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Jugendschutz und Fernsehen

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Mit diesem Beitrag greift ein zuständiger Fachmann, der Verbandsgeschäftsführer des Hauptverbandes der Lichtspieltheater Oesterreichs, die das bevorstehende Aufkommen des Fernsehens in Oesterreich notwendig als Konkurrenz empfinden müssen, mit Mut und Weitblick erstmals das Thema Jugendschutz und Fernsehen auf. Es liegt in der Neuheit und Schwierigkeit der Materie, wenn darin vorerst der ganze Fragenkomplex ohne einen bestimmten Lösungsvorschlag vorgestellt wird. Die Leser der „Furche“ sind herzlich eingeladen, durch Fortsetzung der Diskussion an der Klärung der eminent wichtigen und aktuellen Frage (in Westösterreich erreichen bereits eine stattliche Anzahl von Fernschern die ausländischen Sendungen) mitzuwirken.

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Mit diesem Beitrag greift ein zuständiger Fachmann, der Verbandsgeschäftsführer des Hauptverbandes der Lichtspieltheater Oesterreichs, die das bevorstehende Aufkommen des Fernsehens in Oesterreich notwendig als Konkurrenz empfinden müssen, mit Mut und Weitblick erstmals das Thema Jugendschutz und Fernsehen auf. Es liegt in der Neuheit und Schwierigkeit der Materie, wenn darin vorerst der ganze Fragenkomplex ohne einen bestimmten Lösungsvorschlag vorgestellt wird. Die Leser der „Furche“ sind herzlich eingeladen, durch Fortsetzung der Diskussion an der Klärung der eminent wichtigen und aktuellen Frage (in Westösterreich erreichen bereits eine stattliche Anzahl von Fernschern die ausländischen Sendungen) mitzuwirken.

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Bis vor wenigen Wochen noch hat über die geplante Einführung des Fernsehens in Oesterreich ein Schweigen geherrscht, das um so bemerkenswerter war, als die Vorbereitungsarbeiten zur technischen Durchführung und zur finanziellen Fundierung des Fernsehsendebetriebes mit besonderem Eifer betrieben worden sind und werden. Auch als man vor kurzem den Vorhang, der den in Vorbereitung befindlichen Fernsehbetrieb vor der Oeftentlichkeit abdeckt, eine Spalte breit geöffnet hatte, geschah dies nur, um einige Fanfarenstöße mit Ankündigungen über den Zeitpunkt der Betriebsaufnahme, Anzahl der Sender, Relaisstationen usw. erschallen zu lassen.

Angesichts dieser Tatsache und des Termins für die Aufnahme des Sendebetriebes — die Salzburger Festspiele 195 5 — kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, als ob es beim Fernsehen bloß technische und finanzielle Probleme zu lösen gäbe, während doch in Wirklichkeit die kulturpolitische Bedeutung dieses jüngsten Kindes der Technik evident ist und sich im übrigen eine ganze Reihe noch ungelöster Fragen im Zusammenhang mit dem Fernsehen ergibt.

Dabei fehlt es gewiß nicht an Anschauungsunterricht, wozu man sich nicht einmal mehr ins Ausland bemühen muß. Es genügt, die Er-' fahrungen zu sammeln und zu verwerten, die sich im Inlande bieten, denn die zum Teil vorzüglichen Empfangsverhältnisse in den Grenzbezirken Oberösterreichs haben bereits bewirkt, daß dort schon zu Beginn.des Jahres etwa 150 Fernsehempfänger in Betrieb gesetzt wurden.

Im besonderen verdient dabei die Frage der Zulassung Jugendlicher und Unmündiger zur öffentlichen Wiedergabe von Fernsehsendungen nähere Betrachtung. Im Jänner dieses Jahres ist beispielsweise vom bayrischen Wendelsteinsender eine Fernsehsendung unter dem Titel „Im fünften Stock“ ausgestrahlt und auch von österreichischen Fernsehempfängern aufgenommen beziehungsweise auch öffentlich wiedergegeben worden. Es handelt sich hierbei um einen Pariser Sketch, der an Eindeutigkeit nichts mehr zu wünschen übrig ließ. Diese Sendung wurde unter anderem auch in verschiedenen öffentlichen Lokalen empfangen und auch von Jugendlichen aller Altersstufen betrachtet. In einem anderen Falle wurde der Fernandel-Film „Der Damenfriseur“ gesendet, der in den österreichischen Kinos für Jugendliche nicht zugelassen ist.

Schon an diesen beiden Beispielen wird deutlich, daß man sich rechtzeitig mit der Frage der Zulassung Jugendlicher zu Fernsehübertragungen wird befassen müssen, insbesondere was den Fernsehempfang in der Form der öffentlichen Wiedergabe betrifft. Für Filmaufführungen in den Lichtspielhäusern findet sich eine gesetzliche Regelung in den einzelnen Landeskinogesetzen, und . die ansonst verfassungsgesetzlich gewährleistete Zensurfreiheit gemäß dem Beschluß der provisorischen Nationalversammlung vom 30. Oktober 1918 ist durch diese Vorschriften aus jugendpolizeilichen Gründen einer Einschränkung unterworfen.

Nun kann es zwar keinem Zweifel unterliegen, daß der Grundsatz der Zensurfreiheit auch für das Fernsehen Gültigkeit hat, ohne daß dieses ausdrücklich in dem Beschluß der provisorischen Nationalversammlung genannt sein konnte, wie auch das Lichtspielwesen darin nicht genannt ist und erst der Verfassungsgerichtshof im Jahre 1926 eine ausdrückliche Feststellung in diesem Sinne hatte treffen müssen. Dies schließt aber keineswegs aus, daß die für die Erlassung der Zulassungsbeschränkungen in bezug auf Jugendliche bei Filmaufführungen maßgebenden rechtspolitischen ' Erwägungen auch für das Fernsehen zutreffen. Allerdings bestehen keine auf das Fernsehen bezüglichen Rechtsvorschriften dieser Art. Zweifellos aber sind die einschlägigen Bestimmungen der Lan-deskinogesetze hierauf anwendbar, soweit es sich um die Sendung von Filmen (Laufbildern) im Fernsehfunk bzw. um deren öffentliche Wiedergabe handelt. Damit erscheint bei entsprechender Einhaltung dieser Bestimmungen der oftmals befürchtete nachteilige Einfluß gewisser Filme auf Jugendliche und Unmündige auch dann ausgeschlossen, wenn sie durch Fernsehfunk übertragen werden. Ferner wäre damit die unerläßliche Gleichstellung zwischen Film-aufführungen im Fernsehfunk und im Lichtspieltheater Zumindestens in der Theorie hergestellt.

All dies sieht aber leider in der Praxis ganz anders aus. Das Programm der Fernsehsender kann zwar ebenso wie das der Rundfunksender angekündigt werden. Woraus aber die mit der Ueberwachung betrauten behördlichen Organe entnehmen sollen, welche Sendungen für Jugendliche ungeeignet sind, bleibt vorläufig noch ungeklärt. Aber selbst wenn ihnen dies zeitgerecht zur Kenntnis kommen würde, lassen sich naturgemäß zwei oder drei Lichtspieltheater in einer Stadt vermöge der räumlichen Geschlossenheit der Betriebsstätten und des Einlaßzwanges gegen Vorweis von Eintrittskarten leichter überwachen als dreißig bis vierzig Fernsehempfänger in Gaststätten und Cafes oder gar eine Wiedergabe vom Geschäft des Rundfunkgerätehändlers auf die Straße hinaus, wie dies im Bereich der Bundesrepublik Deutschland vielfach geschieht. Wie überwacht ferner der Veranstalter selbst das Sendeprogramm? Weist er Jugendliche bei für sie ungeeigneten und unzulässigen Sendungen aus dem Lokal oder schaltet er auch für die anwesenden Erwachsenen ab?

Wie man sieht, eine Reihe ungelöster und zum Teil unlösbarer Fragen, und noch ist der Komplikationen kein Ende. Etwa 50 Prozent der Fernsehsendungen sind nach den Erfahrungen des Auslandes Wiedergaben von Filmen, die andere Hälfte des Programms besteht aus Direktsendungen. Wie sind Sendungen letzterer Art unter dem Gesichtspunkte des Jugendschutzes zu werten? Abgesehen von den Schwierigkeiten, lebende Sendungen daraufhin zu beurteilen, erscheint es fraglich, ob die einschlägigen landesgesetzlichen Bestimmungen, die auf die Vorführung von Laufbildern abgestellt sind, auf Direktsendungen wegen ihres, bloß in der Wiedergabe filmvorführungsähnlichen Charakters herangezogen werden können.

Damit ist aber erst das Feld des Fernsehempfanges in der Form der öffentlichen Wiedergabe abgesteckt. Noch viel schwieriger wird diese Frage beim privaten Fernsehempfang in der Wohnung. In Anwesenheit der Kinder wird der Großreil der Eltern zweifellos auf die eine oder andere Sendung verzichten, womif an sich eine viel vernünftigere und individuellere Handhabung der Jugendzensur sichergestellt wäre als die notwendigerweise mehr schematische und generalisierende Handhabung der behördlichen Jugendzensur. Was aber, wenn der Elfjährige allein zu Hause ist und den Fernsehempfänger einschaltet?

Bei dieser Sachlage wird es wahrlich nicht leicht sein, für beide Varianten befriedigende Lösungen zu finden, denn die Anwendung verschiedener Maßstäbe auf die Vorführungen im Lichtspieltheater einerseits und im Fernsehfunk anderseits verbieten nicht nur rechtsstaatliche Erwägungen, sondern ebensosehr auch die Erfordernisse des Jugendschutzes. Wenn man daher nicht dem Beispiel der angelsächsischen Länder folgen und alle Beschränkungsmafinahmen aus diesem Titel fallen lassen will, dann bleibt als einzige Lösungsmöglichkeit nur noch die Begutachtung auf Jugendzulässigkeit beim Sender, das heißt die Aussonderung all dessen, was unter dem Gesichtspunkte des Jugendschutzes nicht vertretbar erscheint, vor der Sendung. Dabei darf freilich nicht verschwiegen werden, daß diese Lösung aus verschiedenen Gründen höchst problematisch bleibt, wie nachstehend kurz aufgezeigt werden soll.

Zunächst einmal kommt eine solche Vorbegutachtung einer verfassungswidrigen Präventivzensur, anders als beim Film, zumindest sehr nahe. Die Jugendzensur beim Film inhibiert ja nicht die Aufführung schlechthin, sondern schränkt nur den Personenkreis, der zur Aufführung Zutritt hat, nach bestimmten Gesichtspunkten, nämlich aus iugendpolizeilichen Erwägungen, ein. Beim Fernsehen hingegen müßte, wegen der Unmöglichkeit der Beschränkung des Zuschauerkreises, die als bedenklich anzusehende Sendung überhaupt unterbleiben, das heißt, obwohl die Begutachtung nur vom Gesichtspunkte des Jugendschutzes aus gehandhabt wird, läuft sie in ihrer praktischen Auswirkung auf eine regelrechte — und verfassungswidrige — Präventivzensur hinaus.

Eine weitere offene Frage ist die der praktischen Handhabung und Durchführung. Der Vorprüfung stehen zwar kaum Hindernisse im Wege, wenn es sich um eine Sendung handelt, der in technischer Hinsicht ein Filmstreifen zugrundeliegt. Eine Direktsendung aus dem Studio könnte hingegen nur nach der Dialogliste, nicht oder nur schwerlich aber bezüglich der optischen Wirksamkeit beurteilt werden. Die Ueber-nahme einer Sendung aus dem Auslande hingegen dürfte sich in der Praxis bereits jeglicher Prüfungsmöglichkeit entziehen.

Schließlich darf auch nicht übersehen werden, daß eine Prüfung der Sendungen selbst eine weitere nicht zu unterschätzende Gefahr in sich birgt, nämlich die der politischen Einflußnahme auf das Sendeprogramm. Es hätte nicht erst des Beispiels bedurft, das der Wiener Magistrat bei Prüfung des Schatzkammer-Kulturfilmes auf Jugendzulässigkeit geliefert hat, um zu erweisen, wie extensiv man den Begriff Jugendschutz interpretieren kann. Eine von politischen Momenten durchsetzte oder von politischen Erwägungen diktierte Entscheidung über die Nichtzulassung eines Films zur Vorführung vor Jugendlichen wirkt nur für diese; beim Fernsehsender bedeutet sie ein Aufführungsverbot schlechthin.

Aufmerksamen Beobachtern ist es gewiß nicht entgangen, daß die Programmgestalter der Austria-Wochenschau mit Erfolg bestrebt waren, keinen der gewiß bedauerlichen, aber vom Standpunkt einer Aktualitätenschau nicht zu übersehenden Eisenbahnunfälle der letzten Monate (Stockerau, Karwendelbahn usw.) ins Bild zu bringen, um den sonst nicht gerade selten in der Wochenschau sichtbaren Ressortminister Dipl.-Ing. Waldbrunner vor den Augen der Oeffentlichkeit nicht damit zu belasten. Man sieht, das Uebergewicht über Einrichtungen der Publizistik, die ihrer Natur nach und aus wirtschaftlichen Gründen in einem so kleinen Land wie Oesterreich Monopolstellung genießen, was in gleicher Weise wie für die Wochenschau auch für das Fernsehen zutrifft tzw. zutreffen wird, versetzt den Betreffenden oder die betreffende politische Gruppe in die Lage, zumindest Licht und Schatten nach ihrem Belieben zu verteilen. Daß diese Art von unauffälliger Beeinflussung die beste Propaganda ist, braucht wohl nicht erst besonders begründet zu werden.

Ob es unter solchen Gesichtspunkten rätlich erscheint, den Weg der Vorprüfung beim Sender zu beschreiten?

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