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Kein Geld — viel Musi

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Die Angelegenheiten des Oesterreichischen Rundfunks boten in der letzten Zeit viel Stoff für kräftige Schlagzeilen. Nicht, daß die Zeitungen Anlaß gefunden hätten, über seine außerordentlichen Leistungen zu schreiben, so etwas ist seit 1945 eigentlich noch nie vorgekommen, sondern der Rundfunk braucht, wie seine Leiter meinen, Geld. Einmal deshalb, um den gegenwärtigen Betrieb aufrechtzuerhalten, anderseits dazu, um das Programm zu verbessern. Darauf reagierte nun — wie das in Oesterreich zu sein pflegt — die eine Hälfte der Oeffentlichkeit süß, die andere sauer. Und so kam es, daß — wie dies ebenfalls in Oesterreich zu sein pflegt — alles beim alten blieb. Der besagte sauer reagierende Teil der Oeffentlichkeit ließ es allerdings nicht bei einer kommentarlosen Ablehnung bewenden, sondern motivierte sie damit, daß der Rundfunk zunächst Reformen im eigenen Bereich vornehmen sollte, bevor die Taschen der Hörer in Anspruch genommen werden. Die Antwort auf diese Aufforderung bestand darin, daß als drittes Programm ein Musikbrei vorgeschlagen wurde. Dagegen protestierten zwar der Rundfunkbeirat und die Volksbildner, aber das focht die Leitung des Rundfunks wenig an. Wer übrigens angenommen hätte, daß der Rundfunkbeirat ob seiner Behandlung als Quantite negligeable zurückgetreten sei, täuscht sich — denn auch das pflegt in Oesterreich so zu sein. Immerhin blieb als Frucht dieser Ereignisse eine gewisse, kurz bemessene Sendezeit für eine Diskussion zwischen den Verantwortlichen des Rundfunks und einigen Reportern. Da wurden interessante Sachen diskutiert, allerdings dem Kernproblem des zeitgenössischen Rundfunks mit einer Beharrlichkeit aus dem Wege gegangen, die zweckmäßiger auf seine Reorganisation anzuwenden gewesen wäre.

Man hätte nämlich die Frage klären müssen, welche Position der Rundfunk im zeitgenössischen Kulturleben einnimmt, ob er die ihm zufallenden Aufgaben erfüllt oder auf welche Weise er den Erfordernissen der Zeit entsprechen könnte.

Die westliche Welt erlebt seit dem zweiten Weltkrieg eine Periode, die, im weitesten Sinne verstanden, als solche des Wirtschaftswunders beschrieben werden könnte. Zu dem ständigen Produktionsfortschritt gesellt sich ein Zustand relativer sozialer Stabilität. Wir erleben eine Periode, wie sie — unter sozialem Gesichtswinkel gesehen — seit dem Ausbruch der kapitalistischen Revolution noch nie dagewesen ist. Dennoch bemerkt man in diesem so erfreulichen Zustand immer mehr Zeugnisse des Unbehagens. Symptome dieser Entwicklung sind, daß die Menschen sich allmählich das Denken ab-

gewöhnen, die schöpferische Phantasie und auch die allerletzten Beziehungen zur Kunst verkümmern. Die Bildung sinkt auf eine erbarmungswürdige Stufe herab, die Menschen verlieren die Fähigkeit, sich vernünftig zu unterhalten, und werden in einem Strom vorfabrizierter Vergnügungen von einer Sensation zur anderen geschwemmt.

Die Protagonisten dieser Entwicklung sind im allgemeinen Unternehmerpersönlichkeiten — also solche, deren Existenz bei den in diesem Sommer abgehaltenen Gesprächen in Alpbach als Voraussetzung für den Bestand der westlichen Freiheit erklärt wurde. Durch die Produktion von Bildzeitungen, Illustrierten, Schundfilmen und Schnulzen tragen sie selbst diesen modernen „Kulturkampf“ mit Erfolg in immer breitere Bevölkerungsschichten. Der Widerstand gegen eine solche Entwicklung kommt aus den verschiedensten Kreisen unserer Gesellschaft, stützt sich besonders stark auf alle öffentlichen Einrichtungen, mit einer Ausnahme — dem Rundfunk!

Diese Behauptung wird auch vielen kritischen Geistern etwas kühn erscheinen, und sie werden darauf hinweisen, daß unser Rundfunk — was immer man gegen sein Programm sagen könne — doch eine Reihe sehr hochwertiger Sendungen liefere. Die Problematik liegt allerdings darin, daß diese Sendungen für die kulturelle Entwicklung der Masse irrelevant sind. Entscheidend für sie ist das Niveau der relativ anspruchslosesten Sendung. Genau so wie der Zeitgenosse lieber zu Illustrierten greift als zu einer Wochenzeitung, weil ihn das Bild der Mühe des Lesens und einer allfälligen Imagination enthebt, genau so dreht er im Radio — sei es, um sich berieseln zu lassen, sei es, um zuzuhören — die leichteste Musik, die Schnulze, an. Nun kann der Oester- reichische Rundfunk geradezu als ihr Vorkämpfer angesprochen werden. Diese wurde bekanntlich in Deutschland geboren.

Den musikalisch sterilen „Melodien“ sind die oft haarsträubend stumpfsinnigen Texte ebenbürtig. All das erwirbt der Oesterreichische Rundfunk, spielt es und erfüllt damit seine kulturelle Mission. Es gibt eine Unzahl gefälliger, hübscher Melodien italienischer oder französischer Provenienz, nicht zu reden von der großen amerikanischen Jazzliteratur oder den zahllosen Bearbeitungen der Musicals. Aber gesendet werden hauptsächlich Schnulzen.

Man wird mit dem Argument kommen, daß die Hörer andere Stationen wählen werden, um die ersehnte Musik zu erhaschen. Nun, das müßte die Sorge des Oesterreichischen Rundfunks nicht sein, denn Einnahmen verliert er ja keine. Uebrigens sorgen die schlechten Empfangsverhältnisse bei ausländischen Stationen schon dafür, daß der Hörer im Lande bleibt.

Aber mit diesen Ueberlegungen sind wir beim neuralgischen Punkt des Problems angelangt. Die Verantwortlichen werden nämlich sagen: „Das ist alles vom volksbildnerischen Standpunkt sehr interessant und richtig, aber wir haben uns nach den Wünschen der Hörer zu richten.“ Es soll gar nicht untersucht werden, wie weit der Rundfunk daran schuld ist, daß dieser musikalische Schund überhaupt populär werden konnte; hätte man jene Schallplatten von Anfang an in den Mistkübel geworfen, wer weiß, ob sie je bekanntgeworden wären. Aber damit soll der Antwort auf dieses Argument nicht ausgewichen werden.

Unsere Staatsform räumt jedem Bürger das Recht ein, darüber zu bestimmen, wie er regiert werden wolle. Das ist so, weil man — mit allen Einschränkungen — voraussetzen darf, daß er vernünftig genüg sei, nur solche Leute Zu bestimmen, die eine Politik zu seinem Nutzen treiben. Das demokratische Mitbestimmungsrecht ist den Menschen nicht geschenkt worden, sondern sie haben es sich erkämpft und damit den Beweis ihrer Reife erbracht; mit der politischen hat leider die kulturelle Emanzipation nicht Schritt gehalten. Zunächst deshalb, weil der Mangel an materiellen Mitteln es den breiten Bevölkerungsschichten unmöglich machte, am Kulturleben teilzunehmen. Später darum, weil es eine kulturell führende Klasse nicht mehr gab, und heute, weil die findige Privatinitiative die Möglichkeit entdeckte, durch Primitivität Geld zu machen. Es ist daher Aufgabe jeder verantwortlichen Politik, die den Menschen und die Entfaltung seiner persönlichen Werte zum Ziele hat, eine Erziehungsarbeit in größtem Maßstab zu leisten. Damit ergibt sich, daß öffentliche Institutionen nicht die Aufgabe haben, den Hang zur Primitivität zu nähren, sondern ihn zu bekämpfen. Auch mitunter gegen den Willen der Betroffenen, Wo käme man schließlich in einer Schule hin, wenn man den Schülern die Wahl überließe, was sie selbst zu lernen wünschten. Ein privates Unternehmen mag sich den Wünschen der untersten Hörerschicht anpassen müssen, ein verstaatlichtes braucht sich diesem Zwang nicht zu beugen. Die während der letzten Jahre überaus beliebte Polemik um die Verstaatlichung hat es vermocht, deren eigentlichen Zweck zu vernebeln. Oeffentliche Betriebe haben sich nämlich nicht unter allen Umständen nach privat- wirtschaftlichen Grundsätzen zu richten, sondern nach jenen des Gemeinwohls.

Daraus folgt, daß auch ier Rundfunk unter Umständen sein Programm gegen den Willen der Hörer gestalten muß. Im übrigen ist es noch sehr ungewiß, ob es wirklich zu einer Revolution führte, wenn man die Schnulze vom Programm verbannte. Es ist endlich an der Zeit, daß sich die Verantwortlichen ihrer kulturpolitischen Verantwortung bewußt werden. Bis dahin wäre es tatsächlich eine ernste Frage, ob man der Gebührenerhöhung für einen Rundfunk zustimmen kann, der effektvoll auf die allgemeine Primitivierung hinarbeitet. Zu Reformen auf diesem Gebiet bedürfte es keines Groschens. Bis dahin wären weitere Mittel für den Rundfunk fast gefährlich.

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