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Hoffnung auf den Rechtsstaat

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Im Frühsommer 1968 erschien in der CSSR das Manifest der „Zweitausend Worte“ des tschechischen Schriftstellers Vaculik, das dieser aus Sorge geschrieben hatte, daß der Demokratisierungsprozeß versande. Kaum weniger interessant aber war das nach einigem Tauziehen zuetandegekommene neue „Aktionsprogramm der KPTsch“, das bereits am 10. April 1968 veröffentlicht wurde. Neben interessanten Einblicken in das echte Bestreben, demokratische Elemente dem öffentlichen Leben zuzuführen, wurde hier in unmißverständlicher Deutlichkeit die notwendige Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit gefordert:

• Im Bereich des Innenministeriums besteht eine zu große Machtkonzentration.

• Eine Trennung von Gefängnisverwaltung und Sicherheitsapparat ist nötig.

• Eine erweiterte Zuständigkeit der Gerichte bei Untersuchungen ist dringend.

• Die mit dem Pressegesetz zusammenhängenden Agenden müssen vom Innenministerium an andere staatliche Organe übergeben werden.

• Der Apparat der Staatssicherheit darf nicht zur Lösung innenpolitischer Fragen und Gegensätze in der sozialistischen Gesellschaft verwendet werden.

• Der Sicherheitsapparat ist zu teilen (Staatssicherheit und öffentliche Sicherheit); beide haben unabhängige Glieder zu sein.

Neben diesen Forderungen aber war schon allein die Formulierung in: diesem Fragenbereich bemerkenswert: „Die sozialistische Demokratie wurde nicht rechtzeitig erweitert, die Methoden der revolutionären Diktatur entarteten zu Bürokratismus und wurden Hindernis der Entwicklung auf allen Abschnitten unseres Lebens... Die ungenügende Entwicklung der sozialistischen Demokratie in der Partei, die ungünstige Atmosphäre für die Entwicklung der Aktivität, die Einschüchterung oder sogar Unterdrückung der Kritik — all das hat eine rasche, rechtzeitige und konsequente Korrektur verhindert ... Das hat zu unqualifizierten Eingriffen, zur Untergrabung der Initiative auf allen Stufen, zur Gleichgültigkeit, zum Kult der Durchschnittlichkeit und zu ungesunder Anonymität geführt. Die Folge davon war, daß Verantwortungslosigkeit und Disziplinlosigkeit anwuchsen.“ Und weiter lesen wir im Aktionsprogramm 1968: „Im inneren Leben der Republik sind Sektierertum, Unterdrückung der demokratischen Rechte und Freiheiten des Volkes, Verletzung der Gesetzlichkeit, Elemente der Willkür und des Machtmißbrauches aufgetaucht... Die unersetzlichen Verluste, die damals unsere Bewegung erlitt, bleiben für immer eine Warnung vor ähnlichen Methoden...“ Ein entscheidender Schritt zu einer Rechtsstaatlichkeit waren die erstmals durchgeführten echten Rehabilitierungen früherer politisch Verurteilter. Hatte es in der späten Novotny-Zeit im Durchschnitt nur Begnadigungen oder formlose Entlassungen, bei früheren Kommunisten bestenfalls bescheidene Rehabilitierungen gegeben, so machte man jetzt auf diesem Gebiet erstmals ganze Schritte. Gewiß gab es auch hier ursprünglich einen gewissen Druck der öffentlichen Meinung, und vor allem im Prager Frühling konnten nicht nur manche Opfer früherer politischer Prozesse zu Wort kommen, wie etwa der Bischof von Leitmeritz Trochta oder der einstige Minister Löbl, entfernte Generäle und gemaßregelte Schriftsteller. Auch die vermutliche Ermordung des früheren Sozdalistenführers Lausmann, den man aus Salzburg in die Tschechoslowakei entführt und dann zu 17 Jahrein Kerker verurteilt hatte, wurde damals publik. Das Entscheidende aber ist, daß diese Rehabilitierungsverfahren weiterlaufen, wenn auch praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit und nur noch die Namen der Rehabilitierten bekanntgegeben werden.

Trotz oder vielleicht wegen dieses Bestrebens, wenigstens die Rechts-staatlichkeit zu sichern und zu erhalten, war bei allen Regierungsumbildungen der Posten des Innenministers der umkämpfteste. So wurde auch das erste Opfer nach dem Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen Innenminister Josef Pavel, der 1948 die Milizen befehligte und damit wesentlich zum kommunistischen Februarsieg beitrug, 1951 verhaftet worden war und fünf Jahre in Gefängnissen verbracht hatte. Er war also eine gewisse Gewähr dafür, daß sich diese Methoden nicht mehr wiederholen würden, hatte allerdings auch in seinem Ministerium mit unsäglichen Schwierigkeiten fertig zu werden. Im September folgte ihm der Pilsner Jan Felnäf, der vielleicht wegen seiner Profillosigkeit auch in dieser Funktion in die neue Bundesregierung übernommen wurde. Ihm zur Seite wurde der Slowake Jan Majer gesetzt. Mehr als Pelnäf war in den letzten Wochen der Innenminister der Tschechischen Sozialistischen Republik, Josef Groesser, im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen gestanden. So wurde ihm im tschechischen Nationalratsausschuß für den Schutz der Bürger und für Gesetzgebungsrecht vorgeworfen, die Polizei wende bei ihrer Arbeit noch immer die alten, unerwünschten Methoden an; ein anderer Abgeordneter verdolmetschte die starken Befürchtungen der Bevölkerung darüber, daß Beamte des Innenministeriums, die wegen Sünden in der Vergangenheit entlassen wurden, nun in den Polizeidienst zurückgekehrt seien, während andere, fortschrittliche Minister entlassen worden seien. Minister Groesser erklärte lediglich, daß es einen starken Mangel an Polizisten gebe, daß vor allem die Jugend an diesem Beruf uninteressiert sei und daß 64 Prozent aller Polizeibediensteten älter als 35 Jahre seien. Man könne deshalb auch nicht immer auf qualifizierte Kräfte zurückgreifen. Nicht uninteressant war bei dieser Aussprache auch, daß ein Abgeordneter dem Minister vorwarf, eine seiner Reden habe sichtbar im Widerspruch zur Novemberresolution der Partei gestanden.

In der Slowakischen Sozialistischen Republik hat man übrigens einen früheren General zum Innenminister gemacht. Generalmajor Egyd Pepich war ursprünglich Stellvertreter und dann Nachfolger des bekannten Generalleutnants Vaclav Prchlik in seiner Funktion als Leiter der Hauptverwaltung für politische Angelegenheiten im Ministerium für Staatsverteidigung. Er galt immer als maßvoller Reformer und als Mann, dem nichts Unkorrektes zuzutrauen sei.

In das Föderalisierungsgesetz vom 28. Oktober 1968 wurde übrigens auch ein Kapitel eingeschmuggelt, das sachlich gar nicht in dieses Gesetz gehört, aber in aller Deutlichkeit die Tendenz aufzeigt, fest an der Rechtsstaatlichkeit festzuhalten. Durch Kapitel 6 wurde der 1948 abgeschaffte Verfassungsgerichtshof neu errichtet und damit ein Rückgriff auf die einstigen bürgerlichen Verfassungen und das alte Österreich gemacht. Man ging aber noch einen Schritt weiter: man verlieh den Mitgliedern dieses Verfassungsgerichtshofes eine Immunität, wie sie sonst nur die Abgeordneten besitzen, um ihre Stellung und die des Verfassungsgerichtshofes selbst zu stärken.

Nach der Entfernung fast aller Reformer aus den entscheidenden Positionen scheint aber gerade auf dem Gebiet der Rechtsstaatlichkeit ein Pessimismus nicht am Platz zu sein. Auf der einen Seite ist trotz aller Ernüchterung der Zusammenhalt der Bevölkerung noch immer so stark, daß die Methoden der stalinistischen Zeit heute kaum durch-schlagskräfMg wären. Auf der anderen Seite scheint aber auch die Vergangenheit des neuen Ersten Sekretärs des ZK der KPTsch, Dr. Husäk, eine gewisse Gewähr dafür zu sein, daß sich diese Methoden nicht wiederholen. Husäk hat nie geleugnet, daß er kein Freund der weitgehenden Demokratisierungsbestrebungen des Jahres 1968 war, er hat sich erst recht nie mit der damals sichtbaren Pressefreiheit identifiziert. Sein jahrelanger Aufenthalt in den Kerkern der Gottwald- und Novotny-Zeit, sein brutales1 “Fernhalten von der Von Shirt so geliebten politischen Bühne in'der späten Novotny-Zeit sprechen “dafür, daß auch unter Husäk dieser letzte Rest demokratischer Prinzipien, die Rechtsstaatlichkeit, nicht über Bord geworfen wird.

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