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Die Opern Auffuhrung Im Film

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Ich dachte immer, wie schade es sei, daß große Bühnendarstellungen mit ihrer letzten Aufführung ein für allemal zu Ende seien und nie mehr gesehen werden können, nachdem der letzte Vorhang gefallen ist. Es sind von manchen großen Künstlern Filme vorhanden, aber nur Filme im Sinne der Filmindustrie. Nichts von der wesentlichsten und wertvollsten Seite ihrer künstlerischen Existenz und Größe, ihrer Darstellung in einem großen Stück, nichts von der Unmittelbarkeit ihrer Bühnengegenwart und -persönlichkeit, nichts von dem Fluß der Spontaneität, ihrer Gestaltungsabwicklung mit allen wertvollsten Augenblicken, geboren aus der Inspiration des Moments, der Stimmung und Hingerissenheit des Schauspielers, beseelt von dem dargestellten Charakter.

Ich dachte, es sei engherzig und egoistisch von uns Filmleuten, nicht vom Film als Selbstzweck abzugehen und nur die Technik des Films zu verwenden, um solche großen Leistungen des Theaters zu rekorden, in Ton und Bild. Sie werden sich leicht alle Schwierigkeiten vorstellen können, die sich so einer Absicht entgegenstellen, so daß aus dem Unternehmen bald ein Unterfangen zu werden scheint. (Man hat ähnliche Versuche unternommen und sie schnell als nicht gelungen aufgegeben.) Es waren etliche Probleme zu lösen, ohne deren Lösung das Projekt wirklich ein Unterfangen geblieben wäre.

Vor allem das Problem, eine wirklich lebendige Aufführung einzufangen, ohne sie zu verfilmen. Es wäre niemals möglich, eine Bühnenaufführung ins Studio zu verpflanzen, abgesehen davon, daß es praktisch gar nicht möglich wäre, die Sänger, Tänzer und Darsteller auf die lange Dauer einer normalen Filmproduktion in einem Studio zu engagieren und zusammenzuhalten. Die Verpflanzung würde schwierig und schädlich sein wie die Verpflanzung eines Baumes. Die Aufführung würde an Stimmungsgehalt und Unmittelbarkeitswirkung fast alles verlieren. Also ins Theater! Das bedeutet, auch die Technik, Kamera, Beleuchtung, Tonapparatur und alles, was zur Aufnahme notwendig ist, ins Theater zu bringen. Aber nichts ist leichter, als die Aufnahme auf der Bühne flach, „stagy“ zu machen, und das war zum mindesten das entmutigende Resultat bisheriger Versuche.

Schach dem Schema

Ich grübelte und dachte, dachte und grübelte. Ich wußte bald, daß ich alles, was ich bisher als Filmregisseur gelernt hatte, ich möchte nicht sagen „vergessen“, aber vermeiden mußte. Ich mußte weggehen von Regeln und Gesetzen, Geboten und Gewohnheiten, denen wir uns im normalen Film zu unterwerfen haben, und bald entdeckte ich eine sehr interessante, zum mindesten amüsante Tatsache, nämlich, daß wir Filmleute uns alle diese ganzen Regeln aus Ueberkommenheit und Gewohnheit selbst geschaffen und aufgezwungen haben. Und daß sie alle zusammen eine akzeptierte Tradition sind, die man relativ selten zu übergehen wagt und die als ehernes Dogma anerkannt wird, an dem man festhält wie an einer absoluten und unabänder- liehen Wahrheit und Notwendigkeit.

Solche Dogmen gibt es sowohl in der Film-produktiön als auch in der Filmdistribution. Ich bin schon, wie manchen von Ihnen bekannt sein wird, ein paar Jahre beim Film. Als ich meinen ersten Film inszenierte, wurde mir erklärt, man könnte nur einen Film machen, in dem eine „Verfolgung“ enthalten ist. Ich habe einen Film ohne Verfolgung gemacht. Er wurde ein großer Erfolg, Bald hat man mir gesagt, man kann keinen Film machen, in dem keine „Tanzszenen“ und keine „Gesellschaftsszenen“ enthalten sind. Ich habe den ersten Film gedreht, der nur drei Charaktere hatte, man sagte mir natürlich, es sei nicht möglich. Das war ein Film mit Elisabeth Bergner, Emil Jannings und Conrad Veidt. — Der Film und seine Distribution wagten es nur langsam, sehr langsam, sich von dem gegebenen Weg zu trennen und neue Wege zu suchen und zu versuchen. Allem Neuen stellte man sich immer hartnäckig entgegen. Sogar einer der entscheidendsten — im wahrsten Sinne des Wortes — genialsten Erfindungen im Filmschaffen, der Erfindung der Großaufnahme durch Griffith. Nichts kommt ihrer Wichtigkeit nahe, obwohl Apparatbewegung und Einstellungsgesetze und Regeln sich entwickelten und änderten und verbesserten. Im übrigen war Griffith auch der erste, der den Rhythmus des Gegeneinanderschneidens von sich gegenseitig abspielenden Geschehnissen in verschiedenen Situationen gefunden und verwendet hat, was eine Art Revolution hervorbrachte und zunächst, als den Fluß der Handlung störend, abgelehnt wurde.

Die Methode fordert eine scheinbare Verachtung von Konvention und Vorsicht. Das Alpha und Omega ist die Einstellung. Sie muß notgedrungen abweichen von der gewohnten Filmeinstellung. Sie hat nicht dargestelltes Leben, das heißt nicht ein Erlebnis und individuellen Ausdruck von Gesicht und Körper wiederzugeben. Sie hat das bereits kunstgewordene Erlebnis, das Kunsterlebnis, einzufangen und wiederzugeben, und zwar so, wie der Theaterbesucher es empfängt.

Ich könnte Ihnen ein Beispiel zeigen, wie wichtig in der Uebertragung auf den Film diese

Führung durch die unkonventionelle Einstellung ist: Ich habe zwei Szenen mit Cinemascopelinse, die eine große Breite der Bühne faßt, ohne EinStellungswechsel aufgenommen. Dieselben zwei Szenen habe ich für den „Don Giovanni“ auf der Grundlage meines Prinzips aufgenommen. Ich glaube, Sie werden den Eindruck haben, daß die eine Aufnahme „stagey“, flach und langweilig ist, während die andere lebendig und interessant bleibt, wie es die Aufführung war.

Ich wußte bald, daß ich für meine Aufgabe von dem Schema der sogenannten Grundeinstellungen: der Planeinstellung, der Mitteleinstellung und der Großaufnahme abgehen mußte. Nicht die Apparatbewegung, sondern die Apparatbeweglichkeit, die unbegrenzte Möglichkeit, ist das Wichtigste; die Elastizität und Unbefangenheit der Technik und ihre Freiheit von allem, was wir als Bedingung zu akzeptieren gelernt hatten. Um „Flachheit“ zu vermeiden, mußte eine Art Diagonalisierung der Einstellungen erreicht werden, die durch Vor-und Seitenbewegung die Szene wie ein Schachbrett beherrschen konnte. Das war ein Prinzip, es war aber nur „das grundlegende Prinzip“, das sich in vielerlei und untergeordneten Prinzipien wie eine Divisionsrechnung auflösen ließ. Ich benötige die Flexibility von drei bis acht Kameras.

Jede neue Arbeit stellt neue technische Forderungen. Jedes Kunstwerk hat seine eigenen Gesetze. Um bei der Oper zu bleiben: „Fidelio“ hat andere Gesetze als „Die Meistersinger“ und „Don Giovanni“ andere als „Die Zauberflöte“. „Don Giovanni“ (Bernard Shaw als Musikkritiker nannte „Don Giovanni“ die beste Oper, die je geschrieben wurde) hat an sich ganz besondere Schwierigkeiten. „Ja“, hat Furt-wängler mir immer wieder gesagt, „der ,Don Giovanni', das ist ein ganz kompliziertes, sehr schwieriges Werk, eine Mischung von Stilen, die manchmal miteinander und ganz plötzlich gegeneinander laufen, und das Ganze erfüllt von der Wucht eines großen Dramas.“ Es mußte nicht nur Bild und Ton aufgenommen werden, es mußte der Ton der Farbe und die Farbe des Tones gefunden werden, um den Film und die Dekoration einzufangen und in ihrer Wirkung wiederzugeben. So, obwohl Reproduktion, streng getreue Reproduktion, mußte diese Reproduktion insofern Kreation werden, als sie nicht ein Schnell- oder Paßphoto, sondern, als Produktion und technischer Film gesehen, ein Kunstwerk werden mußte um dem Kunstwerk der originalen lebendigen Reproduktion gerecht zu werden. Und dies trotz des entscheidend wichtigen Zeitfaktors; denn es war nicht mehr Zeit erlaubt zur Aufnahme als zu einem Schnell-oder Paßphoto. Und dieses Tempo, eine Bedingung zum Einfangen der Aufführung, ist ein prinzipieller Punkt der Methode.

Ohne zu sehr auf das Detail des Technischen einzugehen, erwähne ich nochmals, was die Filmleute unter Ihnen bestimmt voraussetzen und wissen, daß ich für meine Methode mehrere Kameras benütze, die teils gleichzeitig, teils abwechselnd drehen und sich alle frei im Raum seitwärts und auf- und abwärts bewegen können. Sound ist auf Band und mit Hilfe von speziell konstruierten Mikrophonen aufgenommen. Viele und mehr oder weniger komplizierte organisatorische Einrichtungen sind notwendig, um die Abwicklung einer Aufnahme ununterbrochen zu ermöglichen. Ich kann ohne besondere Schwierigkeit eine halbe Stunde lang durchdrehen. Die Kameraleute sind während der Arbeit alle mit mir telephonisch verbunden.

Für die technische Abwicklung hatte ich verschiedene Behelfe zu finden; für eine besonders wichtige ist ein Patent laufend. Es ist eine Konsole mit fernseh-geschlossenen cireuits. Durch diese Konsole ist der Direktor imstande, mit allen Kameraleuten in Verbindung zu sein und Anweisungen und Warnungen zu geben. Das wichtigste aber ist, daß während der Aufnahme dadurch ein Ein- und Ausschalten und ein vorläufiger Schnitt möglich ist, in dem die aufgenommenen Bilder von einer speziellen Kamera automatisch wieder auf Film apperzipiert werden. Der aufgenommene Film wird natürlich später nicht verwendet, sondern dient nur als Muster für den Editor und beschleunigt den Schneideprozeß.

Filmen, nicht verfilmen

Man kann aus einem gewöhnlichen Theaterstück einen Film machen, nachdem man ein neues Skript nach dem ursprünglichen Stückskript schreibt. Es kann erneuert werden in Situation, Dekoration, Bild und Wort, die Charaktere können neu geboren und rekonstru-iert werden. Das ist nicht der Fall und unmög-lieh mit einem Kunstwerk. Schon ein Shakespeare-Stück muß in der Verfilmung verlieren und je treuer der Film dem Stück bleibt, desto besser und größer wird er sein. Shakespeares Genie hat schon die beste und höchste Form gegeben, die mit und in dem gewählten Stoff als Ausdrucksform zu erreichen war. Jedes Abgehen von seiner Idee ist Abschwächung und Verringerung. Ich behaupte, daß ein bedeutendes Stück nicht v e r filmt, sondern g e filmt werden sollte, denn es verliert nicht nur durch Verfilmung, es wird durch Filmskript, neue und mehrere Schauplätze und Popularisierung und Verbilligung der Charaktere zerstört. Ich halte es für völlig unmöglich, eine Oper zu verfilmen, das heißt eine gute, wertvolle, bedeutende. Sie ist ein Kunstwerk, in dem die konkrete irdische Ausdruckskraft des Dramas und Theaters und die abstrakte überirdische Ausdruckskraft des Dramas und Theaters und die abstrakte überirdische Kraft der Musik sich in einer bestimmten Form gefunden und vereinigt haben. Ein Film daraus gemacht, kann nur die Zerstörung der künstlerischen Urform bedeuten und wird menschliche Mache.

Meine Methode ist nicht journalistisch. Sie schafft nicht aus dem Moment, sondern auf der Basis einer wohlstudierten Analyse des Werkes und künstlerischer Vorarbeit und Entwicklung, lebendig gehalten vom Atem der Inspiration. In der Verfilmung eines Musikstückes, z. B. einer Oper, muß absolute Koalition von Farbe und Ton und von Farbe und Emotion gesucht und gefunden werden, Farbe der Stimmung der Musik, Farbe der Farbe, Farbe der Instrumente, Farbe der Stimme; Harmonie aIIer sinnlichen Eindrücke, um sie offenbar und aufnahmemöglich zu machen. Und wir haben Musik mit Farbe sowohl in der Aufnahme als in der Montage zu assoziieren. Die Montage muß häufig eine Farbtonmontage sein.

Das große Welttheater

Was ich mit meinen Filmen erreichen will, ist nicht intellektuelles Kino, es ist überhaupt nicht Kino. Nur die Technik des Films ist benützt, um zu fangen und festzuhalten; Ausdruck und seine Veränderung in der Unmittelbarkeit des Moments festzuhalten. Aber über diesen scheinbar praktischen Zweck hinaus geht die Absicht und Idee, die Aufnahmefähigkeit zu vertiefen und sie anzugleichen in ihrer Vertiefung dem lebendigen Inhalt des künstlerischen Originals. In der Produktion eines musikalischen Werkes ist eine dreifache Syn-thesis gesucht. Wenn sie erreicht ist, ist die Macht des Eindruckes besonders groß: ein episches Element in der Offenbarung des Inhalts, ein dramatisches in der. Behandlung und Ausführung des Themas, ein lyrisches in der abstrakten und metaphysischen Wirkung der Musik.

Die Kamera kann stufen in einer Weise, wie es dem Theater nicht möglich ist. Hier erzielt der Film den größten Erfolg über das Theater, sogar während er das Theater wiedergibt.

Es soll mit den Filmen von außerordentlichen Aufführungen des Welttheaters nicht nur eine Art Bibliothek für das Museum geschaffen werden; es sollen solche Aufführungen für das gegenwärtige Publikum der Welt festgehalten werden, denn es gibt genug Menschen auf der Welt, die die besonderen' Aufführungen und Erlebnisse des Theaters sehen wollen, aber nicht die Zeit und die Möglichkeiten haben, zu den Aufführungen in die entsprechenden Länder und Städte zu reisen, oder wenigstens in der Zeit zu reisen, in der diese Aufführungen stattfinden. So kann also beispielsweise eine wichtige Bayreuther Aufführung in der ganzen Welt gezeigt werden, oder eine große Tänzerin, oder ein großer Schauspieler. Und so das Kunsterlebnis allen denen gegeben werden, die den Wunsch haben, es zu empfangen. Und die großen künstlerischen Schöpfungen und Ereignisse der verschiedenen Nationen können von Nation zu Nation getragen werden und helfen auf diesem Wege zu Verständnis und Freundschaft zwischen den Nationen. Und das ist vielleicht heute die wesentlichste und einleuchtendste Bedeutung solcher Filme von besonders wertvollen Aufführungen des Welttheaters.

Aus einem Vortrag des Verfassers auf der Arbeitstagung „Oper in Funk, Fernsehen und Film“, Salzburg, August 1956.

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