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Österreichs Filmtod

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Um die Bilanz gleich vorwegzunehmen: Den österreichischen Film gibt es seit langem kaum — und derzeit überhaupt nicht mehr.

Wenn man durch die nun genug zerredete Randschicht der „österreichischen Filmmisere“ in die Tiefe der Wirklichkeit vorstößt, entdeckt man, daß von den seit 1945 in Österreich hergestellten Spielfilmen nur etwa eineinhalb Prozent wirklich österreichischer Provenienz sind.

Von den wenigen Co-Produktionen abgesehen, handelt es sich bei allen übrigen tatsächlich nur um ausländische Auftragsproduktionen.

Es muß einmal festgestellt werden, was ein österreichischer Film überhaupt ist, um zu wissen, was wie gerettet werden soll. Ferner wird zu erklären sein, inwieweit eine Unterscheidung zwischen österreichischer, Co- und Auftragsproduktion unerläßlich ist. Dabei wird sich herausstellen, daß das bisherige Außerachtlassen solcher Unterscheidung — die in fast allen Filmländern der Welt, sehr zum Wohle der heimischen Produktionen, geübt wird — nicht nur wesentlich am Filmtod unseres Landes Anteil hat, sondern bei jedem ernsten Bemühen um die Reaktivierung des österreichischen Filmes Ausgang aller Uber-legungen sein muß.

Die drei Möglichkeiten

Auftrctf/sproduktionen sind nun Filme, deren Finanzierung und somit auch Thema und Gestaltung überwiegend vom Ausland aus bestimmt werden. Solche Erzeugnisse stehen naturgemäß unter dem problematischen Geschmacksdiktat des ausländischen Auftraggebers und sind schon aus diesem Grund, außerhalb seines Landes, für eine Internationale Verwertung selten geeignet.

Co-Produktionen sind Filme, bei denen sich die wirtschaftlichen Probleme und damit wieder der Einfluß auf Thema und Gestaltung etwa die Waage zwischen dem österreichischen und.dam Cp-Produzen-ten halten. Filme dieser Art berücksichtigen schon eher höhere Qualitätsansprüche und haben damit erfahrungsgemäß größere Aussicht auf die notwendige internationale Verwertung.

Als österreichische Produktionen können hingegen nur Filme gelten, bei denen die Auswertungs- und somit Finanzierungsprobleme ausschließlich im Bereich österreichischer Interessen liegen. Sie sind zur Verwertung auf dem internationalen Markt besonders angelegt und führen ihre Einspielergebnisse aus dem Weltvertrieb auch tatsächlich wieder Österreich zu.

Nur Ware oder auch .. ?

Würde es sich beim Film tatsächlich nur, wie engsichtige Manager gerne vorgeben, um eine Ware handeln, die so lediglich einem außerordentlich klein gewordenen Kreis von Erzeugern Gewinn abzuwerfen hat, wäre es eine Vermessenheit, die Öffentlichkeit um die jährliche Bereitstellung von vielfachen Millionenbeträgen anzusprechen, auch dann, wenn mit der endgültigen Liquidierung des österreichischen Filmes die unwiederbringlichen Atelierbetriebe schließen müßten.

Nun soll hier noch gar nicht auf die Kardinalfrage eingegangen werden, wie man sich etwa die Verwertung der künftig aus Mitteln der Öffentlichkeit herzustellenden Filme denkt — eine Frage, auf die keiner der bisher bekannten „Pläne“ eingeht und ohne deren vorherige Klärung jede Inanspruchnahme von Produktionsmillionen, vorsichtig ausgedrückt, „Fahrlässigkeit“ wäre.

Auch davon soll hier noch nicht die Rede sein, welche Garantien zu geben wären, daß mit neuen Mitteln, aber alten Fehlern nicht in Kürze ein noch größerer und dann wirklich unreparabler Bankerott folgt.

Hier soll Österreichs Filmtod einmal anders gesehen — das zweite Gesicht des Januskopfes Film freigelegt werden.

Des Filmes zweites Gesicht

Film ist nicht nur Ware.

Film ist — wenn auch selten mehr Kunst und oft nicht einmal Kunsthandwerk — in jedem Falle ein höchst wirksames Massen-naedium.

Daß dieser Umstand gerade für unser Land von außerordentlicher Bedeutung ist, wird man erkennen müssen. Erst dann wird die Antwort darauf möglich sein, inwieweit und auf welche Weise die Reaktivierung des Filmes im Interesse der Öffentlichkeit Österreichs gelegen sein kann — ja muß.

Der österreichische Film ist ein nationales Anliegen.

Diese in Fachverbandssitzungen ungern gehörte Behauptung verliert sofort das Kolorit „romantischer Phrasologie“, wenn wir einmal allen

Mut zusammennehmen und unsere SOS-Position im Ozean der freien Einflußkräfte orten.

Selbst einer ganzen Welt gegenüber mit hunderttausend Antennen und ganzem Herzen aufgeschlossen, haben wir uns allmählich sämtlicher Mittel begeben, um unsererseits die Welt über das, was Österreich zu sagen hat, zu informieren und ins rechte Bild zu setzen.

Österreich besitzt heute keine einzige Massenillustrierte mehr1.

Das Fernsehen, „bereits an

Deutschland .angeschlossen'“ (Han-sen-Löves Bankerotterklärung anläßlich der fllmwissenschaftlichen Woche), reicht — soll man sagen gottlob? — kaum über die Grenzen unseres Landes hinaus.

Der österreichische Film Ist tot, der Film, das einzige Massenmedium, mit dem Österreich in der Lage wäre, breitesten Kreisen in der Welt von seinen wirtschaftlichen, kulturellen, geistigen, aber allenfalls auch von seinen politischen Problemen Mitteilung zu machen, die letzte Möglichkeit, für sich und seine Anliegen wirkungsvoll zu werben und seinen Beitrag zur Gestaltung der Zukunft leisten zu können.

Aber reden wir nicht über Recht und Verpflichtung einer alten Kulturnation, die in der Geistesgeschichte unseres Kontinents einen vorzüglichen Saldo besitzt. Bleiben wir auf dem Boden primitiver Tatsachen.

Eine Lebensvoraussetzung

Für ein Land, das etwa ein Drittel seines Staatshaushaltes direkt oder indirekt aus dem Fremdenverkehr deckt und dessen Existenz davon abhängt, ob Herr Schulze, Mister Smith oder Monsieur Marius ihm die Ehre ihres Besuches oder, noch mehr: das Vertrauen einer Geschäftsverbindung erweisen, ist der vollintakte Besitz des letzten Massenmediums schlechthin Lebensvoraussetzung.

Wenn es für uns richtig ist, im Internationalen Verkehr durch eine sehr kostspielige aber ebenso unerläßliche Fluglinie vertreten zu sein, ist es nicht nur eine Frage des nationalen Prestiges, sondern der nackten Selbsterhaltung, im internationalen Kulturaustausch (sprich „wohltemperierter Krieg der eiskalten geistigen Manipulationen“) miitzuagieren.

Österreich lebt mehr als andere Staaten von dem Bild, das sich die Welt von ihm macht.

Obzwar die durch den Film maßgeblich beeinflußte Good-will-Wirkung auf alle Gebiete des wirtschaftlichen Lebens ausstrahlt (vom Zwei-Schilling-Souvenir bis zum Auftrag auf L.-D.-Walzwerke), sei hier nur darauf hingewiesen, daß ein einziger Film,' nämlich die „Drei Münzen im Brunnen“, den Fremdenzustrom nach Rom von einem Jahr auf das andere um 40 Prozent in die Höhe schnellen ließ.

Der Spielfilm ist für Österreich ein nationales Anliegen!

„Die Massen können nur in Bildern denken und lassen sich nur mit Bildern beeinflussen“, sagte Le Bon bereits 1895!

Was das aber im Zeitalter der sogenannten pluralistischen Gesellschaft bedeutet, liegt auf der Hand. Ergänzt man dies mit der Ansicht von Jacques Feyder: „Wer mit Bildern spielt, spielt mit dem Feuer“, wird klar, welche Verantwortung die auf sich nehmen, die mit dem Massenmedium Laufbild (Film und Fernsehen) befaßt sind.

Über allem aber...

Österreich braucht seinen Film. Es braucht ihn ebenso wie seine Fluglinie, Autobahnen — und Bundestheater.

Bezogen auf das andere, das merkantile Gesicht des Januskopfes Film heißt dies aber: Erst Klärung der Verwertungsfrage, dann Gewährleistung langfristiger Produktionsplanung und schließlich umsichtige Produktionsvorbereitung an Stelle dilettantischer Improvisation!

Nur durch solcherart fachlich fundierte Rationalisierung sind jene Filme zustandezubringen, die bei optimalem Produktionstuert kleinst-mögliche Produktions kosten erfordern und den Risikofaktor in vertretbaren Grenzen halten.

Unnötig zu sagen, daß im Produktionswert künftig die geistigen, also künstlerischen und kunsthandwerkliche Qualitäten in höherem Maße als bisher vertreten zu sein haben. Das Publikum ist nicht so primitiv, wie man es als Ausrede für eigenes Unvermögen gerne glauben machen will.

Co-Produktionen sollten, je nach österreichischem Anteil, eine entsprechende Förderung genießen. Auftragsproduktionen können — soweit sie österreichische Ateliers und nicht solche im Ausland benutzen (siehe Stadthallen-Produktion) — unser Wohlwollen haben.

Über allem aber der österreichische Film.

Er will nicht nur — er kann auch!

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