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Der Wortlaut des Briefes.

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Ein ungewöhnlicher Vorgang: Eine Gruppe intellektueller Katholiken im neuen Volksstaate Polen wendet sich in einem offenen Brief an die Redaktionen der französischen Zeitschriften und beklagt sich über die „Agitation gegen Volkspolen", die westliche katholische Kreise als Antwort auf den Fall Wyszyiiski betrieben hätten. Es drängt sie, eine Abschrift dieses Briefes an die „Oesterreichische Furche" zu senden, „kommentarlos" zwar, wie der Begleitbrief meint, zugleich aber ihren Glauben versichernd, daß in den katholischen Kreisen des Westens doch gewisse Kräfte vorhanden seien, „die geneigt wären, ihre Haltung im Geiste der christlichen Ideale des Friedens und des Gerechtigkeitsgefühls einer Ueberprüfung zu unterziehen". Dieser Brief, aus dem wir bei aller erschütternden Eingeengtheit seines Blickfeldes eine ehrliche Absicht heraussehen möchten, stellt einen Akt von zeitgeschichtlicher Bedeutung dar. Wir veröffentlichen ihn daher im Wortlaut und lassen seinen Ausführungen auch unseren Standpunkt in aller gebotenen Klarheit folgen. Die „Furche"

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Ein ungewöhnlicher Vorgang: Eine Gruppe intellektueller Katholiken im neuen Volksstaate Polen wendet sich in einem offenen Brief an die Redaktionen der französischen Zeitschriften und beklagt sich über die „Agitation gegen Volkspolen", die westliche katholische Kreise als Antwort auf den Fall Wyszyiiski betrieben hätten. Es drängt sie, eine Abschrift dieses Briefes an die „Oesterreichische Furche" zu senden, „kommentarlos" zwar, wie der Begleitbrief meint, zugleich aber ihren Glauben versichernd, daß in den katholischen Kreisen des Westens doch gewisse Kräfte vorhanden seien, „die geneigt wären, ihre Haltung im Geiste der christlichen Ideale des Friedens und des Gerechtigkeitsgefühls einer Ueberprüfung zu unterziehen". Dieser Brief, aus dem wir bei aller erschütternden Eingeengtheit seines Blickfeldes eine ehrliche Absicht heraussehen möchten, stellt einen Akt von zeitgeschichtlicher Bedeutung dar. Wir veröffentlichen ihn daher im Wortlaut und lassen seinen Ausführungen auch unseren Standpunkt in aller gebotenen Klarheit folgen. Die „Furche"

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Warszawa, den 20. November 1953

Sehr geehrter Herr Redakteur!

Mit aufrichtigem Bedauern mußten wir feststellen, daß Ihre geschätzte Zeitschrift sich der Pressekampagne angeschlossen hat, welche im Zusammenhang mit den in den letzten Wochen stattgefundenen, die Beziehungen zwischen Kirche und Staat betreffenden Ereignissen entfesselt wurde.

Diese Ereignisse wurden leider zum Anlaß genommen, um die Agitation gegen Volkspolen und gegen die Bemühungen um eine friedliche Lösung der strittigen Probleme unserer Zeit zu verstärken.

Wi.r wollen hoffen, daß nicht diese Beweggründe, sondern Sorge um die Verteidigung der Freiheit und das Wohl der Kirche die Stellungnahme Ihrer Zeitschrift diktierten, und richten deshalb dieses Schreiben an Sie.

In Ihren Ausführungen versuchen Sie den Eindruck zu erwecken, als ob die letzten Vorfälle auf dem Gebiete des kirchlichen Lebens in Polen den Beweis erbrachten, daß in unserem Lande 1. die grundsätzlichen Freiheiten des Staatsbürgers mißachtet werden, 2. die katholische Kirche vom Staate verfolgt wird.

Vorerst ein paar Worte über die Freiheit. Die heutige Generation von Polen kennt die Ziele der Freiheit besser als alle anderen. Freiheit ist für uns weder ein abstrakter Mythos noch ein Thema zu Aphorismen, hinter welchen sich politische Theorien oder andere Zwecke verbergen. Für die Freiheit hat unser Volk während der fahre der Besetzung einen höheren Preis gezahlt als andere Völker.

Heute legt das polnische Volk mit beispiellosem Heldentum und Opferbereitschaft die materiellen Grundlagen seiner Freiheit. Der soziale Aufstieg von Millionen von Arbeitern und Bauern ist ein Ausdruck der konkreten Verwirklichung der sozialen Freiheiten, die zum erstenmal das ganze Volk umfassen.

Den Wert der Freiheit wissen die Katholiken Polens zu schätzen, vor welchen die riesige bahnbrechende Aufgabe erstand, in einer neu ent stehenden Gesellschaftsordnung günstige Bedingungen für die Erfüllung der apostolischen Sendung der Kirche zu schaffen.

Was jedoch die „V erfolgung dkr Kirche" betrifft, welche deren angebliche Beschützer im Westen mit Freuden begrüßen würden, so müssen wir mit aller Entschiedenheit feststellen: den Ereignissen in Polen lagen politische Gegensätze und weder Meinungsverschiedenheiten noch Zwistigkeiten religiösen und weltanschaulichen Charakters zugrunde.

Schon seit gewisser Zeit trat eine Diskrepanz tischen der Politik des polnischen Staates und dem Standpunkt eines gewissen Teiles der Kirchenhierarchie zutage. Nicht religiöse Probleme lagen diesen Gegensätzen zugrunde, sondern eine verschiedene Auffassung der polnischen nationalen Interessen. Hier muß erwähnt werden, daß dieses Problem in der Geschichte der Kirche weder neu noch spezifisch ..polnisch" ist. Aehn- liehe Meinungsverschiedenheiten von weit größerer Tragweite und Intensität kennt in ihrer Vergangenheit die Mehrzahl der europäischen Staaten, zum Beispiel Frankreich.

In dieser Geschichte fehlt es nicht an Beispielen von Schwierigkeiten und tragischen Konflikten, welche dort entstanden, wo die Wege der Nation und die Wege von Mitgliedern der Kirchenhierarchie zeitweilig aus einander gingen. Frankreich hatte Bischöfe, welche, durch ihr Festhalten an Positionen, die den aktuellen, fortschrittlichen Bestrebungen der Nation fremd waren, der nationalen Sache objektiv schadeten, obwohl ihre Absichten subjektiv die besten waren. Andere wieder, die mit dem Volke zusammenstanden, setzten sich den Angriffen des Restes der katholischen Welt aus. Wie viele dramatische Jahrzehnte vergingen, bevor die französischen Katholiken ihre V erbundenheit mit der Monarchie und der feudalen Ordnung abstreiften und vollberechtigte Bürger der Republik wurden. Heute, wo sich das Rad der Geschichte in beschleunigtem Tempo dreht, ist eine solche Verzögerung unzulässig. Die Kirche und die ganze Menschheit würden schwer wiedergutzumachende Folgen erleiden.

Aehnlich ist der Hintergrund der für alle

Katholiken schmerzlichen Entfernung Kardinal W yszynskis vom Schauplatz des öffentlichen Lebens. Wir müssen jedoch energisch protestieren, wenn friedensfeindlich eingestellte Zentren amerikanischer Politik dieses Geschehen zum Vorwand nehmen, um eine Atmosphäre des Hasses zu schaffen, welche mit dem Wunsch zur Lösung irgendwelcher Probleme des zeitgenössischen Katholizismus nichts gemein hat.

Gerade die amerikanische Deutschlandpolitik schuf in Polen eine schwierige Lage für die Kirche, in welcher sie — wie dies gegenwärtig polnische Bischöfe taten — gegen deutsche Chauvinisten und Revanchepolitiker, welche unter dem Aushängeschild der katholischen Bewegung auftreten, einen entschlossenen Standpunkt einnehmen mußte.

Die ganze Entwicklungsrichtung der Bundesrepublik bedroht unmittelbar die Sicherheit Polens, so wie sie die Sicherheit aller Nachbarn Deutschlands bedroht. Wenn auch Adenauer augenblicklich aus taktischen Gründen in erster Reihe unser Land und unsere Grenzen angreift, so verschont er auch Frankreich nicht. Die Mehrheit der kirchlichen Hierarchie in Deutschland unterstützt die Abenteurerpolitik. Andere Regierungen und andere europäische Staatsmänner, die ebenfalls den Katholizismus auf ihren Schild geschrieben haben, wie zum Beispiel De Gasperi und gewisse französische und belgische Politiker, unterstützten und unterstützen die antipolnische amerikanische Politik in Deutschland mit aller größtem Eifer. Man sieht bereits das Gerippe einer neuen gegen den Osten gerichteten „Heiligen Allianz” zwischen dem „erzkatholischen” Spanien, Deutschland usw. Das „Katholische" an dieser politischen Kombination erschwerte es eine Zeitlang der Kirche in Polen, einen richtigen Standpunkt zu finden.

Wenn Sie über „Verfolgung der Religion” in Polen schreiben, schleicht sich daher ein falscher Ton ein und Sie betreiben — zweifellos, ohne es zu wollen — eine politische Kampagne zugunsten Adenauers. Wir hingegen sind überzeugt, daß Adenauers Politik .. , ist und daß eine Gleichstellung der Sache des Katholizismus mit der Sache Adenauers der Kirche nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen muß.

Was die wirkliche Lage der Kirche in unserem Lande betrifft, so bauen Millionen von Katholiken eine Gesellschaftsordnung auf, gegen welche man sie in der Vergangenheit mißtrauisch und feindlich einstellte. Die völlige Religionsfreiheit, die jeder ehrliche Beobachter in Polen feststellen muß, ist weder ein Beweis der Schwäche der Kommunisten noch ein Propagandamanöver ihrerseits. Religionsfreiheit besteht bei uns nicht als Folge inneren oder äußeren Druckes auf den Volksstaat. Sie ist ein Ausdruck der Bedürfnisse der katholischen Massen, welche bewußt und schöpferisch die Zukunft ihres Landes aufbauen und ihre Gestaltung beeinflussen. Neben überfüllten Kirchen und einem regen religiösen Leben zeugt hiervon die intellektuelle Intensität des polnischen Katholizismus: die Tätigkeit der katholischen Univer sität in Lublin, der Presse und Verlagsanstalten, und auch die ausgedehnte soziale Tätigkeit katholischer Organisationen sind allgemein bekannt.

Geehrte Herren!

Die Tatsache, daß unsere neue Struktur des Gemeinschaftslebens anders ist als die eure, darf uns nicht trennen. Alle polnischen Katholiken sind und verbleiben innerhalb der religiösen Gemeinschaft der allumfassenden katholischen Kirche, ganz unabhängig davon, .ob sich die wahnwitzige antikommunistische Propaganda verstärken wird oder nicht. Aber außer der religiösen Gemeinschaft wünschen sie auch die Aufrechterhaltung der unmittelbaren V erbundenheit mit der sie umgebenden christlichen Welt. Jener Abgrund von Mißverständnissen und von Haß, welchen die Leinde Volkspolens zwischen uns und den Ländern des Westens auftun wollen, erschwert die Aufgaben, welche vor den Katholiken Polens stehen.

Falls Sie die Schwierigkeiten und die Erfolg' der Katholiken und der Kirche in unserem Lane interessieren, lernen Sie diese Probleme selbs. kennen und begnügen Sie sich nicht mit tendenziösen und lügnerischen Informationen. Folgen Sie dem Beispiel von zahlreichen Ihrer Landsleute und kommen Sie nach Polen. Sie werden bei uns mit Freuden begrüßt werden. Vor allem aber setzen Sie sich — wenn die Sache der Freiheit Ihnen wirklich am Herzen liegt — mit aller Kraft gegen das ein, was in der gegenwärtigen Welt die Freiheit am meisten gefährdet: gegen das Wiederaufleben von neuen Eroberungs- und Aggressionsgelüsten in Deutschland, gegen die Haß- und Angstpsychose, die man in der westlichen Welt zu verbreiten versucht und deren Spitze sich gegen die grundlegenden menschlichen Freiheitsrechte richtet.

Solange es in der Welt Isolierung und Spannung geben wird, solange Adenauer als Führer einer christlichen Partei gegen polnische Grenzen auftritt und die Aufrüstung Deutschlands forciert, solange katholische Staatsmänner ein gegen Osteuropa aus gerichtetes ,,kleines Europa" aufziehen, so lange wird auch eine von wahrhaft christlichem Geist getragene Mission der Katholiken auf ernstliche Hindernisse stoßen.

Wir glauben fest, daß die Anstrengungen aller Menschen guten Willens diese Schtvierigkeiten beseitigen und die drohende Gefahr bannen werden.

In der Ueberzeugung, daß Sie die Spalten Ihres werten Blattes unserem Brief öffnen werden, verbleiben wir mit den Ausdrücken vorzüglicher Hochachtung

Dekan der theologischen Fakultät der Universität in Wärszawa:

Prof. Dr. Jan Czuj

Dekan der theologischen Fakultät der Universität in Krakow:

Prof. Dr. Tadeusz Kruszynski Redakteur der Zeitung ,.Slowo Powszechne”: Mgr. der theol. Fakultät Mieszyslaw Suwalo Abgeordneter und Chefredakteur der Wochenschrift ,,Dzis i Jutro”:

Dominik Horodynski

Leiter des Verlagsinstituts „Pax": Andrzej Karasinski

Chefredakteur der Zeitung „Slowo Powszechne": Zygmunt Przetakiewicz

Hier fehlt in dem uns übermittelten Text ein Wort. —

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