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GEFAHR DES KLISCHEES

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Die Diskussion „Werbefernsehen — ja oder nein?“ ist so alt wie das Fernsehen selbst. Wir maßen uns nicht an, diese Frage zu entscheiden, sondern versuchen nur, durch diesen Beitrag die recht komplexen psychologischen und kommerziellen Hintergründe des umstrittenen Faktums zu durchleuchten, um vielleicht zu klärenden Erkenntnissen zu gelangen.

Da steht zunächst auf der einen Seite der drängende Wunsch der produzierenden Wirtschaftskreise, dieses Medium, das tief in die intime Familiensphäre der Menschen eindringt, in irgendeiner Weise zu Verbreitung und Steigerung des Absatzes der von ihnen erzeugten Waren zu nutzen. Werbung, Reklame, Propaganda, wie auch immer wir das Bemühen nennen, die Umwelt von den Vorteilen und Vorzügen eines Produktes oder einer Idee zu überzeugen, ist unzweifelhaft ein entscheidendes Charakteristikum unseres Jahrhunderts. Daß bei diesem mit allen Mitteln und Finessen ausgefochtenen Rennen um die Gunst und die Anstachelung der Begierden der Massen der mit seriösen und lauteren Argumenten Operierende leicht in Gefahr gerät, mit dem durch gleisnerische Verlockungen nur auf Augenblickserfolge zielenden Scharlatan in einen Topf geworfen zu werden, ist unvermeidlich. Dies nur als Hinweis auf die Schwierigkeit einer gerechten Wertung, die zudem noch den Stempel wirklicher Berechtigung ihres Anliegens tragen soll.

Wie die Entwicklung des Fernsehens Im Stammland, den Vereinigten Staaten von Amerika, bewiesen hat, haben diese wirtschaftlichen Kräfte das neue Massenmedium gleich von Anbeginn völlig mit Beschlag belegt Und zwar in einer Form, über die wir im alten Europa zuerst staunend den Kopf schüttelten. Denn es schien und erscheint uns noch heute wenig stilvoll, wenn die Übertragung eines Fernsehspiels, einer Opernaufführung oder eines philharmonischen Konzerts durch Werbeslogans oder -bilder für irgendeine Seife, Zahnpasta oder Kaugummimarke unterbrochen wird. Wobei einem der Hinweis, daß der vorherige künstlerische Genuß durch die betreffende Firma ermöglicht wurde, die Sache auch nicht schmackhafter macht.

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Hinter dieser deplaciert erscheinenden Ankündigung aber verbirgt sich jene andere Seite, die darauf verweist, daß sie ohne diese finanzielle Mithilfe der interessierten wirtschaftlichen Mächte eben nicht in der Lage gewesen wäre, den Zuschauern jene wertvollen, aber zumeist auch äußerst kostspieligen Darbietungen zu vermitteln. Auch die technische Vervollkommnung von Apparaturen und Studios wird, vor allem In den USA, überwiegend aus diesen Quellen gespeist. Hier beginnt nun die Problematik für die

Fernsehverantwortlichen, die sich In eine Zweifronten-teilung hineinmanövriert sehen. Eine Programmgestaltung kostet Summen, die wohl in keinem Land aus den Gebühren der Fernsehteilnehmer, sofern überhaupt welche eingehoben werden, allein gedeckt werden können. Sie müssen sich also nach zusätzlichen Einnahmequellen umsehen, die ihnen von der werbungsinteressierten Wirtschaft mit größter Bereitwilligkeit erschlossen werden. Damit aber werden zugleich Kritiker und Attacken auf den Plan gerufen, die einer solchen Verbindung, in welcher Gestalt sie sich auch immer auf dem Bildschirm manifestieren mag, erbitterten Kampf angesagt haben und durch ihre Proteste immer neues öl in das Feuer der Debatte um die Werbung im Fernsehen gießen.

Eine eindeutige Lösung dieses Zwiespalts ist nur dann möglich, wenn staatliche Subventionen die gesamten Kosten der Programmgestaltung und des technischen Ausbaus tragen. Formell betrachtet ist dies zum Beispiel In Frankreich der Fall, wo es bei dem innerhalb der Landesgrenzen ausgestrahlten Programm offiziell keine Werbung gibt. Dafür aber überfluten reichlich mit Werbung gespickte Programme von ausländischen Sendern dicht vor den Grenzen, wie Tele Monte Carlo, Andorra und Europa I beinahe das ganze Land, und in eingeweihten Kreisen wird behauptet, daß der französische Fiskus durch geschickt verschachtelte Firmen und deren Steueraufkommen an den benachbarten Fernsehwerbeerträgnissen recht beachtlich partizipiert. Sollte diese Vermutung zutreffen, so ist es für den Staat verhältnismäßig leicht, sein Fernsehprogramm von jeglichen störenden Werbeeinschaltungen freizuhalten. Übrigens sind auch in Deutschland energische Bestrebungen im Gang, die Werbung von den Bildschirmen zu verbannen.

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Sehen wir nun aber einmal bewußt von den geschilderten kommerziellen Motiven ab, so zeigt die Werbung im Fernsehen einige nicht unbedeutende und in ihrer Wirkung nicht ungefährliche psychologische Aspekte. Bekanntlich liegen Wert und Erfolg einer Werbung in der ständigen Wiederholung, in dem unablässigen „Behämmern“ der Öffentlichkeit mit Namen, Bildern und Slogans. Diese Möglichkeiten sind nun auf dem Bildschirm, optisch und akustisch, In besonders günstiger Voraussetzung gegeben. Stärker als das Zeitungsinserat und auch als die Werbung im Kino „überfällt“ die Reklameeinschaltung auf dem Bildschirm den Zuschauer. Die Anzeigenseiten einer Zeitung kann ich ungelesen beiseitelegen, und ins Kino gehe ich eben erst, wenn die Werbeeinschaltungen vorüber sind. Viele Fernseher jedoch werden es sich überlegen, während kurzer Werbeeinlagen zwischen zwei Sendungen abzuschalten, um dann jedesmal aufs neue mit der Prozedur des Einregulierens von Ton und Bild zu beginnen. Mit dieser gewissen menschlichen Trägheit aber rechnen die Werbegestalter ebenso wie mit der Erwartung, daß auf die Dauer etwas von ihren Anpreisungen haften bleibt. In einem Zeltalter, da Massensuggestion, ja sogar Massenhysterie individualistisches Denken und Handeln zu übertönen versuchen, kann die immer stärker intensivierte und in die intimen Bezirke der Menschen eindringende Werbung zu einem gefährlichen „Verführer“ werden. Weckt sie doch Sehnsüchte, die in dieser Vielfalt für weite Bevölkerungsschichten aus sozialen und wirtschaftlichen Erwägungen eigentlich unerfüllbar sind. Das führt entweder zu Mißstimmungen oder steigert die schon vorhandene Tendenz zu einem „Leben über die Verhältnisse“ noch beträchtlich. Zum anderen aber wird der Neigung vieler

Menschen zum „Kllscheeidol“ auf diesem Wege über den Bildschirm, der für sie entscheidender Berater und Maßstab ist, immer mehr Vorschub geleistet. Verantwortungsbewußte Persönlichkeiten des Fernsehens in aller Welt können an diesen möglichen Konflikten nicht einfach vorbeigehen.

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Kompromisse zwischen wirtschaftlichen Bedingtheiten und künstlerisch gestalteten, aber auch erzieherischer Aufgabe bahnen sich an. Von Firmen finanzierte Unterhaltungsprogramme, Kurzfilme und Sendungen populärwissenschaftlichen und allgemein bildenden Inhalts liegen auf dieser Linie, die gewisse Aussicht hat, den Wünschen beider Seiten einigermaßen gerecht zu werden.

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