Die Schatten des Maidan in Minsk

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Im Schatten der Ukraine-Krise wurde am Wochenende die Eishockey-WM in Belarus eröffnet. Das Regime hat die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verschärft. Und deren Hoffnung auf Hilfe aus der EU sind wegen der Ereignisse in Kiew auf Null gesunken.

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Im Schatten der Ukraine-Krise wurde am Wochenende die Eishockey-WM in Belarus eröffnet. Das Regime hat die Repressionen gegen die Zivilgesellschaft verschärft. Und deren Hoffnung auf Hilfe aus der EU sind wegen der Ereignisse in Kiew auf Null gesunken.

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Die Nachricht kam ausgerechnet an seinem Geburtstag: Am 24. April bekam Pawel Besuch vom weißrussischen Geheimdienst KGB. "Sie haben mir klar gemacht: Entweder ich verlasse Minsk sofort, oder ich komme ins Gefängnis." Pawel hat sich für Ersteres entschieden. In einer Kleinstadt 100 Kilometer östlich von Minsk gräbt er jetzt mit seinem Vater die Kartoffeläcker um.

Der 26-Jährige ist als "Stofftier-Aktivist" bei den Behörden aktenkundig. Nachdem er vor einem Regierungsgebäude Stofftiere aufgestellt hatte, die auf Schildern Pressefreiheit und die Freilassung von politischen Gefangenen fordern, musste er für zehn Tage ins Gefängnis. Insgesamt wurde er schon 16-mal zu einer "Verwaltungshaft" von bis zu 25 Tagen verurteilt. "Ich hatte diesmal Glück. Andere Aktivisten wurden nicht vor diese Wahl gestellt", sagt er.

Hinter der Fassade

Am 9. Mai wurden die Eishockey-Weltmeisterschaften in Minsk eröffnet. Die weißrussische Hauptstadt hat sich schick gemacht. Frisch gestrichene Straßenmarkierungen, bunte Tulpenbeete, U-Bahn-Durchsagen auf Englisch. Hinter der freundlichen Fassade hat Präsident Alexander Lukaschenko der Zivilgesellschaft jedoch eine neue Eiszeit verordnet: 30 Aktivisten wurden wegen "Rowdytums" und "Widerstands gegen die Staatsgewalt" zu Haftstrafen verurteilt. Der KGB hat hunderte Aktivisten verhört, eingeschüchtert oder zum Verlassen der Hauptstadt aufgefordert. Die erhoffte Amnestie für politisch Gefangene ist bis dato ausgeblieben: Der Menschenrechtler Ales Bjaljazki, der Ex-Präsidentschaftskandidat Mykalaj Statkewitsch und der Chef der Studentenorganisation "Junge Front" Eduard Lobau sitzen hinter Gittern.

Die Eishockey-WM in der "letzten Diktatur Europas", wie Belarus oft genannt wird, ist umstritten. Auch die Intellektuellen des Landes sind darüber gespalten: "Wir sind ein derart isoliertes Land, deswegen halte ich jede Form des Austausches für eine Chance", sagt der Schriftsteller Wiktor Martinowitsch. Die Inhaftierungen hält er für einen "strategischen Fehler des Regimes": "Sie zeigen, dass in Belarus massiv Menschenrechte verletzt werden. Und das ist ein weitaus größerer Imageschaden als ein paar Demonstranten auf den Straßen", sagt Martinowitsch.

Witali Rymaschewski, Chef der belarussischen Christdemokraten, widerspricht dem vehement. Zwei seiner Parteimitglieder werden derzeit von den Behörden verfolgt. "Ich sehe keinen Nutzen, nur realen Schaden für die Aktivisten und ihre Angehörigen."

Steigende Popularität

Angesichts der Ukraine-Ereignisse rückt die Situation in Belarus allerdings in den Hintergrund. Das spielt Lukaschenko in die Hände: Laut unabhängigen Umfragen sind die Popularitätswerte Lukaschenkos zuletzt um fünf Prozent auf 40 gestiegen. Jahrelanger Aktivismus für eine Annäherung an Europa wurden in Wochen zunichte gemacht, sagt Alexander Milinkewitsch, Chef der Oppositionspartei "Sa Swobodu":"Die Menschen am Maidan haben europäische Flaggen geschwenkt - und was haben sie dafür bekommen? Krieg. Wir haben so hart für eine pro-europäische Stimmung im Land gekämpft - und mit einem Schlag wird das alles wieder umgekehrt", sagt Milinkewitsch.

Dabei hätte die EU gerade in der Ukraine-Krise einen Joker in der Hand gehabt, um auf Lukaschenko einzuwirken: So wurde das russische Verhalten auf der Krim und in der Ostukraine auch in Minsk mit großer Sorge beobachtet. Lukaschenko hat sich in der Krise gewählt ausgedrückt, und den ukrainischen Übergangspräsidenten Oleksandr Turtschinow - anders als der Kreml - immer als legitimen Präsidenten bezeichnet.

Zum Anpfiff der WM wurde bekannt, dass Belarus einen Kredit über zwei Milliarden Dollar aus Russland bekommen wird. Ende Mai soll ein Abkommen zwischen Belarus, Russland und Kasachstan unterzeichnet werden, um die Integration in eine Eurasische Wirtschaftsunion zu besiegeln. "Seien wir uns ehrlich: Die EU schert sich einen Dreck um Belarus", sagt Martinowitsch. "Dostojewski hat geschrieben: Wenn Gott tot ist, ist alles erlaubt. Und Europa ist für Lukaschenko leider gestorben. Also kann er machen, was er will."

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