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PROBLEM „FILM“ IM FERNSEHEN

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Seitdem das Fernsehen seinen Einzug in diese Welt gehalten und damit eine Reihe der Massenkommunikationsmittel um ein beachtliches Glied erweitert hat, ist, der Eigenart polarer Kräfte ähnelnd, die sich anziehen und abstoßen zugleich, das Ringen zwischen ihm und seinem nächsten Artverwandten, dem Medium „Film“, nicht mehr aus der öffentlichen Diskussion wegzudenken. Sah die Filmindustrie zuerst in dem gigantisch und mit beängstigender Schnelligkeit anwachsenden Geschwisterkind seinen „Erbfeind Nr. 1“, so wandelte sich im Laufe der Zeit, zumindest in den Bereichen der Filmproduzenten und -Verleiher, diese groß inszenierte Abneigung in eine abwartend-duldende Haltung, die sich schließlich zu einem recht aufgeschlossenen Geschäftsinteresse erweiterte. Lediglich die Kinobesitzer — und dies nicht nur in Österreich — kämpfen nach wie vor mit erhobenem Panier um jeden Zentimeter ihres Lebensraumes, den ihnen die Konkurrenz des „Patschenkinos“ beträchtlich eingeschränkt hat.

Das Fernsehen seinerseits aber braucht zur Gestaltung und Ausfüllung seines immer umfangreicher werdenden Programms den Spielfilm oft wie einen Bissen Brot und macht aus dieser Notwendigkeit, die zum guten Teil auch mit wirtschaftlichen Gesichtspunkten untermauert ist, durchaus kein Hehl. Im Gegenteil, es fühlt sich dabei noch in der Rolle eines, wenn auch bescheidenen, Mäzenaten, welcher mancher schon etwas altersschwach gewordenen filmschöpferischen Leistung eine zusätzliche und eigentlich nicht vorauskalkulierte Rendite verschafft. Damit sind zumindest die wirtschaftlichen und organisatorischen Fronten zwischen den beiden Medien in großen Zügen Umrissen und abgesteckt. Zwischen ihnen aber steht der Letztveibraucher, also der Fernseher, dessen Gedanken zu diesem Problem noch von einigen anderen, keineswegs kommerziellen Erwägungen geleitet werden, ohne freilich zumeist den ihnen gebührenden Widerhall zu finden.

Wer Gelegenheit hat, Fernsehsendungen in den verschiedensten Ländern und Kontinenten zu beobachten und zu verfolgen, wird immer wieder feststellen können, daß der Film überall bei der Programmgestaltung einen ziemlich breiten Raum einnimmt. Dies gilt vor allem für sein Ursprungsland, die Vereinigten Staaten von Amerika, wo beinahe unentwegt von morgens bis abends Spielfilme aller Art, vom Western über den Kriminal- und Spionagefilm bis zum Problem- und Experimentierfilm, über Millionen von Bildschirmen flimmern. Das trifft in beinahe gleichem Ausmaß auch für viele Länder des Femen Ostens, speziell Japan und die Philippinen, zu. Man hat hier wirklich manchmal den Eindruck, einer Filmberieselungsanlage ausgesetzt zu sein, die von den Fernsehern meist auch dementsprechend gewertet wird, das heißt, daß sie ihr nur geringes Interesse und Aufmerksamkeit entgegenbringen, wenn das Angebot zu groß wird. Im Vergleich dazu erscheint natürlich die in den letzten Wochen und Monaten zum Beispiel beim österreichischen Fernsehen von Konsumenten und Kritikern beanstandete Häufung der Filmdarbietungen in den hier ausgestrahlten zwei Programmen relativ gering. Denn rein numerisch gesehen, werden bei uns pro Woche im Durchschnitt fünf bis sechs Spielfilme verschiedensten Charakters au9gestrahlt. Eine Ziffer, die auf den ersten Blick durchaus vertretbar und akzeptabel im Vergleich zu den Spielfilmsendungen der erwähnten Länder erscheint.

Nur hat die Sache einen kleinen Haken und der Vergleich hinkt, wie es so oft der Fall ist Denn in den betreffenden Staaten hat der Zuschauer die Möglichkeit, zwischen einem Dutzend und mehr verschiedenen Programmen eine seinem Geschmack entsprechende Auswahl zu treffen. Daß er dann bei einer solchen Variation in genügendem Ausmaße Sendungen findet, die in jeder Hinsicht eigens für das Fernsehen eingerichtet sind und die Bedingtheiten des Bildschirms berücksichtigen, ist wohl kaum zu bezweifeln. In Österreich aber stehen dem Betrachter nur knapp zwei Programme zur Verfügung, da das Technische Versuchsprogramm auf eine wesentlich kürzere Sendezeit beschränkt ist. Unter diesem Aspekt gewinnt natürlich die Zahl „sechs“ ein etwas anderes Gewicht und läßt den Wunsch der Öffentlichkeit nach Eigenproduktionen des Fernsehens bedeutend verständlicher erscheinen.

Dieser Wunsch der Fernseher, mit dem sich Direktor Freund in einer seiner jüngsten Sendungen „Dienst am Kunden“ auseinanderzusetzen trachtete, resultiert nun nicht aus den Stimmen einiger chronischer Mißvergnügter, die den verantwortlichen Männern um jeden Preis die Arbeit erschweren wollen. Er basiert auf einer Reihe in der Praxis des Fernsehalltags gemachter Erfahrungen und Erkenntnisse, die durchaus einer Diskussion zur Erreichung einer möglichst beiden Seiten gerecht werdenden Synthese wert sind.

Tedier Gestalter eines Fernsehprogramms wird zwangsläufig immer wieder dem meist ohne besondere Schwierigkeiten erhältlichen Kinospielfilm sein besonderes Augenmerk zuwenden. Folgt er doch dabei einer uralten menschlichen Regung, die versucht und bereit ist, den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Zunächst verlockend ist einmal die Tatsache, daß er mit einem solchen Spielfilm ein fertiges Produkt erhält. Damit ist er aller Sorgen über Besetzung und Gestaltung enthoben. Er braucht sich ferner keine Gedanken darüber zu machen, ob und zu welchen Terminen er die geeigneten Räumlichkeiten und Arbeitskräfte zur Durchführung einer eigenen Produktion erhält. Eine Frage, die angesichts des nach wie vor spürbaren Facharbeitermangels keineswegs bedeutungslos ist. Zudem verfügt er mit dem fix und fertig gelieferten Spielfilm über ein Material, das er jederzeit bei Eintreten unvorhergesehener Zwischenfälle — ein Faktor, der gerade in diesem Metier ziemlich groß geschrieben werden muß — schnell und unverzüglich einsetzen kann. Der ideale Rettungsanker für alle Situationen also, der überdies in vieler Hinsicht nicht das geringste Risiko mit sich bringt. So ungefähr zeichnet sich in seinem Konzept die Verwertung des Spielfilms ab. Von seinem Standpunkt aus verständlich, daß er daher für eine möglichst häufige Verwendung dieses Materials plädiert.

Von der Warte der Fernseher aber wird dieser Einsatz oft als „Lückenbüßer“ empfunden. Diese Filme sind ja für das Kino hergiestellt. In der technischen und photographischen Wiedergabe unterliegen sie damit den Gesetzen der Kinoleinwand. Atemraubende Verfolgungsjagden, gewaltiges Kampfgetümmel und Aufmärsche von Statistenheeren, die einen im Kino in ihren Bann schlagen, verfehlen auf den Bildröhren mit dem größten Querschnitt von 63 Zentimetern völlig ihre Wirkung. Das gleiche gilt für weitausladende Totalaufnahmen von Landschaften, die einem im Kino nahezu plastische Eindrücke einmaliger Naturschönheiten vermitteln und die dann im TV-Apparat zu einer unbedeutenden Impression verschwimmen. Stärke, Eigenart und kaum zu überbietende Einmaligkeit einer Fernsehwiedergabe jedoch liegen in der Erfassung der Intimität einer Szene und deren packende Modulierung, die dem Beschauer das Gefühl hautnaher Verbindung mit den Akteuren und ihren Aktionen vermitteln. Die Großaufnahme in der Photographie und eine auf Kammerspieltöne gestimmte Regie sind die wirksamsten Ingredienzien einer Femsehinszenierung, wenn sie ihre Betrachter menschlich und künstlerisch wirklich ansprechen will. Es ist daher wohl keine Übertreibung, zu sagen, daß nur ein geringer Prozentsatz der dem Fernsehen überlassenen Kinofilme diesen Anforderungen gerecht werden kann. Außerdem hat die Praxis gerade in der letzten Zeit gezeigt, daß die Breitwandformate der Kinofilme meist zur Bildung unschöner schwarzer Balken und Striche oben und unten auf dem TV-Schirm führen, die das Geschehen und die darstellerische Intensität des Schauspielers für den Betrachter empfindlich stören können. Ein Gesicht, dem die halbe Stirn fehlt, wirkt ebenso unproportioniert wie eine dekorative Raumkomposition, deren unteres Drittel erbarmungslos abgeschnitten wird. Dazu kommt, daß der überwiegende Teil der heutigen Spielfilmproduktion in Farbe gedreht wird. Die Farben aber präsentieren sich auf den auf einen nivellierenden Grauraster abgestimmten TV-Röhren so dunkel, daß es meist erst längerer Manipulationen an den diversen Knöpfen bedarf, um zu einem brauchbaren Bild zu gelangen. Ohne Zweifel sind dies künstlerische und technische Einbußen, die den Fernseher nicht unbedingt begeistern.

Aus den erwähnten Motiven ergibt sich der nicht verstummende Ruf der Öffentlichkeit nach einer möglichst weitgehenden Reduzierung der bloßen Übernahmen von Kinofilmen und dem Primat von künstlerisch sowie technisch auf die Besonderheiten des Bildschirms zugeschnittenen Eigenproduktionen des Fernsehens. Sollte diese Verstärkung der letzteren aus Gründen der Arbeitsüberlastung, wie es Direktor Freund mit seinen zuständigen Referenten dazulegen bemüht war, nur schwer zu realisieren sein, so sollte nicht verabsäumt werden, wenigstens für eine qualitativ steigende Ausstrahlung von Kinofilmen zu sorgen. So wird es zum Beispiel sicher in vielen Fällen zu erreichen sein, an Stelle einer problematischen Breitwandkopie eine solche in Normalformat ziehen zu lassen. Die durch solch Um- oder Neukopierungen entstehenden Mehrkosten würden sicherlich durch die günstige psychologische Rückwirkung auf das meinungsmäßige Verhältnis zwischen Fernseher und Direktion wettgemacht. Denn die rund 773.000 Fernsehteilnehmer in Österreich würden durch solche und ähnliche Maßnahmen in ihrem Empfinden bestärkt, daß ihr monatlicher Beitrag von 50 Schilling, zu dem sich ja noch die nicht unbeträchtlichen Einnahmen aus dem Werbefernsehen gesellen, in den verschiedensten Bereichen einer echten Programmveibes- serung zufließt.

Zudem ist sicher nicht anzunehmen, daß durch die verstärkte Verwertung von Spielfilmen im Fernsehen bewußt eine Schädigung der Filmtheaterbesitzer erstrebt wird. Deuten doch im Gegenteil gewisse Sendungen, wie zum Beispiel die durchweg gut und aufschlußreich redigierte Kritikersendung „Mit unseren besten Empfehlungen“, darauf hin, daß sich das Fernsehen die Unterstützung des wertvollen Films angelegen sein läßt. Zweifellos wird diese verantwortungsbewußt gestaltete Besprechung neuer Filme auf die Dauer dazu beitragen, dem Kino auch aus den Kreisen der Fernseher wieder neue Interessenten zuzuführen. Unzweifelhaft werden dadurch infolge der kolossalen Breitenstreuung, die das Fernsehen, bildungsmäßig und soziologisch gesehen, vornimmt und in sich trägt, Bevölkerungsgruppen an den künstlerisch bedeutsamen Film herangebracht, die ihm früher indifferent oder gar ablehnend gegenüberstanden. Hier kann das Fernsehen auf lange Sicht eine nicht zu unterschätzende Erziehungsarbeit leisten, die vielleicht dem Kino einen Teil des verlorenen Terrains in der Pufolikumsgunst zurückgewinnen helfen kann.

Auf diesem Wege zu einer möglichen Renaissance des Spielfilms im Kino sind auch die Aufführungen prädikatisier- ter Filme im Fernsehen als beachtliche Antriebskräfte zu werten. In der Wiedergabe von Filmen, wie „Früchte des Zorns“ nach dem gleichnamigen Roman von John Steinbeck unter der Regie von John Ford, „Mittwoch zwischen 5 und 7“ von der französischen Regisseurin Agnès Varda oder dem Problemfilm „Wer den Wind sät“ nach einem Bühnenstück von Jerome Lawrence und Robert E. Lee unter der Regie von Stanley Kramer sowie jener Reihe, die unter dem Titel „Silents please“ interessante Beiträge aus der Geschichte des Films vermittelt, vollbringt das Fernsehen in Österreich fortlaufend eine wahrhaft kulturelle Tat. Denn fast alle diese Filme, von denen vorstehend nur einige Titel genannt wurden, haben bei ihrem Lauf durch die Lichtspieltheater meist nur einen relativ kleinen Personenkreis erreicht und angesprochen, dessen Aufgeschlossenheit für derartige filmische Auseinandersetzungen ohnehin schon gegeben war. Seine aus den verschiedensten Schichten zusammengesetzten Anhänger mit diesen oft verkannten filmkünstlerischen Perlen stets aufs neue zu konfrontieren, ist das unbestreitbare Verdienst des Fernsehens, das ebenfalls in der Zukunft seine Früchte tragen wird.

Aus all diesen Überlegungen rund um das Problem „Film im Fernsehen“ kristallisiert sich die Tatsache heraus, daß beide Medien einander vice versa bedürfen und sich gegenseitig ergänzen können. Ernste Verantwortlichkeit auf beiden Ufern ist die Voraussetzung. Ersparnisgründe, daß man einen Film eben um einige zehntausend Schilling haben kann, anstatt einige hunderttausend in eine Eigenproduktion voll künstlerischen Risikos zu investieren, sind einem fruchtbaren Zusammenleben ebenso abträglich wie die Auffassung, die das Fernsehen zu einem „alles fressenden Groschengrab“ ausgedienter filmischer Ladenhüter herabwürdigt. Wer die dynamischen, künstlerischen und technischen Eigengesetze beider Medien klug beachtet, wird sie zu beider Nutzen auch miteinander verbinden können.

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