stefan Sadovsky (der Husäk noch am ehesten nahesteht), der neue KPS-Sekretär, Gewerkschaftspräsident Karel Polacek und der slowakische

Ministerpräsident Peter Colortka, schließlich, bisher zwielichtig beurteilt, L''bomir Strougal, der Leiter des tschechischen Büros der KP (also ein Gegenstück zur KPS), Vasil Biläk und Jan Piller.

Wo liegt für Husäk die Gefahr?

Mehr als das Parteipräsidium zeigt aber die Zusammensetzung des Par-teisekretariatB, daß hier die „jungen Novotny-Leute“ dominieren. Neben Dr. Husäk als Erstem Sekretär ist Strougal Leiter des tschechischen Parteibüros und Stellvertretender Leiter der Sicherheitsabteilung. Für internationale Fragen ist Vasil Biläk zuständig, für Staatsorgane und Massenorganisationen Alois Indra, für Wirtschaftsfragen Jozef Lenart (der frühere Regierungschef), für Parteiarbeit in der Industrie, im Transport- und Verkehrswesen Josef Penö, für Fragen der Landwirtschaft Jarolim Hettes, für ideologische Arbeit (also ein zentrales Ressort) Josef Kempny, der gleichzeitig auch für die Massenmedien, die Schulen und Hochschulen, die Wissenschaften und Künstler innerhalb der KP zuständig ist.

Husäk hat — sichtbar In Zusammenarbeit mit Kempny — reinen Tisch bei Presse, Rundfunk und Fernsehen gemacht. Hier ist kein einziger Publizist aus der Zeit des „Prager Frühlings“ mehr in entscheidender Position.

Nach weitgehender Ausschaltung exponierter Reformer im politischen Bereich hat Husäk, was man von ihm als prominentestem Opfer der No-votny-Zeit am wenigsten erwartet hatte, auch Maßnahmen ergriffen, die die Rechtsstaatlichkeit der heutigen, Tschechoslowakei, Jn eiirem weit weniger 'rosaroten1 Licht erscheinen WtMl nochitQrJWQChen. Neben dem tschechischen Innenminister Josef Groesser, der von vornherein auch bei verschiedenen Parlamentariern auf sichtbaren Widerstand stieß, hat der bis dahin auch als vernünftig geltende General Egyd Pepich nach seiner Ernennung ztim slowakischen Innenminister eine etwas merkwürdige Entwicklung mitgemacht. Schließlich ist die Ersetzung des eher liberalen General-staatsanwalts Milos Cerovsky durch Jan Fejes, dessen Vergangenheit nicht ohne weiteres eine Gewähr da-ifür bietet, daß die Justiz wesentlich anders als in der Novotny-Zelt arbeiltet, bezieichnend. Fejeä vertrat die staatliche Anklagebehörde zum Beispiel in den Prozessen gegen die slowakischen Bischöfe Zela, Vojias-sak und Buzalka und scheint das Glück gehabt zu haben, in den Jahren nach 1950 nicht mit dem Husäk-Prozeß in Berührung gekommen zu sein.

Sosehr Husäk also energisOh ihm unsympathische Exponenten auszuschalten vermochte und gelegentlich auch seine Vertrauensleute einschleusen und einbauen konnte — sie bilden weder seinen Freundeskreis noch seine Phalanx. Hier spielt auch das Generationsproblem eine Rolle, denn die sonst im Alter Husäks befindlichen Politiker sind zu sehr mit dem Novotny-Regime verbunden gewesen. Sehr wohl aber muß schon heute die Frage gestellt werden, wo der mögliche Kontrahent und Nachfolger Husäks steht. Hier schiebt sich immer mehr ein Mann in den Vordergrund, der an Zwielichtigkeit Husäk nicht nachsteht, der Chef des tschechiisehen Parteibüros, Lubo-imir Strougal. So ähnlich er in mancher Hinsicht Husäk ist (etwa in seiner Geringschätzung demokratischer Tendenzen oder der Pressefreiheit), so zeigt er doch mancherlei Unterschiede gegenüber dem derzeitigen Parteichef. Er ist flexibler, verstehlt es eher, ein Team von Gleichgesinnten zu gruppleren, er ist Tscheche — nach zwei slowakischen Parteichefs im Augenblick sicher ein Vorteil — und er ist um ein Jahrzehnt dünger als Husäk — icher gegenwärtig der größte Vorteil.

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