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Die Dilettanten bleiben an Bord

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Erhard Busek fürchtet um den Bestand seiner Partei: die ÖVP laufe Gefahr, in der Großen Koalition inhaltlich zu verrotten. Ist Busek lediglich ein Nestbeschmutzer?

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Erhard Busek fürchtet um den Bestand seiner Partei: die ÖVP laufe Gefahr, in der Großen Koalition inhaltlich zu verrotten. Ist Busek lediglich ein Nestbeschmutzer?

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Die Regierungsverhandlungen sind abgeschlossen, die Koalition ist fixiert, die Ministerposten sind besetzt, die Opposition ist bestimmt. Die Rollenzuteilungen sind erfolgt — das Spiel kann beginnen, obwohl das Publikumsinteresse gering ist.

Diese Skepsis gegenüber dem neuen Regierungsbündnis bezieht sich nicht so sehr auf das erreichte Verhandlungsergebnis, sondern liegt darin begründet, daß'keine der Großparteien nach außen hin deutlich gemacht hätte, daß ein neues Verständnis von Politik auch eine radikale Änderung der Parteien nach sich ziehen müßte.

Man hat im Gegenteil den Eindruck, daß die Zusammenarbeit der beiden Großparteien — eben weil dieser Erneuerungswille auf beiden Seiten fehlt — eine Situation heraufbeschwören könnte, die zu einer noch stärkeren Par-

teienverdrossenheit führt. Wenn zwei Betrunkene, die allein nicht mehr gehen können, sich um den Hals fallen, heißt das noch nicht, daß sie zu zweit einen Weg finden werden.

In der Regel werden nicht jene als Nestbeschmutzer bezeichnet, die den Schmutz verursacht haben, sondern die, die darauf hinweisen. Das Kuriose an der Sache ist, daß führende Politiker, aber auch Wissenschaftler schon mehrfach auf die Notwendigkeit der Reform der großen Parteien hingewiesen und auch konkrete Maßnahmen dazu genannt haben, daß aber nichts dergleichen geschehen ist.

Einem raschen gesellschaftlichen Wandel stehen die großen politischen Parteien in ihrer Organisation so gegenüber, wie sie im 19. Jahrhundert gegründet wurden.

Was sind die häufigsten Einwände gegenüber Parteien? Partei- vor Gemeinwohl: Durch die Machtpositionen, die Parteien im Staat vertreten, kommen sie in Kollisionen zu Wählern und Mitgliedern.

Beispiel Umweltschutz: Das Interesse der Bürger an einer lebenswerten und gesunden Umwelt muß heute ein zentrales Anliegen jeder Partei sein. Wie können aber die führenden politischen Repräsentanten diesem Anspruch gerecht werden, wenn sie zugleich Machtkompetenzen in staatlichen Elektrizitäts- und Kraftwerksgesellschaften wahrnehmen?

Beispiel Interventionen: Ein Teil der Arbeit mancher Politiker besteht darin, für Bürger Vorteile verschiedenster Art beziehungsweise Ausnahmeregelungen zu erwirken, um dadurch die Einflußmöglichkeit seiner Person (seiner Partei) deutlich zu machen. Politik heißt Intervention — Intervention heißt Politik.

Beispiel Funktionärsherrschaft: Die „Demokratisierung aller gesellschaftlichen Bereiche“ hat zu einer Verstaatlichung der politischen Macht geführt. Das Ergebnis war nicht Dezentralisierung und Liberalität, Aufteilung oder Kontrolle der Macht, sondern diese wurde unter Mitwirkung der politischen Parteien „verstaatlicht“ und Funktionärseliten übertragen. Diese haben sich verselbständigt. Sie sind zu einer gesonderten politischen Mittelklasse geworden.

Die Wähler sind dieser Mittel-

klasse gleichgültig geworden, denn Parteisiege sind für Funktionäre wichtiger als Wahlsiege. So bleibt für engagierte und kritische Bürger wenig Raum zur Mitwirkung. Im Gegenteil.

Die Parteien werden von den Bürgern als Machtkartelle betrachtet, denen es primär um die Stabilisierung von Einfluß und Macht geht und nicht um die Sorgen und Probleme der Bevölkerung oder das Einbringen neuer Ideen, die als nachrangig, bisweilen sogar als unerwünscht angesehen werden.

• Dilettantismus statt Professionalität: In vielen Bereichen würde die Kritik gegenüber Parteien geringer sein, wenn sie professionell im Bereich der Organisation, des

Marketings, des Dokumentationswesens, der wissenschaftlichen Grundlagenforschung und so weiter arbeiten und ihre Vertreter über die nötige Kompetenz (Intelligenz/Charakter) verfügen würden.

Professionalität beginnt bei der Rekrutierung jenes Personals, das die Partei in der Öffentlichkeit vertritt. Jeder größere Wirtschaftsbetrieb ist an der Weiterbildung seiner Mitarbeiter interessiert, wählt danach gezielt seine Führungskräfte aus.

Die politischen Bildungsinstitutionen der Parteien werden

zwar mit hohen Summen öffentlich gefördert, können aber der Aufgabe der Selektion oder des Heranbildens von qualifziertem politischen Führungspersonal nicht nachkommen. Zum einen werden sie von den politischen Parteien dazu nicht herangezogen, zum anderen wären sie dazu mit dem zu breiten, unter Volkshochschulniveau gelegenen Bil-durlgsangebot auch nicht in der Lage.

Im Mief mangelnder Professionalität wird alles, was diesen Geruch nicht besitzt, als „abweichendes Verhalten“ gewertet. Personen, die diesem Konformismus nicht huldigen, sind bald als Außenseiter abgestempelt.

Personen, die aufgrund ihrer

Qualifikation auch anderswo gesellschaftliche Anerkennung erreichen können, meiden daher die Mitarbeit bei politischen Parteien. Dieser Mangel an intellektueller Kapazität für die politischen Parteien wird dann anderswie implantiert, in Form von 1.400 „Experten“ oder Zukunftskommissionen ...

• Mangelnde Motivation der Politiker: Dadurch, daß Großparteien möglichst viele Wähler ansprechen wollen, sinkt ihre Bereitschaft, Konflikte in Grundsatifragen auszutragen, weil dies den Verlust von Wählergruppen be-

deuten könnte. Die Parteien werden einander ähnlicher. Und da es nicht mehr um unterschiedliche Grundsatzfragen geht, um Weltanschauungsprobleme, haben sich auch die Motive für den Zugang zur Politik geändert.

„Gerade diejenigen, die in einer Partei etwas werden, gehen in sie mit einem immer schwächeren Prinzipienbewußtsein, aber mit einem immer stärkeren Willen zur Karriere hinein. Damit verliert die Bindung zu einer Partei mehr und mehr ihren ideellen, in einem tieferen Sinne legitimierenden Charakter, sie wird zu einer nützlichen Erwerbsgemeinschaft, an die man aber gerade so viel wendet, wie sie eben Nutzen abwirft“ (Wilhelm Hennis in: „Die mißverstandene Demokratie“). Wichtigste Motivation sind der Wille zur Macht, der Wunsch nach Anerkennung und erhoffte materielle Vorteile.

Die Kritik und Unzufriedenheit vieler Bürger mit den politischen Parteien entspricht keiner grundsätzlichen Ablehnung. Es geht dabei vielmehr um die innere Ver-faßtheit der politischen Parteien sowie eine Präzisierung ihres Aufgabenbereiches, um das Uberwuchern ihres Einflusses in alle gesellschaftlichen Bereiche hinein zu stoppen.

Hiefür sind auch formale Voraussetzungen notwendig: ein Persönlichkeitswahlrecht, das der Person und nicht wiederum den Parteilisten den Vorrang einräumt (in den Gemeinden etwa die Bürgermeister-Direktwahl); der Politiker auf Zeit; die Reduktion öffentlicher Gelder an politi-

sehe Parteien; die rechtliche, aber auch finanzielle Möglichkeit, direktdemokratische Vorgänge wie Volksbegehren und Volksbefragung durchführen zu können; die Auflösung des ORF-Monopols.

Diese und andere formale Voraussetzungen sollen es ermöglichen, die gefesselte politische Phantasie zu mobilisieren. Die heutigen Parteien antworten auf die Herausforderungen einer sich ständig ändernden Gesellschaft meist zu spät und mit konventionellen Vorschlägen.

In einer neuen (offenen, demokratischen und vielleicht auch freundschaftlichen) Partei sollte insbesondere die Phantasie bewußtgefördert und angeregt werden. Neue Fragen sollten von den Mitarbeitern so bald und so vorurteilslos wie möglich behandelt werden, unter Mitarbeit all jener Fachleute, die zu einer Problemlösung etwas beitragen können (ohne auch irgendwo Mitglied zu sein). So könnten Routine und Erstarrung vermieden werden.

Durch das Dickicht der Funktionärsherrschaft sollten sich die Parteien öffnen zum Wähler und die Sorgen der Menschen durch persönliche Erfahrung kennenlernen.

Entscheidend wird aber auch sein, daß in dieser anderen Art von Partei keiner das Mitfahren im Schlafwagen der politischen Entwicklung als seine Jlauptauf-gabe betrachtet, sondern das selbständige Handeln.

Der Autor ist Wiener Landtagsabgeordneter und Gemeinderat der OVP.

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