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Strukturwandel im katholischen Organismus Österreichs

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Die Kirche Österreichs ist in ihrer Struktur durch die Jahre 1938 und 1945 in mancher Hinsicht neu bestimmt worden. Es geschahen Änderungen, die zum Teil durch geistige Vorgänge im europäischen Raum, zum Teil durch die besondere österreichische Lage bedingt waren. Die Umstellungen sind dem Antlitz der Kirche in Österreich heute erkennbar aufgeprägt. Vielleicht werden sie am deutlichste , wenn wir uns vor Augen führen, welche' Richtung die öffentliche Meinung in bezüg auf die Kirche nahm, inwieweit Verschiebungen in dem Verhältnis zwischen Volk und Kirche eingetreten sind und welche Umstellung in der Seelsorgs- arbeit erfolgt.

Das Jahr 1945 setzt in Österreich fast mit einem Schlage der Macht des kirchenfeindlichen Liberalismus an den Hochschulen ein Ende. Der Zusammenbruch eines pseudoreligiösen Nationalismus, eines naiven Fortschrittsglaubens, und vor allem die bereits seit Jahren von verschiedenen Seiten her angebahnte Wiederbegegnung von Wissenschaft und Religion —• symptomatisch hiefür der Vortrag des Nobelpreisträgers M. Planck „Naturwissenschaft und Religion“ —, die Konversionen und Reversionen von Schriftstellern, die in der Weltliteratur an vornehmster Stelle stehen — schufen nach einer langen, bösen Periode an den österreichischen Hochschulen Wandel. Die katholischen Hochschulgemeinden mit ihren zahlreichen Gemeinschaften und Korporationen konnten nun eine sehr weitreichende und fruchtbare Wirksamkeit- entfalten. Das Interesse für welt- anschauliche und religiöse Probleme wurde, wie es sich namentlich in dem aufblühenden Vortragswesen und Kursen offenbarte, über die Grenzen und Parteien | und Traditionen des Elternhauses; hinaus sehr groß. Daß Gegenströmungen auch heute vorhanden sind, ist klar. — Immerhin: Kirche und Sozialismus sind bei verschiedenen Anlässen ins Gespräch gekommen. Die öffentliche Meinung hat sich in ansehnlichen Zonen des Sozialismus seit Kriegsende deutlich zugunsten der Kirche verschoben. Gemeinsame j leidvolle Erfahrungen aus den Kriegs jähren, der Kontakt mit Theologen und Priestern im Militärdienst und in Gefängnissen, und Folgerungen, die auch in der Seelsorge gezogen wurden, trugen zu ėin m vorteilhaften Klimawechsel bei. Die katholische Presse gewann in einigen periodischen Publikationen, die sich durch ihre Qualität Ansehen über die Grenzen des Landes verschaffen konnten, einen bedeutenden Einfluß auf die öffentliche J einung im eigenen Lande. Dazu trat dip sehr beachtliche Tätigkeit katholischer'Verlage. Man kann heute sagen: Das katholische Buch wird heute mehr gelesen als früher. Wenn sich vielleicht der Kreis der praktizierenden Katholiken noch nicht diesen Veränderungen entsprechend erweiterte, so ist doch die Umformung der öffentlichen Meinung in weiten Bereichen eine unzweifelhafte Tatsache, sie legt allen Berufenen eine große Verpflichtung auf.

Die Volksverbundenheit der Kirche ist in den Jahren der äußeren Bedrängnis deutlich sichtbar geworden für Freund und Feind. Von ihr gibt unter anderem Zeugnjs die Zunahme der Priesterberufe in der städtischen Bevölkerung, die zu einer Verschiebung des Priesternach- wuchsps vom Lande auf die Stadt, vom Bauernstand zur Arbeiterschaft hingeführt hat: Hier wirkt in gewissen Zonen auch das Vordringen materialistischer Denkweise auf das Land hinaus mit und erwecjct mit Recht, Aufmerksamkeit und

Sorge. Daß man die Situation nüchtern und realistisch sieht, ist gewiß ein Gewinn. Aber Unterscheidungen, die Verallgemeinerungen nicht zulassen, sind am Platze. Jedes unserer Bundesländer hat bäuerliche Siedlungsgebiete, in denen die christliche Haltung der Bevölkerung ihre Sicherheit bewahrt hat, und auch solche, die mustergültig sind. Wo Mängel sind, brüchige Stellen sich gebildet haben, wird ein eifriger, gegenüber kritischen Zeiterscheinungen unerschrockener Klerus trotz allem ein fruchtbares Arbeitsfeld gewinnen können. Gewahr bleiben muß man freilich der Tatsache, daß der Zerfall der konservativen Tradition auf dem Lande die Korrekturbedürftigkeit des überlieferten optimistischen Bildes von der Volksverbundenheit der Kirche auf dem Lande gezeigt hat- In der „Wiedergewinnung des bedrohten Dorfes" wird der katholischen Jugendarbeit,

dem Zusammenschluß der katholischen Landjugend — gute Ansätze sind vorhanden und ermutigen zu Hoffnungen — eine wichtige Rolle zufallen. Als eine erfreuliche Erscheinung darf verzeichnet werden, daß in der Arbeiterbevölkerung da und dort in den Städten Interesse und Aufnahmebereitschaft gegenüber dem christlichen Wort recht lebendig geworden sind.

Gewiß: Hindernisse, Schwierigkeiten, vielleicht auch Enttäuschungen da und

dort. Sollten wir deshalb kleinmütig sein? Was haben wir doch gerade aus den schwersten Jahren 1938 und 1939 und der nächsten Folgezeit an Fortschritt und innerer Befreiung davongetragen! Jene Jahre haben zu einer plötzlichen und weitreichenden Veränderung der Seelsorgemethoden geführt. Zunächst hatte die Kirche selbst um das Materielle der Selbsterhaltung durch Einführung der Kirchensteuer zu sorgen, eine Neuerung, vor der man früher immer zurückgeschreckt war. Aber nun geschah die Loslösung aus der Abhängigkeit ihres Haushalts vom Staat; eine Jahrhunderte alte enge Verknüpfung wurde gelöst. Die Kirche erkannte plötzlich, was sie sich zunächst noch kaum zutraute, daß sie auch auf eigenen Füßen stehen könne. Damals war der Religionsunterricht aus dem Stundenplan aller Schulen gestrichen, so daß eine Umstellung auf die neuen Formen der Seelsorgestunden geschehen mußte. Aber diese Seelsorgestunden wurden zu Kristallisationspunkten von jungen Aktivisten, die sich gegen alle Schi

kanen durchgesetzt hatten. Abverlangt wurde plötzlich von vielen, für die bisher Brauchtum und Gewohnheit das Handeln bestimmt hatten, eine klare persönliche Entscheidung in ihrer religiösen Einstellung. Aber auch die Fühlung zwischen dem Seelsorger und seiner Gemeinde wurde besser, denn die persönliche Erlegung der Kirchensteuer führte nicht selten Menschen, die nie mit ihrem Pfarrer in Verkehr gekommen waren, in Kontakt mit dem geistlichen Führer ihrer Gemeinde. Und zu allem kam: die Verfolgung der Kirche, die Standfestigkeit des Klerus, das heroische Beispiel nicht weniger aus seinen Reihen, die für ihr mutiges Bekenntnis Verbannung aus der Heimat und jahrelange Haft in Dachau und Buchenwald auf sich nahmen, errang Achtung und Sympathie so manches ritterlich denkenden Gegners von gestern.

Halten wir abschließend überschau: Geblieben sind nun aus der Zeit der Heimsuchung bewährte Einrichtungen: die Verselbständigung des kirchlichen Haushalts, die Seelsorgestunden, die Jugendgruppen, freilich mit einer verstärkten Inanspruchnahme des vielfach schon überbelasteten Seelsorgeklerus. Aus den Seelsorgestunden der Kriegsjahre ist heute die kraftvolle Bewegung der Katholischen Jugend Österreichs mit ihren Gliederungen gewachsen. Durch Vortragsreihen über Glaubensfragen für Laien wurden angeregt und vorbereitet

die Katholische Akademie und das theologische Laienjahr, die theologisches Wissen und religiöse Bildung in einem früher nicht gekanntem Ausmaß unter den gebildeten Laien verbreiten, das Kirchenbewußtsein vertiefen und das Interesse an Fragen christlicher Philosophie und Theologie in weitere Kreise tragen. Unabhängig davon ist der Ausbau der Katholischen Aktion in Österreich sehr straff und zielstrebig vorangetrieben worden. Es wird Aufgabe der Zukunft sein, das, was hier zum Teil als organisatorisches Konzept ausgearbeitet wurde, zu einer Laienbewegung von unten her werden zu lassen.

Die Ungebrochenheit und Vitalität der Kirche hat unmittelbar nach dem Kriege die Blicke ungezählter Hilfe- und Ratsuchender auf sich gezogen. Es gab Leute, die sich ein Wunder erwarteten, eine ganz neue Epoche unter Führung der Kirche. — Heute hört man Desillusionierte mit Bedauern sagen, die Kirche in Österreich habe ihre große Chance nicht genützt. Ich glaube, es ist geschehen, was geschehen konnte, und vieles ist geschehen, was wir noch vor zwei Jahrzehnten kaum erhofft hätten. Nun versammeln wir uns zu neuer Prüfung und Erfrischung und Sammlung der christlichen Kräfte. Ein jeder ist berufen, mitzutun. Katholikentage sind Aufrufe zum christlichen Aktivismus. Mögen aus den Tagen der Sammlung und der Erhebung unserer Herzen, vor denen wir jetzt stehen, nach Gottes Willen und Gnade dauernde Früchte erwachsen.

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