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Das Unbehagen am Rundfunk

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„Die Orgel ist ein christlichsoziales Parteiinstrument.'“ Mit diesen Worten erhob bereits vor dem Kriege ein parteipolitischer Übereiferer Einspruch gegen die — nach seiner Meinung zu häufige — Verwendung der Orgel im Radioprogramm. Es geschah dies noch im Schöße des Radiobeirates der Ravag, dem zweifellos zuständigen Gremium zur Entfaltung derart entwaffnender, eines gewissen naiven Humors nicht entbehrender Parteilogik. Heute hat die allmählich zunehmende Erkenntnis von der Bedeutung des Rundfunks zur Austragung zwischenparteilicher Rundfunkdifferenzen auf der Gasse geführt. „Skandal im Rundfunk“ lautet die Parole, unter der die in der nächsten Zeit zu erwartende Parteienaussprache über die Bereinigung des ausdauernd schwelenden Rundfunkkomplexes beginnen soll. „Je höher hinauf der Dreck spritzt, desto besser“, sagen sich in äußerst hellsichtiger Einschätzung der Konsequenzen die mehr oder minder verantwortungsbewußten Strategen und ihre Tintenkulis.

Am Anfang stand und steht noch immer die prekäre Budgetsituation des Rundfunks; merkwürdigerweise jedoch sind sich — trotz allem taktischen Geplänkel — die beteiligten Parteien längst und zugegebenermaßen darüber im klaren, daß sich mit der monatlichen Hörergebühr von 7 S kein moderner Rundfunkbetrieb aufrechterhalten läßt und der schließliche Ruin der Gesellschaft kaum noch lange aufzuhalten sein wird. — Aber jeder der beteiligten Partner will sich seine Zustimmung zu der nun einmal unumgänglichen Regelung der Gebühren möglichst teuer bezahlen lassen und sich bei dieser Gelegenheit so viele Vorteile wie nur immer greifbar für seine eigene Position sichern. Diese ohne Rücksicht auf faktische Erfordernisse insbesondere auf dem Personalsektor vorangetragene unsachliche Aggressivität — die allmählich die Formen des „Catch as catch can“ annimmt — vergiftet die Atmosphäre weit über den unmittelbar betroffenen Umkreis hinaus, sie diskreditiert ein bei vernünftigem Maß noch halbwegs zu rechtfertigendes Proporzsystem in den Augen der Öffentlichkeit völlig und setzt an die Stelle des Geistes der Koalition — dem die Zweite Republik bisher ihre Stabilität verdankte — eine gewisse Sterilität. Vor dieser Situation wird die Regierungsführung nicht mehr lange die Augen verschließen dürfen, wenn vermieden werden soll, daß sich aus der ständigen Malaise unseres Rundfunks allmählich der Schluß auf eine ebensolche Malaise unseres gesamten politischen Systems ergibt.

Es wäre nämlich durchaus ungerechtfertigt, die Schuld für diesen Notstand etwa primär und allein beim Rundfunk selbst zu suchen. Auch das soll einmal deutlich ausgesprochen und in Erinnerung gerufen werden: Während der für Österreichs Schicksal so gefahr- und entscheidungsvollen Nachkriegsjahre hat der Österreichische Rundfunk trotz direkter Einmischungsversuche und Pressionen stets eine unbedingt verläßliche, heimattreue und überparteiliche Rolle gespielt und bildete auf dem Wege Österreichs in die Freiheit eine wichtige Brücke. Als Stimme Österreichs leistete er der Wiederherstellung des guten österreichischen Rufes in der Welt große Dienste, mit einem von Traditionsbewußtsein und aufrichtigem humanistischem Geiste getragenen Programm setzte er sich inmitten der Verwirrungen und Unsicherheiten unbeirrbar für den Glauben an ein wahres Menschentum und für die höheren sittlichen Werte ein. Vor wenigen Tagen erst gedachte man der entschlossenen Haltung des österreichischen Volkes während der KP-Putschversuche im September und Oktober 1950; es wäre nützlich, einmal den unmittelbaren Beitrag des Rundfunks für den Fortbestand eines freien Österreichs zu untersuchen. Jedenfalls haben die Angehörigen des Österreichischen Rundfunks — und auch die Leitenden — nachgerade einen Anspruch darauf, eine diskreditierende Situation beendet zu sehen, in der von einer objektiven Wertung ihrer Tätigkeit keine Rede mehr ist, in der sie ein jeder für seine Zwecke einzuspannen versucht und in der von außen her das Klima ihres eigenen Arbeitsbereiches systematisch verdorben wird. Es könnte den Angestellten des Rundfunks ja schließlich auch einmal einfallen, sich dagegen nachdrücklichst zur Wehr zu setzen und jene in die Schranken zu weisen, die als Handlanger des Kollektivismus bewährte und loyale Institutionen wie Freiwild vor sich herzutreiben suchen. Man gebe sich keiner Täuschung hin: An der Nahtstelle zwischen Ost und West, zwischen Sklaverei und Freiheit, ist der Rundfunk ein unendlich gewichtiges Instrument, dessen verantwortungsbewußte Handhabung und bestmögliche Ausstattung dem Staate alle Aufmerksamkeit wert • sein müßte. Unbeirrt von der Parteien Gunst oder Haß muß hier fachlich qualifizierten Kräften eine echte Kulturarbeit ermöglicht werden, die der Sendung Österreichs in einer zerrissenen, vermaterialisierten Welt entspricht.

Immer wieder hört man die Frage: „Weshalb herrschen derartige Zustände im Österreichischen Rundfunk?“ Die allein zutreffende Antwort lautet: Weil die unter so vielen Wehen geborene, aber zu sehr auf die Position der Parteien bedachte Konstruktion des Rundfunks eine allzu komplizierte ist; weil keine klare, verantwortliche Leitung des Unternehmens ermöglicht wurde, weil die Unabhängigkeit des Rundfunks, die allein einem demokratischen Staatswesen entspräche, von vornherein nicht garantiert war. In Anbetracht der jetzigen Verhältnisse ist man versucht, eine Parallele zu Chruschtschows Triumviratsvorschlag zur Lähmung der UN zu ziehen. Das einzig mögliche Rezept für eine Sanierung des Rundfunks ist: Man bekenne sich endlich zu einer klaren, unparteiischen und unabhängigen Struktur des Rundfunks in echtem demokratischem Geiste.

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