Stumme Schreie nach Freiheit

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Massenverhaftungen und Polizeigewalt in Minsk: Das Regime Lukaschenko | duldet keine Zeugen mehr: Journalisten werden systematisch ausgewiesen.

Glaubt man dem Staatsapparat, dann muss es rekordverdächtig schön sein in Europas letzter Diktatur Weißrussland zu leben. Am 11. Juli meldete die amtliche belarussische Telegrafenagentur Folgendes: "Der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko empfing am 11. Juli den stellvertretenden Premierminister Sergej Rumas, der ihn über Wirtschaftsentwicklung im ersten Halbjahr ins Bild setzte. Das BIP-Wachstum betrug inzwischen 111 Prozent. Innerhalb von fünf Monaten überstiegen die Exporte die Importe. Das Plus-Handelssaldo mit Waren und Dienstleistungen belief sich auf 116 Millionen US-Dollar.“

Glaubt man den Berichten unabhängiger Journalisten, dann ist es seit Frühjahr zu einer drastischen Senkung des Lebensstandards gekommen. Der weißrussische Rubel verlor 30 Prozent seines Wertes. Die Preise für Energie und Lebensmittel stiegen in für viele Weißrussen unerschwingliche Höhen.

Die Bevölkerung reagiert auf ihre Weise: Klatschen hat in diesen Tagen eine neue Bedeutung erlangt in Weißrusslands Hauptstadt Minsk. Klatschen heißt Verachtung - Klatschen ist Protest und ein Grund verhaftet und abgeurteilt zu werden wegen "Verächtlichmachung“. Erst in der vergangenen Woche wurden 400 Menschen in der weißrussischen Hauptstadt Minsk verprügelt und arrestiert.

Die verweigerte Freiheit

In der Geschichte Weißrusslands kommt die persönliche Freiheit eigentlich immer bloß als Ideal vor, niemals als Realität. Bis 1991 war Belarus eine sozialistische Sowjetrepublik. Mit seiner Unabhängigkeit wurde das Land zur Präsidialrepublik mit einer Verfassung nach europäischem Vorbild, in der die Menschenrechte für seine Bürger garantiert werden. Doch mit der Regentschaft von Aleksander Lukaschenko ab 1994 verschlechterte sich die Situation zusehends.

Schon unter seinem Vorgänger wurde die Planwirtschaft der Freien Marktwirtschaft vorgezogen und das Land dadurch in Europa weitgehend isoliert.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2006 wurde Lukaschenko von einer großen Mehrheit im Amt bestätigt, jedoch unter massiven Vorwürfen des Wahlbetrugs. Sein Regierungsstil wird als undemokratisch, autoritär und marktfeindlich bezeichnet. Die enge Verbindung mit Russland beruht auf einer gemeinsamen Verteidigungsstrategie und einer bevorzugten Behandlung bei der Versorgung mit Rohstoffen, besonders Öl und Gas.

Doch die steigenden Weltmarktpreise wurden von den Russen an Weißrussland weitergegeben und führten seit 2007 zu schweren Zerwürfnissen. Die Teuerungen bringen weite Teile der Bevölkerung in Bedrängnis. Proteste, vor allem der Jugend, sind die Folge.

Proteste, die das Regime nicht duldet. Friedliche, stille Kundgebungen werden niedergeknüppelt, das Recht auf Versammlung und Demonstration, das zwar in der Verfassung garantiert wird, einfach negiert.

Siegfried Wöber von der Austrian Helsinki Association berichtet von groben Ausschreitungen gegen Journalisten und Menschenrechts-Aktivisten aller Altersklassen. Dies bestätigt Andrei Aliaksandrau, Vize-Vorsitzender der Belarusian Association of Journalists. Der jüngste prominente Fall betrifft einen polnischen Journalisten: Andrzej Poczobut, Korrespondent der polnischen Zeitung Gazeta Wyborsza wurde im März 2011 festgenommen, weil er "den Präsidenten beleidigt hat“. Nach dem Ersturteil musste Poczobut zwar nicht ins Gefängnis, aber das Land innerhalb 24 Stunden verlassen. Sein Fall ist exemplarisch: Unabhängige Journalisten werden systematisch gezwungen, das Land zu verlassen.

Die Liste der Opfer dieser Taktik ist lang: Im März wird der Russe Alexander Lashmankin, Vorsitzender der Menschenrechts-Informations-Agentur "Svoboda“ (Freiheit) festgenommen, seine Akkreditierung als Auslandsjournalist entzogen; Dem Korrespondenten des "Deutschlandradio“ Robert Baaga und der Journalistin Doris Hayman von der "Rheinischen Zeitung“ passiert das Gleiche wegen "ungesetzlichen Verhaltens in der Grenzregion“. Am 30. Mai wird in Minsk der Korrespondent des russischen TV-Kanals Dozhd Rodion Marinichev verhaftet und mit der Auflage freigelassen, das Land innerhalb von 24 Stunden zu verlassen. Andrey Yurov, leitender Menschenrechtsaktivist, Maxim Kitsyuk und Marina Tsapok wurden ohne Nennung von Gründen verhaftet, abgeschoben.

Verhaftung Hunderter Menschen

Massenverhaftungen fanden nach den Wahlen im Dezember statt und seither immer wieder bei den Versammlungen jeweils am Mittwoch, berichten die Aktivistinnen Viktoria G. und Juliya K. Seit Klatschende auch verhaftet werden, bleiben die Teilnehmer still. Das schützt die Demonstranten aber auch nicht. Eine Zeugin berichtet, dass die Menschen nur still standen, als die Polizisten begannen, sie wahllos an Armen und Beinen zu packen.

"Das Vorgehen der Polizei ist brutal, absurd und falsch“, sagt Hugh Williamson, Direktor für Europa und Zentralasien von Human Rights Watch.

Ein Journalist, der die Vorfälle filmen wollte, wurde niedergeknüppelt, auf einen Lastwagen geworfen, wo bereits Männer und Frauen lagen - eine Frau war schwanger. Die Kamera wurde ihm später - ohne Film - zurückgegeben. Nach diesen Massenverhaftungen kommen die meisten zwar wieder frei, mit dem üblichen Strafverfahren wegen angeblichen "Hooliganismus“ im Gepäck. Doch Hoffnungen auf ein faires Gerichtsverfahren brauchen sie sich nicht zu machen: In dem Land mit über zehn Millionen Bürgern sind nur 1.500 Rechtsanwälte zugelassen - und die handeln auf Weisung des Staatsapparates.

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