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Licht und Schatten

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Wenn zwei über Demokratie reden, >o meinen sie oft nicht dasselbe. Unter dem Klang dieses Wortes verbergen sich verschiedene Begriffe. Es ist müßig, auf den Mißbrauch dieses Ausdrucks in den sogenannten Volksdemokratien hinzuweisen. Demokratie ist dort ein leeres Schlagwort, unter dem sich die schrankenlose Herrschaft •iner Clique, einer Partei verbirgt.

Droht aber nicht auch bei uns die Gefahr, daß dieses inhaltsreiche Wort zur Phrase wird,? Der Volksmund spricht scherzhaft von der „Diktatur dividiert durch zwei“. In spaltenlangen Artikeln wird immer wieder auf die Auswüchse unserer Parteienherrschaft verwiesen, auf die nach dem Proporz vorgenommene Zweiteilung des Staates.

Das große Unbehagen hat mit der bekanntgewordenen Absicht der Parteien, den Proporz in Rundfunk und Fernsehen noch fester zu verankern, einen Höhepunkt erreicht. Die „Neue Zürcher Zeitung“ schrieb: ,JEs ist ein Charakteristikum der Vereinbarungen, daß der Dualismus in Österreich weitere Fortschritte macht: Immer mehr Funktionen werden doppelt besetzt, oder es werden gegen Machtpositionen der einen Seite Gegenpositionen aufgebaut.“

Generalmobilmachung...

Aber: War die Demokratie plötzlich so sehr bedroht, daß es einer Generalmobilmachung der öffentlichen Meinung bedurfte, um diese vor dem Untergang zu retten? Schwang schon das Damoklesschwert eines Diktators über den Häuptern der ahnungslosen Österreicher?

Was war denn, einmal ganz achlich betrachtet. Besonderes geschehen? War der Versuch, weitere „Koalitionsaufpasser“ in Rundfunk und Fernsehen zu installieren, nicht das Glied in der Kette einer jahrelangen Entwicklung, einer Entwicklung, die nicht nur den Rundfunk, sondern auch viele andere Bereiche des kulturellen und öffentlichen Lebens umfaßt?

Die politische Konstellation in den verschiedenen Verbandseinheiteri, Körperschaften und öffentlichen Einrichtungen in Österreich dürfte doch hinreichend bekannt ein:

• Da gibt es Bereiche, In denen der Proporz dominiert. Wir wissen, diese beschränken sich nicht auf die obersten Gremien der Gesetzgebung und der Verwaltung. Der Proporz kann so weit gehen, daß in einem Verwaltungsgebäude neben dem schwarzen Portier ein roter „amtiert“.

• Wir haben auch andere Institutionen (Krankenkassen, Staatsbetriebe, Gemeindeverwaltungen usw.), die kein solches Mehrfarbenspektrum in ihrer politischen Zusammensetzung aufweisen. Das sind die Domänen, die wahren Herzogtümer der einen oder anderen Partei. Durch eine „kluge Hausmachtpolitik“ (hie Parteibücherl, hie Posten) ist es möglich, dieses neuzeitliche Feudalsystem aufrecht zu erhalten.

• Bereiche, In denen die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Partei ein untergeordnete Rolle spielen, sind das Gerichtswesen und die untere Verwaltung (Bezirkshauptmannschaften). Allerdings, die Wahl der Bezirkshauptleut — die Sozialisten haben im nieder-österreichischen Landtag bereits ein derartige Forderung eingebracht — würde auoh hier eine Änderung schaffen. Die „Demokratisierung“ wäre gleichbedeutend mit der Verpoliti-•ierung.

1927 Ms 196J

Das zunehmende Mißtrauen gegen die Parteien hat seine Wurzeln nicht nur Im „Rundfunkdiktat“. Wie könnte man sonst das ungeheure Echo verstehen, das die Gegenaktion einiger unabhängiger Blätter erhielten? Man kann sagen, daß seit dem — nach dem Fehlurteil von Schattendorf — zum Fanal gewordenen Leitartikel eines Friedrich Austerlitz kaum ein Appell eines österreichischen Presseorgans soviel Bewegung ins Volk gebracht hat, wie manches, was in letzter Zeit in einigen Zeitungen gestanden ist. Austerlitz' Aufruf hat bekanntlich seinerzeit den Brand des Justizpalastes heraufbeschworen. Die beiden unabhängigen Blätter riefen das Volk zum Sturm auf die „Bastille des Proporzes“ auf. Daß e

ihnen gelungen ist, neben den schon lange Unzufriedenen auch tausende vom Wohlstand satte Österreicher aus dem Schlaf zu rütteln, das ist ein nicht zu leugnender Erfolg.

War es ein echtes Votum?

Durch die Massenkommunikationsmittel kann aber auch — das wird niemand leugnen — eine bestimmte Atmosphäre geschaffen werden. Genau so, wie man den Bedarf für dieses oder jenes Waschmittel künstlich wecken kann, ist es auch möglich, Stimmung für oder gegen bestimmte Personen oder Einrichtungen zu machen. Gerade der Proporz ist dafür ein „dankbares Objekt“. Der außengesteuerte Mensch von heute wird vom Sog der öffentlichen Meinung — oder von dem was dazu gemacht wird — nur allzu leicht mitgerissen. Die Frage: „War es ein echtes Votum?“ ist daher nicht leicht

mit Ja zu beantworten, zumal man in den vielen spaltenlangen, täglich niederprasselnden Kommentaren manche Autoren des Guten zuviel taten. Hatte da der unvoreingenommene Beobachter manchmal nicht das Gefühl, daß es neben der ehrlichen Besorgnis um die Demokratie auch um das Prestige der Zeitung gehe? Findet man nicht so viel Superlativ und so viel Suggestivkraft in den seriösen Zeitungen ansonsten nur bei Werbe-Preisausschreiben? Unterschrieben in den Betrieben und Ämtern herumgereichte Listen nicht auch viele, weil sie nicht aus der Reihe tanzen wollten? Das sind Tatsachen und Überlegungen, die auf die Schönheitsfehler eines solchen „Volksbegehrens“ hinweisen.

Die Kehrseite

Selbst auf die Gefahr hin, daß man von manchen belächelt wird, muß man auch die Kehrseite der Medaille genauer betrachten — bei aller Aner-

kennung des positiven Erfolges. Was sind die Folgen, wenn ständig, Tag für Tag, mit viel Pathos über die Proporzwirtschaft losgezogen wird? Wie soll da der Staatsbürger, politisch ohnehin manchmal noch ein Analphabet, Vertrauen zu den Parteien behalten? Zu jenen Parteien, die in einer Demokratie nun einmal die politische Willensbildung durchzuführen haben.

Fast scheint es so: Man wollte die Demokratie stärken und machte sie in weiten Kreisen der Bevölkerung fragwürdig.

Jetzt haben wir also — frei nach Carl Schmitt — die Urform der unmit-

telbaren Demokratie in Österreich gefunden: den Volksentscheid in der Form der Akklamation auf dem Wege über unabhängige Zeitungen. Es stellt sich die Frage: Werden in Hinkunft Volksbegehren über Zeitungen abgewickelt werden können?

Das Beispiel dieser Art des „Volksbegehrens“ in der Rundfunkfrage könnte Schule machen. So fragte ein Leser die „Kleine Zeitung“: Warum haben Sie nicht schon bei der Ministerpension einen solchen Sturm entfacht?“

Es gäbe sicher noch viele populäre Themen, die, Schalmeienklang in des Volkes Ohr, durchaus geeignet für eine ähnliche „Demonstration des Wählerwillens“ wären. Für die Herabsetzung der Steuern, der Preise und Handelsspannen fänden sich sicher auch viele Unterschriften, ebenso für die Hinaufsetzung der Löhne.

Auch wenn man davon überzeugt ist, daß in den Redaktionsstuben jener Blätter, welche die Volksbefragung in Sachen Rundfunk eingeleitet haben, Verantwortungs- und Staatsbewußtsein herrscht, muß man auf die Gefahren hinweisen, die derartige Aktionen mit sich bringen können. Zeitungen sind wertvolle Mittel der politischen Meinungsbildung — gerade in Österreich, wo es an einer echten Opposition mangelt —, aber denn doch nicht Mittel der politischen Willensbildung. Da würden ich die Parteien erübrigen. Es kommt aber in keiner Demokratie vot, daß der Wille des Volkes in Form eines Plebiszits von Tageszeitungen gebildet wird, als deren Exekutor etwa das vom Volk gewählte Parlament fungieren soll!

Prügelknabe Proporz

Noch eine Überlegung: Mit dem Schlachtruf: „Hinweg mit der Proporzwirtschaft!“, haben die unabhängigen Zeitungen den Sieg errungen. Aber nicht nur gegen die Auswüchse des Proporzes wurde zu Felde gezogen, sondern gegen jeden Proporz schlechthin, zumindest hatte es so den Anschein. Kann man sich jedoch eine Koalition vorstellen, in der die Positionen und Machtbereiche der Partner nicht klar umrissen, die Kompetenzen nicht abgesteckt sind? Es ist gerecht und natürlich, daß hier das Proportionalsystem Anwendung findet. Die proportionale Aufteilung sollte freilich nur für die führenden Positionen im öffentlichen Leben gelten, etwa in der obersten Vollziehung — das Amt des Bundespräsidenten und die Gerichtsbarkeit ausgenommen —, dann in den obersten Gremien der Länder und Gemeinden, wo das auf Grund der politischen Schattierung notwendig ist. Wollte man den Proporz ganz abschaffen, dann müßte man zuerst einmal unser Wahlsystem ändern. Es ist ja hinreichend bekannt, daß das Verhältnis- oder Proportionalsystem selten zu klaren Mehrheiten führt. Wenn man das nicht wollte, müßte man sich für die englische Gangart entscheiden. Die Folge wäre: keine Koalition, keinen Proporz. Eine Partei würde dann die Regierung bilden, die andere in Opposition gehen. Ist man dazu wirklich bereit?

Aufwertung der Demokratie!

Als Montesquieu die Trennung der Gewalten forderte, tat er es, um die Freiheit des einzelnen vor der Allmacht des Staates zu schützen. Heute ist die Freiheit des Individuums vor allem durch die Aufteilung des Staates seitens der Parteien bedroht. Vielleicht ist es nicht einmal so sehr das Streben nach Machtpositionen, als vielmehr das gegenseitige Mißtrauen, das die Parteien dazu bestimmt, immer mehr Einfluß und „Kontrollen“ fn allen möglichen Körperschaften und Institutionen anzustreben. Die Parteien werden sich um einen neuen Stil deT Zusammenarbeit bemühen müssen, es gilt, Ressentiments abzubauen und die Obstruktion zu unterlassen. Wie sehr unsere Demokratie bereits angeschlagen ist, zeigte die Unterschriftenaktion der unabhängigen Blätter. Es heißt jetzt, mit aller Kraft daran zu gehen, die Demokratie aufzuwerten — das ist der „Volksauftrag“ an die Parteien.

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