6594673-1952_49_09.jpg
Digital In Arbeit

Randbemerkungen ZUR WOCHE

Werbung
Werbung
Werbung

EIN VORSCHLAG, DER BEACHTUNG VERDIENT, wurde in diesen Tagen von der „Grünen Front“ erstellt. Diese Organisation hat sich nicht, wie ein uneingeweihter, an die politische Palette gewöhnter Staatsbürger glauben könnte, parteipolitische Ziele gesteckt; dem österreichischen Wald, seiner Erhaltung und seiner Pflege gilt vielmehr ihre besondere Aufmerksamkeit. Deshalb richtet die „Grüne Front“ auch an alle wahlwerbenden Parteien die Bitte, einen Teil des Wahlfonds für die Aufforstung abgeholzter Teile unserer Heimat einzusetzen, den Papierverbrauch — der Holzkonsum in Österreich liegt bekanntlich seit Jahren über dem Zuwachs — durch Einschränkung der Vielzahl von Plakaten und Flugzetteln sowie einen einfacheren Wahlvorgang in Hinblick auf den Bedarf an Stimmzetteln weitgehend herabzusetzen. Kein schlechter. Gedanke! Nochmals: er soll ernstlich erwogen werden. Wenn wir uns schon, was seinen ersten Teil, die Abzweigung von Mitteln aus dem Wahlfonds, betrifft, keinen Illusionen hingeben wollen, allein die Bitte der „Grünen Front“: Laßt die Bäume im Walde grünen, statt sie in sinnlosen und obendrein noch kostspieligen Papierschlachten zu verpulvern und in Abfallprodukte der Gasse zu verwandeln, ist gewiß ein Herzenswunsch der überwältigenden Mehrheit aller Österreicher.

DIE STÄRKUNG DES HEIMISCHEN KAPITALMARKTES und damit die Möglichkeit zu langfristigen Investierungen ohne Inanspruchnahme von Staatsmitteln ist ein wichtiges wirtschaftspolitisches Anliegen. Die völlige Vernichtung des Sparkapitals, die auch der letzte Krieg nach sich zog, hatte bisher hauptsächlich zwei Wege zur Finanzierung von Investitionen offengelassen: den Aufschlag dieser Aufwendungen auf die Preise der Produkte und die Einsetzung von Staatsgeldern. Beide Möglichkeiten tragen ihre Begrenzung in sich. Es ist daher grundsätzlich zu begrüßen, wenn die Stärkung der Kapitalsbasis durch Steuerfreihaltung von nicht entnommenen Gewinnen der Unternehmungen gefördert werden soll. Voraussetzung sollte sein, daß diese steuerbegünstigten Mittel später zur Förderung der Produktion, zur Gewinnung neuer Arbeitsplätze eingesetzt werden. Die sozialistische Zeitschrift „Die Zukunft“ (Heft 10/11) bringt nun zu einem Referat auf der „Betriebswirtschaftlichen Waehe“ eine Meldung, die zu denken gibt und die' die geforderte Steuerbegünstigung in einem neuen Lichte erscheinen läßt. Nach der dort behandelten Rede sollen steuerfreie Rücklagen den Unternehmungen die Möglichkeit bieten, „sich mit ihrem Angestelltenstab leichter den jeweiligen Konjunkturverhältnissen anzupassen“. Wie dies gemeint ist, wird in den nachfolgenden Ausführungen des Redners erklärt: „Heute unterbleiben vielfach Entlassungen von Angestellten, weil die Firmen nicht über die notwendigen Mittel zur Bezahlung der gesetzlichen Abfertigungen verfügen.“ Die Zeitschrift knüpft daran die Bemerkung: „Die Abfertigungen sollen also — zumindest teilweise — auf Kosten des Staatssäckels und nicht des Unternehmers gehen.“ Eine solche Absicht würde nun tatsächlich jenen Bestrebungen entschieden zuwiderlaufen, die darauf hinzielen, den Rückgang der Beschäftigtenzahl abzustoppen und — im Gegenteil — wieder mehr Arbeitskräfte in den Produktionsprozeß einzuschalten! Kann der Staat wirklich auf ihm gesetzlich zustehende Steueransprüche verzichten, wenn die Begünstigten hiedurch in die Lage versetzt werden sollen, in der Zeit steigender Arbeitslosigkeit weitere Arbeitskräfte freizusetzen, denen der gleiche Staat dann A r- beitslosenunterstützung geben müßte? Denn dies wäre ja das Endergebnis der Aktion, wie sie sich hier darstellt.

DREI MÄNNER, die für ihr Zeitalter symbolische Bedeutung haben, hat Alteuropa in wenigen Tagen verloren: Benedetto Croce, Charles Maurras, Sven Hedin. Größe, Grenze und Gefährdung des 19. Jahrhunderts, das wohl bis in die Zeit zwischen den beiden Weltkriegen reicht, stellen sie vor. Am eindeutigsten, klarsten erscheint Benedetto Croce. Dieser Erzvater eines Spätliberalismus, geschult im Denken des deutschen Idealismus, ist als Philosoph, Historiker, Kulturkritiker und Essayist immer geblieben, was er war: ein italienischer Großbürger, mit dem ihm eigenen Sinn für Maß und Mitte, mit einem kräftigen Schuß antiklerikaler Ressentiments, Nonkonformist, mißtrauisch gegen die „großen Mächte“. Die Welt der deutschen Universitäten, der internationalen Literatur, gepflegt in den Salons und (sehr guten) Zeitschriften, eines humanistischen Kosmopolitismus, wie ihn heute noch Madariaga und Ortega y Gasset vertreten, wurde durch ihn repräsentiert. Ganz anders Charles

Maurras; dieser „Ketzer" aus altem Ketzerraum, der hellenistischen und spiritualistischen Provence, berauscht sich an der Idee einer politischen Ordnung, die Aristoteles und Thomas von Aquin einschmelzen will in einem Gebilde seltsamer Art. Wir vermögen in ihm nicht, wie es oft geschehen ist, den bedeutendsten politischen Denker unseres Jahrhunderts zu sehen; nicht eben, weil Mussolini, Hitler und nicht wenige andere Potentaten auf der Suche nach ideologischen Stützen sich seiner Ideen bemächtigt haben, sondern weil dieser Feind der Deutschen, der Romantik und mancherlei Verwirrung selbst ein romantischer Schwärmer gefährlichster und sämigster Art war. Wahres und Falsches, Weit- und Kurzsichtiges, Gleißendes und Tiefes mischte er in seinen Werken, Reden und Aktionen (er, der Gründer der „Action Franęaise“). Maurras darf als Symbol jener starken, einseitigen, sehr fruchtbaren und sehr fragwürdigen Geister stehen, die seit der Spätromantik Europa beunruhigen. Sie begannen im frühen 19. Jahrhundert als Dichter, wurden dann Philosophen, zuletzt Religionsgründer, Politiker, Weltveränderer — in Planungen oft schrecklicher Art. Die Problematik dieses Zeitalters zeigt als letzter der unproblematischste der großen Drei, Sven Hedin, auf. Ein Fachgelehrter von Weltruf, der sich verpflichtet glaubt, auch Weltpolitik zu machen. Sven Hedin ist charakteristisch für eine Mentalität des „Fachmannes“, des „Spezialisten“, die heute allmählich in ihrer Gefährlichkeit erkannt wird. Während im eigenen Fache eine Fülle von Fragen und Fragwürdigkeiten gesehen werden, tendiert dieses Denken in allen anderen Bereichen zu linearen, primitiven kurzschlüssigen Lösungen. Die Angst vor Rußland, die Aversion gegen England prägen das Weltbild und politische Wollen Sven Hedins: als Allheilmittel für alle Krankheiten der heutigen Welt glaubt er dieser das deutsche Herrenvolk verschreiben zu müssen. Drei Männer, ein Geisteswissenschafter, ein Reformator, ein naturwissenschaftlicher Fachmann, in einer Epoche, als Spiegel ihres Reichtums, ihrer widerstrebenden Tendenzen. Gemeinsam ist allen dreien: der starke leidenschaftliche Wille, das Leben aus eigener Kraft zu meistern. Wobei ihre Überanstrengung ebenso sichtbar wird wie die Überforderung des Menschen durch ihre Zeit.

EINEN STURM DER ENTRÜSTUNG hat in der arabischen Welt das Wiedergutmachungsabkommen zwischen der westdeutschen Bundesrepublik und Israel hervorgerufen. Die arabischen Staaten drohen mit Boykott und Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Bann, und die ohnedies verworrene Lage im Nahen Osten hat eine weitere Komplikation erfahren. Auf den ersten Blick ist diese vehemente Reaktion nicht recht verständlich. Das Übereinkommen entspringt offensichtlich weder wirtschaftlichen noch politischen Ambitionen Westdeutschlands, sondern einem ethischen Postulat. Es sieht Warenlieferungen von insgesamt 715 Millionen Dollar vor, von denen Kriegsmaterial vertraglich ausgeschlossen ist. Die arabische Erregung ist also wohl so zu erklären, daß. die Ligastaaten gehofft hatten, „das israelische Boot werde durch Überfüllung untergehen, nachdem es mißlungen war, es durch Beschuß zu versenken“. Einmal, dürfte man in Bagdad und Damaskus gedacht haben, werde das noch nicht wieder urbar gemachte Palästina seine sprunghaft angewachsene Bevölkerung nicht mehr behausen, bekleiden und ernähren können. Bis zur Ratifikation des deutsch-israelischen Abkommens werden noch zwei Monate vergehen, und bis dahin mögen sich Mittel und Wege gefunden haben, die Spannungen auszugleichen, die es heute umgeben. Österreich kann aus diesen Erfahrungen manches lernen, denn es ist bekannt, daß auch gegen Österreich namhafte jüdische Restitutionsansprüche geltend gemacht werden. Man wird also, nach allem, hier wohl ebenso das „Wie“ als das „Was“ zu beachten haben. Und es mag nicht leicht sein, heute schon Vorsorge zu treffen, daß sich diese Forderungen nicht mit der im Staatsvertrag vorgesehenen Ablöse für das „deutsche Eigentum“ oder mit dem vermutlich noch mit Deutschland zu treffenden Abrechnungsakkord — am wenigsten aber mit beiden gleichzeitig materiell überschneiden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung